Vorrede:
Lustliebender Leser.

Ohnerachtet Schande und Laster an ihnen selber verächtlich / findet man doch sehr viel Menschen von so gar ungebundener Unarth / daß sie denenselben offenbar obliegen / und sich deren als einer sonderbahrē Tugend rühmen: Wer seinem Nächsten durch List etwas abzwacken kan / den preisen sie / als einen listig-klugen Menschen / und dahero ist der unverschämte Diebstahl / überlistige und lose Räncke / ja gar Meuchelmord und andere grobe Laster im solchem Uberfluß eingerissen / daß man nicht Gefängnüsse genug vor solche Leute haben mag. Diese Buben dürffen sich noch wohl ihres Verstandes rühmen / und andern Leuthen einbilden / daß sie gebohren wären / die Leuthe klug zu machen / gleich wie die Lacedæmonier, eine sonst strenge Nation, ihren Kindern vergönneten zu stehlen / damit sie dadurch zur Behändigkeit / und die bestohlene zur Fürsichtigkeit angewehnet wurden. Die Egypter liebten gleichergestalt einen behenden Diebsta / daher rühmeten sich die Poëten der subtilität Mercurii, und der Kunst Lavernæ einer Göttin / die aller Dieben Vorsteherin war / und man hat die Erfinder des Raubens / Stelens /und anderer Plackereyen weyland fürnehmen Leuthen / so gar auch wohl Königē und Monarchē zugeschrieben; und daher kombts / daß so wackere Männer selber sich des stehlens hernach bedienet / wie von dem Fürsten aller Peripateticorum erzehlet wird / daßer damit behender umbzugehen gewust / als alle seine Vorgänger. Virgilius hat seine schönste Inventiones dem Homero und Theocrito sehr unvermerckt abgestohlen oder vielmehr abgeborget / und der in aller Lateinischen Welt so hoch berühmte Cicero hat sich vermessentlich beholffen mit den Lehrsätzen der Stoicorum, Academicorum und Epicureorum.

Immittelst bleibt es doch unveränderlich dabey /daß die Laster zu tadeln sind / und die Dieberey vor eine grosse Sünde müsse geachtet werden / als welche schnur gerade / laufft wieder die Liebe / womit wir unserm Nächste verbunden sind / wie solches nicht allein im andern und dritten Buch Mosis, sondern hernach auch durch den Apostel Paulum ausdrücklich verbothen ist / in dem dieser an die Bürger zu Epheso schreibt / daß der / so gestohlen / hinführo nicht mehr stehlen / sondern sich begeben solle zu dem Werck seiner Händen. Die alten Völcker / so diese Warheit erkant / haben weyland allerley Straffen vor die Diebe erdacht / absonderlich die Griechen / und darunter am meisten die Athenienser, wie uns desfals der hochgelahrte Ludovicus Vives klärlichen Bericht thut. Käyser Fridricus III. erkante solchenden Galgen zu / und Ovidius lehret / das Scyron, einer von denen berüchtigsten Dieben zu seiner Zeit in die See gestürtzet worden durch Theseus. Procustes ist durch Herculem getödtet / und Sysiphe darnieder geworffen worden. Virgilius bezeuget / daß sein Meister Balista umb seiner Räuberey willen / gesteiniget worden / und nach dem Bericht / Aristotelis / ließ der König Agramenta den Brunel auffhängen / als welcher ein gar behender Räuber war / dann durch seine unbegreiffliche Liftigkeit hatte er sich des Rings von Angelica, und des Pferdes von Sacripantus bemächtiget.

Jener Philosophus ward wegen seines Vaterlandes befraget / worauff er antwortete / er sey von der Welt bürtig / und wandere in der Welt / so lange erlebe. Ist wohl gered / dann alle Menschen sind Weltlinge der Geburth und dem Leben nach / die meisten aber sind Frembdlinge in ihrem eigenen Vaterland / und mißbrauchen die Welt / als ob sie derselben vergängliche Güter ewiglich gebrauchen könten und musten. Dadurch ist eingerissen die Augen-Lust / die Fleisches-Lust und ein hoffärtiges Leben wozu sie vom Satan /ihrem Fürsten / welcher sein Werck hat in den Kindern des Unglaubens / angereitzet und unterwiesen werden / und gleich dieser / ihr Herz und Lehr-Meister / selber ein uhralten außgeübter und durchtriebener Tausend-Künstler also hecket er noch täglich /und insonderheit zu diese Zeiten eine grosse und zahlreiche Bruth in seiner gottlosen Lehr-Schule aus / allermassen List und Betrug noch niemahlen zu solcher hohen Staffel ihrer Excellentz gediegen sind / wie sie jetzo zusehen. Zu verwundern ists / daß an etlichen Orthen / fürnehmlich in volckreichen Städten / gewisse Lehr-Meister sich einfinden / welche denē / so Lusten dazu haben / um einen gewissen Preiß / solche Hand-Griffe zeigen und sothane Regeln geben / wodurch hernach manchem ehrlichen Mann sein Haab und Guth / offtmahls auch Leib und Seelabgenommen wird. In Abgang des nechst verwichenen 1686 Jahrs fand man zu Paris einen solchen leichtfertigen Lehr-Meister / der seine Discipeln in der Wissenschafft der Filouterie oder des hurtigen Beutelschneidens mit allem Fleiß unterrichtete. Er bekam für jede Mann vor die Unterrichtung 30 biß 40 Rthl. und hatte er einen grossen Anhang / ob auch gleich damahl seine leichtfertige Schule zerstöret worden / ist doch kein Zweiffel / er wird mit seiner Compagnie dadurch keines weges vertilget seyn.

Aus der mündlichen Erzehlung eines vollkommenen durchtriebenen Gaudiebes ist man ziemlich hinter ihre gottlose Geheimnüsse kommen / nehmlich wann sich ihrer 20/30 biß 100 und mehr zusammen geschlagen / formiren sie ein rechtes Corpus oder Gilde / haben ihre Gesetze / Regeln / Ordounantzen / und bestraffen die / so dawieder handeln. Einer davon ist Obrister / dem alle andere Diebe gehorchen / und dieser ordiniret allerhand Diebesstücklein. Dieser weiß und kennet den Unterschied seiner Untergebenen /darum schicketer die verschlagnesten an die gefährlichste Oerther. Dieser Capitain examiniret alle / die sich in ihre Compagnie begeben wollen / und giebt ihnen 3 Monath Zeit / umb ihre Arth und Gemüth zu erforschen / da er sie inzwischen in allerhand subtilen Diebs-Griffen unterrichtet / wie sie nehmlich etwas von der Höhe holen mögen ohne Leiter / Stock oder Strick; wie sie ein Pferd stehlen / darauff der Mann würcklich sitzet; wie sie einem Hoffmann das Halß-Tuch vom Leibe nehmen / der da unter viel hundert Menschen stehet. Nachdem nun der Lehrling tüchtig befunden worden / wird er angewiesen / entweder zum Rauben / Beutelschneiden / klettern / oder wozu er sonsten geschickt ist. Hierin verfahren die Diebe viel klüger / als sonsten in andern Societäten / Städten und Aemtern geschiheit / dann ihr Corpus kan wohl bestehen / weil einjeder von ihnen eine Bedienung erlanget / dazu er geneigt und bequem geachtet wird. In andern Societäten gibt man die Aembter an Leute / die offt weder Sinn noch Geschickligkeit dazu haben / man nimbt Geld dafür / oder befördert einen durch Gunst /der zu seiner Charge offt so tüchtig / als der Sack-Pfeiffer alhier in der Thum-Kirchen. Im übrigen ist der Diebs-Capitain / gemeiniglich ein alter weiser und fürsichtiger Mann / von dem Stehlen befreyet / weil es ihm / dazu an Hurtigkeit und Kräfften ermangelt /wannenhero er es nur theoreticè mit seinen Leuthen überleget / was dieseselben practicè hernach ausführen müssen. Sie kommen einmahl in der Woche zusammen an einem bestimten Orthe / da der Capitain Rechenschafft von einem jeden fordert wegen seines Diebstals / so einer etwas wieder ihre Regeln mißhandelt / wird er als dann gestrafft / wie auch der / so sich träg und unvorsichtig erwiesen. Ein solcher muß zum ersten mahl den Theil / den er an dem gestohlnen Guth hat / entbehren / zum anderumahl aber cassiret man ihn auff etliche Wochen oder Monathen / oder man macht ihn aus einen Dieb zu einen Außspäher /und Schildwacht Von allen gestohlnen Sachen legt man den fünfften Theil an die Seite / vor den / der die gefangenen Diebe vom Pranger / Galgen und Rad erlösen soll. Von dem Rest ziehet man den zehenden Theil zu guten Wercken / wie sie es nennen / und hievon unterhält man die Krancken von der Compagnie /die Gefangenen so es sein kan / loß zu kauffen / und der Brüderschafft sonsten auff alle Weise beförderlich zu sein. Sie nehmen keine Frau in ihre Gesellschafft /es sey dann die hohe Noth / oder ein sonderbahrer Verstandt und Bequemlichkeit bey solchem Weibe /wie bey der alhier eingeführten Falsette / sie wissen wohl daß den Weibern das Plaudern allzu gemein /darumb mag auch bey grosser Straffe kein Diebsgesellschaffter seiner leiblichen Ehe-Frauen etwas von der Heimligkeit ihrer Zunfft offenbahren. Derjenige /welcher stielet / hat so viel als der Capitain / vor seine Gefahr und Arbeit / die Consorten haben einen dritten / und die Auspäher und Schild-Wachten einen fünfften Theil. Ein jeder weiß sich in seinem Ambt zu halten / wie es dasselbe erfordert / ist die Gesellschafft sehr groß / so versamlen sich nur gewisse Sorten daraus wochentlich an dem bestimten Orth / als erstlich die Räuber / als dann die Staffadoren / hernach die Kletterer / ferner die Währ-Wölffe / dann die Wollzieher / weiter die Aposteln / hernach die Kinder-Diebe /endlich die Beutel-Schneider / und dann zu letzt der Hoff-Meister. Aber es würde all zu lang fallen / alhier die gantze Beschreibung sothaner Diebs Republicq anzuführen / welches gleichwohl bey einer andern Gelegenheit / weil es merckwürdig / nicht soll unterlassen werden.

Sothane behende Dieberey aber gehet nicht allein itzo würcklich in Franckreich / Holland / Engelland und andern Orthen gewaltig im Schwange / sondern es werden wohl gantze Nationen gefunden / die solches Laster / als eine freye Kunst preisen. Die Europæische Tartern sind solche Vögel / welche sich nicht allein von der Beraubung ihrer angräntzenden Völcker erhalten / sondern es ist auch so gar unter ihnen erlaubt / einander mit einer behendigen Geschwindigkeit dieses oder jenes abzuzwacken / und wofern der Dieb nicht würcklich und auff der That ertappet wird /mag er das Gestohlene hernächst / alß sein mit Recht erworbenes Guht besitzen. Die Mohren in Guinea machen allerseits Profession vom Diebstall und sind darin so fertig / daß es nicht zu beschreiben / weßfals dann die daselbst handlende Europeer wohl Argus Augen von nöthen häben / sich vor ihrer behendigen Entwendung fürzusehen. Die geraubte Christl. Sclaven in Constantinopel und in der Barbarey suchen vielfältig ihre Nahrung in dem Diebstahl / darunter man so fertige Meister findet / daß die Unchristen selber sich über deren Behändigkeit offtmahl entsetzē. Und obwohl dieselbe sehr grausahm mit diesen ihren Sclaven verfahren / sehen sie ihnen dannoch in diesen Stücken gantz gütig durch die Finger / eben als wann man sothane Fertigkeit mehr preisen als abstraffen muste.

In diesem Buch / günstiger Leser / wird man von allerhand list- und lustigen Hand-Griffen solcher verübten Diebereyen eine gantze Menge finden / überdem siehet derselbe auch hieselbst abgehandelt mancherley listige Striche / die sich in vielen andern Begebenheiten eräugnet haben / also / daß man hieraus wohl erkennen mag / welcher Gestalt die Welt itzo im argen / insonderheit aber im Betrug und List gleichsahm ersoffen ist. Man hat diese Geschichte zusammen getragen / theils dem Leser zur Warnung oder Lehre / damit er durch Lesung derselben bester massen gewitziget werde / sich für den Ränckē sothaner listigē Dieben u. losē Leuthen zu hütë / fürnemlich aber bey müssigen Zeiten die ermatteten Sinnen dadurch wieder auffzumuntern / und sich darin die Zeit zu kürtzen / dann ob es gleich scheinet / als hette man wenig aus dergleichen Sachen zu lernen / so muß man hingegen doch wissen / daß kein Buch so übel geschaffen / daraus man nicht etwas gutes erlernen möge. Und wie der Leib seine Nahrung durch Hunger und Durst erheischet / also verlanget offtmahl das Gemüth seine Nahrung und süsse Speisen in dergleichen list- und lustigen Erzehlungen und Exempeln, worin es gleichsahm einiger massen vergnügt wird / welche Vergnügung mit gutem Fug ein Nutze kan genennet werden / und in sich selber beruhet / wie die Tugend ihre Ubertrefflichkeit in dem erweiset / daß sie sonder alles äuserliche Ehr- und Gewinnsüchtiges Absehen /zu lieben und zu loben ist. Viel ist nützlich / das nicht allemahl nothwendig ist / wie die Ribbe / welche GOTT aus Adams Seithen genommen. Alhier wird man finden Exempeln fürtrefflichen Verstandes / der aber mißbrauchet / und nur zum Laster angewendet worden / woraus zu schliessen / daß sothane Leuthe /wofern ihnen die übele Aufferziehung / oder böse Gesellschafften und Verführungen nicht im Wege gestanden / auch in der Tugend den höchsten Grad leicht hetten erreichen mögen. Die einige so genandte Falsette dienet der Welt zu einem Muster wunderbahrer List und Behendigkeit / dergleichen man bey einem gemeinen Weibs-Bilde / wie dieses gewesen /und annoch ist / wohl sein Lebenlang nicht mag erhöret noch erlebet haben. Lieber Leser / liese dieses Büchlein zu deiner Erbauung / und nicht zur Nachfolgung / es wird dich nicht gereuen / weder das angewandte Geld noch die Zeit / aber hüte dich vor der Nachfolge / welche dir schlechten Nutzen / wohl aber sehr grossen Schaden bringen kan.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687.
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