Rekonvaleszenz

[268] Also gut, nach fünfmonatlichem Krankenlager wegen doppelten Handbruches kam ich wieder »ins Leben« zurück. Ich fühlte es sogleich: ›In Deinem einsamen Zimmerchen war es schrecklich, aber hier ist es noch viel schrecklicher!‹ Zu Hause war ich unter Leiden und Qualen ich selbst, von mir selbst gütig gerecht behandelt, soweit es überhaupt möglich ist.[268]

Kein Widerspruch gegen die geheimnisvollsten Dinge meines geistig-seelischen Wesens; Hoffnung, daß es sich bessern werde, aber keine allzu übertriebene. Noch immer, und desto tiefer die Überzeugung, daß die neue qualvolle Natur »Geist und richtigere Erkenntnis« die alte bequeme falsche Natur »Instinkt« besiegen werde. Seine »Lebens-Maschinerie« endlich mit Bewußtsein erkennen, ist allein Sache des modernen, echt kultivierten Menschen! Bisher beschränkte er sich mit seiner angeblichen Kultur auf Bildung, Wissenschaft, Literatur, allgemeine (?!?) Kultur. Aber auf sein eigenes Sein, sein Denken, sein Empfinden, sein wirkliches Wollen aufmerksam zu werden, das einzig wirklich Wichtige für ihn, dazu kann ihm seine angebliche Kultur in nichts bisher verhelfen! Im Gegenteil, er weicht ihr absichtlich überall aus, scheu und sich vor sich selbst eigentlich fürchtend. Das »Äußerliche« nimmt er an, das »Äußerliche«, ein Unglückseliger, aber sein Inneres bleibt unerbittlich starr, wie vom Schlag im voraus getroffen!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 268-269.
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Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]