Dritte Szene

[273] Schön, Anna, Josepha. Aus dem Trakte treten auf: Hutterer, der ein Bettkissen unter dem Arme trägt, und Sidonie. Beide führen Hedwig in ihrer Mitte. Eduard folgt.


HUTTERER sein Haar ist ergraut. So! Komm nur, mein Kind, du kannst schon im Freien sein, wenn du willst, die Luft ist ganz mild, die schadt dir nix.


Sie geleiten sie zu einer Bank, er schiebt ihr den Polster an der Lehne zurecht.


JOSEPHA tritt zu Eduard, der etwas seitwärts von der Gruppe steht. Hochwürden, sein S' nit bös, aber mein Auftrag hat Eil, Sie werden mich wohl kennen?

EDUARD nickt und sieht besorgt nach der Kranken hinüber. Ja! Keinen Namen! Was bringen Sie?

JOSEPHA. Mein Bruder hat sagen lassen, er möcht Ihnen gern noch einmal sehn, und Sie wissen – –

EDUARD. Ich weiß. Ich gehe sofort zu ihm. Zu Hedwig tretend. Gnädige Frau, ich empfehle mich! Fassen Sie Vertrauen! Gott, der so schwere Prüfungen über Sie verhängte, wird Ihnen auch die Kraft verleihen, dieselben zu ertragen.

HEDWIG sehr bleich und angegriffen aussehend, sie spricht schwach, aber mit klarer Stimme und langsamer, nachdrücklicher Betonung. Keine Phrasen, Hochwürden! – Wissen Sie, wie man das nennt, wenn jemand eine Prüfung veranstaltet, um ein Ergebnis herbeizuführen, auf das er ganz gut im voraus rechnen kann? Man nennt das experimentieren. – Vor Jahren wohnte ein Mediziner in unserm Hause, den ich als kleines Mädchen von ganzem Herzen verabscheute, weil er arme Kaninchen lebend zerschnitt. Er wußte ganz genau, wie weit er sich auf die Stärke dieser Tierchen verlassen konnte, ob sie ihm tot unter dem[273] Messer bleiben würden oder wie lange sie lebend und leidend zu erhalten waren, wenn er ihnen durch gute Pflege »Kraft verlieh, die Prüfungen zu ertragen«. – Leise lächelnd. Wollen Sie mich glauben machen, Gott wäre so ein Mediziner? Da Eduard sprechen will, hebt sie abwehrend die Hand und fährt fort. Ich will Ihnen sagen, was mich tröstet. Ich habe mich einem Gebote gefügt, das das einzige ist, das eine Verheißung in sich schließt, »auf das du lange lebest und es dir wohl gehe auf Erden!« Das Wohlergehen hat nicht zutreffen wollen; ich hoffe zu Gott, daß auch der andere Teil der Verheißung sich als trügerisch erweist und daß mich mein Kind bald nachholt.

EDUARD. Oh, wenn ich es doch vermöchte, diese Gedanken aus Ihrer Seele zu bannen!

HEDWIG schüttelt sanft lächelnd den Kopf. Nein! Sie vermögen's nicht. Reicht ihm die Hand. Leben Sie wohl, Hochwürden!


Eduard verbeugt sich und geht durch die Mitte ab.


SIDONIE näher tretend. Mein arme Hedwig!

HEDWIG bittend. Ich möchte jetzt gerne allein sein.

HUTTERER. Kind, es wär vielleicht doch besser, wenn jemand in deiner Näh bleibet.

HEDWIG schüttelt leicht den Kopf. Ich danke für euere Sorgfalt.

HUTTERER schmerzlich. Du meinst, die kommet a bissel spät.

HEDWIG. Ich sage ja nichts. Wenn ich euch jetzt wie ein lebendiger Vorwurf bin, so laßt euch doch vor mir nichts merken, ich werde es ja nicht mehr lange sein.

HUTTERER erschüttert. Kind? – Er faßt ratlos nach der Hand seiner Frau. Sidi! Fährt sich mit beiden Händen in die Haare, in Tränen ausbrechend. Ah, grau – grau – das ist die richtige Farb – die richtige! – Von Sidonie gefolgt, in den Trakt ab.

SCHÖN schiebt Anna zur Gartentür hinaus. Geh fort, Mutter! [274] Kommt vor zu Josepha, legt ihr die Hand auf die Achsel. Sö! Kommen S'!

JOSEPHA die mit ihrer Schürze über die Augen fährt. Ja!

HEDWIG aufblickend. Wer ist das? Das Mädchen sollt ich kennen. Sie erschauert. Ach ja, ich weiß! Streicht mit der Hand über die Stirne und den Scheitel. Es war auch sonst von ihr die Rede. Wir gehören in eine Kategorie.

SCHÖN erzürnt. Frau von Stolzenthaler, wann sich wer anderer trauet, das von Ihnen zu sagen ...

HEDWIG. Nur ruhig, Alter! Nimmt das kleine Bukett, das sie an der Brust trägt, herab. Die hab ich aus der Vase von den gestrigen zusammengelesen. Eine weiße Rose herauslösend und sie Josepha hinhaltend. Übernächtig – bleich – und welk – paßt das? Nehmen Sie! – Ob an einen oder an mehrere, wir sind ja doch zwei Verkaufte!


Josepha hält mit beiden Händen die Linke Hedwigs und drückt sie an die Lippen.

Zwischenvorhang fällt rasch.


Verwandlung

Gefängniszelle. Die Türe befindet sich in der Hinterwand, nahe der linken Ecke des Gemaches; in der rechten Ecke steht die Pritsche. In der Mitte der rechten Wand ist das Fenster angebracht, durch welches auf die gegenüberliegende Mauer ein schmaler brennender Streif vom Frühsonnenschein fällt.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 273-275.
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