Gunnar's Tingstreit mit Rut.

[25] Gunnar folgte dem Rathe, den Nial ihm gegeben hatte. Er ritt mit seinen Geleitsmannen in dem Aufzug, wie Nial vorgeschlagen hatte, fort. Ihnen begegneten einige Männer, welche fragten, wer der große Mann sei, von dem man so wenig sehen könne. Auf die Antwort, es sei Hedin der Kaufmann vom Inselfjord, meinten sie, jetzt könne ihnen nichts Schlimmeres mehr begegnen, seit sie solchen Mann hinter sich hätten. Ueberall trat Gunnar in der ihm von Nial vorgeschriebenen Weise auf, so daß die Leute meinten, das Gerücht habe von Hedin dem Kaufmann nicht zu viel gesagt. Auf Höskuldstad befahl Höskuld seinen Dienstmannen, sie sollten sich mit Hedin nicht einlassen. Auf dem Nachbarhofe von Rutstad gerieth er sogleich mit dem Bauern in Streit. Man ließ Rut holen und Gunnar wurde eingeladen, nach Rutstad zu kommen. Hier fand er gute Aufnahme und einen Platz auf dem Hochsitz auf der niederen Langbank, wo man den Gast sich niederlassen hieß, Rut gegenüber. Das Gespräch kam in Gang und nahm ganz den Verlauf, den Nial vorausgesagt hatte. Zuletzt sprach Rut Gunnar die Ladungsworte vor und dieser sprach sie ihm nach, aber unrichtig. Beim zweiten Male sprach er sie richtig. »Ist es so recht?« fragte er Rut. »Allerdings,« entgegnete Rut, »die Ladung kann nicht niedergeschlagen werden.« »Dann lade ich Dich um der von Unne Mördstochters mir anvertrauten Sache willen,« sprach Gunnar so laut, daß seine Begleiter es hörten; Rut aber faßte keinen Argwohn. Schließlich ging man schlafen. In derselben Nacht erwachte Höskuld auf Höskuldstad, weckte alle seine Hausgenossen und sagte: »Ich will Euch einen Traum erzählen, den ich gehabt habe. Mir schien, ich sah einen großen Bären aus meinem Hofe hinausgehen; zwei Junge folgten ihm, sie wandten sich nach Rudstad und gingen dort hinein. Nun frage ich Euch, ob Ihr an jenem großen Mann, der gestern Abend unser Gast war, etwas Besonderes[26] gesehen habt.« Ein Mann antwortete, er habe einen Goldschmuck und ein Stückchen rothes Tuch unter dem Aermel des Mannes hervorlugen sehen; außerdem habe derselbe einen goldenen Ring am Finger getragen. »Dann war der Bär Gunnar von Hlidarende's Schutzgeist!« rief Höskuld; denn die heidnischen Nordländer glaubten, jeder Mann habe seinen Schutzgeist, der in Gestalt eines Thieres vor ihm hergehe oder ihm nachfolge. »Jetzt auf nach Rutstad,« befahl Höskuld. Sie weckten Rut. »Sind Gäste hier?« fragte Höskuld. »Ja, Hedin, der Kaufmann,« erwiderte Rut. »Nein, ein besserer Mann als der,« sagte Höskuld, »es ist Gunnar von Hlidarende.« »Dann hat er mich in Schlauheit und List überboten,« versetzte Rut. »Wie das?« fragte Höskuld. Rut sprach: »Ich habe ihn belehrt, wie er die Sache aufnehmen solle; ich lud mich selbst und er sprach mir nach; so hat er denn die ganze Sache so angelegt, wie sie aufrecht erhalten werden kann.« »Das war nicht Gunnar's Anschlag allein,« meinte Höskuld, »Nial von Bergthorshvol hat ihn ausgeklügelt.« Sie suchten nun Hedin den Kaufmann, allein er war fort. Sie sammelten Mannschaft und durchsuchten die ganze Gegend während drei Tagen, ohne ihn zu finden. Darnach ritt Gunnar von den Bergen hinab südwärts, bis er zu Hause anlangte. Als die Altingszeit herankam, ritt Gunnar zum Ting, wie auch Rut und Höskuld mit großem Gefolge dahin zogen. Sie gedachten Gunnar anzufallen, allein sie getrauten sich dessen schließlich doch nicht. Als der Gerichtshof eingesetzt war, machte Gunnar die Sache anhängig, wie solches im Gesetze vorgeschrieben war, mit Zeugenverhör und Eidesleistung, und zuletzt hieß er Rut die Einwände nennen, die er zu seinen Gunsten machen könne. Rut erwähnte nicht, ob er schuldig sei, die Mitgift zurückzuzahlen oder nicht, er wandte aber ein, daß mit den von Gunnar gestellten Zeugen ein Fehler gemacht sei, so daß die Klage nicht vorgebracht werden könne. Allein Nial war zum Gericht gekommen und sagte, Gunnar werde seine Sache leicht gewinnen, falls er sie vor dem Gericht durchführen wolle. »Keineswegs will ich das,« versetzte Gunnar, »aber ich will Rut dieselbe Wahl lassen, die er meinem[27] Vetter Mörd ließ. Sind die Brüder Höskuld und Rut so nahe, daß sie mein Wort vernehmen können?« »Wir vernehmen es,« erwiderte Rut, »was willst Du von uns?« Gunnar rief laut: »Alle, welche hier zugegen sind, mögen des Zeugen sein, daß ich Dich zum Holmgang herausfordere, Rut. Wir werden heute noch auf dem Holm in der Öxarau kämpfen. Willst Du aber nicht mit mir kämpfen, dann händige sogleich heute alles Gut aus.« Darauf verließ er das Gericht mit seinem Gefolge, und auch Höskuld und Rut gingen nach Hause; die Sache aber wurde nicht weiter verfolgt und auch kein Einwand gegen sie erhoben. »Niemals zuvor habe ich mich einem Holmgang entzogen, zu dem ein Mann mich herausgefordert hat,« sagte Rut, als er in seine Hütte eingetreten war. »Du darfst aber nicht mit Gunnar kämpfen, wenn ich Dir rathen soll,« antwortete Höskuld, »denn Du kannst ihn ebensowenig bestehen, wie Mörd Dich. Lieber mögen wir beide das Gut an Gunnar aushändigen.« Rut nahm diesen Rath an. Die Brüder fragten ihre Bauern, wie viel sie zuzahlen würden, und diese versprachen, so viel beizutragen, als Rut wünsche. Beide gingen sogleich nach Gunnar's Hütte. Er empfing sie in der Thür und sie legten das Geld in seine Hand. »Genieße es, wie Du es gewonnen hast,« sprach Höskuld. »Ohne Trug gewann ich es und ohne Furcht empfange ich es,« versetzte Gunnar. »Aerger wäre es gewesen, wenn wir um des Weibes willen dem Wolfe Blut zu lecken gegeben hätten.« »Uebel wird es Dir gelohnt werden,« sagte Rut zu Gunnar. »Mag es gehen, wie es will,« antwortete dieser. Darauf ging Höskuld mit seinem Gefolge nach seiner Hütte zurück. Er war furchtbar zornig. »Ob wohl niemals Rache über Gunnar kommen wird wegen seines unbilligen Verfahrens gegen uns?« wandte er sich an Rut. »Sicherlich,« entgegnete dieser, »aber wir werden weder Freude noch Vortheil davon haben. Es ahnt mir, daß er einst genöthigt sein wird, Freundschaft mit unserem Geschlecht zu suchen.« Nachher redeten sie nicht mehr über die Sache. Gunnar zeigte Nial das Geld. »Das ging vortrefflich,« sagte Nial. »Du warst es, der die Sache förderte,« erwiderte Gunnar. Hernach ritt man heimwärts[28] vom Ting. Gunnar brachte Unne alles Geld und wollte selbst nichts davon annehmen. »Nun aber meine ich,« sagte er, »daß ich in Zukunft mehr Hülfe und Beistand von Dir und Deiner Sippe fordern darf, als von anderen Männern,« worin sie ihm Recht gab. Gunnar aber hatte durch Hinausführung dieser Sache überall große Ehre gewonnen.

Quelle:
Die Njalssaga. Leipzig 1878, S. 25-29.
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