Lob des heiligen Johannes des Evangelisten

[225] 1

Du edler Jüngling, mein Patron,

Johannes, welchen Gottes Sohn

So zärtlich hat geliebet,

Dich zu verehrn, soll jetzt mein Mund

Die große Güte machen kund,

Die Gott an dir geübet.


2

Mein Heiland, der Bethlemer Held,

Rief dich ganz kräftig von der Welt

In deiner Jahren Blüte.

Du folgest auch bald wie ein Lamm,

Wie eine Braut dem Bräutigam,

Und tratst in seine Tritte.


3

Die jungfräuliche Reinigkeit

Unds unbefleckte Seidenkleid,

Mit dem du warst umgeben,

Hat ihm so wohl an dir gefalln,

Daß er dich lieb gehabt vor alln

In seinem ganzen Leben.
[225]

4

Du lagest oft mit selger Lust

An deines Meisters süßer Brust,

Du warst von ihm umfangen.

Dein Herz zerfloß ob dieser Gunst,

Der Geist verbrannt in keuscher Brunst,

Ein End hatt' alls Verlangen.


5

Daher bist du auch so geschwind

Ein feuerflammends Donnerkind

Der ewgen Liebe worden.

Dein Herze war von Jesu reich,

Von ihm wars noch auf Erden gleich

Dem Seraphiner-Orden.


6

Dich nahm er mit sich auf die Höhn,

Da er verkläret wollte stehn

Und seine Wonne zeigen.

Du sahst sein Antlitz wie den Blitz,

Sein Kleid wie Schnee, wenn Carmels Spitz

Der Sonnen Strahln besteigen.


7

Du hasts auch als ein treuer Freund

Hinwiederum mit ihm gemeint

Und ihn nicht schlecht wolln lieben.

Du bist in allem Hohn und Spott,

In allen Leiden bis in Tod

Bei ihme stehen blieben.


8

Dich hat er so vertraut geliebt,

Daß er dir seine Mutter gibt,[226]

Da er am Kreuz muß sterben.

Dich hat er ihr als einen Sohn,

Da er für uns gemußt davon,

Verlassen wolln zum Erben.


9

Drauf hast du deinen feurgen Mut,

Gleich wie ein schneller Adler tut,

Durch das Gewölk geschwungen.

Du hast dich über Zeit und Ort

In Gotts Geburt, ins ewge Wort,

Ins Dunkel eingedrungen.


10

Du hast mit dir herab gebracht,

Daß alles ist durchs Wort gemacht

Und alls von ihm herrühret.

Du hast gelücklich angeschaut

Die neue Stadt, des Lammes Braut,

Wie sie ist ausstaffieret.


11

Jetzt lebst du drin und bist dazu

In ewger Lust und ewger Ruh

Von Jesu Lieb ertrunken.

Du schwimmst im Meere seiner Freud

Und bist im Strom der Herrlichkeit

Ganz seliglich versunken.


12

O edler Jüngling, schau auch an,

Die dir in Gott sind zugetan,

Die dich und Jesum lieben.

Denk auch an uns, hilf uns behend,

Daß wir beständig, bis ans End

Die Liebe Gottes üben.

Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 225-227.
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