Sie singt Gott dem Vater einen Lobgesang

[333] 1

Gott Vater, der du aller Dinge

Ein Anfang und ein Schöpfer bist,

Der du mit höchstem Lobgesinge

Von allen Vater wirst gegrüßt:

Gott Vater sei in Ewigkeit

Gelobet und gebenedeit.


2

Der du von allen Ewigkeiten

Zeigst deinen eingen ewgen Sohn

Und ihn am Ende vorger Zeiten

Uns hast gesandt von's Himmelsthron:

Gott Vater sei in Ewigkeit

Gelobet und gebenedeit.


3

Der du uns hast in ihm erkoren,

Eh du der Welt gelegt den Grund,

Und uns zu Kindern neu geboren,

Aufrichtend einen ewgen Bund:

Gott Vater sei in Ewigkeit

Gelobet und gebenedeit.


4

Aus dem, als einer Ursprungssonne,

Die Lichter alle stammen her,

Aus dem, als einem Quell und Bronne,

Sich ausgießt aller Güte Meer:

Gott Vater sei in Ewigkeit

Gelobet und gebenedeit.
[334]

5

Der über Bös und über Gute

Läßt seiner Sonnen Schein aufgehn

Und die gerechte Straf und Rute

Sehr lang aus Langmut an läßt stehn:

Gott Vater sei in Ewigkeit

Gelobet und gebenedeit.


6

Der uns von Anbeginn der Erden

Das Reich der Himmel hat bereit

Und nötigt, daß wir Gäste werden

Der Hochzeit ewger Seligkeit:

Gott Vater sei in Ewigkeit

Gelobet und gebenedeit.


7

Der, dessen Tiefen unergründlich

Und unermeßlich seine Macht,

Der, dessen Anfang unerfindlich

Und unvergleichlich seine Pracht:

Gott Vater sei in Ewigkeit

Gelobet und gebenedeit.


8

Der, dessen vieler Majestäten

Die Himmel voll sind und die Welt,

Den alle Kreaturn anbeten,

Dem, was nur lebt, zu Fuße fällt:

Gott Vater sei in Ewigkeit

Gelobet und gebenedeit.


9

Dem tausend engelische Heere

Das »Heilig ist der Herrscher« schrein

Und alle Kräft ihr Kriegsgewehre

Zu ewiglichen Diensten weihn:[335]

Gott Vater sei in Ewigkeit

Gelobet und gebenedeit.


10

Den aller Heilgen Chör und Orden

Mit Lob verehrn und stetem Preis,

Der immer angebetet worden

Vom ganzen Christen-Erdenkreis:

Gott Vater sei in Ewigkeit

Gelobet und gebenedeit.


11

Gib, daß dein Nam geheiligt werde,

Dein Reich zu uns komm auf der Welt,

Dein Will gescheh hier auf der Erde,

Wie in des hohen Himmels Zelt.

Gib unser Brot uns in der Zeit,

Dich zu genießn in Ewigkeit.


12

Erlaß die Schuld, wie wir erlassen,

Führ uns, Herr, in Versuchung nicht,

Rett uns vom Übel aller Maßen

Und bring uns in dein freies Licht,

Daß du von uns in Ewigkeit

Gelobt seist und gebenedeit.

Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 333-336.
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