Besuch im einsamen Park

[223] Wie wenn die müde Seele noch einmal auf längst gesprungenen Saiten ihre begeisterten Klagen singen müßte, so ist es, wenn du zu mir kommst, Helene N.!

Der Alltag weicht da wie ein böser Zauber, der uns gefangen hielt, in einem Leben, das nicht die Stunde wert ist, die es bringt! Man lebt dem Tod entgegen!

Das alte Zauberreich von melancholischen Zärtlichkeiten erblüht, und der fade Park wird zum mysteriösen Urwald, wenn dein geliebter Schritt die alten Wege wandelt – – –.

Dein Sprechen wird wieder zu Musik, der Hauch des Atems wird wieder zum Wehen von Frühlings-Gebirgs-Almen mit Kohlröschen und Seidelbast!

Dein Sitzen beglückt und dein Stehen und dein Wandeln – – –.

Alles, was dich unglücklich macht, ist zugleich mein Unglück, und deine Klage trifft ein exaltiertes Bruderherz;

Indem ich leide und dir die Last abnehme unverstandenen Kummers,

Jauchzt meine Seele, daß sie mit dir leiden darf!

Ich möchte dich ins Zauberreich entführen,

Wo du mein Kindchen wirst, gewiegt, getragen, beschützt, in überzärtlichen Armen, an für dich bebendem Herzen – – –

Weg von den Ungetümen »Menschen«, die dich mit ihrem feigen Irrsinn morden!

Bist du denn ein Distelstrauch am Wege, ein Unkraut[223] oder Brennesselgebüsch?! Bist du dem Tritt des schweren frechen Fußes ausgesetzt?!

Bist du nicht eine zarte Blüte Gottes, die behütet werden muß vor jedem rohen Hauche?!

Bist du nicht die, die unser totes Herz zum Leben wiederbringt,

Und deren zarte Gliederpracht aus unserm glotzend stieren Fischaug' ein gerührtes Künstlerauge wieder zaubert?!?

In welche Welt bin ich geraten, pfui!? Wo alles sich in schnöder Ordnung abraspelt!?

Du bist die andere! Anders wie die anderen!

Wie Ambrosia anders war als Rumpsteak mit Salat!

Göttliche Kräfte bringst du, ohne es zu wissen!

Und pflichtlos sinken wir zu deinen Füßen hin! Nur eine Pflicht erkennend, vor dir hinzuknien!

Das zugeschnittene Maß, das alle fördert, ist uns verächtlich und vergiftet uns!

Der ekle Friede sorgenlosen Daseins macht unsere Kräfte stocken und vertrocknen – – –.

Wir müssen brennen, glühen und vergehen!

Und unsere innere Träne, wenn du beim Scheiden uns ruhig die Hand reichst,

Macht uns erst wieder leben, leiden und verzweifeln,

Und auf eine Stunde hoffen, da du, Gebenedeite, wiederkehrst! Für diese Stunde leben wir in Not!

Die da sind, morden uns;

Doch die da kommen, um von uns zu scheiden, bringen uns das Glück des abgrundtiefen Seelenschmerzes wieder![224]

Wir wollen rauschen, brausen und zerschäumen!

Des Lebens eingedämmte Ordnung ist unser heimtückischer Feind, für dumpfes Erdenleben ganz geeignet, das unter der feigen Maske der Rettung nur lahmlegt und vernichtet und vorzeitigem Tod entgegentreibt – – –.

Helene N., komme, auf daß ich hundert Stunden lang in Fieberzehrung dich erwarten könne – – –.

In Fieber mich verzehren ist mein Leben!

Und scheide von mir, auf daß ich tausend Stunden dir nachtrauern könne – – –.

Mein Geist lebt nicht vom Sein, das lahm macht und gebrechlich – – –;

Mein Geist lebt nur von Hoffen und Verzweifeln!

Du kamst, Helene N., und alles ward belebt und blühte auf – – –.

Du gingst und Trauerflore hingen über der dunklen ausgestorbenen Welt – – –.

Die Welt der Pflichten ist vielleicht gesünder und fördert manches Wertvolle in kleinem Kreise – –;

Wir aber wollen lieber an unseren inneren Symphonien elend scheitern! Des Alltags Werkelton mordet uns ebenso, nur langsamer und qualvoller – – –. Wie stumpfe Messer gegen scharfe Klingen!

Der Folter wollen wir entgehn des leeren Lebens, das unseren Organen ihre Kraft entzieht;

Und in der Schlacht trifft rücksichtsvoller uns der Tod und herrlich plötzlicher,

Als vorbereitet zu jeder Stunde eines Lebens, das weniger als nichts für uns bedeutet!

Helene N., komm wieder in den Park,[225] Wo Irre ihre irren Träume träumen – – –.

Du wirst hier doch vielleicht mehr Menschlichkeiten finden,

Als in der Welt, die sich frech-fälschlich für die normale hält!!![226]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 223-227.
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