XII

[126] Muckerl war ohne Sträußchen auf dem Hute von der Stellung zurückgekehrt. Obwohl man das allgemein erwartete, so hatten doch die Kleebinderin und die Matzner Sepherl mit nicht geringem Bangen seiner Heimkunft entgegengesehen. Die Angst der alten Frau war übrigens ganz überflüssig, sie hätten ihr den Buben nicht genommen, und wäre der auch ein Riese gewesen, ja, er hätte sich nicht einmal zu stellen brauchen, wenn sie rechtzeitig gehörigen Ortes dagegen eingeschritten wäre, denn als der einzige Sohn einer Witwe, welcher deren Unterhalt bestreitet, war er militärfrei; aber es nahm sich eben keiner die Mühe, sie darüber zu belehren. Wo es Pflichten zu erfüllen gilt, da weiß die Ortsobrigkeit auf Meilen in der Runde die Armen und Ärmsten zu finden, ihre Rechte – es sind deren nicht allzu viele – lehrt sie niemand suchen.

Nach dem lärmenden Abzuge der Rekruten war es ziemlich stille geworden im Dorfe. Die Bauern, deren Söhne fortgezogen waren, fluchten leise, denn der Entgang zweier kräftiger Arme machte sich bald auf den kleinen Wirtschaften allerorten fühlbar; nun mußten sich die Alten entweder in vermehrter Arbeitsplage selbst hinunterschinden oder in den Beutel langen und einen Knecht dingen; es bedurfte just keiner besonderen Arbeitsscheu oder Sparsamkeit, um sie auf jene neidisch zu machen, die keine tauglichen Buben, aber dafür augenscheinlich mehr Patriotismus besaßen, indem sie oft nachdrücklichst ihren Söhnen erklärten: »Kerl, mir tut nur leid, daß dich der Kaiser nit gnommen hat, und wann er dich heut noch wollt, gleich könnt er dich habn!«

Ganz anders und, wie sich das bei ihnen von selbst versteht, edler dachten die Weibsleute von der Sache. Mütter und Schwestern bangten und sorgten nur, was aus dem Steffel, Seppel oder Martel würde, »wenn ein Krieg auskäm«, und gar die Dirnen, deren Schatz fortgezogen war, die machten sich über dieses Äußerste hinaus noch herzinnerste[126] Sorgen, was das lustige Soldatenleben an ihrem liebn Bubn verderben könnte?! Warum sie sich besagtes Leben gar so lustig dachten, darüber konnten sie sich selbst oder wollten sie anderen nicht Rechenschaft geben; aber so eine war wirklich gar übel daran!

Für einen Menschen, der mit der Eigenart seines Geschlechtes einigermaßen vertraut ist, hatte es gar nichts Auffälliges, daß die Männer, trotz ihrer rohen Anschauungen, wenig dem Glücke der alten Kleebinderin nachfragten, während diese, gerade der edleren, weiblichen Denkweise zufolge, mit einmal mehr Neiderinnen zählte, als sie je zuvor in ihrem ganzen Leben besessen.

Gewöhnliche Naturen ziehen es indes vor, sich beneiden und nicht bedauern zu lassen, und Muckerls Mutter war eine sehr gewöhnliche. Wenn die Sonne über dem Hügel, auf dem der Sternsteinhof stand, heraufkam und das breit einströmende Licht in der kleinen Hütte alles glänzen und gleißen machte, was dazu angetan war, die Werkzeugklingen auf dem Arbeitstische des Burschen, die Bleche und Glasuren der Küchengeschirre, die Bilderrahmen und die Messingbeschläge der Schränke, da dünkte der alten Frau, das liebe Tagesgestirn leuchte wieder so wärmend und erfreuend, wie es das zu ihren besten Zeiten getan, wo sie als sorgenloses Kind, als aufgeweckte Dirn, als junges Weib und Mutter unter seinen Strahlen sich fröhlich tummelte und – bräunte.

Am Sonntage, nachmittags, nach dem Segen, gingen die alte Kleebinderin und Muckerl, die alte Matzner und Sepherl zusammen durch das Dorf. Die beiden Alten trippelten nebeneinander her, und die zwei jungen Leute schritten ihnen vorauf. Die drei Frauenzimmer trugen erstaunlich große Gebetbücher in den Händen, es mochte viel Trost und Erbauung in einem solchen Platz haben.

Wenn der Bursche an die Dirne ein Wort verlor oder diese eines an ihn, wackelten die zwei alten Weiber mit den Köpfen und sahen sich bedeutungsvoll an.

»Du, Sepherl«, sagte Muckerl, »die Muttergottesin, die d'[127] bei mir bestellt hast, is fertig, der Anstrich is schon trocken, wann du willst, kannst s' morgen schon in d' Kirchen tragen. Ich hoff, du wirst zufrieden sein.« Er schmunzelte dazu.

»Das mein ich schon auch«, sagte sie ernst.

Daheim stellte er die Statuette auf seinen Arbeitstisch und fragte die Dirne, wie sie ihr gefalle.

Sepherl stand lange davor mit wundernden Augen, dann sagte sie leise: »Weißt, die Schlange, das muß ich schon sagen, is dir gar gut graten, völlig fürchten könnt mer sich vor dem Vieh.«

Muckerl lachte laut auf. »Und von der Heiligen sagst nix?«

»Die is z' schön«, flüsterte die Dirne.

»Gar z' schön!« lachte er noch lauter.

»Schau, Muckerl«, fuhr die Sepherl fort, »du mußt mer's nit übel aufnehmen, ich red nur, wie ich's versteh, und ich versteh leicht gar wenig davon, aber schon lang wollt ich dir's sagen, deine Heiligen kommen mir doch alle vor wie reicher Leut Heilige.«

»Reicher Leut Heilige – was benamst d' als selbe?«

»Mein Gott, so Bildeln halt, was reicher Leut Augen schmeicheln, als ob gleich ihnen d' lieben Heiligen ein Ansehn hätten, so füllig und ausgestalt, wie wenn ein gring Sorgen und Mühen dazu gehöret, daß eins sich 's Himmelreich erstreit! Zviel weltlich machst d' Heiligen, und Männer und Weiber machen sich unterm Anschaun leicht andere Gedanken, wie sie sollten.«

»Na, wie solln s' denn deinm Dafürhalten nach nachher ausschaun?« fragte gereizt der Bursche.

»Dös weiß ich nit, dös kann ich nit sagen, aber so nit, Muckerl, wie die dein. So schaut keins aus nach überstandener Qual und Marter und harter Buß und schwerem Lebn, ehnder wie unsereins, hrunterkommen und zerrackert.«

»Geh, dalkete Gredl, an meinsgleichen, was sich selber nit z' helfen weiß, werd ich mich doch nit um Hilf wenden, das tu ich doch nur mit rechtem Vertraun ans ausbündig Schöne und ans alles Überwindsame, dem kein Not und Elend ankann.«[128]

»Du hast all dein Lebtag nit verstanden, was beten heißt, wann d' dich einer Fürbitt wegen ans ausbündig Schöne halten willst und an was kein Not ankann und was auch dein Ungstalt nit begreift und dein Jammer nit versteht.«

»Deinm Reden nach müßt mer wohl 'n Teufel schön machen und d' Heiligen verunziern? Nit? Wann d' dadraufhin noch nit einsiehst, wie d' dalket daherplauscht und kein Begriff von der Sach hast, tust mer leid!«

»Kann ja sein, daß d' recht hast, und ich hab ja gleich gsagt, daß ich möglich davon gar nix versteh; aber dö Muttergottesin da is mein Bestelltes, und das werd ich wohl bereden dürfen, daß die mir nit gfallt, und, frei hraus, dö nimm ich nit, daß d' es weißt.«

»Aber warum denn nit?«

»Weil s' af a Haar dem heillosen Nachbarsmensch, der Zinshofer Helen, gleicht.«

»Gleicht, aber nit is!« schrie Muckerl, im ganzen Gesichte erglühend. »Weht der Wind über das Eck? Soll s' vielleicht nach dir gschnitzt sein, du Hanfputz?!«

Die Dirne starrte den Burschen mit ihren wundernden Augen ängstlich an, ihr weinerlicher Mund begann zu zucken, sie legte beide Hände vor die Brust und sagte nach einer Weile mit klagend dehnender Stimme: »Das wollt ich nit haben, Muckerl, daß d' dich über mich erzürnst. So hoffärtig bin ich gar nit, daß ich nur dran denk, du könntst ein Bild nach mir schnitzen; aber du wärst kein Christ, Muckerl, wann d' nit einsähest, wie ein große Sünd das wär, wann mer ein solchs in der Kirch zur Andacht aufstellet, das einer gleichschaun möcht, die noch dazu in selbem Ort 'n Leuten unter 'n Augen herumlauft, und wär s' auch d' Bravste; doch mit der hieß's d' Heilig Jungfrau gradzu verschänden.«

»Himmelherrgottsakkerment«, fluchte Muckerl, »so soll s' gleich auch schon der Teufel holn!« Er schwang das Schnitzmesser.

»Jesses und Josef, Muckerl, der Herr verzeih dir dö Sünd!« kreischte Sepherl und fiel ihm in die Rechte.[129]

»Na, laß nur«, sagte er, wieder gutmütig lächelnd. »Ich will ihr nur bissel d' Nasn zustutzen. Wirst sehen – du weißt gar nit, was d' Nasn in einm Gsicht bedeut –, wie gschwind sie anders ausschaun und niemand mehr gleichen wird.«

Er begann zu schnitzen, während die Dirne mit eingehaltenem Atem über dem Werktische lehnte und ängstlich zusah, immer bereit, ihm das Messer zu entreißen, wenn ihr etwa scheinen sollte, daß es zu tief griffe.

Muckerl legte schmunzelnd das Werkzeug weg. Er hatte den zarten Bug der Nase und den feinen Schwung der Nüstern ins Rundliche verschnitzelt, und die Madonna trug nun, obgleich es ihr gar nicht zu Gesichte stand, Sepherls Nase. Davon ahnte die Dirne freilich nichts, sie sah nur, daß die verhaßte und lästernde Ähnlichkeit gänzlich verschwunden war, und klatschte vor Freude in die Hände wie ein überglückliches Kind; ihr Jubel lockte die beiden alten Frauen herbei, man bestaunte und belobte das Bildwerk nach Gebühr, während Muckerl die durch das Schnitzmesser bloßgelegten Stellen wieder mit Farbe bestrich. Als Sepherl mit ihrer Mutter sich zur Heimkehr anschickte, gab er ihr das Liebfrauenbild mit und schrie ihr, noch von der Schwelle aus, nach, »sie möcht sich wohl im Tragen vor der Himmelmutter ihrer nassen Nasen in acht nehmen«.

So schieden sie unter fröhlichem und freudigem Lachen. Die Frauen wähnten die Erfüllung ihrer geheimen Wünsche und Hoffnungen so nahe bevorstehend, daß sie schon in wachen Träumen, hingeworfenen Andeutungen und halben Reden ein Glück vorzukosten begannen, von welchem der, dem sie alle sich dafür verpflichtet fühlten – nicht etwa Gott –, der Kleebinder Muckerl, gar nicht berührt wurde.

Am andern Morgen, lange bevor noch die Glocken zur Frühmesse riefen, erwachte Sepherl. Ein feiner Duft von frischer Ölfarbe erfüllte die Stube. Das Mädchen besann sich, warf die Kleider über, schritt auf den großen Wäschschrein zu, auf welchem die Statuette stand, stützte die Ellbogen auf und faltete die Hände.[130]

»Allergebenedeiteste Jungfrau! Weil ich dich noch da bei mir hab, erlaub, daß ich mit dir red; denn wenn ich dich später zur Kirch bring, hat der Mesner ein Menge z' fragen und z' sagen, und die Leut drängen auch zu, so daß sich dort für mich kaum a Glegenheit schicken möcht, mit dir unter vier Augen z' sein. Gar schön tät ich dich bitten, schenk 'm Kleebinder Muckerl 'n lieben Gsund völlig wieder, daß ihm kein Nachmahnung an sein Siechtum verbleibt, laß 'n gscheit werdn, daß er einsieht, wie 'n d' Zinshofer Helen eigentlich gar niemal gern ghabt hat und seiner gar nit wert is, und wann dir recht wär, so hätt ich nix dagegn, wann du ihn mir zum Manne gäbst. Ich würd ihm schon treu bleiben und fleißig sein und alles verrichten und erleiden, was halt sonst noch im heiligen Ehstand not tut und sein muß, was du ja selber weißt, hochgebenedeite Gottesmutter und allerreinste Jungfrau!«

Als die Glocken klangen, nahm sie das Bild in ihre Arme und lief damit davon, sie lüpfte es, so schwer es war, küßte es auf die Wange, kurz, hätschelte es wie ein Kind seine Puppe; plötzlich aber besann sie sich auf das Ungehörige ihres Gebarens und trug die Statuette, aufrecht gehalten und in gemessenen Schritten, nach der Kirche.

Später fiel ihr oftmal der Gedanken schwer aufs Herz, ob sie sich nicht etwa durch ihre kindische, »unrespektierliche« Vertraulichkeit die himmlische Fürsprache verscherzt habe. Denn im Laufe desselben Tages noch, während sie am oberen Ende des Dorfes ihrer harten Arbeit nachging, trugen sich am unteren Ende Dinge zu, deren Folgen ihr manchmal den Stoßseufzer erpreßten: »Himmlische Gnadenmutter, ich will nit murren, aber das war damal doch nit schön von dir!«


Die Sonne stand schon ziemlich hoch am klaren Himmel, als der Kleebinder Muckerl in den rückwärtigen Garten trat und dort langsam auf und nieder zu schreiten begann. Die Luft fächelte lind und rein, denn der Bach sammelte in sein Bett den gerinnenden Schnee und wusch es vom Kies bis zum[131] Uferrande; die Knospen waren geplatzt, und Bäume und Büsche standen in Blüte oder jungem Grün, doch machte diese zarte Zier die Äste und Zweige noch nicht schatten und gab zwischendurch dem Blicke die weiteste Ferne und nächste Nähe frei.

Ganz nah, vom verwahrlosten Nachbargarten her, schimmerten drei farbige Flecke, der rote Rock, das graue Linnenhemd und das bunte Kopftuch eines Frauenzimmers, das, am Boden kauernd, mit einem Messer die Erde eines Beetes lockerte und alles, was da schon grün aufgeschossen war, mit Stumpf und Stiel ausjätete. Daneben auf dem Kies lag eine Tüte von grauem, geschöpftem Papier, mit vergilbten Schriftzügen bedeckt, das »Taufzeugnis« eines, der lange nicht mehr lebte; ein buntes Gemenge von Samenkörnern war daraus hervorgerollt, und über dieses furchtbare Geschütte und Gerölle suchte eben eine kleine Mücke zappelnd den Weg, welche wohl keinen Grund dafür wußte, warum sie sich nicht der Flügel, die ihr am Leibe angewachsen waren, bediente.

Das eifrig geschäftige Weib hielt den Kopf tief gebeugt; daß es jung war, das verrieten die vollen und doch sehnigen Arme, das verriet der runde Nacken, bei dessen wechselnder Bewegung sich das Hemd strammte und zugleich fältelte.

Der Muckerl wußte gar wohl, wer das war. Er hatte die drei farbigen Flecke nur so nebenher wahrgenommen, und doch tanzten sie ihm Weges auf und ab vor den Augen.

Aber brauchte er die Dirne zu scheuen? Denk nicht! Wie sie ihm auch begegnen mag, nicht! Und wie sie das würd, das möcht ihn schon neugiern – schier – gwaltig auch noch. –

Mit eins blieb er hart am Zaune, kaum zwei Schritte von ihr, stehen. Eine geraume Weile starrte er hinüber. Sie mußte wissen, daß und wie nah er zur Stelle sei, auch ohne ihn zu sehen; sie mußte den Schritt, mit dem er plötzlich herangetreten, gehört haben. Der Schatten vom Rande seines Hutes streifte das Beet, in dem sie grub, aber sie jätete weiter, als hätte sie sonst auf nichts acht.[132]

Wollte sie es abwarten, bis er wieder fortginge? Liegt ihr seine Näh so hart auf? Schon recht! Er will doch sehen, wer es eher müde wird.

Nun räusperte sie leise und sagte, ohne aufzublicken, halblaut: »Bist du mir bös?«

Als er lange nicht antwortete, wandte sie ihm ihr Gesicht zu. Ihre Lider waren gerötet, die Augen sahen verweint aus.

Da schüttelte er traurig den Kopf.

Sie stieß das Messer in die Scholle, rückte auf den Knien herzu bis an den Zaun, griff den Saum ihres Rockes auf, reinigte ihre Finger von der Erde und sagte dann: »So gib mir dein Hand.«

Er reichte sie ihr dar und sagte mit schluckender Stimme:

»Ich bin dir's nit.«

Sie sah ihn überrascht an: »Ich doch dir nit«, flüsterte sie.

Er zog seine Hand zurück und rang sie mit der andern ineinander. »Helen, wie hast mir nur das antun können?!«

Sie kehrte sich ab und bohrte mit dem Messer, das sie wieder ergriffen hatte, paarmal in die Erde. »Ich weiß's selber nit«, brach sie mit rauher Stimme los, es klang hart, fast abstoßend. »Es muß mich rein der Teufel gritten haben. Schad, daß mer's beredt! Gschehens laßt sich nimmer ungschehn machen.«

»Aber doch vergessen.«

»Das kannst du ja leicht für dein Teil, wie überhaupt d' Mannleut in denen Stücken besser dran sein. Redn mer von was andern.« Sie erhob sich, warf das Messer hinter sich und trat einen Schritt näher. »Därf mer bald gratuliern?«

»Wem meinst? Und wozu?«

»Na, euch, dir und der Sepherl, 'm einm zum an dern.«

Er ward rot und verlegen wie ein Mensch, den eine schamlose Nachrede verwirrt. »Da bist falsch bericht«, stotterte er, »an so was denkt keins von uns zwein.«

»Die Sepherl gwiß, das sag ich dir; ich weiß das seit langem, ohne daß sie mir's hätt einzgstehn brauchen, noch von der Zeit her, wo wir miteinander gangen sein.«[133]

Muckerl seufzte tief auf. »Sie is wohl a brave Dirn, aber sie möcht mich bedauern, wann's so wär, wie du sagst; an dein Stell kann keine treten.«

»Und ich auch nit mehr an selbe zruck.«

»Warum?« fragte er eifrig. »Warum nit? Warum sollt's jetzt, wo der Störenfried fort is, nit zwischen uns wieder werden können, wie es war?«

»Wir hätten uns ja heiraten sollen!« lachte sie schrill und höhnisch auf. Es war ganz unangenehm anzuhören. Dann fuhr sie mit gedämpfter Stimme fort: »Nach dem mittlerweil Gschehnen überlegst du dir's wohl, was ein andrer übelgmacht hat, gutzmachen, und ich bin zu gewitzt, als daß ich's mit einm zweiten noch verschlechter.«

Der Bursche sah sie mit großen Augen an. »Ich versteh dich nit«, sagte er, »nur wann d' meinst, daß ich's anders mein als ehrlich, so hast a falsche Meinung.«

»Tschapperl«, sagte sie, ihm ganz nahe tretend und fest in die Augen blickend. »Du weißt eben wenig vom Gschehnen. War der Bub vom Sternsteinhof gegen dich grob, so war er gegen mich ein Schuft! Daß ich dich aufgegeben und mich mit ihm einglassen hab, das muß ich jetzt schwer gnug büßen; du kannst zfrieden sein! Er hat versprochen, daß er mich zu seiner Bäuerin macht und ... Was soll ich dir's für dein ehrlich Meinen nit gleich da an der Stell sagen, was ich nit lang mehr vor 'n Leuten werd verbergen können? ... In d' Schand hat er mich gbracht!«

Der Bursche begann zu zittern, sein Antlitz ward kreidebleich, seine Mundwinkel zuckten, und die Augen, mit denen er die Dirne kläglich anstarrte, füllten sich mit Tränen.

Sie wandte das plötzlich erglühende Gesicht von ihm ab, und mit beiden Händen ihn ober den Ellbogen fassend und sachte rüttelnd, raunte sie ihm zu: »Aber – Muckerl – es is ja nit wahr.«

Er schüttelte leise.

Da drückte sie den Kopf gegen seine Brust und rief schluchzend: »Es is wahr – ja, es is wahr –, ich bin ganz[134] elend und verloren! Stoß mich weg! Stoß mich weg von dir!«

Aber er ließ sie gewähren, und nach einer Weile fühlte sie seine Hand ihren Scheitel begütigend streicheln.

Und wie sie so an ihn geschmiegt war, mit gesenkten, tropfenden Wimpern, das Ohr an seinem hämmernden Herzen, vergalt sie ihm die Schwäche, die immerhin großmütige Schwäche, mit der er sie eine für ihn herbste Wahrheit nicht entgelten ließ, mit einer überzuckerten Lüge: »Wärst du mir je gekommen« – ihre Stimme stöhnte noch unter einzelnen Nachstößen des verwundenen Schluchzens –, »nur halb so aufdringlich wie der Lump, es könnt heut alls anders sein.«

Der Bursche holte so aus dem Tiefinnersten Atem, daß es den Kopf der Dirne von seiner Brust wegstieß. »Helen«, stammelte er, »was will ich machen? – Ich kann mir nit denken, ohne dich z' sein. – Wenn ich dich doch nähm –«

»Für den Fall – eh d' weiterredst – laß dich bedeuten! Wie ich jetzt vor dir steh, als ledige Dirn im Unglück, muß ich wohl dein wie jeds Menschen sein Mitleid dankbar hinnehmen; nähmst du mich aber zum Weib –« sie richtete sich auf, legte ihre Hand schwer auf seine Schulter und fuhr hart und rücksichtslos fort: – »dann verlanget ich, behandelt zu werdn wie jeds anders solchs, und nachdem ich dir offen alles gebeicht und ehrlich gestanden hab, daß du mich unter dein Dach kriegst nit wie sonst der Brauch und auch nit allein, vertraget ich weder, daß du sagest, du hättst mich nur aus Mitleid gnommen, noch, daß du mir ein Vorwurf ausm Vergangenen machest!«

»Ich machet dir auch kein und tät schon rechtschaffen sorgen für dich und für das – andere.«

Sie sah ihn mit großen Augen durchdringend an. »Dein Ernst?«

Er nickte und bot ihr beide Hände.

Sie schlug ein und sagte kurz und fest: »Es gilt!« Da aber überwältigte sie die Rührung über die Gutmütigkeit des Burschen, sie drückte seine Rechte an ihr Herz, dann an die[135] Lippen. »Muckerl«, rief sie, »du bist doch mein wahrhafter Helfer in der Not! Daß du mich so liebhast und vor der Schand errettst, das vergeß ich dir in alle Ewigkeit nit!«

Sie meinte es in diesem Augenblicke gewiß aufrichtig, aber, ach, die kurzlebigen Menschen denken nicht, wie viel an den Ewigkeiten, mit denen sie um sich werfen, oft eine kleine Spanne Zeit ändert.

Nachdem sie eine Weile schweigend sich an den Händen gehalten, fragte die Dirne, den Burschen zärtlich anblickend:

»Kannst hrüber?« Sie meinte, über den Zaun.

Er deutete lächelnd nein.

»Dann komm ich!« Sie schwang sich flink über das niedere Gatter, ohne auf ihre lüftige Gewandung zu achten; sah es doch niemand als der eine, vor dem ihr ja fürder jede Scheu ausgeschlossen schien. Nun hing sie an seinem Halse und preßte die dürstenden Lippen auf die seinen, und er taumelte unter ihrer Last, wie trunken von ihren Liebkosungen.

Da rief es vom Hause her: »Komm essen!« Als aber die Kleebinderin in den Garten heraustrat, kreischte sie laut auf: »Muckerl!«

Die Dirne tat nur einen Schritt zur Seite hinter das dürftige Gebüsch. Sie kehrte der Alten den Rücken zu, und diese sah sie noch ein paarmal den Kopf neigen und mit den Händen ausdeuten, ehe der Bursche sich verabschiedete und langsam herankam.

Als Muckerl vor der alten Frau stehenblieb, die ihn mit weit aufgerissenen Augen fragend anstarrte, wies er mit dem Daumen seiner Rechten hinter sich und sagte zutraulich:

»Mußt wissen, Mutter, wir sind wieder gut.«

»Wer?« schrie sie entsetzt.

»Na, ich und d' Helen«, entgegnete er, mit Mund und Augen freudig lächelnd.

Die Kleebinderin schlug die Hände zusammen und flocht die Finger ineinander, so schritt sie vor ihm her nach der Stube, wo sich beide zu Tische setzten. Da die Alte das Fragen unterließ, so blieb dem Jungen das Sagen erspart. Er[136] beschäftigte sich angelegentlich mit dem Essen, während sie nachdenklich über ihrem leeren Teller saß, was ihm übrigens gar nicht auffiel.

Wenn es wahr ist, daß seelische Erschütterungen auf die Befriedigung gemeiner leiblicher Bedürfnisse vergessen lassen, wonach sich die Verwaltung von Volksküchen viel ökonomischer gestalten ließe, falls psychische Konflikte billiger zu beschaffen wären wie Rindfleisch, wenn es ferner wahr ist, daß Appetitlosigkeit der Prüfstein wahrer Liebe ist, dann, ja dann hatte bei all dem Bedeutsamen, was die letztverflossenen Viertelstunden den Kleebinder Muckerl erleben ließen, dessen Gemüt und Herz gar nichts zu tun; sicherlich veranlaßte ihn keines von diesen beiden, nachdem er Messer und Gabel aus der Hand gelegt, den Gurt zu lockern.

Gar anders als die Mutter des Burschen nahm die der Dirne die Sache auf.

»Hast du aber ein Glück«, rief lachend die alte Zinshofer.

Helene runzelte die Stirne. »Was Glück? Mer zertragt sich und findt sich wieder zusamm, das kommt häufig gnug vor.«

Die Alte verzog höhnisch den Mund. »Freilich, häufig gnug, aber so wie in deinm Fall doch nur selten. Weiß er denn alles?«

»Gwiß. Ich betrüg kein'n!«

»Na, und jetzt kimmst nit mit leeren Händen.«

»Mutter«, schrie die Dirn zornig, »wann du mir von dem Geld redst, das ich dem Alten vor d' Füß gworfen hab und das du dir ohne meinm Wissen und Willen zug'eignet hast, so laß dir sagen, daß ich auch noch heut davon nix weiß und nix will! Überhaupt, hüt du dein Zung! Wann d' nur mit einm einzign unbedachtsamen Wort 'n Hausfrieden zwischen mir und mein Mann störst, so hat's gute Auskommen zwischen uns zwei ein End, und du sollst mich kennenlernen!«

»Na, na«, murmelte die Alte, »ich mein, ich kenn dich eh, Giftnickl du! Schau einmal!«

Damit schlich sie sich beiseite.[137]

Als abends die Matzner Sepherl kam, saß die Kleebinderin im Vorgärtel, sie erhob sich und hielt die Dirne, die mit freundlichem Gruße an ihr vorüber wollte, am Arme zurück. »Bleib ein wenig«, sagte sie, »ich wart da schon d' längste Zeit auf dich; ich muß dir doch sagen, was Neues da bei uns vorgeht, willst dann noch hnein, armer Hascher, so kannst's ja.«

»Je, du mein! Ja, was gibt's denn?«

»Sie sind wieder auf gleich.«

Die Dirne machte ihre wundernden Augen noch größer. »Sie sein wieder auf gleich? Ja, wer denn, Kleebinderin?«

Die alte Frau deutete nach der eigenen Hütte und dann nach der Zinshoferschen. »Hm! Der da drin und dö dort drübn!«

»Ei, so lach! Das is doch sein Ernst nit. Wie s' gegn ihn war ...«

»Daran denkt er nit, und sie laßt 'n sich nit drauf bsinnen. Nun, er mag tun, wie er für recht halt. Er is groß gnug, um sein Willen z' haben, und alt gnug zun Überlegen; aber das weiß ich, wenn er die heirat, ich bleib nit im Haus!«

Das Mädchen starrte der Alten in die feuchten Augen, plötzlich senkte es den Kopf, sagte tief aufseufzend: »Nun, so bhüt dich Gott, Kleebinderin«, kehrte sich ab und ging ungleichen Schrittes den Weg zurück, auf dem es hergekommen war, eine Strecke säumig schlendernd, die andere schußlich dahineilend. Die Leute, an welchen die Dirne, so verworren und verloren, vorüberstrich, lachten und meinten: »D' Matzner Sepherl tut schier was suchen, hat wohl 'n gestrigen Tag verloren.«

Möglich! Und vielleicht nicht nur den gestrigen, sondern mehrere Tage mit allem, was diese sie Liebes und Gutes hoffen ließen![138]

Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21977, S. 126-139.
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