Die Dienstboten
Das Kindermädchen.

[71] Das Kindermädchen mit den hellblonden seidenen Haaren öffnete die Hausthüre. »Oh – –« sagte sie, »Niemand ist zu Hause, die gnädige Frau und der gnädige Herr sind mit dem Bubi ausgefahren.«

»Ich werde sie erwarten« sagte der junge Mann.

Er setzte sich in die Küche auf einen Holzsessel.

Alles schimmerte, die blaugrauen Kacheln, der dicke Messinghahn der Wasserleitung, der rothbraune Mosaikboden mit den matten weissen und blauen Fleckchen – – – – und die seidenen Haare des Mädchens.[71]

An dem offenen Fenster hingen am Bast gelbgrüne Muskatellertrauben.

Das junge Mädchen stand an die Thüre gelehnt.

»Wie war es am Land, Emilie – –?!«

Er wusste, dass sie das Landleben liebte und sich hinaussehnte – – –.

Dann sagte er: »Es ist heute ein schöner Herbstabend – – –!«

»Oh, in der Stadt – – –?!« sagte sie.

Es wurde ganz still.

Nur die Wassertropfen an dem glänzenden Messinghahne schlugen auf die Marmorschale auf – – – pláp, pláp, pláp.

»Haben Sie nie Ausgang?!« sagte er.

»Wozu?! Zu Wem sollte ich geh'n?! Ich habe Niemanden – – –.«

»Sie haben es hier sehr gut«, sagte er, »Sie haben das Buberl sehr gern und Ihre Herrschaft ist edel und gut, besonders die Frau Fabrikdirektor.«

»Ja«, sagte sie.

Sie war achtzehn Jahre alt, hatte einen rosigen Teint, eine ideale Gestalt. Alle um sie herum hatten sie lieb, besonders das Buberl, oh, der – – –! Deshalb, wenn man zu ihr sagte »Sie haben es sehr gut«, sagte sie »o ja«.

Der junge Mann dachte: »Zehntausend ungeborene Wünsche kreisen in so einem jungen Organismus – – –!«

Er sagte: »Was machen Sie Abends, wenn der Kleine schläft?!«[72]

»Nichts – – –« sagte sie.

»Der Kleine schläft doch schon um acht Uhr ein – – –?!« sagte er.

Sie schwieg.

Dann sagte sie und senkte die Augen: »Wenn ich die Zeitungen der Herrschaft hätte vom vorigen Tage – – –! Aber es kostet auch Licht – – –.«

Am nächsten Tage sagte ihre junge Herrin zu ihr: »Emilie, Sie können immer Abends die Zeitung in Ihr Zimmer nehmen – – –. Ich habe einen hohen japanischen Wandschirm gekauft, damit das Buberl nicht vom Lichte Ihrer Lampe gestört werde.«

»Meiner Lampe – – –?!«

»Ja; ich habe Ihnen eine Leselampe gekauft.«

»Oh, gnädige Frau – – –« sagte das junge Mädchen und erbleichte.

Aber der junge Mann von gestern dachte: »Zehntausend ungeborene Wünsche kreisen in so einem jungen Organismus. Bringe Einen zur Geburt, zur Erfüllung – – – und es bleiben nur mehr Neun Tausend Neun Hundert Neun und Neunzig!«


Das Stubenmädchen.

Die junge Frau mit den goldbraunen Haaren hatte sie von der Mama übernommen. Unter den wunderschönen Hochzeitsgeschenken war jedesfalls das Werthvollste »Marianne, Stubenmädchen.«

»Sie hat schon ihre kleinen Fehler – – –« sagte die Mama.

Aber sie wusste selbst nicht welche.[73]

Es war mehr so eine Ahnung von der Unvollkommenheit alles Irdischen – – –. Jedesfalls war es ein Mädchen mit »tiefem Takt«, wie der Bruder der jungen Frau sich ausdrückte.

»Sie sieht Einem Alles an den Augen ab – –« sagte einst eine Dame, welche zu Besuch war.

»Sie hat schon ihre kleinen Fehler – –« sagte die Mama.

»Nein, sie hat keine – –« sagte die goldbraune Tochter und machte ein ganz gerührtes Gesicht.

Dieses Mädchen bekam sie als Hochzeitsgeschenk mit.

»Da ist Dein Zimmer, Marianne – – –« sagte sie und öffnete ein kleines Paradies und lächelte. Sogar Blumen waren darin.

»Oh gnädige Frau – – –« sagte das arme Mädchen.

Die Verwandten sagten: »Die ist wie das Kind im Haus – –. Aber sie verdient es.«

Marianne war gut, edel, still und fleissig – –.

Sie kochte sogar. Aber nur als »Fleiss-Aufgabe«.

Hie und da las sie, pflegte ihre Blumen, nähte – –.

Oder sie sah in den grossen Hof hinab, wo Equipagen gewaschen wurden und hinauf, über die Dächer, wo ein feiner weisser Thurm war und der blaue Himmel – – –.

Im zweiten Jahre dachte die junge goldbraune Frau: »Marianne verändert sich. Sie beginnt zu denken. Kann man davon leben ›Ich bin wie das Kind im Hause‹?! Sie hat ein liebes kleines Zimmer,[74] guten Lohn, Kleider – –. Was ist es?! Wozu ist man geboren?! Wir nützen sie aus! Vielleicht liebt sie meinen Bruder oder einen anderen Feinen, Edelgeborenen – –?! Vielleicht weint sie in den Nächten in ihrem kleinen Paradiese. Vielleicht zieht sich ihr Herz zusammen, wenn sie mein Glück sieht, meinen Frieden?!«

Jedesfalls begann Marianne zu denken – – –.Sie beneidete einen Menschen – – die Friseurin!

»Friseurin sein, frei, selbständig – – –!«

Sie betrachtete dieses Wesen wie die Göttin der Freiheit – – –.

Von wo kam sie?! Wohin eilte sie – –?!

Sie läutete, stürzte herein, frisirte, erzählte, plauderte ganz familiär, nahm Geld und stürzte ab – – –.

»Die hat keine Zeit zum Denken – –« dachte Marianne.

Wenigstens lag darin das Reizende für sie – –.

Es war ein Schwung in diesem Leben, ein Kampf mit der galoppirenden Zeit, mit den mysteriösen Damenhaaren, mit dem Leben – – –!

Marianne sah in den Hof hinab, wo die Equipagen gewaschen wurden und hinauf, über die Dächer, wo der feine weisse Thurm war und der blaue Himmel – –.

Eines Tages blieb die Friseurin aus – – –.

Sie hatte sich aufgerieben, einfach aufgerieben. Niemand sprach ein Wort darüber – – –. Nur die goldbraune Frau sagte noch sanfter als sonst: »Du, Marianne – –.«

Am nächsten Tag kam eine andere Friseurin.[75]

Sie läutete, stürzte herein, frisirte, erzählte, plauderte ganz familiär, nahm Geld und stürzte ab – –.

Marianne sah in den grossen Hof hinab, wo die Equipagen gewaschen wurden und hinauf, über die Dächer, wo der feine weisse Thurm war und der blaue Himmel – – –.

Jetzt beneidete sie Niemand mehr – – –.

»Vielleicht ist das das Glück – – –« dachte sie.

Eines Tages sagte die goldbraune Frau: »Marianne, mein Bruder hat gesagt, dass Niemand die Sachertorte so machen könne wie Du. Die Glaçe sei wie ein Teig – –.«

Das Glück – – – das war das Glück!

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 71-76.
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