Vierte Szene

[173] Der Chor. Strepsiades kommt mit einem Mehlsack auf dem Rücken. Dann: Sokrates. Pheidippides. Später: Pasias mit einem Begleiter. Amynias.


STREPSIADES.

Noch fünf, dann vier, dann drei, dann nur noch zwei,

Und dann der Tag der Schrecken, den ich mehr

Als alle fürcht' und hasse, der verfluchte,

Dann ist er da, o weh, der Alt' und Neue.

Da kommen denn die Gläubiger, hinterlegen

Die Sporteln, drohn und schwören, mich vom Hof

Zu jagen, taub für all mein Flehn und Bitten:

›Nimm, Bester, nicht mein Letztes! Gib Termin!

Erlaß mir das!‹ – Was hilft's, sie sagen: ›Nein!

Wir wollen unser Geld, sonst geht's zum Teufel!‹

Ich sei ein Lump, Betrüger! Kurz, sie klagen. –

Klagt ihr, solang ihr wollt! Das schiert mich wenig,

Wenn nur Pheidippides brav reden lernt! –

Muß doch einmal an die Butike klopfen

Und sehn, wie's geht. Heda!


Klopft. Sokrates kommt heraus.


SOKRATES.

Strepsiades? –

Willkommen!

STREPSIADES.

Dank! Da nimm den Sack einmal!


Stellt den Mehlsack ab.


Muß doch dem Lehrer mich erkenntlich zeigen!

Was macht er denn, mein Sohn? Kapiert er? Kann er

Die neue Kunst, die du erfunden hast?

SOKRATES.

Er kann sie.

STREPSIADES.

Dank dir, Göttin Schelmerei!

SOKRATES.

Laß klagen, wer da will! Er haut dich durch!

STREPSIADES.

Auch wenn der Gläubiger Zeugen hat?[174]

SOKRATES.

Nur um

So besser, und wenn's tausend Zeugen wären!

STREPSIADES.

»Juheisa! laut jubilier' ich, überlaut!

Heil mir!« und ihr – heult, ihr Pfenningfuchser! Weh

Euch, eurem Kapital und Zinseszins!

Versucht es jetzt und spielt mir einen Streich!

Hab' ich da innen im Haus

Doch einen trefflichen Sohn,

Zweischneidig blitzt seine Zunge!

Mein Hort, mein Retter, meiner Feinde Schrecken,

Der, mein Erlöser, die Last wälzt von des Vaters Herz!


Zu Sokrates.


Ruf ihn heraus! Geschwind! Lauf, lauf, ich muß ihn sehn!


Sokrates geht hinein.


»Komm, o mein Sohn, mein Sohn!

Liebstes Kind, höre, dein Vater ruft!«


Sokrates kommt mit Pheidippides heraus.


SOKRATES.

Da hast du den Mann!

STREPSIADES ihn umarmend.

Teurer Sohn! Teurer Sohn!

SOKRATES.

Nimm ihn hin und geh!


Geht wieder hinein.


STREPSIADES.

Juhe, mein Sohn,

Juheirassa!

Das ist 'ne Freude! Wie gelehrt du aussiehst!

Aus deinen Augen blitzt der Widerspruch,

Das Leugnen; und das übliche: »Was schwatzst du?«

Zuckt um den Mund dir, und der Ernst, womit

Man sich beleidigt stellt, wenn man beleidigt.

Das kenn' ich: echt athenisch ist dein Blick!

Einst mein Ruin, jetzt sei mein Retter, Sohn!

PHEIDIPPIDES.

Was fürchtest du?

STREPSIADES.

Ach Sohn, den Alt' und Neuen!

PHEIDIPPIDES.

Was soll denn das? Der alt' und neue Tag?

STREPSIADES.

Der Tag, wo sie die Sporteln hinterlegen –

PHEIDIPPIDES.

Und ihre Hinterlag' auch schön verlieren:[175]

Denn ein Tag ist doch nicht zugleich auch zwei.

STREPSIADES.

Wie? wirklich nicht?

PHEIDIPPIDES.

So wenig als dieselbe

Person ein Mädchen und ein altes Weib.

STREPSIADES.

So heißt's doch im Gesetz?

PHEIDIPPIDES.

Sie deuten's falsch:

So ist es nicht gemeint.

STREPSIADES.

Wie anders denn?

PHEIDIPPIDES.

Der alte Solon war ein Mann des Volks –

STREPSIADES.

Was geht denn das den Alt' und Neuen an?

PHEIDIPPIDES.

Zu Vorladungen setzt' er fest zwei Tage,

Den Alt' und Neuen, daß die Klage dann

Mit Hinterlag' erfolgen kann am Neumond.

STREPSIADES.

Was soll denn dann der Neue noch?

PHEIDIPPIDES.

Wie dumm!

Damit der Angeklagte tags zuvor

Erscheinen und sich lösen kann; wo nicht,

Geht man am Neumond morgens ihm zu Leib.

STREPSIADES.

Wie kommt's, daß das Gericht die Hinterlage

Am Alt' und Neuen, nicht am Neumond fordert?

PHEIDIPPIDES.

Vorschmeckerbrauch – gerade wie beim Opfern:

Die Hinterlage, die sie wegzuschnappen

Gedenken, kosten sie schon tags zuvor.

STREPSIADES gegen die Zuschauer.

Wie sitzt ihr da so dumm, ihr armen Narren,

Ein Fraß für uns, die Klugen! Stöck' und Steine!

Ihr Schöpse, Klötze, Nullen, leere Kacheln!

Wir Glücklichen! Ich darf auf meinen Sohn

Und mich wahrhaftig wohl ein Loblied singen:


Singt.


»Strepsiades, wie du glücklich bist![176]

Du selber so weis', und welchen Sohn

Besitzst du dazu!«

Also preisen die Freunde mich

Bald und die Nachbarn voll Neid,

Wenn deine Kunst in jedem Prozeß

Siegerin bleibt!

Komm jetzt nach Haus mit mir, ich will

Festlich dich bewirten!


Beide ab in Strepsiades' Haus.

Pasias, ein wohlbeleibter Kapitalist, geht in Begleitung eines Zeugen auf Strepsiades' Haus zu.


PASIAS.

Was? Soll man da sein eignes Geld verlieren?

Das wäre schön! – Ich hätte freilich klüger

Ihn rundweg abgewiesen, statt mich jetzt

Mit ihm herumzuschlagen! – Jetzo muß

Ich dich bemühn als Zeugen und verfeinde

Mich obendrein mit einem alten Nachbarn. –

Streng halt' ich auf die Ehre unsrer Stadt,

Drum lad' ich dich, Strepsiades –


Strepsiades tritt heraus.


STREPSIADES.

Wer ruft?

PASIAS.

– Vor auf den Alt' und Neuen!

STREPSIADES zum Chor.

Ihr seid Zeugen:

Zwei Tage sagt er! hört ihr?


Zu Pasias.


Was betrifft's?

PASIAS.

Zwölf Minen, die du, wie du weißt, empfingst,

Als du den Goldfuchs kauftest –

STREPSIADES.

Ich! ein Roß?

Hört ihr? Ihr wißt, wie ich das Rösseln hasse!

PASIAS.

Beim Zeus! Du schwurst, mich redlich zu bezahlen.

STREPSIADES.

Beim Zeus! Das lass' ich bleiben! Damals wußte

Pheidippides noch nichts vom neuen Recht!

PASIAS.

Und deshalb leugnest du die Schuld mir ab?

STREPSIADES.

Was hätt' ich sonst vom Studium meines Sohns?[177]

PASIAS.

Schwörst du mir sie auch bei den Göttern ab,

Wenn ich zum Eid dich treib'?

STREPSIADES.

Bei welchen Göttern?

PASIAS.

Bei Zeus, Poseidon, Hermes!

STREPSIADES.

Ja, bei Zeus,

Drei Obolen drein noch, wenn ich schwören darf!

PASIAS.

Ha, unverschämt! Das sollst du mir entgelten!

STREPSIADES auf Pasias' Bauch zeigend.

Brav durchgelaugt gäb' der 'nen hübschen Schlauch –

PASIAS.

So? auch noch Hohn?

STREPSIADES.

– der seinen Eimer faßt!

PASIAS.

Beim großen Zeus und allen Göttern, das

Geht dir nicht hin!

STREPSIADES.

Wie spaßhaft: ›Götter!‹ und

›Bei Zeus!‹ – Da lacht ein Wissender sich krank!

PASIAS.

Das wirst du bitter büßen, warte nur!

Jetzt sag mir: willst du zahlen oder nicht?

Damit ich fortkomm'!

STREPSIADES.

Wart ein bißchen! Gleich

Will ich dir klar und bündig Antwort geben.


Läuft ins Haus.


CHORFÜHRERIN zu Pasias.

Was, meinst du, wird er tun?

PASIAS.

Ich denk', er zahlt.


Strepsiades kommt mit einer Mulde.


STREPSIADES.

Wo ist der Mensch, der Geld von mir verlangt?

Du, was ist das?

PASIAS.

Was das ist? Nun, ein Backtrog.

STREPSIADES.

Und du willst Geld von mir, du Ignorant?

Nicht einen Heller geb' ich einem Mann,

Der Backtrog mir anstatt Backtrögin sagt!

PASIAS.

Also, du zahlst mich –

STREPSIADES.

Nicht, soviel ich weiß![178]

Drum mach dich auf die Bein' und schere dich

Vor meiner Türe weg!

PASIAS.

So wahr ich leb',

Ich geh' und hinterlege die Gebühren!

STREPSIADES.

Und die sind hin, so gut als die zwölf Minen!

Zwar tut mir's leid: denn Einfalt war's doch nur,

Statt ›die Backtrögin‹ ›der Backtrog‹ zu sagen!


Pasias mit dem Zeugen ab. Ebenfalls mit einem Zeugen kommt Amynias, ein junger Herr, die Peitsche in der Hand.


AMYNIAS.

O weh! o weh!

STREPSIADES.

Ei, ei!

Wer plärrt da so erbärmlich? Ist's vielleicht

Ein Gott aus des Karkinos Jammerstücken?

AMYNIAS.

»Ihr fragt mich, wer ich bin? – Ach Gott, ein Mann

Des Unglücks!«

STREPSIADES.

So? Dann geh, woher du kamst!

AMYNIAS.

»O hartes, wagenradzertrümmerndes

Geschick! O Pallas, so verließt du mich?«

STREPSIADES.

Was tat Tlepolemos dir denn zuleide?

AMYNIAS.

Hör du! Anstatt zu spotten, mache du,

Daß endlich mir dein Sohn mein Geld bezahlt,

Zumal ich eben selbst im Unglück bin!

STREPSIADES.

Was denn für Geld?

AMYNIAS.

Das er von mir geborgt.

STREPSIADES.

Da ist dir's, scheint mir, wirklich schlecht gegangen.

AMYNIAS.

Weiß Gott! Beim Wagenrennen fiel ich 'runter. –

STREPSIADES.

Drum faselst du, wie auf den Kopf gefallen.

AMYNIAS.

Ich fasle? So? wenn ich mein Geld verlange?

STREPSIADES.

Gewiß! Du bist bedenklich krank.[179]

AMYNIAS.

Wieso?

STREPSIADES.

Ich glaub', ein Erdstoß hat dein Hirn lädiert.

AMYNIAS.

Und ich, beim Hermes, glaub', du wirst zitiert,

Wenn du mich nicht bezahlst!

STREPSIADES.

Du, sage mir,

Was meinst du, schickt uns Zeus wohl jedesmal,

Wenn's regnet, frisches Wasser, oder zieht

Das gleiche Wasser immer 'rauf die Sonne?

AMYNIAS.

Das weiß ich nicht, das ist mir einerlei.

STREPSIADES.

Du glaubst, du hast das Recht mir Geld zu fordern,

Und weißt kein Wort von überird'schen Dingen?

AMYNIAS.

Nun, bist du nicht bei Geld, so zahl mir doch

Den Zins!

STREPSIADES.

Den Zins? Was ist das für ein Tier?

AMYNIAS.

Ein silbern Ding, das im Verlauf der Zeit

Stets größer wird und wächst von Tag zu Tag,

Von Mond zu Mond.

STREPSIADES.

Nicht übel definiert!

Nun weiter! Glaubst du, daß das Meer zur Zeit

Viel größer ist als sonst?

AMYNIAS.

Das bleibt sich gleich;

Ich seh' nicht ein, warum es wachsen sollte.

STREPSIADES.

Das also wächst trotz aller Ströme, die

Sich drein ergießen, nicht, und du, Kujon,

Du willst, dein Geld soll wachsen mit der Zeit?

Willst du dich packen, auf der Stelle, he?


Reißt ihm die Peitsche aus der Hand.


Her mit der Peitsche!


Haut ihn.


AMYNIAS zum Chor.

Ihr alle seid mir Zeugen!

STREPSIADES.

Hott! Willst du traben, Schimmel? Hott, hott, hott![180]

AMYNIAS.

Ha, schändliche Mißhandlung!

STREPSIADES.

Wart, ich stupfe

Dir unterm Schwanz, du Klepper! Willst du ausziehn?


Amynias entflieht.


Ha, läufst du? Gut! Sonst hätt' ich dich mobil

Gemacht samt deinem Fuhrwerk, Sitz und Deichsel!


Ab ins Haus.


ERSTER HALBCHOR.

Das heißt denn doch die bübische Lust zu weit

Getrieben! Der Alte

Ist nun darauf erpicht, das Geld

Zu unterschlagen, das er lieh!

Es kann nicht fehlen, ihm passiert

Unversehns noch heute was,

Wo der abgefeimte Schalk,

Der Sophist,

Für seine Bubenstückchen all',

Wie er's verdient, belohnt wird!

ZWEITER HALBCHOR.

Ich denk', ihm wird nur allzubald der Wunsch

Erfüllt, der ihn plagte:

In seinem Sohn den Mann zu sehn,

Der stets mit Gegengründen weiß

Das Recht zu beugen, der gewandt

Jeden Gegner, den er trifft,

Bei dem schlecht'sten Handel selbst

Niederschlägt;

Gib acht, gib acht! Er gäb' was drum,

Sein Söhnchen wäre stockdumm!


Quelle:
Aristophanes: Sämtliche Komödien. Zürich 1952, Band 1, S. 173-181.
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