Vierte Scene.


[313] Vorige. Thomas.


THOMAS durch die Spalte der Portiere, die erst ein wenig auseinanderklafft. Wann's erlaubt is.


Zugleich, kurzer Schreckensruf der Damen.

ALWINE. Ach.

HERMINE. Was ist?

THOMAS da er sich mit einer großen Puppe und einem Esel, mit Damensattel und Schaukelkufen schleppt, so erscheint, wie er sich hineinwindet, zuerst der Puppenkopf, verschwindet bei der nächsten Wendung und der Eselskopf schiebt sich vor, dann wickelt sich Thomas vollends aus den Falten heraus und tritt ein. Er präsentiert sich in schwarzem Frack, altmodischer Schnitt und Pfuscherarbeit, weißer Weste und Halsbinde, ebensolchen Handschuhen, Cylinder, sogenannter Stößer.

SCHRAUBER. Wer sind Sie?

THOMAS. Wer sind denn Sö?[313]

SCHRAUBER. Was wollen Sie hier?

THOMAS. Geht Ihnen nix an!

SCHRAUBER. Wenn Sie Spielzeugkrämer sind, so sind Sie hier unrecht.

THOMAS. 'n Spielwarenhändler haben Sie erraten, was Ihrem Scharfsinne besondere Ehre macht, daß ich aber hier recht bin, das wird sich weisen. Für sich. Am End' is dös gar der und der gar dös, mit dem mein Bruder eifert. Wirft ihm einen mißgünstigen Blick zu.

HERMINE. Wollen Sie uns nicht sagen, was Sie hier wünscht Thomas. Entschuldigen Sie vielmals, wenn ich so unangemeldet da hereinrumpel', aber der Kucheltrabant da draußen ergibt sich dem Fra und der Völlerei und wollte sich nit stören lassen und hat mich da hereingehen g'heißen, und da steh' ich schon ein' ganze Weil' in großer Verlegenheit vor der Thür, weil ich wohl einen Teppich auszuklopfen versteh', aber nit weiß, wie man bei einem Teppich anklopft, und unhöflich wollte ich nit sein, aber endlich mußte ich mich doch zeigen, denn wenn es gerade auch keine Eile hat, so haben Sie doch das Vergnügen, mich in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen. Ich bin nämlich der geehrte Herr Schwager, das heißt, ich habe die Ehre, Ihr Schwager zu sein. Ich bin n Arthur sein Bruder und er ist auch mein Bruder, weil wir eine Mutter haben. Beiseite mit einem Blick auf Schrauber. Der Mensch macht mich ganz verwirrt.

HERMINE ist auf ihn zugegangen. Sie bringen Nachricht von Arthur?[314]

THOMAS. Ja, ich bringe Nachricht von Arthur. Zuvor aber erlaube ich mir gütigst, das andere Mitgebrachte Ihnen zu Füßen zu legen, mit der Bitte, diese Kleinigkeit in Gnaden aufzunehmen. A Gredl und a Eserl mit Damensattel fürs Töchterl. Legt die Gegenstände ab.

HERMINE. Wir haben nur ein Kind – unsere Alwine.

THOMAS. Herrgott, dö Blamasch! Das kann nur mir passier'n! Sehn S', Frau Schwägerin, wie ich beim Magazin vorbeigeh', denk' ich, nimmst was mit für fein Kind und vergiß dabei auf alle die dazwischenliegenden Jahr', die's zum Wachsen Zeit g'habt hat. Na, macht nix, vielleicht hat die Fräul'n Nichte Verwendung für ihr Kleines.

SCHRAUBER zieht ihn zu sich herüber. Haben Sie nicht einen Herrn Fähnlein begegnet, den wir zu Ihnen hinausschickten?

THOMAS. Was geht mich ein Herr Fähnlein an und was mischen denn Sie sich ins G'spräch?!

SCHRAUBER. Um es auf einen anderen Gegenstand zu bringen.

THOMAS beiseite. Jesses, der hat ja recht. Ich red' alle Daum'lang a Dummheit und in d'Handschuh', scheint mer, hab' ich an jeder Hand fünf Daum'! Laut. Ich bitt' million'mal um Verzeihung, aber da sehen S', Frau Schwägerin, wie notgedrungen mein Bruder mich von sein'm Haus fernhalten mußt', ich alleinig wär' im stand' g'wesen, das Ganze zu verschandeln. In Gesellschaft hab' ich gar keine menschliche Bildung, will sagen, in menschlicher Gesellschaft hab' ich keine Bildung. Na ja, woher sollt s' auch kommen? Wenn[315] man das ganze Jahr mit Wursteln und Gretheln umgeht, die stumm sein, da is ein'm einer leicht überlegen, der sich im Salon bewegt, wo das nicht der Fall is.

HERMINE. Setzen Sie sich doch, Herr Schwager.

THOMAS sich setzend. Ich danke.

HERMINE. Ich sehe, Sie sind verlegen.

THOMAS. Sehr.

HERMINE langt nach einer Stuhllehne.

SCHRAUBER eilt hinzu und setzt den Stuhl neben den des Thomas.

HERMINE nimmt an der Seite des Thomas Platz. Ich brenne vor Verlangen, von Arthur zu hören, aber Ihre Verwirrung zeigt mir, daß Sie mir wohl manches zu verhehlen gedenken, daß Sie mich schonen wollen.

THOMAS. J, Gott bewahr'! Frau Schwägerin, erwarten Sie von mir keine Schonung; meine verlegene Verwirrtheit hat wenig mit'm Arthur zu schaffen, also reden wir nur auch von ihm. Wie ich ihn gestern g'funden hab' –

HERMINE. Sie fanden ihn? War er verletzt?

THOMAS. Anfangs über die Behandlung, die ich ihm hab' angedeihen lassen und die grad nit zart war.

HERMINE. Ich meine verwundet?

THOMAS. Woher denn auch? Kein Ritzerl! Er laßt schön grüßen –[316]

HERMINE freudig. Er lebt?!

THOMAS. Natürlich, sonst könnt' er ja nit grüben lassen.

ALWINE eilt auf Hermine zu. Ach, Mama!

THOMAS für sich. Da hat d'Frau Schwägerin just auch nit geistreich g'fragt; wann wir so weiter reden, ich dumm und sie nit g'scheit, werd'n wir uns bald verständigen.

HERMINE hat den Kopf an Alwinens Brust gelegt und schluchzt.

ALWINE streichelt mit einer Hand liebkosend Herminens Scheitel und trocknet ihr, mit dem Taschentuch in der anderen, die Thränen. Ach, du Arme, du!

THOMAS blickt die beiden an. G'fallt mir recht gut'n Bruder sei' Familie. Er sieht an Schrauber hinauf, der ganz nahe steht. Nur der Lackl scheniert mich.

HERMINE schiebt Alwine von sich weg. Doch, warum kommt er nicht selbst?

THOMAS. Ja, sehn S', verehrte Frau Schwägerin, er hat mit einmal eine Fiduz-Passion auf ein' Landaufenthalt in Erdberg 'kriegt und da ist er halt gleich bei uns g'blieb'n. Was sollt' er auch da herin noch machen? Wozu das unnötige Aufsehen unter den Nachbarsleuten? Wozu ihm das Herz schwer machen und ihm noch einmal alles beaugenscheinigen lassen, was doch verspielt und verloren is?! Denn er is in einer Lage, wo mer lügen müßt', wenn mer dö als eine glänzende bezeichnet'; einerseits mangelt ihm das Unentbehrliche und anderseits geht ihm das Notwendige ab, und so is er in einer augenblicklichen Verlegenheit, die längere Zeit dauern dürft' und das konnt' er halt auch nit wissen,[317] wie Sie das alles aufnehmen werden und wie Sie ihn nach all dem aufnehmen wurden, und kurz und gut mit ein' Wort, er 'traut sich halt nit einer und drum schickt er mich und laßt Sie schön bitten, mit der Fräul'n Nichte hinauszukommen, und dieser Bitte schließ' ich mich im eignen Namen und in dem meiner Frau Mutter an; es wird uns a Ehr' sein und a Freud' machen – und Sie werd'n uns doch kein' Korb geben? Keine lange Ueberlegung kann Sie's ja nit kosten und keine umständliche Vorbereitung wird's nit brauchen, denn's Wagerl das hätt' ich schon beim Thor stehn.

HERMINE ist schon unter seinen letzten Worten aufgestanden, sie faßt ihn an der Hand. Ein Wort unter vier Augen, Herr Schwager.

THOMAS ist aufgestanden, indem er ihr nach der Ecke folgt. O, bitte – bitte – bitte –

HERMINE zieht das Geldtäschchen aus der Tasche, entnimmt daraus einen Zettel, den sie entfaltet und Thomas hinreicht. Wie erklären Sie dann die Worte auf diesem Zettel?

THOMAS. Die Worte auf diesem Zettel?

HERMINE. Die mein Mann vor seiner Flucht – ich kann es nicht anders nennen – uns hinterlassen hat.

THOMAS nachdem er gelesen. Na ja, so sein diese Advakaten, wo's keine Erpensen tragt! Bei einer Satzschrift, wo jeder Bogen g'rechnet wird, da kommen auf ein Quartl Einwand drei mit Grobheiten, nur daß's Papier frißt, wo aber nix dabei herausschaut, in eigene Sachen, da sparen s' mit dö Zeilen, da mer sich kaum aus weiß! – Aber das is noch erklärlich; er bittet Sie um Verzeihung, daß er Sie getäuscht – natürlich – gestern[318] konnten Sie ihn noch für ein' gutsitawierten Menschen halten und heut steht er mit einmal als »Bödla« da! Aber, bedenken Sie auch Frau Schwägerin, wie einem Mann zu Mut sein muß, der seiner Familie eing'stehn soll, daß er plötzlich in anderen Umständen is?! Das is auch zum Davonlaufen!

HERMINE hat den Zettel an sich genommen, unter den folgenden Reden, die sie in nervöser Aufregung hervorstößt, faltet sie das Papier wieder zusammen und zwängt es in das Geldtäschchen. Diesen Zeilen nach konnte er sich aber auch mit einem fürchterlichen Entschlusse tragen und wenn ihm der ferngelegen hat, –

THOMAS. O, wo is der g'leg'n!

HERMINE. Wenn er direkt zu Ihnen kam –

THOMAS. Ein' klein' Umweg hab'n wir wohl g'macht.

HERMINE. Um bei seinen Verwandten uns das Gnadenbrot zu erbetteln –

THOMAS. Aber, Frau Schwägerin – wir sind grad' Leut' danach.

HERMINE. Dann war es gewissenlos, uns diese lange Nacht durchwachen zu lassen, –

THOMAS. Wir sein auch erst in der Fruh z' Haus 'kommen.

HERMINE. Und jede weitere Stunde angstvoller Erwartung eine uns mutwillig zugefügte Qual![319]

THOMAS. Ich hab' mich eh g'tummelt, aber früher konnt' ich nit.

HERMINE. Alwine, unsere Hüte und Mäntel! Wir gehen!

THOMAS. Bravo! Das is a Red'! Na, da schau'n S', wie Ihnen der Bruder verkennt, der hat geglaubt, Sie würden ihn verlassen, weil er a »Bödla« is.

HERMINE. Er täuscht sich nur in dem, was mich bestimmt, im andern soll er recht behalten! Ich will ihm mit meinem Kinde aus den Augen. Er soll, wenn er Herz für uns hat, dieselbe Angst um uns erleiden, die wir um ihn ausg'standen haben!

THOMAS. Na, sein S' so gut, Frau Schwägerin! Das werden S' mir doch nit anthu'n?!

HERMINE. Nehmen Sie Platz, Schwager. Ich will nur meine Absage zu Papier bringen.

THOMAS. Aber, Frau Schwägerin, machen S' keine Dummheiten!

HERMINE sehr bestimmt und scharf. Wollen Sie Platz nehmen! Ab mit Alwine.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Stuttgart 31898, S. 313-320.
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