Zweiundvierzigster Gesang

[279] 1.

Läßt sich ein Eisenband, ein Zügel finden,

Ja, mögen es demantne Ketten sein,

Den Zorn zu Maß und Ordnung festzubinden,

Daß er sich füg' in eine Regel ein,

Wenn du mit Trug siehst, mit Gewalt umwinden,

Wen deine Liebe dir ins Herz hinein

Mit einem starken Schlüssel hat geschlossen,

Und siehst ihn leiden, siehst sein Blut vergossen?


2.

Führt dann der Drang zu grausigem Beginnen,

Daß er entmenschte Rache sich verschafft,

Entschuldigung verdient's: im Herzen drinnen

Hat die Vernunft nicht Zepter mehr noch Kraft.

Achill sah von dem falschen Helme rinnen

Des Freundes Blut: – ihn, der ihn hingerafft,

Zu töten, wollte seine Wut nicht enden:

Er mußt' ihn schleifen auch, er mußt ihn schänden.


3.

Siegreicher Fürst! Solch einen Zorn entfachte

Damals in Eurer Schar der schwere Stein,

Der an der Stirn Euch traf, daß jeder dachte,

Die Seele müsse schon entflohen sein;

Entfachte mächtig: keine Rettung brachte

Dem Feind der Wall mit Graben und Bastein,

Sie fielen allesamt von unsern Hieben,

Daß für die Nachricht keine Boten blieben.
[280]

4.

Der Schmerz, den sie um Euren Fall empfanden,

Trieb Eure Krieger bis zur Raserei.

Bliebt Ihr auf Füßen danach aufrecht, fanden

Vielleicht sich ihre Schwerter minder frei.

Euch war's genug, daß sie nicht widerstanden

So viele Stunden dort in der Bastei,

Als Tage nötig für Granadas Scharen

Und Cordovas, sie wegzunehmen, waren.


5.

Vielleicht gefiel es Gott, es so zu wenden,

Damit nach jenem Wurfe in der Schlacht

Die argen Frevel ihre Sühne fänden,

Die unsre Feinde vor dem Kampf vollbracht,

Als, müd und wund, von ihren Mörderhänden

Der arme Vestidell ward umgebracht,

Er, waffenlos, in hundert Schwerter Mitten

Durch jene Rotte, gottlos und beschnitten!


6.

Ich muß – und damit schließ' ich nun – gestehen,

Daß wohl kein andrer Zorn dem Grimme gleicht,

Der, wenn wir einen Freund mißhandelt sehen,

Genossen oder Herren, uns beschleicht.

Drum ist jetzund auch Roland nicht zu schmähen,

Wenn hier sein Zorn das höchste Maß erreicht,

Als von Gradassos fürchterlichem Streiche

Am Boden liegt der Freund wie eine Leiche.


7.

Wie der Nomadenhirt, – wenn er geschwinde

Die Schlange huschen sieht, zur Flucht gekehrt,

Die grad im Sande seinem lieben Kinde

Mit gift'gem Zahn das Leben hat versehrt, –

Wütend und grimmig schwingt den Stock im Winde,

So schwingt das unvergleichlich scharfe Schwert

Mit wildem Zorn der Ritter von Anglante:

Der erste, den er trifft, ist Agramante,
[281]

8.

Der, blutbedeckt, den Schild entzweigehauen,

Des Schwerts beraubt – los hing der Helm ihm an –

(Die Wunden zähl' ich nicht an Leib und Brauen),

Den Händen Brandimarts gerad entrann,

Ein schwacher Sperber aus des Habichts Klauen,

Zu dem er, dumm und neidisch, flog heran.

Nun kommt der Graf, und mit des Schwertes Schneiden

Trifft er die Stell', wo Kopf und Rumpf sich scheiden.


9.

Frei war der Hals (gelöst der Helm vom Bande),

So daß er glatt ihn durchschnitt wie ein Rohr.

Er fiel; im letzten Zucken auf dem Sande

Lag er, der Libyens Herrscher war zuvor.

Der Geist entwich zur Flut: von ihrem Strande

Zog Charons krummer Haken ihn empor.

Der Paladin verweilt bei ihm nicht weiter,

Und Balisarda sucht den nächsten Streiter.


10.

Als dort Gradaß sah fallen Agramante,

Des Kopfs beraubt durch jenen großen Streich,

Da fühlt' er Furcht, die er noch niemals kannte;

Im Herzen bebend stand er, fahl und bleich.

Und als ihm naht' der Ritter von Anglante,

Scheint er besiegt; sein Schicksal ahnt er gleich.

Von Deckung wagt er Rettung nicht zu hoffen

Und wird vom Todesstreiche frei getroffen,


11.

Getroffen wird er in der rechten Seite

Unter der Rippe: und es ragt der Stahl

Links aus dem Bauch hervor um Spannenbreite,

Und bis zum Griffe spritzt des Blutes Strahl.

Der beste Held – durch alle Erdenweite –

Von allen Kriegern rings in Berg und Tal

Ist er gewiß, dem dieser Fürst erlegen,

Den keiner übertraf der Mohrendegen.
[282]

12.

Doch Roland kann der Sieg nicht freudig stimmen,

Und aus dem Sattel springt er unverweilt,

Worauf, mit nassen Augen und mit grimmen,

Zu Brandimart, dem armen Freund, er eilt.

Er sieht sein teures Haupt im Blute schwimmen;

Der Helm ist ihm wie mit der Axt zerteilt;

Und hätt' ihn eine Rinde sollen schützen,

Sie könnt' ihm wahrlich weniger nicht nützen.


13.

Der Graf löst ihm den Helm und sieht zerhauen

Das Haupt hinunter bis zum Nasenbein,

Gerade mitten zwischen beiden Brauen,

Doch so viel Leben nennt der Wunde sein,

Daß er dem Himmelsherrn sich kann vertrauen

Und vor dem Hingang flehn um sein Verzeihn,

Auch Roland, den in Tränen aufgelösten,

Noch zur Geduld ermahnen und ihn trösten.


14.

»Roland,« so sprach er an des Jenseits Borde,

»O schließe mich, mein Freund, in dein Gebet!

Und laß mich dir empfehlen meine Florde –«

»– lis« wollt' er sagen, doch es war zu spät.

Es tönen weiche himmlische Akkorde,

Wie Engelsstimmen durch die Luft geweht:

Gelöst vom Leibe, unter süßem Reigen

Zum Reiche Gottes geht die Seele steigen.


15.

Zwar freuen sollte Roland sich tiefinnen

So frommen Tods; er weiß, daß Brandimart

Zur Himmelshöh' als Sel'ger ging von hinnen:

Er sah es, wie sie ihm geöffnet ward. –

Doch bei der Schwachheit unsrer Menschensinnen

Erscheint es seinem Herzen allzuhart,

Für immer nun zu missen diesen einen

– Ihm mehr als Bruder –, ohne drum zu weinen.
[283]

16.

Sobrin, dem Bäche Bluts auf Wangen wallen

Und auf die Seite nieder, ist vorher

(Schon eine Weile mag es sein) gefallen

Und hat die Adern nun wohl ziemlich leer.

Nicht recht will's unterm Pferde dort gefallen

Herrn Oliver, er löst das Bein nur schwer;

Es ist verrenkt und von des Tieres Knochen,

Die auf ihm lagen, schon beinah zerbrochen.


17.

Hätte der Schwager nicht sich eingefunden

– Weinend und traurig –, um ihm beizustehn,

Selbst hätt' er nie dem Pferde sich entwunden:

Und solche Qualen hat er auszustehn,

Nachdem er frei ist, – Kraft ist ihm geschwunden,

Sich auf den Fuß zu stützen und zu gehn:

Das Bein ist ihm betäubt; kaum kann er's regen,

Kann ohne Hilfe nicht sich fortbewegen.


18.

Den Grafen macht der Sieg durchaus nicht heiter;

Mit Gram gedenkt er und mit Traurigkeit:

Tot liegt sein Brandimart, der edle Streiter;

Und nun vermehrt der Schwager noch das Leid!

Man fand Sobrin am Boden etwas weiter,

Mit wenig Licht an ihm, viel Dunkelheit:

Zu reichlich hatte sich das Blut ergossen;

Fast war mit ihm das Leben fortgeflossen.


19.

Den Blutbefleckten ließ nun Roland pflegen

Und auch behandeln klug mit Arzenei;

Er bracht' ihm, gütig sprechend, Gunst entgegen,

Nicht anders schier, als ob's ein Vetter sei.

Denn nach der Tat voll Milde war der Degen,

Von allem Groll und Übelwollen frei.

Er nahm den Toten Waffen fort und Rosse;

Was sonst noch übrig war, blieb seinem Trosse.
[284]

20.

Fulgoso will nun Zweifel hier erheben,

Ob wirklich wahr, was ich berichte, sei.

Er hat sich mit der Flotte ja begeben

Zu jedem Orte fast der Berberei.

Er fand das Eiland, sagt er, wenig eben,

Bergig und voll von Klippen mancherlei.

Es sei kein Platz darauf, so möcht' er schätzen,

Wo man den Fuß vermöge hinzusetzen.


21.

Ganz unwahrscheinlich sei's, müss' er bekennen,

Daß sechs erlesne Ritter an dem Ort

Die Pferde ließen aufeinander rennen.

Auf solchen Einwand hab' ich dieses Wort,

Daß wohl ein Platz, der passend war zu nennen,

Damals noch lag am Fuß der Klippe dort,

Erdbeben aber einen Fels bewegten

Und ihn hinunter auf die Stätte legten.


22.

Drum, heller Glanz Fulgosischen Geschlechtes,

Du heitrer, allezeit lebend'ger Strahl,

Sprachst du von mir ob dieser Sache Schlechtes

Und vor dem unbesiegten Herrn zumal,

Durch den dein Land sich wieder freut des Rechtes,

Das Zwietracht fernehält in Berg und Tal,

Dann bitt' ich, sag' ihm doch – sei so gewogen! –

Ich hätte wohl auch hierin nicht gelogen.


23.

Roland sah auf der Meeresflut vom weiten

Ein schönes Fahrzeug nahn, gar leicht und fein:

Das schien in großer Hast daherzugleiten

Und mit dem Kiel just nach dem Inselein.

Wer kam, bleib' eine Weile noch beiseiten,

Es wartet ja schon mehr als einer mein.

Laßt schauen, wie in Frankreich stehn die Sachen;

Ob nach dem Sieg sie weinen oder lachen!
[285]

24.

Wir wollen nach der Treuverliebten fragen,

Die all ihr Glück sah scheiden, ach, so weit;

Ich meine Bradamant, die, unter Klagen,

Den Schwur nun falsch fand, den vor kurzer Zeit

Ihr Roger schwor, und der ans Ohr getragen

Der Christen ward und Heiden beiderseit.

Nun er auch diesen Eid nicht hat gehalten,

Kann Hoffnung keine Schwinge mehr entfalten.


25.

Und Klag' erklingt aufs neu, und Tränen quellen,

Die nun vertraut ihr sind von lange her;

Falsch schilt sie Roger – wie in frühern Fällen –

Und nennt ihr Schicksal gar zu hart und schwer.

Dann läßt sie voll des Schmerzes Segel schwellen:

Das Strafgericht des Himmels säume sehr,

Und ungerechte Langmut sei's und Schwäche,

Wenn es gebrochnen Eid nicht schleunig räche.


26.

Wie sie des Seherspruchs dabei gedachte,

Da wußte sie Melissa wenig Dank,

Die ja mit lügnerischem Rate machte,

Daß sie – zum Tod – im Liebesmeer versank;

Worauf sie ihren Schmerz Marfisa brachte,

Den Bruder treulos nennend: liebeskrank

Weint sie und jammert, läßt nicht ab mit Flehen,

Ihr doch mit Rat und Hilfe beizustehen.


27.

Marfisa zuckt die Achseln, tut am Ende,

Was sie vermag, indem sie tröstend spricht,

Sie glaube nicht, daß er sich von ihr wende;

Gewiß sei schon sein Schritt hierher gericht't.

Doch wenn sie Roger wirklich treulos fände,

So duldete sie solches Unrecht nicht.

Er müsse seinem Eid Erfüllung bringen;

Sonst werde sie durch blut'gen Kampf ihn zwingen.
[286]

28.

So lindert sich ein wenig Schmerz und Bangen:

Wenn man ihm Luft macht, mildert sich der Brand.

Nun wir in Pein und Ängsten sahen hangen

(Und Roger treulos nennen) Bradamant,

Laßt schauen, ob es besser wohl ergangen

Dem Bruder, der mit Puls und Herz und Hand

Und Nerven, Mark und Knochen allzusammen

– Rinaldo mein' ich – glüht von Amors Flammen,


29.

Rinald, dem, ach, die Sinne schier vergingen

– Ihr wißt's – vor Sehnsucht nach Angelika.

Nicht ihre Schönheit zog ihn in die Schlingen,

Der Liebe Zauber war's, durch den's geschah.

Die Paladine gönnten Ruh' den Klingen;

Gebrochen war die Macht der Mohren ja.

Das Schicksal wollt' es, daß in Pein der Liebe

Von allen Siegern er gefangen bliebe.


30.

Er hatte hundert Späher ausgesendet

Und selbst nach ihr gesucht als eigner Bot'

Und sich zuletzt an Malegis gewendet,

Der ihm schon öfter half in seiner Not.

Nachdem er sein Geständnis hat beendet,

Gesenkten Blickes und das Antlitz rot,

So bittet er, daß er ihm Aufschluß gönne,

Wo man Angelika wohl finden könne.


31.

Erstaunt hört Malegis den jungen Degen

Von Lieb' erzählen und von Sehnsuchtsqual:

Hat's in Rinalds Belieben doch gelegen,

Mit ihr im Bett zu sein wohl hundertmal.

Er suchte damals selbst ihn zu bewegen

– Durch Drohen auch –, zu tun nach ihrer Wahl.

Jedoch mit allem, was er unternommen,

War er bei diesem nicht zum Ziel gekommen:
[287]

32.

Und Malegis saß doch im Kerker drinnen,

Und leicht konnt' ihn Rinald damit befrein!

Aus freien Stücken will er's jetzt beginnen,

Da schwierig alles, nutzlos obendrein.

Er möge sich – drängt Malegis – besinnen,

Wie schlecht es war, ihm nicht zur Hand zu sein.

Fast war die Weigrung Malegis' Verderben:

Er konnte leicht im dunklen Kerker sterben.


33.

Allein, je lästiger die Bitten klangen

Des Vetters und je schlechter angebracht,

Nur um so stärkre Zeichen – sah er – drangen

Zu ihm von dieser großen Liebe Macht.

Die Wellen der Vergessenheit verschlangen

Bei Malegis hinab in tiefe Nacht

Erinnerung, des Unrechts Angedenken,

Und er entschloß sich, Beistand ihm zu schenken.


34.

Er nahm sich Frist zur Auskunft, ließ ihn hoffen,

Daß für ihn günstig laute der Bescheid:

Wo nur Angelika werd' angetroffen,

Erfahr' er's wohl, und sei sie noch so weit.

Zur Grotte dann, verborgen hinter schroffen

Felswänden, wo er der Magie sich weiht,

Geht Malegis und ruft zum Dienst als Meister

Mit seinem Zauberbuch die Schar der Geister.


35.

Einen, der wohl erfahren in der Minne,

Wählt er daraus und heißt ihn künden, was

Es mit dem Jüngling sei, den, hart von Sinne

Und hart von Herzen, plötzlich Lieb' erfass',

Und hört: zwei Brunnen geb's; aus einem rinne

Der Liebe Glut und aus dem andern Haß.

Vom Übel eines Quelles aber heile

Stets nur der andre mit dem Gegenteile.
[288]

36.

Vom Wasser – hört' er –, das die Glut vergehen

Macht, nippte einst Rinald am Brunnen hier,

Versagte sich darum dem langen Flehen

Angelikas so hart und grausam schier.

Doch Unstern wollte, Unheil soll' entstehen:

So trank der Ritter liebende Begier

Vorn andern Quell, daß ihm fortan vor allen

Die teuer war, die früher ihm mißfallen.


37.

Derweil nun er, von Mißgeschick getrieben,

Aus eis'gem Bache schlürfte Feuerglut,

Trank sie vom andern Quelle, der das Lieben,

Die süße Regung, raubt mit seiner Flut;

So ferne war sie jetzt von holden Trieben:

Wie eine Schlange haßt sie ihn voll Wut.

Er brannte, dem an Lieb' es eben fehlte,

Nicht minder stark, als erst ihn Groll beseelte.


38.

Ausführlich hat der Geist nun unterrichtet

Vom wunderbaren Fall den Malegis,

Und von Angelika danach berichtet,

Wie sie dem jungen Mohr sich überließ,

Und wie sie dann die Anker hat gelichtet

Und indienwärts ihr Schifflein segeln hieß,

Europa fern, dort auf dem span'schen Meere,

In kühner katalanischer Galeere.


39.

Als drauf der Vetter kam, um nachzufragen,

Da sagte Malegis, er wär' ein Tor,

Lieb' er sie noch; die habe sich betragen

Recht ungeziemend mit dem niedern Mohr;

Auch sei sie jetzt von Frankreich weit verschlagen,

Daß sich beinah schon ihre Spur verlor.

Von ihr und Medor sei vom Frankenlande

Der halbe Weg getan zum Heimatstrande.
[289]

40.

Daß seine Vielgeliebte fortgegangen,

Das hätt' ihn wohl nicht also schwer bedrückt;

Auch schüf' ihm der Gedanke wenig Bangen,

Von fern zu holen, die sein Herz entzückt.

Doch daß ein Mohr konnt' ihre Gunst erlangen,

Daß ihm der Liebe Knospe weggepflückt, –

Das macht sein Herz in solchem Leid erbeben,

Wie er's noch niemals hat gefühlt im Leben.


41.

Nicht fähig einer Antwort ist der Ritter,

Die Lippen zittern wie des Herzens Grund;

Die Zung' ist herb – als tränk' er Gift – und bitter,

Sie stockt; kein Wörtlein bringt hervor der Mund.

Hinweg von Malegis auf einmal schritt er

Und, von der Eifersucht gejagt jetzund,

Mit Kummer und mit Klagen ungeheuern

Zum Morgenland beschloß er hinzusteuern.


42.

Er bat den Kaiser, Urlaub zu gewähren,

Ein Vorwand diente, daß er den bekam:

Er müsse gegen den Gradaß sich wehren,

Der wider Ritterpflicht das Roß ihm nahm;

So zieh' er jetzt des Wegs, ihn zu belehren:

Nie dürf' er prahlen ohne jede Scham,

Er komm' auf einem Streitroß angeritten,

Das er von einem Paladin erstritten.


43.

Voll Trauer ließ es Kaiser Karl geschehen,

Und in die Trauer stimmte Frankreich ein;

Doch mocht' er seinem Wunsch nicht widerstehen,

So wohlbegründet schien er ihm zu sein.

Dudo und Guido wollten mit ihm gehen,

Indes verweigert ward es allen zwein.

Er läßt Paris, allein mit Gram im Herzen,

Und Seufzern viel und großen Liebesschmerzen.
[290]

44.

Er konnte sie vieltausend Male haben,

So führt Erinnerung ihm quälend vor:

Und tausendmal so seltner Schönheit Gaben

Verschmähte trotzig, ach, der blinde Tor.

Statt wonnevoll am Glücke sich zu laben,

Geschah's, daß er die schöne Zeit verlor.

Zu sterben würd' ihn heute nicht verdrießen,

Könnt' er sie einen kurzen Tag genießen.


45.

Und immer sinnt er – Stunden über Stunden –

Wie es geschah, daß solch ein armer Fant

Ihr Lieb' und Schätzung andrer hab' entwunden

Und diese gänzlich ihrem Sinn entschwand.

Also gedankenschwer, im Herzen Wunden,

Macht Herr Rinald sich auf zum Morgenland,

Zum Rhein geschwind, nach Basel zu gelangen,

Bis der Ardennen Wälder ihn umfangen.


46.

Als er so manche Meile war geritten

Hin durch den abenteuerreichen Wald,

Befand er sich in öden Grundes Mitten,

Von Städten fern und Menschenaufenthalt,

Wo vor die Sonne plötzlich Wolken glitten,

Und ganz umdüstert war der Himmel bald;

Aus einer Höhle trat – ihn faßte Grauen –

Ein Ungetüm: war wie ein Weib zu schauen;


47.

Am Kopf hat's tausend Augen ohne Lider,

Kann sie nicht schließen, immer schlummerlos;

Hat tausend Ohren auch; es ringelt nieder

An Haares Statt ein Schwarm von Schlangen groß.

Hervor aus Höllendunkel regt es Glieder

Entsetzenvoll, geht auf den Reiter los.

Ein wilder, mächt'ger Wurm dient ihr zum Schweife

Und schlingt sich um die Brust zu einer Schleife.
[291]

48.

Und nun geschah, was niemals vorgekommen

War bei Rinald in schrecklichster Gefahr:

Als er das Untier sieht zum Angriff kommen

Und auf ihn stürzen mit dem Schlangenhaar,

Macht plötzlich solche Furcht sein Herz beklommen,

Wie sie vielleicht noch nie zu spüren war.

Doch eilt gewohnter Mut sich zu erheben:

Der Ritter schwingt das Schwert, wiewohl mit Beben.


49.

So mächtig ist das Scheusal vorgedrungen,

Daß man erkennt, es ist im Kampf bewährt;

Die Schlange hat sich in die Luft geschwungen,

Bis sie mit Zischen wieder niederfährt.

Von allen Seiten kommt es angesprungen,

Daß er den Hieb verfehlt und schlecht sich wehrt.

Er haut die Quer, haut mit geraden Streichen,

Doch kann er nie das Ungetüm erreichen.


50.

Das Scheusal warf ihm auf die Brust die Schlange,

Daß es wie Eis ihm durch die Adern floß,

Und stieß sie durchs Visier auf Hals und Wange,

Wo das Gewürm nun auf und nieder schoß.

Da wich Rinald des kalten Grausens Drange,

Mit aller Kraft spornt er sein gutes Roß:

Allein die Höllenfurie ist behende

Und schwingt sich hinter ihm aufs Pferd am Ende.


51.

Er reitet kreuz und quer, doch sonder Fehle

Bleibt bei dem Ritter die verwünschte Pest;

Wie er sie loszuwerden auch sich quäle

Und seine, Sporen brauch' aufs allerbest.

Es bebt wie Espenlaub des Jünglings Seele,

Wenn sonst der Wurm auch Schaden unterläßt;

Doch solchen Schauder fühlt er, solches Grauen –

Er kreischt und wünscht das Licht nicht mehr zu schauen.
[292]

52.

Das ärgste Dickicht sucht er, Wüsteneien,

Die trübsten Schluchten und den tiefsten Grund,

Wo schwarz die Luft, die Pfade dornig seien

Und mühevoll und steil durch Klipp' und Schlund.

So hofft er von dem Ding sich zu befreien,

Dem grausigen, das in der Höll' entstund.

Die Sache nähme wohl ein schlechtes Ende,

Wenn Hilfe nicht zur rechten Zeit sich fände.


53.

Von einem Ritter sollte sie ergehen,

Der schön gerüstet kam in lichter Wehr:

Ein Joch, zerbrochen, war am Helm zu sehen;

Um gelben Schild wallt rote Flamme her.

Dieselben Zeichen sind am Kleid zu sehen

Und an des Pferds Schabracke dann noch mehr.

Er naht, den Speer im Arm, das Schwert zur Seiten;

Die Keul' am Sattel blitzt in ferne Weiten.


54.

Ewigen Feuers voll ist dies Gewaffen,

Das immer leuchtet, niemals sich verzehrt.

Kein Schild, kein Harnisch kann sich ihm entraffen,

Kein Helm – wie stark er sei – hat Schutz beschert.

Allübrall muß der Ritter Raum sich schaffen,

Wohin er nur die ew'ge Leuchte kehrt.

Und keiner andern Rettung aus den Klauen

Des Ungetüms kann sich der Held vertrauen.


55.

Als echter Ritter, wo der Lärm erklungen,

Da sprengt der Fremde hin ohn' Aufenthalt

Und sieht: von Knoten tausendfach umschlungen

Ist von dem Schlangenscheusal Herr Rinald.

Denn loszukommen war ihm nicht gelungen,

Und immer wechselnd ward ihm heiß und kalt.

Der Ritter kommt und sticht und macht zur Linken

Vom Pferd das arge Scheusal niedersinken.
[293]

56.

Doch kaum gestürzt, hat es sich schon erhoben

Und schwingt und dreht die große Schlang' im Kreis.

Der andre hat den Speerstoß aufgeschoben

Und macht dem Untier mit dem Feuer heiß:

Da, wo die Schlange zischt, da fliegt der Kloben,

Und Schlag um Schlag! Man meint, ein Hagel sei's.

Der Bestie fehlt die Zeit, um aufzuspringen:

Kein Hieb – ob gut, ob schlecht – will ihr gelingen.


57.

Das Untier haltend oder jagend (Schläge

Rächen des Scheusals Frevel ohne Zahl),

Rät er Rinald, zu fliehen auf dem Wege,

Der in die Höhe führ' hinauf vom Tal.

Gehorsam eilt der fort auf jenem Stege

Und blickt auch nicht zurück ein einzigmal,

Bis er entschwindet dem Gesicht der Schlimmen,

Ist auch der Berg gar mühsam zu erklimmen.


58.

Nachdem zum dunklen Höllenloch der Ritter

Das arge Scheusal hat zurückgejagt

(Aus tausend Augen weint und klagt es bitter,

Derweil es sich zerfleischt und sich zernagt),

Galt es, Rinaldo führen: weiter ritt er;

Er folgt ihm nach, hin, wo die Höhe ragt,

Zur Bergesspitz' hinauf ihn zu begleiten

Und aus der Finsternis herauszuleiten.


59.

Als wieder die zwei Herrn zusammenkamen,

Da schwur Rinald dem Retter Dankbarkeit:

Die werde, sagt' er, nimmermehr erlahmen,

Sein Leben geb' er ihm zu jeder Zeit.

Dann fragt' er höflich nach des Ritters Namen,

Zu wissen, wer ihn aus der Not befreit;

Damit er aller Welt den Helden weise,

Zumal Herrn Karl, und seine Güte preise.
[294]

60.

Der Ritter sprach: »Mög' es dir nicht mißfallen,

Verschweig' ich meinen Namen noch jetzund:

Eh einen Schritt die Schatten länger fallen,

Und bald wird das geschehn, mach' ich ihn kund.«

Dann sehn sie eines Bächleins Fluten wallen,

Es murmelt, lockt die Schäfer in der Rund'

Und Wandrer, wenn die müden Glieder sinken,

Vergessenheit der Liebe dort zu trinken.


61.

Hier war es, Herr, daß kalt die Fluten flossen,

Die jeder Lieb' entreißen die Gewalt.

Der Haß Angelikas war da entsprossen:

Sie trank – und fühlte Abscheu vor Rinald.

Und hatt' auch ihn das Fräulein erst verdrossen,

Und nahm sein Haß so mächtige Gestalt,

So trugen alle Schuld nur diese Wogen:

Aus ihnen hatt' er seinen Haß gesogen.


62.

Er, dem's gefiel, den Jüngling zu begleiten,

Sprach, angelangt an jener klaren Flut

(Müd von der Hitze, hielt er an im Reiten):

»Ein wenig Rasten keinen Schaden tut.«

»Nein,« sprach Rinald, »nur Gutes kann's bereiten:

Es drückt ja nicht allein des Mittags Glut;

Auch das Gespenst hat arg mich mitgenommen,

Da wäre Rast mir lieb und hochwillkommen.«


63.

Das Paar steigt ab und läßt die Renner weiden

Nach Herzenslust im Walde dichtbelaubt.

Im Hag, den Blumen rot und gelb umkleiden,

Da nehmen beide ihren Helm vom Haupt.

Nun will Rinald nicht länger Durst erleiden:

Er geht zum Quell und trinkt – und eh er's glaubt,

Hat ihm ein Schluck aus jenen kalten Fluten

Den Durst verjagt und aus der Brust die Gluten.
[295]

64.

Als ihn der fremde Held sah aufgestanden

(Rinald zog seinen Mund vom Wasser dort,

Und Liebeswahn und tolles Sehnen schwanden

Aus reuigem Gemüte gänzlich fort),

Da reckt' er sich, und strengen Ausdruck fanden

Die Blicke, und der Mund sprach dieses Wort:

»Der Männerstolz, Rinald, bin ich geheißen

Und kam, unwürd'gem Joch dich zu entreißen.«


65.

Er spricht's und ist im Augenblick verschwunden,

Zu gleicher Zeit verschwunden auch das Roß.

Ein Wunder ward es von Rinald befunden:

Er blickt umher: »Ob er in Luft zerfloß?«

Und weiß nicht, hat ihn Gaukelwerk umwunden

Des Malegis, der seinem Dienertroß

Vielleicht gebot, die Ketten zu zerspalten,

Die ihn umstrickt so lange Zeit gehalten?


66.

Schickte den Engel ihm der Weltenmeister,

Wie ihn Tobias seine gnäd'ge Hand

In großer Güte, um den zähen Kleister

Vom blinden Aug' zu nehmen, hat gesandt? –

Doch seien's gute, seien's schlimme Geister,

Durch wen er immer seine Freiheit fand,

Dem zollt er Lob und Dank; ihm ganz allein ist

Zu danken, daß er frei von Liebespein ist.


67.

Aufs neu ist ihm Angelika zuwider,

Und gänzlich unwert deucht sie ihm zu sein,

Er regt für sie nicht länger seine Glieder,

Geschweige weithin, nein, kein Stündelein.

Bloß seinen Bajard hätt' er gerne wieder:

So zieht es ihn nach Indien doch hinein,

Wozu ihn jetzt die Ehre noch verpflichtet;

Auch hat er ja dem Kaiser so berichtet.
[296]

68.

Tags drauf kam er nach Basel, wo zur Stunde

Die Nachricht von dem Kampfe war bekannt,

Den Roland sollte, mit noch zwein im Bunde,

Gegen Gradaß bestehn und Agramant.

Ins Frankenland gelangte diese Kunde

Nicht etwa durch den Ritter von Anglant;

Ein Mann war, der sie aus Sizilien brachte,

Und eiligst mit dem Schiff die Reise machte.


69.

Rinald sieht sich entfernt von jener Stätte

Und nähme gerne doch am Kampfe teil:

Er wechselt Pferd und Führer um die Wette

Und treibt und spornt und peitscht sein Tier zur Eil'.

Es geht nach Konstanz; von des Rheines Bette

Hin nach Italien über Alpen steil,

Verona und dann Mantua vorüber

Zum Po, und in der größten Hast hinüber.


70.

Die Dämmerungen lagen auf der Gegend,

Am Himmel stieg das erste Sternlein auf,

Da stand Rinald am Ufer, überlegend,

Ob er ein Pferd sich satteln soll zum Lauf,

Ob bleiben, bis, die Nacht zur Flucht bewegend,

Die schöne Eos wieder steig' herauf:

Und einen Ritter sah er vor sich stehen,

Edel von Wesen, männlich anzusehen.


71.

Der grüßt, und höflich stellt er drauf die Frage,

Ob einem Weib er wohl verbunden sei.

»Ja,« sprach Rinald, »das Ehejoch ich trage«;

Ein wenig wundert er sich wohl dabei.

Sprach der: »Mich freut es, daß ich's offen sage.«

Und weiter, zu erklären mancherlei,

Sagt er: »Ich bitte, wolle dich bequemen,

Für diese Nacht Quartier bei mir zu nehmen!
[297]

72.

Was jeder, der ein Weib hat an der Seiten,

Gern sehen sollte, laß ich gleich dich schaun.«

Rinald, teils weil er müd vom langen Reiten,

Sich wohl der Ruhe möchte anvertraun,

Teils, weil ihm Abenteuer Lust bereiten

Und ihn zu allen Zeiten recht erbaun,

Ist – willig zu willfahren dem Verlangen –

Auf neuem Pfad dem Ritter nachgegangen.


73.

Nach Pfeilschußweite war ein Weg: sie wandten

Sich seitwärts, kamen bald zu einem Schloß,

Wo zum Empfange viele Knappen rannten,

Mit Fackeln, draus ein Lichtstrom sich ergoß.

Rinald sah drinnen, als die Fackeln brannten,

Pracht, wie er nur noch selten sie genoß:

Ein hoher Bau mit Räumen, schönen, weiten –

Und ein Privatmann könnt' es kaum bestreiten.


74.

Porphyr und harter Serpentin, sie fügen

Zum Prunkgewölb' sich bei der Pforte gleich.

Figuren an der ehrnen Tür – als trügen

Die Bilder Leben, regten sich sogleich! –

Am Bogen hin läßt sich der Blick betrügen

Durch Mosaik, erlesen, schön und reich.

Ein Viereck folgt; darum sind Hallengänge,

Jeder hat hundert Ellen in der Länge.


75.

Ihr eignes Tor hat jede solche Halle;

Ein Halbrund geht von ihr nach diesem Tor.

Gleich ist der Umfang, doch in jedem Falle

Der Meister andres Schmuckwerk sich erkor.

Nach oben führen hin die Bogen alle,

Und so bequem: ein Lasttier stieg' empor.

Auf jeder Trepp' ist solch ein Halbrund oben

Als Eingang jedem Saale vorgeschoben.
[298]

76.

Die Bogen oben aus der Linie ragen

So weit, dem großen Tor ein Dach zu sein.

Und je zwei Säulen einen Bogen tragen,

Aus Erz zum Teil, zum Teil aus starkem Stein.

Zu lange würd' es währen, wollt' ich sagen,

Wieviel Gemächer waren, schmuck und fein,

Und was, wohin das Auge nicht kann schauen,

Der Meister unten noch verstand zu bauen.


77.

Die Säulen mit den goldnen Kapitälen,

Darauf juwelenreich die Decke ruht,

Aus fremdem Marmor Statuen in den Sälen,

Kunstreich geformt von hohen Meistern gut,

Und Bilder viel und Bronzen nicht zu zählen

(Wiewohl dem Blick das Dunkel Abbruch tut).

Zusammen einen solchen Reichtum zeigen –

Zwei Königen ist solcher Schatz nicht eigen.


78.

Noch herrlicher als diese Kostbarkeiten

Und was im Saale sich noch sonst befand,

Ein Brunnen war: der goß nach allen Seiten

Quellfrische Flut bis an des Beckens Rand.

Auf diesem Platz ging man den Tisch bereiten,

Weil er sich in der Mitte grad befand:

Vier Tore sah man – und man ward gesehen –

Von hier: so reichlich war das Schloß versehen.


79.

Von hochgelehrtem Meister klug ersonnen

Und kunstvoll und mit vieler Müh' vollbracht

In Zeltes Art, stand hier der schöne Bronnen,

Schattig und kühl, geteilt in Felder acht.

Ein goldner Himmel, fein, wie übersponnen

Mit buntem Schmelze, hielt ihn überdacht:

Aus weißem Marmor sah man acht Gestalten,

Von deren linker Hand er ward gehalten.
[299]

80.

Füllhörner sieht man in den rechten Händen

(So wollt' es klug des Meisters hoher Sinn):

Dort in das Alabasterbecken senden

Sie murmelnd frische Wasserfluten hin.

Kunstvoll gestaltet ist aus Pfeilerwänden

Stets eine hohe Frau und Herrscherin.

Verschieden an Gewändern wohl und Mienen,

Doch alle gleich an Huld und Schönheit schienen.


81.

Zwei Statuen je (auf ihren Schultern stehen

Fraunbilder) sind darunter angebracht

Und lassen durch den offnen Mund ersehen,

Daß ihnen Sang, Musik Vergnügen macht,

Und daß ihr Wunsch und Werk darin bestehen,

Zu preisen jener Damen Huld und Macht,

Dem Dienst der edlen Frauen ganz ergeben,

Wenn jeder wäre, was er scheint, im Leben.


82.

Die unteren Figuren alle halten

Beschriebne Rollen, mächtig groß und breit:

Es scheint, daß sie die ganze Kraft entfalten,

Zu loben ihre Damen allezeit.

Sie zeigen auf die Namen der Gestalten,

Die man dort liest in aller Deutlichkeit.

Rinald kann bei den Fackeln gut erkennen,

Wie sich die Damen und die Ritter nennen.


83.

Die erste Inschrift nennt mit hohen Ehren

Lucrezia Borgia, ruhmvoll überaus,

Die Romas alten Glanz noch weiß zu mehren

Und über jene erste ragt hinaus.

Die beiden, die sie preisend hoch verehren

(Sie machen Pflicht und Ehre sich daraus),

Als Tebaldeo, Strozzi hier genannt sind

Und einem Orpheus, Linus nah verwandt sind.
[300]

84.

Nicht minder schön erscheint an zweiter Stelle

Ein andres Standbild, und die Inschrift heißt:

»Ercoles Tochter ist es, Isabelle.

Daß wir sie unser nennen, höher preist

Dies einst Ferrara in des Glückes Helle,

Als was ihm das Geschick noch sonst erweist

An Gunst – so weit die holden Jahre rollen –

Mit reichen Gaben und verheißungsvollen.«


85.

Die zwei dort – die voll heller Freude scheinen,

Daß ihren Ruhm die weite Erde find' –

(Der Name Gian Jacob wird sie vereinen),

Calandra und Herr Bardellone sind.

An dritter und an vierter Stell' erscheinen,

Wo rasch das Wasser aus dem Zelte rinnt,

Zwei Damen, denen gleicher Stamm beschert ist;

Und gleich auch Heimat, Schönheit, Ehr' und Wert ist


86.

Beiden, Elisabeth und Leonoren;

Der Mantostadt – so meldet dort der Stein –

Ist auch dies Paar zu solchem Ruhm erkoren

Und wird durch sie so hoch gefeiert sein,

Daß nicht Vergil den Mauern dort und Toren

Vermöchte größre Glorie zu verleihn.

Am Saum der Erstgenannten sind zu sehen

Bembo und Sadolet, die huld'gend stehen.


87.

Arelio mit dem feinen Castiglione

Als Träger unterm Fuß der andern stand.

Man rühmt sie jetzt als hoher Weisheit Krone;

Doch damals waren sie noch nicht bekannt.

Nun kam die Dame, der vom Himmelsthrone

Gott solche Tugend gibt: in keinem Land,

Ob es nun Glück mag oder Unglück kennen,

Ist eine zweite neben ihr zu nennen.
[301]

88.

Lucrezia Bentivoglio nennt zu Füßen

Die Goldschrift; bei dem Lob, das man ihr beut,

Heißt es, daß, sie als Tochter zu begrüßen,

Sich einst der Herzog von Ferrara freut.

Camill singt ihr mit Tönen, hellen, süßen: –

Am Reno, in Felsina, da erneut

Sich Staunen, so, wie einst am Uferhange

Amphrysus lauschte jenes Schäfers Sange –


89.

Mit ihm ein andrer: Ruhm dem Lande bringen

Soll er, wo der Isaur wird salzesschwer –

Zum Inder und zum Mohren wird er dringen

Vom Südgestade nach des Nordens Meer

Und heller als das Gold des Römers klingen,

Von dem der ew'ge Name rührte her, –

Dich mein' ich, Postumo, den ehrenreichen,

Dem Pallas mit Apoll den Kranz wird reichen.


90.

Als nächste sieht Diana man erscheinen.

Stoßt euch nicht dran – die Schrift des Marmors spricht's –,

Daß stolz sie dreinschaut; denn in ihr vereinen

Sich mildes Herz und Schönheit des Gesichts.

Durch Celio Calcagnin ertönt – und seinen

Gesang – ihr Name bis zum Land des Lichts,

Zum Reiche des Monäses und des Juba;

Indien und Spanien hören seine Tuba


91.

Und des Cavall, der eine Musenquelle

Entspringen läßt dort bei Ancona dicht,

Wie Pegasus an jener Bergesstelle

(Am Helikon? – Parnaß? – ich weiß es nicht).

Beatrix drauf erhebt die Stirn, die helle,

Und folgendes von ihr die Inschrift spricht:

»Sie wird das Glück des Gatten sein im Leben,

Nach ihrem Tod ihn an das Unglück geben,
[302]

92.

Ihn und Italien: denn verlorengehen

Wird's ohne sie; mit ihr es triumphiert.«

Den von Correggio kann man drunter sehen,

Der einen Hymnus hohen Stils studiert.

Timotheus scheint diesem beizustehen,

Er, der das Haus der Bendedei ziert.

Den Strom, wo einst des Ambra Tropfen quollen,

Der beiden süße Lieder fesseln wollen.


93.

Zwischen der ersten dieser edlen Frauen,

Der Borgia, wie gesagt, und dieser hier

In Alabaster schön ist ausgehauen

Ein Frauenbild, erhaben scheint es dir.

Im Schleier nur und schwarzen Kleid zu schauen,

Ohne Juwelen, ohne goldne Zier,

Strahlt unter den Geschmückten diese eine,

Wie Venus strahlt bei andrer Sterne Scheine.


94.

Wer sie so recht betrachtet, muß sich fragen,

Ob Anmut mehr, ob Schönheit uns erbaut:

Ob höher Geist und Seelenadel ragen,

Ob Hoheit holder auf uns niederschaut.

»Wer« – heißt's am Stein – »von dieser Frau zu sagen

Das, was ihr wohl gebührte, sich getraut,

Der hat das Höchste, traun, sich vorgenommen,

Doch wird er nie damit zu Ende kommen.«


95.

Wie sehr auch immer Huld und Anmut eigen

Dem edelschönen, wohlgeformten Stein,

Scheint er doch Unmut ob des Sangs zu zeigen,

Den einer anstimmt, ach, mit Stümperein

(Kein zweiter Sänger führt mit ihm den Reigen,

Weiß nicht, warum); er trägt das Bild allein.

Der Name war bei allen sonst geschrieben,

Und ungenannt nur diese beiden blieben.
[303]

96.

Umringt von diesen Bildern, mit Korallen

Gepflastert, schlingt sich, trocken, dort ein Rund,

Wo lieblich Kühle weht; denn frisch, kristallen

Ergießt die Flut sich aus der Röhren Mund,

Um fruchtbar draußen als ein Bach zu fallen

Auf eine Wiesenau, von Blumen bunt,

Wohin noch Rinnen kühles Wasser schicken

Und durstiges Gesträuch und Gras erquicken.


97.

Mit seinem art'gen Wirte saß beim Essen

Plaudernd der Paladin; von Zeit zu Zeit

Ermahnt er ihn, doch ja nicht zu vergessen,

Den er ihm geben wollte, den Bescheid.

Allein des Wirtes Seele schien zu pressen –

Aufblickend sah er das – ein großes Leid:

Ein tiefer Seufzer aus des Herzens Grunde

Stieg jeden Augenblick herauf zum Munde.


98.

Oft kam der Laut, getrieben von Verlangen,

Rinald zu fragen, an des Ritters Ohr;

Doch weiter ließ die Scheu ihn nicht gelangen,

Und wieder schloß sich seiner Rede Tor.

Da setzt, nachdem die Mahlzeit hingegangen,

Ein Junker, den der Herr zum Dienst erkor,

Hin auf den Tisch ein Trinkgefäß, ein feines,

Mit Steinen außen, drin voll edlen Weines.


99.

Lächelnd und mit verlegenem Gebaren

Der Wirt dem fremden Gast ins Auge sah:

Wer acht gab, konnte leicht dabei gewahren,

Ihm war das Weinen mehr als Lachen nah.

Er sprach: »Du sollst, woran du mahnst, erfahren:

Die Zeit dafür, so scheint mir, ist nun da.

Sogleich erblickst du eine Musterprobe,

Die wert ist, daß ein Ehemann sie lobe.
[304]

100.

Ich bin der Meinung: jeder Ehmann achte

Auf seiner Gattin Liebe; ob am End'

Sie Tadel, ob sie eitel Ehr' ihm brachte;

Ob man ein Tier ihn oder Menschen nennt.

Man trägt die Hörnerlast gar leicht und sachte,

Wenn auch die Welt nicht größre Schande kennt.

Fast alle Leute sehn die Hörner ragen,

Nur die nicht, die sie auf dem Haupte tragen.


101.

Wem treu die Gattin war zu allen Stunden,

Der hat zu Lieb' und Ehre Grund fürwahr,

Mehr als, wer seine Gattin schlecht befunden,

Und einer, der darob in Zweifel war.

Der Gatte schlug gar manchem Weibe Wunden

Durch Eifersucht, das treu war immerdar.

Und mancher geht des Weges stillzufrieden,

Dem dauerhafte Hörner sind beschieden.


102.

Willst du, ob treu dein Weib ist, nun erfahren –

Du glaubst es, glaub' ich, wie du's glauben mußt,

Denn ohne Nachweis (dieses liegt im klaren)

Gewährt ein andrer Glaube wenig Lust –

Kannst du der andern Zeugnis dir ersparen:

Ein Schluck aus diesem Krug macht dir's bewußt!

Nur darum ließ ich auf den Tisch ihn stellen,

Um, was ich dir versprach, nun aufzuhellen.


103.

Trinkst du, wird sich ein großes Wunder zeigen:

Trägst du die Helmeszier von Cornewall,

Kann nach dem Gaumen nicht ein Tropfen steigen:

Der Wein verspritzt sich auf dem Busen all.

Du trinkst ihn, wenn ein treues Weib dein eigen.

Wohlan, so prüfe: was ist nun dein Fall?« –

Er spricht's und schaut gespannt, zu sehn entschlossen,

Daß sich der Wein hab' auf die Brust ergossen.
[305]

104.

Als such' er schleunigst, was ihm nach dem Nippen

Am Ende sehr gereut, will Haimons Sohn

Die Probe machen, und an seine Lippen

Führt er das Krüglein, das gepackte, schon:

Da denkt er plötzlich, was für böse Klippen,

Wenn er vom Weine trinke, hier ihm drohn. –

Doch laßt mich, Herr, ein wenig Ruhe pflegen:

Nehmt dann Rinalds Erwiderung entgegen!

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 3, S. 279-306.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

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