Die beiden Flaschen

[278] (Der süssen Annie Kálmar gewidmet.)

Der Fiebernde liebkoste die segenspendende Chinin-Flasche, drückte sie in unbeschreiblichen Zärtlichkeiten an sich, nannte sie seine Retterin, während die kristallene Wasserflasche ziemlich unbeachtet daneben stand.

Als er aber geheilt war, kam die Chinin-Flasche in die Mistgrube, während die Wasserflasche ruhig auf ihrem guten Platze verblieb.

Da sagte die Wasserflasche zur Chinin-Flasche:

»Nun, siehst Du es?!? Das Organische, das Natürliche siegt!«

Die Chinin-Flasche erwiderte sanft: »Siehe, in meiner Mistgrube träume ich Tag und Nacht von der Erlösung, die ich spendete! Hat man je um Dich gebebt, gebetet und geweint?!?«

Da dachte die Wasserflasche: »Nein. Wozu?! Man hat mich einfach getrunken!«[278]

Quelle:
Peter Altenberg: Was der Tag mir zuträgt. Berlin 12–131924, S. 278-279.
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