CXCVI.

[246] 1. Mein feins lieb ist hinweggeflogen

auff einen grünen zweige,

Wer wil mir die winter lange nacht,

mein zeit und weil vertreiben.


2. Mein feins lieb hies mich nider sitzen

an jre schmale seiten,

Sie sach mich uber die achsel an,

sie meint mein geldt im beutel.


3. Dieweil ich geld im beutel het,

da ward ich werd gehalten,[246]

Da ich kein heller noch pfenning mehr het,

hat sich die lieb zerspalten.


4. Mein feins lieb hat mir ein brieff geschickt,

darin so steht geschrieben,

Sie hab ein andern viel lieber denn mich,

sie hab sich mein verziegen.


5. Das sie sich mein verziegen hat,

darumb trawr ich nicht sehre,

Las reiten las fahren was nicht bleiben wil,

der schönen frewlein find man mehre.


6. Und der uns dieses liedlein sang,

von newem hat gesungen,

Das haben gethan zween schlemmer gut,

ein alter und ein junger.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 246-247.
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