Der Tingstreit.

[158] Am folgenden Tage versammelten sich Nial's Helfer Asgrim, Gissur Hvide, Hjalte Skjeggesohn und Ejnar von Querau. Thorhald Asgrimsohn, der von seinem Pflegevater Nial in den Gesetzen unterrichtet worden war, war ebenfalls zugegen. Asgrim nahm das Wort und sagte zu ihnen: »Ihr wißt, daß Mörd die Sache anhängig gemacht hat; er ist indessen selbst bei dem Mord an Höskuld betheiligt; die Wunde, für die kein Urheber genannt wurde, hat er ihm selbst geschlagen; die Klage ist also unrichtig erhoben und die Sache muß als ungesetzlich abgewiesen werden.« »Dann wollen wir sogleich Einspruch erheben und diesen Umstand geltend machen,« meinte Hjalte. »Mit nichten,« versetzt Thorhald, »das darf nicht so bald geschehen, denn dann können sie ihren Fehler noch ändern und noch auf diesem Ting eine gesetzliche Klage erheben.« »Dein Rath ist gut,« sagten die anderen, »wir wollen ihn befolgen.« Sie gingen zu ihren Hütten zurück und theilten niemand mit, was sie verabredet hatten. Die Zeit verfloß, man suchte einen Vergleich anzubahnen, aber Flose war dagegen und seine Genossen noch mehr. Am Fasttag oder Freitag sollte das Gericht abends zusammentreten. Auf der einen Seite stand Flose mit seiner Mannschaft, Hald von Sida, Runolf Ulfsohn und die übrigen, auf der anderen Asgrim Ellidagrimsohn, Gissur Hvide, Hjalte Skjeggesohn und Ejnar von Querau mit ihren Schaaren. Die Nialsöhne aber waren bei ihrer Hütte mit ihrem Schwager Kaare und ihren Vettern Thorlejf Kraak, Thorgrim dem Großen und Thorgejr Skoragejr; sie hatten ihre Waffen bei sich und es wagte sich so leicht keiner daran, sie anzufallen. Als die Richter ihren Sitz eingenommen hatten, erhoben die Sigfussöhne die Klage, denn Mörd hatte nun die Sache abgegeben und sie hatten sie in die Hand genommen. Man war schon weit gediehen mit der Aufstellung und Vereidigung von[159] Zeugen, als Thorhald hervortrat und gegen die Weiterführung der Sache Einspruch that, zumal der Mann, welcher zuerst die Klage vorbereitet habe, der Strafe des Gesetzes verfallen sei als ein geächteter Mann. »Wen meinst Du?« fragte Flose. Thorhald antwortete: »Ich meine Mörd Valgardsohn, welcher selbst an dem Ueberfall gegen Höskuld theilnahm und ihm die Wunde versetzte, für die er den Urheber nicht nannte.« Dieser Einwurf konnte nicht niedergeschlagen werden, so daß für Flose nur die Blutrache übrig blieb, falls er Höskuld rächen wollte, und damit hatte denn Mörd ja sein Ziel erreicht. Da erhob sich Nial und bat Hald von Sida, Flose und alle Sigfussöhne sowie auch seine eignen Anhänger, zu bleiben und auf seine Worte zu hören. Sie thaten es, und er sprach: »Mir scheint, diese Klage muß nun abgewiesen werden, und es geschieht damit recht, denn sie ist aus böser Wurzel entsprossen. Aber das will ich Euch sagen, ich liebte Höskuld mehr als alle meine eignen Söhne, und als ich seinen Tod erfuhr, da meinte ich, mein süßester Trost sei mir geraubt und ich hätte lieber alle meine Söhne verloren, wenn er nur am Leben geblieben wäre.« Er bat nun um die Vergunst, ihm für seine Söhne wegen des Mordes an Höskuld einen Vergleich zu gewähren. Gissur und Ejnar baten Flose, darauf einzugehen, er aber versprach nichts. Da bat Hald ihn endlich ebenfalls darum und Flose antwortete: »Ich weiß, Du wirst mich nur um das bitten, was mir zur Ehre gereicht!« und wandte sich nun an die übrigen und sagte: »Um meines Schwiegervaters Hald und der anderen braven Männer willen will ich ihn und die besten Männer auf beiden Seiten das Urtheil fällen lassen. Ich denke, Nial ist es wohl werth, daß ich ihm dieses gewähre.« Nial dankte ihm und den anderen, die zur Erfüllung seines Wunsches beigetragen hatten. Es wurden zwölf Schiedsmänner, sechs von Flose und sechs von Nial gewählt, und darauf reichten sich Nial, Flose und alle Sigfussöhne die Hand, und Nial gelobte für seine Söhne Unterordnung unter die Entscheidung, welche die Schiedsmänner treffen würden. Diese nahmen nun ihren Sitz ein, während alle anderen den Platz verließen. Der Gode Snorre befand sich unter[160] den von Nial gewählten Schiedsmännern; er ergriff zuerst das Wort und rieth eine Geldbuße festzusetzen, denn es würde nur neuen Unfrieden hervorrufen, falls jemand des Landes oder des Gaues verwiesen würde. »Aber ich wünsche,« setzte er hinzu, »daß die Gelbdbuße so hoch angesetzt werde, daß niemand hier im Lande jemals schwerer gebüßt wird als Höskuld.« Seine Worte fanden Anklang, und es wurde durch das Loos bestimmt, wer zuerst die Größe der Buße nennen solle, das Loos aber fiel auf Snorre. Er schlug eine dreifache Mannbuße oder achtzehn Mark Silber (etwa 216 Thlr.) vor und die übrigen stimmten ihm bei. »Aber ich füge die Bedingung hinzu,« sagte Snorre, »daß alles Geld sofort hier auf dem Ting entrichtet werden muß.« »Das läßt sich nicht machen,« meinte Gissur, »so viel Geld haben sie hier nicht bei sich.« Da nahm Gudmund der Mächtige das Wort und sprach: »Ich errathe, was Snorre will; er will, daß wir Schiedsmänner nach Belieben und gutem Willen beisteuern; dann wird mancher andere ebenso thun.« Für dieses Wort dankte ihm Hald von Sida und versprach, er wolle selbst ebensoviel beitragen wie der, welcher am meisten gebe. Die anderen Schiedsmänner erklärten sich gleichfalls mit Gudmund einverstanden. Darnach wurde das Zeichen zur allgemeinen Versammlung gegeben und jedermann ging zum Gesetzberg. Hald trat auf und sagte: »Wir sind in der Sache, die unsrer Entscheidung übergeben wurde, zu einem einmüthigen Beschlusse gekommen. Wir haben eine Buße von achtzehn Mark Silber angesetzt. Wir Schiedsmänner sind gewillt, die Hälfte zu bezahlen; es ist aber meine Bitte und Begehr an die versammelte Gemeine, daß jedermann etwas gebe um Gotteswillen.« Alle erklärten sich bereit, und es wurden Zeugen berufen für das Erkenntniß, daß niemand es brechen dürfe. Nial dankte für die Entscheidung; Skarphedin stand neben ihm, schwieg und lächelte. Die Nialsöhne und Kaare gaben das Silber her, was sie hatten; es betrug drei Mark. Nial legte weitere drei Mark hinzu. Dieses Silber wurde im Gericht gesammelt, und andre Männer legten nun soviel hinzu, daß auch kein Pfennig an der nöthigen Summe fehlte. Nial aber legte[161] einen langen seidenen Mantel und ein Paar Prunkstiefel auf den Haufen als Ehrengabe für Flose. Nun holte Hald Flose und Nial seine Söhne herbei, damit sie sich gegenseitig Frieden und Sicherheit geloben sollten. Unterwegs bat Nial seine Söhne, den Vergleich nicht zu verscherzen. Skarphedin antwortete nicht, sondern strich sich über die Stirn und lächelte. »Das ist viel schönes Geld,« sagte Flose, als er alles gezählt hatte. »Wer aber hat dies hinzugelegt?« rief er aus, indem er den Mantel ergriff und ihn in der Luft schwenkte. Niemand antwortete, Flose aber wieder holte seine Frage mit Hohnlachen, aber auch diesmal erhielt er keine Antwort. »Wagt es denn niemand zu sagen, wer diesen Weiberstaat besessen hat?« rief er endlich. »Wen meinst Du damit?« fragte Skarphedin. Flose antwortete: »Wenn Du es wissen willst, so ist es wohl Dein bartloser Vater, ihm steht solcher Tand an; sieht man ihn, so weiß man nicht, ob er ein Weib oder ein Mann ist.« »Uebel thust Du, so von einem alten Ehrenmann zu reden,« entgegnete Skarphedin, »aber Söhne hat er, die niemals vor der Rache zurückbebten.« Er nahm den Mantel an sich und warf dafür ein Paar blaue Beinkleider Flose vor die Füße; die könne er besser gebrauchen, sagte er, da er in jeder neunten Nacht ein Weib würde und mit dem Teufel Zusammenkünfte hätte auf Svinefjeld. Da stieß Flose mit dem Fuße nach dem Gelde und wollte keinen Pfennig annehmen. »Entweder soll Höskuld ungebüßt bleiben, oder er soll blutig gerächt werden!« rief er aus. Damit wandte er sich an die Sigfussöhne und sagte: »Laßt uns jetzt heimgehen und zusammenhalten wie ein Mann!« worauf sie in ihre Hütten zurückkehrten. »Zu große Unglücksmänner haben Theil an dieser Sache,« äußerte Hald. Nial kehrte mit seinen Söhnen in seine Hütte zurück. »Jetzt trifft es ein, was mir lange Zeit vorschwebte,« sagte er. »Nach Landesgesetz können sie uns nimmer belangen,« meinte Skarphedin. »Darum wird sich noch Schlimmeres für uns ereignen,« antwortete Nial. Die Männer, welche Geld beigesteuert hatten, sprachen davon, es zurückzunehmen. Aber Gudmund der Mächtige rief: »Den Schimpf will ich nicht auf mich laden,[162] zurückzunehmen, was ich einmal verschenkt habe, weder jetzt noch in Zukunft!« »Er hat Recht!« versetzten die übrigen, und so wollte denn niemand etwas zurücknehmen. »Ich rathe dazu,« sagte der Gode Snorre, »daß Gissur und Hjalte das Silber bis zum nächsten Alting in Verwahrung nehmen; eine Ahnung sagt mir, daß wir seiner bedürfen können.« So nahmen denn diese beiden je die Hälfte an sich, worauf alle zu ihren Hütten gingen.

Quelle:
Die Njalssaga. Leipzig 1878, S. 158-163.
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