Der Neger

[313] Ein kleines wundervolles einäugiges blondes Mädchen schleppt einen riesigen Neger überall mit sich. In dem Circus sitzen sie allein in einer Loge.

»Eine kleine Romantische – – –« sagt der Vater glücklich und stolz, »wenn das so weiter geht – – –?!«

Schreckensbilder aus amerikanischen illustrirten Zeitungen: »Ein Neger schändet ein kleines Mädchen.[313] Man lyncht ihn, übergiesst ihn mit Petroleum, zwei Stunden lang verkohlt er.«

Da sitzen sie beisammen in der Loge des Circus. Etwas Magnetisches, eine Welt – Sympathie, die Condensatoren aufgestapelter Liebesströme der Natur: die Seele des Kindes, das Rückenmark des Wilden!

Die amerikanischen illustrirten Zeitungen übertreiben. Aber die Natur selbst ist übertrieben, das Gewitter, der Donnerschlag ist übertrieben, der Vesuv, die Liebe, der Tropenwald, die Heringszüge, Alles übertrieben, übertrieben – – – – – –!

»Das ist ein Elephant – – –« sagt das kleine Mädchen, »Ele-phant.«

»Schuo – –« sagt der Neger.

»Schuo – –« sagt das Kind.

Wie nahe sie sich gerückt sind: Schuo – Elephant, Elephant – Schuo. Eine gemeinsame Sprache sprechen sie bereits, Schuo – Elephant, Elephant – Schuo!

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 313-314.
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Wie ich es sehe: In der Fassung des Erstdrucks (Fischer Klassik)
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