Der Zeichner Fidus

[266] Künstler, Dichter, ahnet Ihr noch nicht, dass das »werdende Weib« Euch näher stehe als das »gewordene«?!

Welche »niedere Form« zweckdienlicher Nothwendigkeiten repräsentiert denn dieser dem Manne entgegen ächzende Leib?!

In welcher Freiheit hingegen, losgelöst vom Zwecke, ganz in Grazie und Zartheit schwebend, steht das Kind-Weib vor Dir, Künstler?!

Die traurigen Schwierigkeiten endgiltigen Ereignisses sind noch in weite Fernen gerückt und nah gerückt ist Gottes Plan, der Seele eine unbeschwerliche Hülle zu geben!

Diese Form prävalirender Göttlichkeiten in dem dem Fortpflanzungs-Geschäfte so schnöde gewidmeten Kunstwerke »Frauenleib«, hat der Zeichner Fidus zu seinem Hauptthema gemacht.

Und die Jünglinge, welche diesen Kindlichen sich nahen, tragen daher auf ihrem Antlitze jenen Ausdruck,[266] welcher mehr dem eines Beatrice-erfüllten Dante als dem eines besitzwahnsinnigen Faun's entsprechen!

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Die Welt der »Fertigen« ist nützlich!!

Die Welt der Unfertigen jedoch ist schön!!

Quelle:
Peter Altenberg: Was der Tag mir zuträgt. Berlin 12–131924, S. 266-267.
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