Achtundzwanzigste Rune.

[44] Ahti, er, der Inselländer,

Lemminkäinen leichtgemutet

Eilte nun sich fortzumachen,

Drängte nun davonzufliehen

Aus dem nimmerhellen Nordland,

Aus dem dunklen Hause Saris.


Stürmend ging er aus der Stube,

Eilte gleich dem Rauch zum Hofe,

Um der Untat zu entfliehen,

Um dem Frevel zu entlaufen.


Als er auf den Hof gekommen,

Blicket er nach allen Seiten,

Suchet wo sein Roß er fände,

Siehet nirgends stehn das Rößlein,

Einen Block nur auf dem Felde,

Auf der Flur ein Weidendickicht.


Wer wohl sollte hier nun raten,

Wer ihm gute Weisung geben,

Daß sein Kopf ihm nicht gefährdet,

Nicht das Haar beschädigt würde,

Daß er nicht die feinen Locken

Auf Pohjolas Hofe ließe?

Lärm schon hört man aus dem Dorfe

Und Getös von andern Häusern,[45]

Schimmern sieht man's schon im Dorfe,

Augen an den Fenstern funkeln.


Darauf mußte Lemminkäinen,

Er, der Inselländer Ahti,

Sich in andern Körper bannen,

Mußte anders sich gestalten;

Flog als Adler in die Höhe,

Wollte auf zum Himmel steigen,

Doch die Sonne dörrt die Wangen,

Und der Mond bleicht ihm die Brauen.


Lemminkäinen leichtgemutet

Betete zu Ukko also:

Ukko, du, o Gott voll Güte,

Weiser Mann du in dem Himmel,

Der die Donnerwolken lenket,

Der die Lämmerwolken leitet!

Leih mir eine Nebelhülle,

Schaff mir eine kleine Wolke,

Damit ich in ihrem Schutze

Nach der Heimat nun enteile,

An der lieben Mutter Seite,

Hin zu ihr, der greisen Alten!


Flieget dann beständig weiter,

Schaut sich einmal um nach hinten,

Sieht da einen grauen Habicht;

Feurig glühen seine Augen

Wie des Pohjaländers Augen,

Wie des frühern Nordlandswirtes.


Also sprach der graue Habicht:

Heda, Ahti, lieber Bruder,

Denkst du noch an unsre Kämpfe,

An den Streit mit gleichen Köpfen?[46]

Sprach der Inselländer Ahti,

Er, der schöne Kaukomieli:

Habicht du, mein schöner Vogel!

Richte deinen Flug nach Hause;

Sage, bist du angekommen

In dem nimmerhellen Nordland:

Schwer ist es den Aar zu fangen,

Diesen Starken zu zerreißen.


Eilte nun gerades Weges

Hin zu seiner lieben Mutter,

Im Gesichte voll von Sorgen,

Von Betrübnis in dem Herzen.


Ihm entgegen kam die Mutter

Als er auf dem Wege wandert,

Längs des Zaunes vorwärts schreitet,

Hastig fragte ihn die Mutter:

Du der jüngste meiner Söhne,

Du das stärkste meiner Kinder!

Weshalb bist du so verdrießlich,

Da du aus Pohjola heimkehrst,

Wardst am Trinkkrug du gekränket

Bei dem Schmause von Pohjola?

Wardst am Trinkkrug du gekränket,

Sollst du einen bessern haben,

Den dein Vater einst im Kriege,

In dem Kampfe hat erbeutet.


Sprach der muntre Lemminkäinen:

Mutter, die du mich getragen!

Wär' am Trinkkrug ich gekränket,

Würde selbst den Wirt ich kränken,

Kränken würd' ich hundert Helden,

Tausend Männer wohl belehren.[47]


Sprach die Mutter Lemminkäinens:

Weshalb bist du denn verdrießlich,

Wardst du an dem Roß beschimpfet,

In dem Wettlauf überwunden?

Wardst du an dem Roß beschimpfet,

Sollst du dir ein bessres kaufen

Mit dem Reichtum deines Vaters,

Mit dem Gelde deines Alten!


Sprach der muntre Lemminkäinen:

Mutter, die du mich getragen!

Wär' ich an dem Roß beschimpfet,

In dem Wettlauf überwunden,

Würd' ich selbst den Wirt beschimpfen,

Würd' die Rosselenker zwingen,

Starke Männer mit den Pferden,

Helden auch mit ihren Rossen.


Sprach die Mutter Lemminkäinens:

Weshalb bist du so verdrießlich,

So betrübt in deinem Herzen,

Da du aus Pohjola kommest,

Wardst von Weibern du verspottet,

Von den Mädchen ausgelachet?

Wardst von Weibern du verspottet,

Von den Mädchen ausgelachet,

Kannst du andere verlachen,

Andre Weiber du verspotten.


Sprach der muntre Lemminkäinen:

Mutter, die du mich getragen!

Wär' von Weibern ich verspottet,

Von den Mädchen ich verlachet,

Würd' ich selbst den Wirt verspotten,

Alle Mädchen ich verlachen,[48]

Würde hundert Jungfraun trotzen,

Tausend andern Frauenzimmern.


Sprach die Mutter Lemminkäinens:

Was geschah dir denn, mein Söhnchen?

Ist dir etwas zugestoßen

Auf dem Wege nach Pohjola,

Hast du gar zuviel gegessen,

Viel gegessen und getrunken,

Hast auf deiner Ruhestätte

Schlechte Träume du gesehen?


Sprach der muntre Lemminkäinen

Darauf Worte dieser Weise:

Alte Weiber mögen denken,

Was sie in dem Traum gesehen!

Kenn' die Träume meiner Nächte,

Besser noch des Tages Träume;

Mutter, du, o liebe Alte!

Fülle meinen Sack mit Wegkost,

Lege Mehl mir in die Tasche,

Lege Salz in meinen Beutel,

Weiter muß dein Sohn nun wandern,

Muß nun aus dem Lande ziehen,

Aus dem lieben, goldnen Hause,

Aus dem wunderschönen Hofe;

Männer schärfen ihre Schwerter,

Wetzen ihre Lanzenspitzen.


Hastig fragte ihn die Mutter,

Forschte nach dem Grund in Eile:

Weshalb schärfen sie die Schwerter,

Wetzen sie die Lanzenspitzen?


Sprach der muntre Lemminkäinen,

Er, der schöne Kaukomieli:

Deshalb schärfen sie die Schwerter,[49]

Wetzen ihre Lanzenspitzen:

Gegen meinen Kopf, den armen,

Gegen meinen Unglücksnacken;

Schlimme Dinge sind geschehen

Auf dem Hofe von Pohjola:

Tötete den Pohjaländer,

Ihn, den Wirt Pohjolas selber.

Auf zum Kampf hob sich das Nordland,

Zu dem Streit der wilde Haufen,

Gegen mich, den Mühbeladnen,

Alle gegen mich, den einen.


Diese Worte sprach die Mutter,

Redet' zu dem Kind die Alte:

Hab' es dir wohl vorgesaget,

Habe dich gar sehr gewarnet,

Habe dringlich dir geboten,

Nach dem Nordland nicht zu gehen;

Konntest ja beim Rechte bleiben,

In der Mutter Hause wohnen,

In dem Schutze deiner Alten,

Nahe ihr, die dich getragen,

Wäre dann kein Krieg entstanden,

Hätte sich kein Streit erhoben.


Wohin willst du nun, mein Söhnchen,

Wohin willst du, Ärmster, eilen,

Um der Untat zu entfliehen,

Vor dem Frevel dich zu bergen,

Daß dein Kopf dir nicht gefährdet,

Nicht dein Hals gespalten werde,

Nicht beschädigt deine Haare,

Nicht die feinen Locken fallen?


Sprach der muntre Lemminkäinen:

Kenne keine solche Stelle,[50]

Wo ich Zuflucht finden könnte,

Mich verbergen nach der Untat;

Mutter, die du mich getragen,

Wohin willst du, daß ich fliehe?


Sprach die Mutter Lemminkäinens,

Redet selber diese Worte:

Weiß nicht, was ich dir befehlen,

Wohin ich dich soll entsenden;

Werd' zur Föhre auf dem Berge,

Zum Wacholder auf dem Felde,

Dort auch könnt' dich Unglück treffen,

Könnte Unheil dich befallen:

Oftmals wird des Berges Föhre

Zu dem Leuchtspan ja zerschnitten,

Oftmals wird der Feldwacholder

Zu Staketen abgeschälet.


Steig als Birke in die Niedrung

Oder in den Hain als Erle,

Dort auch könnt' dich Unglück treffen,

Könnte Unheil dich befallen:

Oftmals wird des Tales Birke

Zu dem Scheiterstoß zerhacket,

Oftmals wird der Hain von Erlen

Bei dem Schwenden umgehauen.


Werd' zur Beere auf dem Berge,

Auf der Heid' zur Preiselbeere,

Eine Erdbeer' auf dem Felde,

Eine Schwarzbeer' auf dem Boden,

Dort auch könnt' dich Unglück treffen,

Könnte Unheil dich befallen:

Würden dich die Mädchen pflücken,

Dich die Zinngeschmückten rauben.[51]


Werd' zum Hechte in dem Meere,

Werd' zum Schnäpel in dem Flusse,

Dort auch könnt' dich Unglück treffen,

Könnte Unheil dich befallen:

Würde dort ein junger Fischer

Seine Netz' ins Wasser lassen,

Junge dich im Garn entführen,

Alte mit dem Netze fangen.


Werd' zum Wolfe in dem Walde,

In dem Dickicht du zum Bären,

Dort auch könnt' dich Unglück treffen,

Könnte Unheil dich befallen:

Würd' ein Jüngling, schwarz vom Feuer,

Seinen großen Speer dort spitzen

Zu dem Untergang des Wolfes,

Und dem Bären zum Verderben.


Sprach der muntre Lemminkäinen,

Redet Worte solcher Weise:

Kenne selber wohl das Schlimme,

Bin der bösen Stellen kundig,

Wo der Tod mich packen könnte,

Hartes Schicksal mich ereilen;

Mutter, die du mich geboren,

Die du Milch dem Kind gegeben!

Wohin willst du, daß ich fliehe,

Wohin willst du mich entsenden?

Vor dem Munde steht der Tod mir,

Schon an meinem Bart das Unheil,

Morgen gilt's den Kopf des Mannes,

Ist vollendet das Verderben.


Sprach die Mutter Lemminkäinens

Selber Worte dieser Weise:

Werd' dir eine gute Stelle,[52]

Eine wohlgelegne nennen,

Wohin sich der Schuld'ge bergen,

Flüchten kann der Missetäter;

Kenn' ein Land geringer Strecke,

Eine Stelle kleinen Umfangs,

Ungeplündert, unbezwungen,

Unberührt vom Männerschwerte;

Schwöre mir mit ew'gem Eide,

Mit dem wahrhaften und kräft'gen,

Daß in sechs, in zehn der Sommer

Du in keinen Kampf wirst ziehen,

Wenn nach Silber auch Gelüste,

Wenn nach Gold du Sehnsucht trügest.


Sprach der muntre Lemminkäinen:

Schwöre dir mit kräft'gem Eide,

Daß ich nicht im ersten Sommer,

Schwöre, daß ich nicht im zweiten

Zu dem großen Kampfe ziehe,

Zu dem Tummelplatz der Schwerter;

Hab' noch Wunden an der Schulter,

Auf der Brust noch tiefe Löcher

Von den frühen Kampfesfreuden,

Von vergangnen Schlägereien

Auf den großen Streiteshügeln,

Auf dem Schlachtgefild der Männer.


Sprach die Mutter Lemminkäinens

Selber Worte solcher Weise:

Nimm du nun das Boot des Vaters,

Gehe nun, um dich zu bergen,

Fahre über neun der Meere

Und die Hälfte noch des zehnten

Zu der Insel in der Weite,

Zu der Klippe in dem Wasser;[53]

Dort verbarg sich einst dein Vater,

Hielt sich sicher im Verstecke

In der Zeit des Kriegessommers,

In dem harten Kampfesjahre,

War gar gut dort zu verweilen,

Schön die Zeit dort zuzubringen;

Birg dich ein Jahr und das zweite,

Komm nach Hause in dem dritten

Zu des Vaters trauten Stuben,

Zu der Eltern Landungsplatze!

Quelle:
Kalewala. 2 Bände, Berlin [o.J.], Band 2, S. 44-54.
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