Dritte Szene.

[45] Ferner geht zur Mitte und macht die Türe zu. Franz steht mitten im Vordergrund währenddem, zeichnet mit dem Stock Figuren auf die Diele und pfeift vor sich hin.


FERNER kommt zum Tische zurück. Spricht die Eingangsreden immer ohne Franz anzusehen. Magst dich nit setzen, Franz?

FRANZ setzt sich. Hm, ja! Bin rechtschaffen müde, ich bin übers Gebirg gegangen und habe mich lange in den Steigen nicht zurecht gefunden.

FERNER. Du hast schön' Wetter g'habt bisher?

FRANZ. Leidlich!

FERNER. Wird so bleiben a Weil'! Reut dich wohl nit, daß d' her bist? Die Weg' da 'rum sein schön.

FRANZ. Ja, ist 'ne schöne Gegend!

FERNER. Da hab'n wir noch a Restl Wein stehn. Magst trinken? Schenkt ein. Lang zu!

FRANZ stürzt den Wein hinab. Danke!

FERNERL. Du kannst's aber! Schenkt ein. Na nochmal![45]

FRANZ. War nur für 'n ersten Durst; ich trinke nicht fort in dem Tempo!

FERNER schenkt sich ein. Muß dir's nachtun! Trinkt. Aufrichtig, Franz, ich red mich hart mit dir, wir sein völlig wie zwei fremd' Leut' zu einand' und sein doch Vater und Kind! – Geh, leg doch dein Zeug da ab, bist ja zu Haus!

FRANZ. Danke, ist nicht nötig! Gibt vielleicht bald wieder Anlaß zum Gehen!

FERNER sieht ihn groß an. Was red'st?

FRANZ. Sagt mir grad heraus, was Ihr eigentlich mit mir vorhabt!

FERNER. Werd schon drauf kämma, Franzl! Kimm schon noch drauf, laß dich vorerst nur recht anschau'n. Du bist mir als so klein Zeigt es. aus 'm G'sicht kommen, kann's kaum glauben, daß ich ein' so großen Sohn haben soll, und wie d' sauber word'n bist! Bist mir doch nit in der Stadt verdorb'n word'n?

FRANZ bedeutsam. In der Stadt nicht!

FERNER. He, trink nur noch eins! – Sag mal, hast auch a Anhänglichkeit an deine Leut'? Hast dein' Schwester gern?

FRANZ. Sonderbare Frage! Ihr sagt doch selbst, wir stehen zueinander wie Fremde ...

FERNER. No weißt, ich denk nur, Geschwister haben sich sonst doch allmal gern, b'sonders a ledig' Bursch, der noch kein' Schatz hat, halt' g'wöhnlich viel auf seine Schwester. Is a recht a liebe Dirn', die Crescenz! Laß dir nur sagen, die macht a gut' Heirat, kriegt 'n Toni vom Adamshofbauer.

FRANZ. Gönn ihr's vom Herzen!

FERNER. Is a Red, sollst leben! Stoßt an Franzens Glas und trinkt. Gönnst ihr's vom Herzen, is a Bruders Red'! Bist a guter Bursch! – Mußt halt aber auch was dazutun, daß s' ganz z'frieden und glücklich wird!

FRANZ ironisch, gedehnt. So –? –!

FERNER. Ja, ja, Franzl, g'wiß! Aber wir lass'n uns nit spotten, gelt, Franzl? Wir sein dabei, wo's gilt, der Welt z' zeig'n, daß die Fernerschen auf 'n Kreuzweghof z'sammhalten und daß wir unser' Crescenz zum[46] Ausbund von alle Bäurinnen machen! Weißt, der alt' Adamshofbauer – hast 'n vorhin g'sehn – dös is a Findiger, sein Anwes'n, 's zweitgrößt' im Land nach meim', raint an unsers an, und da liegt's ihm in Sinn, wann dö zwei Höf in oans kommen, was das für a Stuck Land wär – war a allweil mein Denken! – und da hab'n wir's ausg'macht, er gebet 'm Toni sein G'höft, ich der Dirn' das mein' und setzeten so die jung' Leut' aufs größt' Fleckl Erd' im Land! Dö werd'n sich doch rühr'n können, wann a ihr' mehrer werd'n, was, he? So is's halt unter uns ausg'macht, no und jetzt, was meinst denn du dazu? Dich mußt man doch auch hör'n, drum hab ich dich herkommen lass'n!

FRANZ. Wie hübsch Ihr doch um den heißen Brei herumschleicht – und damit Ihr Euch ja nicht das Maul verbrennt, verlangt Ihr noch obendrein von mir, ich soll Euch in die Schüssel blasen; nun, wenn Ihr das Zulangen nicht erwarten könnt, ich stell sie Euch gleich kalt, greift zu! Die beiden Höfe sollen in eins, aber auf eine Art, die auch mir taugt – der Alte vom Adamshof wird doch ein mannbares Mädl haben?

FERNER. Ja – eine wär's schon! Die Plonerl!

FRANZ. Gut, so gebt der den Adamshof und ich heirat die Dirn!

FERNER. Du? Haha! Du, Franzl?! Hör, du bist aber einer, du hast G'späß in dir! Haha, der Toni möcht sich bedanken, was g'schähet denn mit ihm?

FRANZ. Steckt den Burschen in die Kutte.

FERNER bedeutsam. Aber Franzl, er is ja kein G'studierter!

FRANZ. Aber ich bin einer!

FERNER etwas betroffen, doch gleich gefaßt. Ja, du bist a G'studierter, ja, und dös is mein Stolz, und weil wir jetzt bei der Sach' sein, so sag ich dir's auch, es war der Wunsch deiner Großmutter und deiner Mutter – Gott hab s' all' zwei selig! – und es wär mein größter Stolz und mein' größte Freud', wann d' nur möch'st geistlich werd'n![47]

FRANZ steht auf. Nun also, da sind wir bei der Stange! Warum habt Ihr das denn nicht gleich gesagt? Ihr hättet Euch ersparen können, nach meiner Anhänglichkeit an die Familie, nach meiner Geschwisterliebe zu fragen, Ihr hättet Euch ersparen können, Eure ökonomischen Rücksichten und Pläne aufzuzählen; Ihr hättet es endlich Euch ersparen können, mich fühlen zu lassen, daß Ihr das Eure und was etwa an fremden Tauben noch zufliegen mag, lieber Eurer Tochter gönntet, die Euch für einen halben Heiligen hält, als mir, der Euch als ganzen Sünder kennt! Es taugt nicht, daß Ihr mir bei dem, was ich weiß, noch solche Dinge merken laßt!

FERNER steht auch auf, beschwichtigend. Franz, hör mich an ...!

FRANZ. Kreuzweghofbauer – hättest du mir offen herausgesagt, was dir am Herzen liegt, ich hätte dich ruhig angehört und dir ebenso ruhig »nein« gesagt; da du mir aber mit Winkelzügen kommst, so laß dir jetzt sagen: Bisher hat dein Verbrechen bei mir die Natur unter ihr Beichtsiegel genommen – ich bin nun einmal doch dein Kind und ich wollte der Welt nicht das Schauspiel geben, daß der Sohn gegen den Vater als Ankläger auftritt – aber hüte dich! Du hast nimmer den Knaben von damals, du hast jetzt den Mitwisser vor dir, der reden oder schweigen kann, wie es ihm nützlich oder dienlich erscheint. Mich, das laß dir gesagt sein, kann nichts bestimmen, die Mühe meiner Studien an den opfervollsten und schlechtbesoldetsten Stand zu wenden, für den ihr ohne Beruf und Weihe eure Söhne preßt, sie der Familie und dem Vaterlande entzieht, um sie in den ärmlichen. Sprengeln ihrer Heimat als das hausen zu sehen, was man sie nicht werden, sondern bleiben läßt – als Bauern in der Soutane!

FERNER. Franz! Franz! Laß mich reden! Ich hab's ja seit damal neamand anvertrau'n können, was nur wir zwei auf der Welt wissen und unser Herr da droben – verstehst, Franz, wie das druckt, wie a Mühlstein liegt's auf mir und nachtig glaub ich oft,[48] ich werd irrsinnig, wann ich denk, ich hab 's Abendmahl so oft g'nommen und davon nie etwas beicht! – Franz, 's is keiner auf der Welt, dem ich's nit z' sagen brauch und der doch davon weiß, wie du – du bist der einzige, der mich ohne Red' und Gegenred' entsündig'n, der mir in meiner letzten Not einmal die Sünd' aussegnen kann! Franz! Franz! Verlaß dein Vatern nit!

FRANZ macht sich von dem ihn Umklammernden los. Ich glaube, Ihr seid jetzt schon von Sinnen! Aber es ist Methode in Eurem Wahnsinn, und Euer Mittel ist drastisch! Ihr würdet Eurer Sünde, ich meines Erbes auf die einfachste Weise ledig, und die Cenzi kriegte den Toni und geistlich' und weltlicher Vorteil gingen hübsch Hand in Hand! Wenn Ihr schon Entsündigung sucht – warum denn bei dem Mitbefleckten und nicht bei den Reinen? Warum laßt Ihr nicht die Crescenz Nonne werden und für uns beide beten? Nach Eurem Denken muß ja doch die Fürbitte der Reinen beim Himmel mehr vermögen!

FERNER. Die Cenzi – die Cenzi. Das arme Dirndl weiß von nix! Soll die's entgelten?

FRANZ. Ihr habt nicht den Mut, ihr, die von nichts weiß, unter die Augen zu treten als der, der Ihr seid? Ihr wollt den Vater, den halben Heiligen, bei ihr nicht im Kurse fallen machen, der Fromme wollt Ihr in den Augen dieses unerfahrenen Dinges bleiben. Ihr seid aber so fromm, daß Ihr darauf sinnt, die erste Sünde durch eine zweite wett zu machen – weil Ihr zu gut wißt, daß jeder Priester, dem sein Amt heilig ist, Euch das ungerechte Gut nicht in den Händen lassen würde, so wollt Ihr den Himmel selbst hintergehen und Euch für Euren Privatgebrauch einen Gelegenheitspriester konstruieren, der Euch auf eigne Faust entsündigt. So wollt Ihr –! Nicht aber was Ihr wollt, kommt hier in Betracht, sondern was ich will oder nicht will!

FERNER reckt sich hoch auf, den Atem ausstoßend. So?! So herrisch?! No, red dich nur aus!

FRANZ. Was ich jedoch will, das sag ich Euch jetzt kurz[49] und bündig: Dieses Gut hat mich schon Opfer genug gekostet, seine unrechtmäßige Erwerbung hat mir die Tage meiner Kindheit vergiftet, die bange Sorge langjähriger Mitwisserschaft hat mich menschenscheu und freundlos gemacht. Ihr habt nicht das Recht, das Opfer noch von mir zu verlangen, das mir den Preis aller früheren entreißt – ich will hier Herr sein!

FERNER verbissen. Herr willst sein? Hast recht – hast recht – vergant, verwirtschaft das ganze Gut –!

FRANZ. Das geschieht nicht, seid ohne Sorge! Ich bin Eurem Ruf gefolgt und hergekommen, weil ich glaubte, Ihr wolltet Euch etwa zur Ruhe setzen und jüngeren, kräftigeren Armen die Arbeit anvertrauen; sie wäre ganz gut besorgt worden, darauf hättet Ihr Euch verlassen können, denn ich muß Euch gestehen, daß ich durchaus nicht in der Lage bin, Euren Fürsprecher beim Himmel abzugeben, denn ich habe nicht mit unserm Herrgott Latein, sondern bloß mit Euch und andern Deutsch reden gelernt; was ich sonst gelernt habe und ob ich zum Großbauern tauge, das könnt Ihr in der landwirtschaftlichen Schule erfragen.

FERNER ganz erstarrt. Du hast nit g'studiert?

FRANZ. Latein nicht.

FERNER stürzt auf ihn zu. Schuft! Schuft! So betrügst du dein' Vatern um sein Geld und um sein' letzt' Hoffnung auf a ruhig' Sterbstund'.

FRANZ drückt ihn nieder auf den Stuhl. Das ging vor acht Jahren – jetzt müßt Ihr Euch nimmer an mir vergreifen – Übrigens war's Eure eigne Mutter, die nun seit einem Jahre in kühler Erde ruht, die Euch täuschte, um den Enkel froh zu machen – ich segne ihr Angedenken dafür.

FERNER hat den Kopf gesenkt und fährt sich mit zitternden Händen durch die Haare. Nein, nein – ich tu dir nix! – Wirst halt warten müss'n, bis d' hier Herr wirst, warten wirst müss'n, solang ich leb – Aufschauend. und mein' Hand zieh ich ab von dir – und auf mein' Totbett – auf mein' Totbett – verfluch ich dich noch! –[50]

FRANZ aufschreiend. Kreuzweghofbauer! Ernst. Besinn dich, eh du von Fluch und Segen sprichst! Du kannst Gott nicht zu deinem Anwalt machen, nachdem du ihn zum falschen Zeugen entwürdigt.

FERNER bricht kraftlos zusammen. Jesus, Maria! So red't mein eigen' Fleisch und Blut!

FRANZ. Du tust nit wohl daran, Kreuzweghofbauer, in dieser Stunde mich zu erinnern, was ich dir sein sollte, denn ich denke dann auch daran, was du mir warst von meiner Kindheit an bis zum heutigen Tage. Weißt du denn auch, was du ohnehin für alle Zeit in mir zerstört hast? – Die Familie – die Freundschaft – die Liebe! Das alles ist für mich Legende, die Familie ist für mich tot seit meiner Kindheit, du weißt den Tag, an dem sie starb. – Die Freundschaft! Woher mit der Last unseres Geheimnisses auf dem Herzen nähme ich einen Freund? Immer den einen Gedanken ängstlich deckend, ängstlich bergend wie ein häßliches Gebrest am Leib, könnt ich mich seiner nicht erfreuen, und rede ich, entweder wendet er sich scheu von mir, oder aus dem Freunde wird ein Verräter! – Und der goldenste Traum des Daseins – die Liebe! Ich suche ihn als meine Entsündigung, wie du die deine suchst! Ich suche ein Weib, dem auch ich nicht bekennen müßte, was mir auf der Seele lastet, das auch den ganzen Fluch meiner Vergangenheit und die ängstigende Pein der Gegenwart kennt und das mich trotz allem getreu lieben könnte. Ich suche umsonst, das weiß ich, und nichts bleibt mir über, um nicht ganz am Leben bankrott zu werden, als darüber zu wachen, daß mir wenigstens der Preis meines Schweigens nicht entgeht; du kannst dich nicht beklagen, Bauer, daß ich dich überhalte, ich habe meinen Menschen verloren, den frisch von der Natur angelegten Menschen, der übermütig die Erde mit Füßen tritt und keck ohne Frage zum blauen Äther hinaufblickt, und der, du magst mir's glauben, war mir um dein G'höft nicht feil!

FERNER zitternd, faßt Franz mit beiden Händen und[51] drückt ihn neben sich auf den Stuhl. Franz! Franz! Du mußt mich anhören! Du mußt mich auch anhören, eh du mich schlecht machst. Laß dir sagen, was mir schon die Jahr' her auf 'm Herzen liegt. Ich hab damal an nix Schlechts denkt, der Herrgott im Himmel is mein Zeug', ich hab damal nix Schlechts denkt! Es hat mir wohl weh tan, wie der Bruder sagt, er will seiner Zuhälterin und ihr'n Kindern alles vermachen, aber ich hab mir denkt, soll's so kämma, so soll's halt sein! Der Bruder is drauf krank mit 'm Bub'n, 'm Jakob, nach Wien fort, und die Burger Vroni hat sich breit g'macht auf'n Hof, als ob s' schon da die Bäurin wär', sie hat g'wußt, wie weh's uns tut, und sie hat's uns g'spür'n lassen. – Da is 's Testament vom Bruder aus der Stadt kämma, ich hab's ruhig in die Lad' g'legt und mir denkt, der Bruder kimmt ehnder wieder, hab ihm ein' Brief g'schrieben, daß ich 's Testament kriegt hätt, hab aber kein' Menschen a Sterbenswörtel davon g'sagt, daß 's neamand etwan der Vroni stecken kann, damit die nit gegen uns no quälerischer wurd, als s' eh schon war. – Auf einmal kimmt der Totenschein vom Bruder ins Haus – wie mir da war, das kann ich kein' Menschen beschreib'n, jetzt war die Vroni wirklich obenauf und, wann ich auf mein Weib und enk zwa Kinder g'schaut und dabei denkt hab, wie des Vaters reich' Erbschaft jetzt in fremde Händ' soll, da hat's mir 's Herz z'sammzog'n! A öften hab i mir denkt, tragst jetzt in Gotts Nam 's Testament zu G'richt, und nachtig, wann ich kein' Schlaf g'habt hab, bin ich auf, hab's stad aus 'm Kasten g'nommen und für morgen z'recht g'legt – aber wann dann eins von euch, wie's ruhig dag'leg'n seid's, aufg'seufzt habt's in der still' Nacht, und ich hab dann so hing'schaut nach 'm Weib und nach enkere zwei Betteln, da hat mir die Hand zittert und ich hab die Schrift z'ruckg'legt, hab mir denkt, sollst ihnen 's jetzt schon sagen, daß s' fort von Vaters Haus und in hart' Arbeit müssen? 's is ja noch Zeit, laßt s' in ihrer Ruh', so lang's noch sein kann! – So is die Schrift wochenlang[52] bei mir in der Lad' g'leg'n. Da hat's der Vroni z' lang 'dauert und sie is zu G'ridit g'rennt. Und wie ich so zum ersten Verhör kimm und triff sie dort, wie s' so spötti lacht, als müßt's jetzt sein, wie sie sich's denkt, und wie der Richter mich so herrisch anschreit – als ob ich der größt' Halunk' auf der Welt wär –, wo ich s' Testament hätt? da hab ich mir denkt, was is da weiter, was hab ich tan, daß der so in mich neinschreit? Ich bin trutzig word'n und hab g'sagt: Es war nit nötig, daß das vor G'richt käm, wann auch a Testament da wär! – Da schreit der Richter: »Ist vielleicht keines da?« Da is mir z'erst der Gedanken kämma, ob ich nit sagen könnt, es wär keins da. Ich war im Zorn und hab mit der Vroni zum warteln ang'fangen und da sein wir so in Streit kämma, daß uns der Richter all' zwei hat nausführen lassen! Trutzig bin ich heim kämma, ich hab noch nit g'wußt, was draus werd'n soll, und hab meine Händ' zu unsern Herrgott aufg'hob'n, er sollt a Zeichen tun, ob er's nit um der Kinder will'n und ob dem sündig' Leben, was die Vroni mit 'n Bruder geführt hat, derer zur Straf, verzeih'n möcht, wann ich das Testament unterschlaget? Du mußt wissen, Franz, ich hab bis dahin noch alleweil Angst g'habt z'weg'n dem Brief, den ich 'm Brudern g'schrieb'n hab, weil der nit an mich z'ruckkämma is, daß er etwa in unrechte Händ' kummen wär; wie aber der Brief is wie verschwunden blieben, als hätt 'n der Tote selber ins Grab mitg'nommen – sixt, Franz, da hab ich mir's als erstes Zeichen ausg'legt und idi hab von da ab g'sagt: Es is kein Testament da! – Da is 's G'richt weiter gangen und hat mir 'n Eid drüber auferlegt. – Wann nur dös nit wär, Franz, wann's nur dös nit gäbet! – Du kannst dir nit denken, wie mir war! Ich kunnt doch jetzt nit sagen: 's Testament is ja da! Nit nur alles wär verloren g'west, mich hätt'n s' obendrein g'straft und ös hätt's derweil kein' Vatern g'habt und leicht a kan Brot – nur Elend und Schand'! Da bin ich an dem Tag, wo ich 'n Eid hätt leisten soll'n, in aller Fruh'[53] in die Kirch', hab wieder die Händ' zum Himmel g'hob'n und unsern Herrgott bitt, er soll mir nochmal a Zeichen geb'n, und wie die Stund' schon rankimmt, wo ich in die Kreisstadt soll, und es is allweil noch nix g'schehn – da ruckt's auf einmal an meine Knie, ich schau auf, steht die kleine Crescenz vor mir, die die Mutter schickt, daß ich mich nit versäumen soll – da is vor mir g'stand'n im weißen G'wandl, die g'schneckelten Haar am Köpferl, wie a Engerl vom Himmel und hat g'sagt: »Voda, sollst schwör'n gehn!« – Da bin ich ruhig aufg'standen, hab 'm Himmel dankt für sein' Gnad' und mir g'lobt, um der Kinder will'n nähm ich die Sünd' auf mich, bin nach der Kreisstadt, aufrecht bin ich in G'richtssaal neingangen, nur wie ich vorm Kruzifix mit die brennenden Lichter steh, wird mir auf amal die rechte Hand wie Blei, als könnt ich s' nit aufheb'n – da kommt mir von Gott der Gedanken, schwörst nit, es wär kein Testament vorhanden, schwörst nur, es wär nit da – das hat mir Kurasch geben, denn die Schrift is ja wirklich viel meil'nweit in mein' Kasten versteckt g'leg'n, ich hab 'n Eid ganz klar und deutlich nachsag'n können und alles war gut! Kannst dir mein' Schrecken denken, wie ich drauf heimkomm' und wie ich in der ruckwärtig'n Kuchl die Schrift verbrenn und du stehst auf amal dabei – Ich hab nit g'wußt, was ich tu, Franz, ich hab damal nit g'wußt, was ich tu! – Mir war, als ziehet Gott doch sein' Hand auf amal von mir ab! – Ich war wie verzweifelt! Kleine Pause. Später aber, wie durch all' Jahr Seg'n aufs Haus und Feld g'leg'n is, da is mir auch ein Licht auf'gangen, daß mir unser Herrgott dös Gut nur wie ein'm Verwalter übergeben und dabei auch z' gleichzeit bestimmt hätt, wem von euch zwei als 's g'hör'n soll. Du weißt jetzt, wie's kämma is. Scheu. Franz, i weiß nit, wie damal, wo du auf einmal vor mir g'standen bist, faßt mich auch heut a Angst, daß ich mich in die Erd' nein verkriechen möcht; grad wie damal so heut trittst du derzwischen, es is, als sollt die G'schicht' nie zu ein' End' kämma![54] Ich weiß nimmer, was werden soll – Jesus! – Unser Herrgott behüt uns alle zwei –!


Stützt den Kopf in beide Hände.


FRANZ steht auf und legt ihm die Hand auf die Schulter. Es wäre uns beiden wohler, alter Mann, wärst du dein Leben lang weniger, was du fromm nennst, gewesen, aber immer ehrlich geblieben! Geht von ihm weg nach rechts.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Der Meineidbauer. Stuttgart 1959, S. 45-55.
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