Zwölfte Scene.


[300] Der Vorige. Alte Hammer.


ALTE HAMMER kommt aus der Küche, sie hält im linken Arm einen »Weidling«, in welchem sie Teig »abtreibt«. Na, siehst, da bin ich schon. Daß d' aber a grad heut hast kommen müssen – ja so, das hab' ich dir ja eh' vorhin schon vorg'worfen. Sie sieht auf den Christbaum. O, du mein lieber Himmel?

HAMMER. Was haben Sie?

ALTE HAMMER. Der Christbaum steht auch noch alser leerer da! Der soll sich wohl selber aufputzen?

HAMMER. Vielleicht komm ich damit zu stande.

ALTE HAMMER. Geh zu, weißt d' denn mit so was umz'gehn? Ja so du hast ja a a Kind.[300]

HAMMER. Ich versuche nur nachzumachen, was ich andern abgeguckt habe. Ich selbst habe nie Hand angelegt. Er beginnt Schleifen und Ketten auf dem Baume zu befestigen.

ALTE HAMMER. Da hast dich ums beste Teil de. Freud' gebracht. Na, mach dich nur nützlich, unterdem können wir ja auch plaudern. Wie ich dich vorhin g'fragt hab', wie's dir und deiner Familie geht, hast nit Muh und nit Mau g'sagt und so a einsilbiger Dischkurs stund' mir a gar nit an, alsdann leg' nur los, ich werd' dir schon gehörig mit Fragen einheizen. Doch, wart a bissel. Ich muß mich niedersetzen – auweh, müd' wird mer – und meine Augengläser laß mer nur noch aufstecken, damit ich auch siech, was d' redest. So, jetzt erzähl!

HAMMER der eben eine Schleife befestigt, oder befestigen wollte, kehrt sich der Mutter zu. Sie haben mich vorhin gut aussehen gefunden, Mutter. Das ist nicht der Fall.

ALTE HAMMER ihn aufmerksam betrachtend. Na – wirklich nit – schau –

HAMMER. Es geht mir herzlich schlecht.

ALTE HAMMER. Geh zu – hör auf – wo fehlt's denn?

HAMMER. Ich bin ein ruinierter Mann –

ALTE HAMMER schiebt den Weidling von sich und steht auf. Was sagst? Ich versteh' dich doch nit recht?!

HAMMER. Ich bin ein Bettler.[301]

ALTE HAMMER. Jesus, Maria! Sinkt in den Stuhl zurück, kleine Pause. Das is mer in alle Glieder gefahren. O, du mein armer, armer Arthur, du! Is das die Möglichkeit?

HAMMER. Mein Leichtsinn – mehr auszugeben –

ALTE HAMMER. Na siehst, das war's einzige, was ich bei dir allweil g'fürcht hab', du hast schon mehr aus'geb'n, wie d' noch nix eing'nommen hast.

HAMMER. Wir konnten früher der Leute wegen nichts reden, und Sie, Mutter, konnten daher auch nicht verstehen, was Bruder Thomas meinte, als er sagte, da ich hier bleiben würde. Ich weiß auch nicht, ob Sie mit ihm einverstanden sein werden; er meinte. Ihr würdet mich hier zu euch nehmen.

ALTE HAMMER ergebt sich unter der folgenden Rede, legt die Brille ab. Aber ja – aber freilich – ich möcht's dem Bub'n nit Braten hab'n, daß er's anders gemeint hätt' – all's, was in unsern geringen Kräften steht, Arthur! Wann's nur auch dir bei uns anständig g'nug sein wird. Du mein Gott, daß du mir in mein' alten Tagen noch Sorg' und Kummer machen wurd'st, das hätt' ich nit g'glaubt!

HAMMER. Verzeih'n Sie, Mutter!

ALTE HAMMER. Ich hab dir da doch nix zu verzeihen, Arthur; du hast halt Unglück gehabt, d'Advakateng'schäften soll'n, wie mer hört, a nit mehr so brillant gehn. Es gibt halt jetzt auf der Welt z' viel gescheite Leut' und das is dumm, a Ueberschuß von Dumme wär' viel g'scheiter. Aber was sagt denn dein' Familie dazu? Die sein wohl ganz weg? Können mich recht bedauern. Sie kommen natürlich auch?[302]

HAMMER. Ich weiß es nicht.

ALTE HAMMER. Na, du, sei so gut, jetzt, wo ich mit 'm Essen auf sie angetragen hab', sag du, daß d' nit amal weißt, ob s' kommen! Warum sollten s' denn nit kommen?

HAMMER. Ich bin, ohne sie zu verständigen, bei Nacht und Nebel fort und ich habe kein Recht, es ihnen zu verargen, wenn sie vor der Verarmung zurückschrecken, und sich nur fernhalten wollen. Ich habe das Mädchen in einem vornehmen Pensionat erziehen lassen und meine Frau selbst zum Aufwande angeleitet, sie sind an Ueberfluß gewöhnt und kaum geeignet, jetzt noch Erwerben und Entbehren zu lernen.

ALTE HAMMER. Mein lieber Arthur, man kann oft, wann's sein muß, manches, was man nit erlernt hat, wann ein 's Herz dazu anleit't. Das war freilich a Fehler, da d' dein Kind ganz in fremder Leut' Händ' 'geben hast.

HAMMER. Es wurde mir auch entfremdet. Ich habe das Mädchen ausgeforscht. Ihm gilt nur der reiche Vater.

ALTE HAMMER. Wie alt is denn dein Madel?

HAMMER. Sie zählt sechzehn Jahre.

ALTE HAMMER. Pah, so a Fratz weiß grad, was er red't – und was er weiß, red't er nit. Drum hüt' mer n' ja. Da macht das Beispiel der Mutter alles und was sie als solche z' thun hat, das wird dein' Frau wohl wissen.[303]

HAMMER erregt. Wie aber, wenn sie mit dem Mädchen eines Sinnes wäre? Wenn ihre von mir verschuldete Schwäche für Putz, Komfort und Vergnügungen – wie ich befürchten muß – sie nun einem Menschen in die Arme treibt –!?

ALTE HAMMER. Du! Jetzt sei aber nur glei stad. Das leid' ich nit, daß du dein Weib vor mir schlecht machst. Schau daher! Und wann du recht hättest, daß die Frau schwach wär' und ihr' Ehr' in G'fahr und sie einer Versuchung erliegen könnt', wer g'hört denn dann grad erst recht zu ihr hin, daß er s' stärkt, d'G'fahr abwend't und sie vor Versuchung bewahrt, als wie du?! Und du laßt sie da allein in aller Himmelangst und Ratlosigkeit, wo mer so leicht'n Kopf verliert und in sein'm Herzen a Narr wird?! Du bist a recht a grauslicher Ding und dö Arme d' erbarmt mer orndli, daß s' dein Weib is, wann du a mei' Bub' bist, das muß ich schon sagen. Ja, ich glaub' gar, du bleibest noch für Zeit und Ewigkeit da stehen! Na, so thun wir nit. Mög'n in Gott's Nam' die Gugelhupf Dalken bleiben Sie hat den Weidling genommen und stellt ihn auf den Schrank im Hintergrunde. und 's Bratl anbrennen, ich wirf mei' Tuch über und du kommst mit, – wo d' hing'hörst – zu deiner Frau.

HAMMER. Thomas ist ohnehin auf dem Wege zu ihr und wird versuchen, sie hierher zu bringen.

ALTE HAMMER schlägt die Hände zusammen. Du lieber Himmel, der Thomas? Hast denn kein' G'scheitern z' schicken g'wußt?

HAMMER. O, Sie verkennen ihn.

ALTE HAMMER verächtlich. Ich werd' den nit kennen! Na, wir woll'n hoffen, daß er kein' Pallawatsch macht. Aber sollt' er a nix richten,[304] dann laß nur mich sorgen. Ich geh' dir hin, ich geh' so oft hin, als's fein muß, ich scheu' kein' vergebnen Gang, und wann ich mir d'Füß ablaufen müßt', ich ruh nit eh'nder, bis wieder beisamm' is, was z'samm'g'hört. Dann bleibst halt mit deiner Familie bei uns, wie lang's eb'n sein muß. Es wird mir ja auch wohl thun, dich wieder um mich z' haben, nachdem ich dich so lang' entbehrt hab'. Bessert sich dein' Lag', kannst ja gehn, ich will dich net halten, – Kinder, die mer nimmer erhalt't, sein nit z' halten, – aber gelt, dann bleibst nit mehr so ewig lang weg, kommst, dich von Zeit zu Zeit anschau'n lassen, schickst mir dein' Frau und erlaubst a dein'm Kind, manchmal d'Großmutter heimz'suchen? I wollt's nie bereden, wie hart – und immer härter von Jahr zu Jahr – mir dein Wegbleiben g'fallen is, denn der Thomas, das is so viel a wilder Mensch, der wär' im stand' g'west, zu dir hinz'rennen und dir Ung'legenheiten z' machen, drum hab' ich mir nie nix drüber verlauten lassen; du hast mir recht weh 'than, Arthur, Sie hebt die Schürze zu den Augen. aber lieber wär' mir schon, als wie d' mir heut 'kommen bist, du wärst doch noch weg'blieben. Verbirgt schluchzend das Gesicht in der Schürze.

HAMMER erschüttert. Mutter! Er tritt an sie heran und berührt sie begütigend am Arme.

ALTE HAMMER. Na, laß's gut sein. Es ist schon wieder vorbei. Und es is ja recht, da du zur Mutter 'gangen und nit fremden Leuten 'kommen bist.

HAMMER. O, ich hätte nie dieses Herz vernachlässigen sollen, es würde gesprochen haben, wo das meine geschwiegen hat, ich hätte immer, wo ich unschlüssig des Weges war, mich der Führung dieser Hand anvertrauen sollen, Er faßt sie an derselben. die es wohl nur damit versehen hat, da sie mich zu wenig züchtigte, die eins. Tag und Nacht für mich geschafft und[305] gearbeitet hat und die sich mir jetzt hilfreich entgegenstreckt eine wohlthätige Hand. Er will sie küssen.

ALTE HAMMER zieht die Hand zurück. Geh, wirst doch nit – sie is ja ganz schmutzig.

HAMMER. Wischen Sie nicht erst mit der Schürze drüber, Mutter, ich habe großes Verlangen, diese Hand zu küssen.


Die alte Hammer fährt mit der Schürze über die Hand, reicht selbe mit einer Mischung von

Verschämtheit, Stolz und mütterlicher Koketterie dem Doktor Hammer hin, der seine Lippen darauf drückt; über diese Gruppe fällt rasch der Vorhang.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Stuttgart 31898, S. 300-306.
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