Krankenpflege

[208] Eine Frau, die, während ihr Geliebter im Sterben liegt, sich ebenso pflegt, wäscht, mit hundert Salben salbt wie eh' und je, und keinerlei Bedenken hat, sich ebenso zu pflegen und zu hegen, wie sie es gewohnt war, hat ihn nie, nie wirklich liebgehabt! Sie müßte plötzlich alles aufgeben, sich schmutzig werden lassen, sich verkommen lassen, auf ihre adelige Körperpflege vollkommen verzichten können, sich Hände und Gesicht nicht mehr waschen wollen, ja sogar die schönen Haare nicht mehr pflegen, sich in einen Abgrund stürzen lassen, wo das reale Leben zerschellt und aufhört – – –.

Es müßte alle ihre weibliche Eitelkeit plötzlich ersterben, nicht mehr sein – – –. Sie müßte zu einem Aschenbrödel werden, ganz in sich zurückgezogen und unbeachtet, nur in der edlen Pflege aufgehend und unscheinbar werdend vor Aufmerksamkeiten! Sie müßte unwillkürlich aus einer Dame zu einer »Pflegerin« werden, sich degradieren, um sich zu erhöhen!

Ihre Fingernägel müßten ihre Edelpolitur verlieren, ihre Strümpfe müßten Löcher bekommen und Knöpfe müßten ihr an der Bluse fehlen. Ihre Ungepflegtheit müßte ihre Ehre sein! Ihre Freundinnen müßten zu ihr sprechen: »Du siehst gealtert aus, meine Liebe, schließlich muß man doch auch ein bißchen auf sich schauen, solange man jung und hübsch ist – – –.«

»Dazu habe ich jetzt, Gott sei Dank, keine Zeit mehr übrig – – –.«

»Gott sei Dank?!« sagten die Freundinnen und kicherten: »Sie muß immer apart sein – – –.«[208]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 208-209.
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