Siebente Scene.

[95] Vorige ohne Finsterberg, Schulmeister und Gefolge.


HELL Kleine Pause. Hebt langsam das Haupt. Dieses Opfer – umsonst – und verhöhnt! Steht langsam, aber stramm sich in die Höhe richtend auf. Vorbei alles! Zur Gruppe Wurzelsepp, Michel, Annerl, die ihn zunächst umgibt, plötzlich wie ganz abspringend. Was erzählte man doch kürzlich von dem Kaplan Cyrill?

SEPP sieht ihn verwundert an. Meinst den Kaplan von St. Egydi, den man ertrunken aus'n Bach 'zogen hat? Mein Gott, da reden die Leut' viel; die ein' sag'n, er wär' selber ins Wasser 'gangen, die andern, er wär' verunglückt!

HELL. Auch er sollte sich verantworten; die Wege über die Gebirge sind jetzt gefahrvoll, die Frühlingsluft ist lau, da gehen die Lawinen nieder, das Gestein verbröckelt ... Ihr seid treue Seelen, wenn ihr hören solltet, daß ein Mann, den[95] sein Weg durchs Gebirg' geführt, tot aufgefunden wurde, so sagts nicht wieder – um der »Sache« willen –, daß ihr ihn kennt!

ANNERL fällt sprachlos weinend dem Michel um den Hals.

MICHEL. Annerl, du bist ein grundg'scheit's Weib, verschreck dich net, sei kuraschiert, dös mußt du auf gleich bringen. Geht mit Wurzelsepp zurück. Beide entfernen sich mit den Bauern nach dem Hintergrunde. Hell, in Gedanken versunken, und Annerl im Vordergrunde.

ANNERL fährt sich mit der Schürze über die Augen und tritt dann entschlossen auf Hell zu. Hell – hochwürdiger Herr!

HELL wendet den Kopf. Du, Anne?

ANNERL. Laß mit dir reden! Ich bitt' dich um Himmels willen, hör auf mich! Du hast vom Kaplan Cyrill a Wörtl fallen lassen – himmlischer Vater, willst du's bei dem End' anfassen?

HELL. Laß mich, Anne, frage nicht! Ich stehe niemandem mehr Rede, als dem dort oben!

ANNERL. O, nur so, nur so red nit! Mit steigender Erregung. Du darfst's nit, Pfarrer, du mußt das Deine tragen, bei dem, was in derer Stund' zentnerschwer auf mir liegt, du mußt! Du weißt, ich hab's auf mich g'nommen, weil ich um dich alles, alles ertragen hätt', nur kein' Fleck auf deiner Ehr'! Ich schau' nit um, ob noch a Weib mir gleich und so stark wär' als ich; ich hab' jetzt nur dich vor Augen, du mußt der bleiben, der du gewesen bist, der Mann, dem keiner gleich is, zu dem ich aufschau'n kann in meiner Not wie zu ein' Schutzheiligen, und was mir Gott noch als Prüfung oder die Welt aus Bosheit zulegt, ich will's geduldig und aufrecht erwarten, nur von dir, von dir darf mir nix dazu[96] kommen, nur an dir darf ich nit irr' werd'n, da brechet ich drunter z'samm'!

HELL bewegt. Anne!

ANNERL. O, schau nit so ung'wiß, als ob d' noch nicht wußtest, was d' thun sollst. Solang Kirchfelder leben, die dich kennt hab'n, wird von dir alleweil die Red' sein als von ein' guten, braven, rechtschaffenen Mann, der so vorang'leucht' hat, daß man ihm getrost Tritt für Tritt hat nachgehn können, bis zum letzten – bis zum letzten! Da is's freilich aus, da verschnürt's dann ein' jeden d'Red' und wo man's auch erzählt, die G'schicht vom braven Pfarrer, auf'n Feld, unter'n freien Himmel oder vom Ofenwinkel in der Spinnstub'n, da wird's auf amal ganz stad werd'n; von dö Alten wird keiner weiter frag'n, die haben's nur do noch einmal mit erlebt, daß ein rechtschaffener Mann zu Grund geht und verdirbt, aber die Jungen werd'n fragen, die woll'n, daß d'G'schicht ein' Ausgang und ein' rechten hat. Für dö, dö noch vertrauensvoll in die Welt gucken, taugt die Erfahrung nicht; soll ich den Ausgang 'leicht dazulüg'n, Pfarrer, dös hast uns nit g'lernt, und wie soll'ns hernach 'mal die Alten im Ort ihren Kindern erzählen die G'schicht vom braven Pfarrer von Kirchfeld?

HELL. Die nach uns kommen, die sollen Achtung uns bewahren können, die sollen nicht die Wege rings voll Steine finden, die wir ihnen heut schon ebnen können – die sollen uns nicht faule Knechte schelten – ich halte aus – ich harre aus! Anne, sag, sag einst auch deinen Kindern, nicht bis ans Ende seines Glückes, bis zum letzten Hauche war er sich selbst getreu und hat festgehalten an dem Rechten und dem Wahren. O, du hast die rechte Saite angeschlagen! Lächelnd. Du bist klug.[97]

ANNERL in bäuerischer Freude die Zähne zusammenbeißend und die Hände geballt vor sich gestreckt, fast jauchzend. Und schön und brav, wie dein' Schwester! So hast schon einmal g'sagt: O, jetzt ist alles gut; wenn deine Augen so leuchten, wenn du dich aufricht'st in deiner ganzen Höhen, da bist wieder der alte! Bei diesem Ausbruch des Jubels drängen sich alle aus dem Hintergrunde teilnehmend herzu.

MICHEL. Sie hat's richtig z'weg'n 'bracht!

SEPP. Du bleibst also bei uns, du gehst net fort?

HELL. Ich gehe! Ich gehe hin, wie Luther einst nach Worms. Ich trete meine Strafe an und warte still, was nächste Zeiten bringen, vielleicht ruft eine freie Kirche im Vaterlande mich, ihren treuen Sohn, zurück aus der Verbannung, wo nicht, so will ich dort an Stelle durch eiserne Beharrlichkeit, die sich nicht schrecken noch kirren läßt, sie ahnen lassen, daß denn doch die Ideen, die die Zeit auf ihre Fahnen schreibt, mächtiger sind, als eines Menschen Wille! Kinder, obwohl sie euch gesagt, ich sei kein Priester mehr, so drängt's mich doch, mit einer priesterlichen Handlung von euch zu scheiden – nehmt keiner dran ein Aergernis – denn wahrlich, ich greife damit nicht in ihre Rechte, denn längst verlernten sie das Wort, das ich nun zu euch von ganzem Herzen spreche: Ich segne euch!


Gruppe: Hell in der Mitte, alles kniet, Michel und Annerl zu beiden Seiten; Wurzelsepp, der sein Haupt in den Händen birgt, etwas zur Seite.

Sonnenaufgang, in der Ferne Jagdfanfare, das Orchester fällt mit Schlußaccord ein.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Stuttgart 31898, S. 95-98.
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