Erste Szene

[269] Schön und Anna im Garten beschäftigt; Eduard tritt durch die Mitte ein.


EDUARD. Guten Morgen, liebe Eltern!

SCHÖN. Grüß dich Gott, Eduard!

ANNA zu Schön. Du setzst halt schon wieder 'n Respekt aus dö Augen! Zu Eduard. Guten Morgen, hochwürdiger Herr Sohn, was führt denn dich so zeitlich in aller Gottes Fruh her?

EDUARD. Die Sorge hat mich hergetrieben. Gestern ist dem unseligen Menschen, dem Martin Schalanter, das Todesurteil publiziert worden, und heute morgens soll er erschossen werden. Ich denke nun, es wäre gut, wenn man diese Vorgänge hier im Hause vertuschen könnte und für einige Tage die Zeitungsblätter beiseite schaffte. Die Kenntnis von all diesen düsteren Einzelheiten würde Fräulein Hedwig, ich wollte sagen, die junge Frau Stolzenthaler – seit sie von ihrem Manne geschieden ist, bin ich immer uneins, wie ich sie nennen soll –, es würde sie, glaube ich, zu sehr erschüttern.

ANNA. Ah, ja freilich, dös wär gfehlt! Mein Gott, seit s'[269] vor acht Tagen ihr Kinderl begraben hat, is s' eh nimmer z' kennen. Dö Nachtwachen und die Kränkung haben das arme Weib ganz zsammgrackert. Ja, ja, da mach lieber ein Sprung hinein – bei ihnen is alles fruh auf –, sonst kommt etwa doch d' heutige Zeitung aufn Tisch, und dös dürft net ratsam sein, da hast schon recht.

SCHÖN. Ja, jetzt hat er schon recht, unser hochwürdiger Herr Sohn, aber zu Anfang von derer Affär hat er ein Bock gschossen.

ANNA. Das gschieht einm hochwürdigen Herrn nie. Wer hat's denn wissen können, wie's ausgeht? Hintnach is leicht reden.

SCHÖN. Na, wann dürften wir denn nachher was reden, wann net hintnach, mir Leut ausm Volk, dö mir von vornherein nix z' sagn haben?! Ich bleib dabei, er hat damals a bissel voreilig 'n Gehorsam empfohlen.

ANNA. Hätt er vielleicht 's Gegenteil predigen sollen?

SCHÖN. Dös schon gar net – und ich weiß ebensogut, wie unsereins net so und net so sagn, damit man einm nit nachsagen kann, er hätt so oder so gsagt, das kann er a nit; aber was er können hätt, dös will ich ihm wohl sagn – weil dös auf der Hand liegt – und völlig selbstverständlich is – ganz natürlich – nämlich, wenn man die Sach betracht – so – na ja! – na ja ... das is gut, jetzt weiß ich selber nit, was er eigentlich hätt tun sollen!

EDUARD. Oh, ich weiß es heute nur zu gut. Ich hätte mich erst ganz genau mit den Verhältnissen vertraut machen sollen, und dann wäre es am Platze gewesen, ohne der Neigung des Mädchens irgendwie das Wort zu reden, dem Vater Hedwigs die geplante Verbindung auf das eindringlichste abzuraten.

SCHÖN bedauernd. Ganz richtig!

ANNA. Du lieber Gott! Daß dir das net früher hat einfalln können!

EDUARD. Leider! Aber, daß ich es sage, ich dachte damals nur an euch und mich, und ich war gewohnt, euch immer[270] zu gehorchen, geschah es nun, um euch eine Freude zu machen, oder weil ich ganz gut einsah, daß es zu meinem Besten war.

SCHÖN. Ja, ja, mein lieber Eduard, du warst aber a unser Einzigs, wir haben nie ganz alleinig auf uns denkt; was dich a ernstlichs Opfer kost hätt, das hätt uns ja eh gar kein Freud machen können, und wann was hat sein müssen, so hat mer dir immer durchblicken lassen, warum und weswegen. Gelt ja?

EDUARD beide an den Händen fassend. Ich weiß es. Ihr wart die sorglichsten Pfleger meiner Kindheit, die treuesten Berater des heranwachsenden jungen Mannes, und jetzt, nachdem wir Jahre mit gleichem Herzschlag durchlebt und uns alle kleinsten und größten Erinnerungen gemeinsam verbinden, jetzt seid ihr meine ehrlichsten, meine trautesten, meine besten Freunde. Gott erhalte euch mir, treue Elternherzen! Drückt ihnen die Hand und geht in den Haustrakt ab.

SCHÖN kleine Pause. Du, hörst, Alte? Der Bub wird a bissel weinen, wenn wir sterben.

ANNA trocknet sich die Augen. So sterbn wir halt net.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 269-271.
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