Spätsommer-Nachmittag

[31] »Ich kann nur anziehen, nicht fesseln – – –« sagte sie.

Sie trug ein hellblaues weites Kleid mit weissen winzigen Pünktchen, einen braunen Strohhut mit weissen Nelken – – –.

»Da oben ist ein schöner Waldweg – – –« sagte Er, »überall kleine Felder von Disteln und lila Blumen und Birken; man geht schnurgerade und unten schlägt der Fluss weissen Schaum – –,«

Sie sah Ihn an wie wenn man sagt: »Da möchtest Du mit mir sein und den Duft meines Kleides einathmen – – –!?«

Aber sie gingen nicht den schnurgeraden Weg mit den kleinen Lichtungen von Disteln, lila Blumen[31] und Birken, sondern sie tranken Kaffee en grande société auf der feuchten Wiese an einem rothbraunen Tische und spielten dann Federball – –.

Die Haare des jungen Mädchen wurden feucht und zarte Ringellöckchen schwebten an den Schläfen – –.

Sie war sehr schön – – –.

Es begann zu regnen – – –.

Die ungemähten Wiesen rochen stark wie Waldmeister im Mai. Die braunen Wege begannen zu glänzen wie Glasererkitt. Die Kieselhaufen an der Strasse wurden reingewaschen und die Pappeln erzitterten und tranken Regen – – –.

Sie trug den schönen Strohhut mit den weissen Nelken in der Hand und Er hielt den Schirm über ihre braunen Haare wie eine gute sorgsame Mama –

Dann gingen sie in das Klavierzimmer des Casino.

Ein kahler dunkler Raum, der nach Keller roch – – –.

Der Bruder des Mädchens spielte Chopin, étude As dur.

Es war wie See-Wellen, die singen, herangleiten und zerrinnen – – –.

Es wurde ganz dunkel.

Draussen an dem Fenster verneigten sich die Kastanienblätter vor den Windstössen und der Sturm machte: sch sch sch – –. In der Ferne schimmerte eine Glaslaterne – –.

Drinnen glitt die As dur-Etüde heran, legte sich an die Herzen und zerrann – – –.

Der Herr und die Dame rauchten – –.[32]

Man sah nur die glühenden Spitzen der Cigarretten – –.

Er sass ganz nahe bei ihr und bebte – – –.

»Tanzen wir – – –« sagte sie.

Draussen verneigten sich die Kastanienblätter vor den Windstössen, die Cigarretten leuchteten auf dem Fensterbrett, der Bruder spielte und die Zwei tanzten im Dunkel langsam, lautlos dahin – – –.

Später sagte sie: »Wie heisst diese Etüde, die Du da früher gespielt hast. – – –?!«

»Chopin As dur – –« sagte der Klavierspieler. Dann fügte er hinzu: »Robert Schumann sagt Wunderbares über dieselbe. Warum fragst Du?!« »Nur so – – –.«

Der junge Mann aber war wie in einer andern Welt – –. Er fühlte auch Wunderbares über die As dur-Etüde, aber er konnte es nicht ausdrücken wie Schumann – – –. Er sagte nur leise zu dem Mädchen: »meine gütige Königin – – – – –!«

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 31-33.
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