Sechste Szene


[134] Grillhofer und Liesel.


LIESEL kommt vor, frisch. Jo, wir habn schon a Kreuz miteinander ... Da sie Grillhofer näher ins Auge faßt. Um Gotteswilln, Bauer, was is der denn?

GRILLHOFER. Nix, nix, Dirndl, triffst mich grad, wie ich nach meiner neuchen Wohnung ausschau.

LIESEL. Gfreut dich dein alte nimmer? Sieht hinaus. Wozu willst denn hinbaun?

GRILLHOFER hinausdeutend. Siehst! Siehst! Durt, wo die Kreuzeln herschimmern.

LIESEL. Am Freithof? Geh zu, was kümmert dich der Freithof? Dö er angeht, dö wissen nix davon, und dö davon wissen, dö geht er nix an! Schau lieber, wie heunt dö Stern funkeln und 's Mondschein leucht. Bin hitzt durchn Wald hergfahrn, im Gezweig habn dö Johanneskäferl ihr Gspiel triebn, und über der stillen Nacht is der ganze Himmel voll Lichter glegn. Und wann ma so hinaufschaut, wie's leucht und funkelt über der weiten Welt, da is ein, als ziehet's ein d' Seel aus der Brust und reichet dö weit über d' Erd in sternlichten Himmel hnein.

GRILLHOFER. O jo – wohl – wohl – wonn mer holt no a freie Seel hat!

LIESEL ermutigter. No geh, Bauer, tu net so verzagt, dö deine wird a no keiner am Strickl führn; laß dir hitzt von meiner Mahm verzähln, daß d' auf andere Gedanken kimmst! – Denk dir, dö Mahm leidt's net, daß d' dein Hof weggibst![134]

GRILLHOFER erstaunt. Dein Mahm, dö alte Horlacherin, leidt's net? Dös is bsunders! Steht auf.

LIESEL. Gelt ja!

GRILLHOFER. Dö leidt's net! No möcht ich doch wissen ...

LIESEL. Na siehst, wann d' es wissen möchst, mußt d' mich schon anhörn. – Geh, ich führ dich.

GRILLHOFER. A na – na – konn schon no selber gehn. Geht, von Liesel geleitet, zum Sorgenstuhl, setzt sich. No, so verzähl halt! Hätt net denkt, es verinteressieret mich noch was, aber dös is doch bsunders – – ja, ganz bsunders!

LIESEL. Nöt wahr? Dös find ich a! Is a gscheits Weib sunst, die Mahm – mirk a nix, sie war af amal irr wurdn, aber da kenn ich mich a neamer mit ihr aus! – Also ich kimm z' Haus, sag ihr, du hättst mich ausgjagt, hoaßt s' mich a ungschickte Gretl; wie ich aber sag, du wölltst wohl morgn mitn Dusterer nach der Kreisstadt fahrn, ihm 'n Hof übergebn, da war's aus, no gleich hat der Müller einspannen müssen, gegen Geld und gute Wort, herfahren hab ich müssen, daß ich ja vor der Fruh da bin – umarmt und bußt hat mich die Mahm beim Wegfahrn, als wann a Abschied auf ewige Zeiten war! Und gar no ein Brief hat s' mir gschriebn.

GRILLHOFER. Dir?

LIESEL. Jo, an dich!

GRILLHOFER. Ah so, no, so gib. Dös kimmt allweil verwunderiger!

LIESEL zieht den Brief aus ihrer Joppe. Und ich sollt machen, daß d 'n heunt no lest, und für dich solltst 'n vorerst lesen, hat s' gsagt. Gib ihm den Brief.

GRILLHOFER. No, so lesn mer 'n halt. Schiebt den Schirm der Lampe in die Höhe.


Liesel geht zum Fenster und blickt hinaus.


GRILLHOFER entfaltet den Brief und liest. »Lieber Grillhofer! Mit schweren Herzen schick ich Dir a Anvertrauts[135] zruck, doch steht Dir frei, wann D' den Brief glesen hast, ob Du's als das Deine anerkenna willst, sunst nimm ich's mit Freuden wieder an mich! Ich mein, ich brauch mich net z' schämen, wie ich Dir's zuschick. Dö Dirn, was heunt zun zweitenmal bei Dir einspricht, is im Deckerl in mein Haus bracht wordn, weil s' Dein Weib net hat aufn Hof vor Augen habn wolln, aber es war ihr Meinung, wann a rechtschaffen Gschöpf aus ihr wordn wär, sollt ich Dir's zuschicken. Lang hab ich mir dös verspart, aber ohne Schaden für sie könnt ich 's hitzt nimmer bei mir verhalten. Dö Dirn heißt nach ihrn Rufnamen Horlacher – Lies, weil s' von klein auf bei mir war, hat bis heunt für vater – und mutterlos golten und weiß's selber net anders; nachm Kirchbuch heißt s' Elisabeth Riesler und is, wie dö Magdalen ausgsagt hat, Dein Kind!! Es grüßt Dich und laßt Dir Dein freien Willn dö alte Horlacherin.« Legt den Brief vor sich auf den Tisch und hält sich den Kopf mit beiden Händen. Oh, du mein Gott, is mer denn recht? Steht's wohl a a so da?

LIESEL hat diese Bewegung bemerkt und wendet sich. Was is dir? Was schreibt denn die Mahm?!

GRILLHOFER. Ich weiß net recht – ich muß's nomal lesen, kimm zu mir – kimm zu mir, mein Dirndl, und halt mer es Licht.


Liesel eilt hinzu und steht neben Grillhofer und hält die Lampe.


GRILLHOFER liest. »Mit schweren Herzen schick ich Dir a Anvertrauts zruck, doch steht Dir frei, wann D' den Brief glesen hast, ob Du's als das Deine anerkenna willst, sunst nimm ich's mit Freuden wieder an mich. I mein, ich brauch mich net z' schamen, wie ich Dir's zuschick. Dö Dirn, was heunt zun zweitenmal bei Dir einspricht, is im Deekerl in mein Haus bracht wordn, weil s' Dein Weib net hat aufn Hof vor Augen habn wolln, aber es war ihr Meinung, wann a rechtschaffen Gschöpf aus ihr wordn wär, sollt ich Dir's zuschicken ...« Vergelt dir's Gott,[136] Mirzl, in sein Himmel obn, vergelt dir's Gott. Vergelt er's a der Horlacherin und alln braven Weibsleuten, wie s' an uns tun! ...

LIESEL ahnungsvoll. Aber ich kenn mi no net aus!

GRILLHOFER liest. »Dö Dirn hoaßt mit ihrn Rufnamen Horlacher – Lies, weil s' von klein auf bei mir war, hat bis heunt für vater – und mutterlos golten und weiß's selber net anders; nachm Kirchbuch heißt s' Elisabeth Riesler und is, wie die Magdalen ausgsagt hat, Dein Kind« – Dirndl, was zitterst denn a so? Faßt ihre Hand, in der sie die Lampe trägt, und führt sie nach dem Tische.

LIESEL läßt die Lampe fahren. Jesses, is aber dö Mahm a falschs Ding gwest! Sinkt vor Aufregung in die Knie auf den Schemel zu Grillhofers Füßen. Also du, du hast mer s' Lebn gebn, no, vergelt dir's Gott, es gfallt mer recht gut af der Welt!

GRILLHOFER. Es reut mich a neamer – es reut mich a neamer. Sucht mit der zitternden Hand herum und legt sie der Liesel auf den Kopf. O du mein lieber Herrgott! Weinerlich. 's Kind is im Vaterhaus! – Haha, weil nur 's Kind im Vaterhaus is! – Preßt Liesel an sich.


Kleine Pause. – Von außen vor dem Fenster präludiert eine Zither und nimmt dann die Melodie des Liedes aus dem ersten Akt auf.


GRILLHOFER steht auf. Horch – no wird's gar lustig – no derf's scho wieder lusti werdn.

LIESEL erhebt sich, deutet nach dem Fenster, und wie auf das Lied aufmerksam zu machen, singt sie piano.

Und Zithern und Derndeln,

Na, dö konn ich net lon ...

GRILLHOFER. Wer is 's denn?

LIESEL. Der Wastl! Umarmt Grillhofer und verbirgt ihr Gesicht an seiner Schulter. Weißt es ja eh – Voda!

GRILLHOFER. Haha!


Das Orchester nimmt den zweiten Teil der Melodie voll auf. Er singt.[137]


O schön grüne Welt,

Laß sagn, wie d' mer gfallst,

Solang Zithern klingen


– Liesel an sich ziehend –.


Und mei Derndl mich halst!


Den Jodler bringt die Musik allein.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 134-138.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Gwissenswurm
Anzengrubers Werke: Teil 2. Elfriede.-Berta von Frankreich.-Die Tochter des Wucherers.-Der G'wissenswurm.-Hand und Herz
Der G'Wissenswurm (Dodo Press)
Der Gwissenswurm.
Geschichten aus zweiter Hand: Der Verschollene - Das ausgekaufte Dorf - Der Gwissenswurm

Buchempfehlung

Strindberg, August Johan

Gespenstersonate

Gespenstersonate

Kammerspiel in drei Akten. Der Student Arkenholz und der Greis Hummel nehmen an den Gespenstersoirees eines Oberst teil und werden Zeuge und Protagonist brisanter Enthüllungen. Strindberg setzt die verzerrten Traumdimensionen seiner Figuren in steten Konflikt mit szenisch realen Bildern. Fließende Übergänge vom alltäglich Trivialem in absurde Traumebenen entlarven Fiktionen des bürgerlich-aristokratischen Milieus.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon