Sie beklagt das mit Dornen verwundte Haupt ihres Königs

[109] 1

Sei beklagt, du Kaiserhaupt,

Alles Schmucks und Ehrn beraubt,

Hoch beleidigt, hoch verhöhnet

Und zum Spott mit Dorn gekrönet,

Zerbeult, zerstochen und verwundt.


2

Sei beweinet und beklagt,

Daß man dich so grausam plagt,

Daß man dich so gar vernichtet

Und so übel zugerichtet,

Du hoher Sitz der Majestät.


3

Du bist würdig, daß man dich

An soll beten ewiglich,

Daß man dir, als Gottes Sohne,

Auf soll setzen seine Krone;

Und dennoch wirst du so verhöhnt!
[109]

4

Ach, was tu ich, Jesu Christ,

Daß du so verschimpfet bist!

Denn ich fühl in meinem Herzen,

Daß ich diesen Spott und Schmerzen

Mit meiner Schuld verursacht hab.


5

Meine Hoffart ists allein,

Die dir bringet diese Pein.

Und die Dornen, die dich stechen,

Solln mein Haupt, das stolze, rächen,

Das sich zu hoch erheben wolln.


6

Ach vergib mir, großer Gott,

Diese Schmach und diesen Spott.

Laß den Balsam deiner Wunden,

Die dein heilges Haupt empfunden,

Zum Trost auf meine Seele falln.


7

Überschwemm mit deinem Blut

Meinen Stolz und Übermut,

Daß ich an dem großen Tage

Dir zu Ehrn die Krone trage,

Die du hierdurch erworben hast.


Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 109-110.
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