Sokratie der Frau Rat

[137] (Bruchstück. Die Verbrecher)


Pfarrer. Ihre Ansicht gehört zu den Unmöglichkeiten, die ganze Welt, das moralische Gefühl der Menge opponiert. Vox populi! – sie ist der Widerhall der Gottesstimme. Wer Recht und Gerechtigkeit handhabt, muß auf sie halten.

Fr. Rat. Gar nicht in Abred, Herr Pfarrer! Aber ein Vorsänger muß sein, wenn wir eine neue Kirchenmelodie bei der Gemeinde wollen einführen, und die wird sich doch nicht sträuben gegen eine neue Weise, die man ihr auf der Orgel angibt? –

Pfarrer. Hier wär das aber eine fremde Tonart, die nicht in unserm Gehör liegt, die Gemeinde kann nur übereinstimmen in einer Melodie, die allen gleich faßlich ist. Ihre Ansichten, wenn wir bei dem Gleichnis der Musik bleiben, sind nicht aufs natürliche Gehör berechnet; es mag sein, daß mit einem steigenden Stadium der Bildung wir noch dazu kommen, aber bis dahin kann es nicht verteidigt werden.

Fr. Rat. Das große Menschengesetz: Was du willst, daß sie dir tun, das tue ihnen auch, bedarf kein steigendes Stadium. – Ich frag, ob einer zulässig finde, daß man ihm den Kopf abschlage für ein Verbrechen, was er begangen hat? – Da dicht vor dir steht der Beichtstuhl, in den hast du oft schon mit großer Angst dich eingeklemmt und bist mit erleichtertem Herzen wieder herausgekommen. Entweder deine Reu und Leid war affektierte Feigheit, oder du hast bekennt vor dir selber, daß du der größte Sünder bist, du hast aber keineswegs die Zuversicht verloren, dich zu bessern, und deine Hoffnung ist, daß dir Frist, dazu gewährt sei. Nun, mein lieber Adamssohn, gönne deinem Nebenmenschen diese Frist auch. – Abwägen kannst du sein Vergehen nicht, das kann nur Gott (aber dem ist's zu langweilig), also kannst auch du keinem das Todesurteil zusprechen. –

Pfarrer. Da ist schon ein Stein des Anstoßes. Wie soll ich von der Kanzel herab dem Volk diese gegen alles Glaubensfundament laufende Behauptung insinuieren, es sei Gott zu langweilig, die christliche Gerechtigkeit zu handhaben? –

Fr. Rat. Sie werden doch nicht daran glauben, daß Gott wie ein Krämer die Sünden abwägt.

Pfarrer. Er wird daraus kein langweilig Geschäft machen, er braucht nicht Maß und Gewicht, seine Weisheit wägt mit einem Blick. Warum soll der Gerechte zweiflen am göttlichen Schiedsrichteramt, es ist der gewaltigste[137] Beweis für die Fortdauer unserer Seele. Darum muß ja der Leib wieder zu Staub und Asche werden, aus denen er geschaffen war, um Strafe und Lohn zu empfangen. »So wie es uns Gesetz ist, daß wir sterben,« sagt Paulus, »so werden wir auch nachher vor Gericht stehen.«

Fr. Rat. Ich kann Ihnen nicht Zeit gönnen, diese Nichtigkeiten vorzubringen. Mein Kopf glüht mir vor Eifer, Ihnen den Ihrigen zurechtzusetzen. Und hören Sie mich an. – Die Veredlung der Menschheit geht oft an ihrer Sittenverbesserung zugrund. Dazu gehört die Sündentaxe. Der wägende Richter, den Sie auf den Wolkenthron sich denken, steht auf dem Markt und läßt den scharfen Schliff seines Richtbeils im Sonnenlicht blitzen. Der Staat hat seine religiös – moralischen Anlagen, seine Abgrenzung erlaubter Begriffe, die Entwicklung unserer Seelenkräfte auf der Tenne, er drischt wechselweis drauf los, und gewinnet eine unreine Saat der Moral, der Gottheitslehre und verpfuschter Gesetze. Der Staat säet sie aus und ist allein verantwortlich für die Verbrechen, die daraus erwachsen. Das Beil in der eisernen Faust auf dem Markt zückt gegen ihn die Schneide. Und dies Beil ist die öffentliche Meinung, die mündig geworden ist und ihn verdammt.

Bürgermeister. Das müßte doch wahrlich mit dem bösen Feind zugehn, wenn der Staat die Schuld der Verbrechen tragen müßte gegen seine eignen Gesetze.

Fr. Rat. Mit dem geht es auch zu! – Hatt ich doch anfangs gehofft, daß Sie meiner Meinung sein wür den! Aber leider, Sie stoßen mitsamt dem Herrn Pfarrer in die blecherne Kindertrompet der Vox populi, mir zum ärgsten Ohrenverdruß.

Pfarrer. Warum würdigen Sie herab Gesetze, an denen die Menschheit ihre Gerechtigkeit entwickelt, mit der Gewissensberuhigung, nicht mehr gewagt zu haben, als sie vor Gott rechtfertigen kann, mit der Beglaubigung des Buches, was zu ihrem Wegweiser auf christlicher Lebenshahn ihr geschenkt ist, mit der Bibel ganz übereinstimmend? –

Fr. Rat. Das Buch, seitdem es mit Druckerschwärze auf alte Lumpen abgedruckt ist, was vorher mit reiner Naturschrift in den unschuldigen Busen der Menschheit geprägt war, scheint mir Verfälschungen in sich zu herbergen, welches früher, da es nur mit dem innern Geistesaug gelesen wurde, nicht möglich war. – Die Wahrheit, verfälscht, ist eine gründliche Lüge, so wie der reine Ton, verstimmt, eine totale Disharmonie ist. Sie vergleichen die Vox populi der Kirchenmelodie, in welche Sie als Hirte einstimmen. Ich hätte mir zwar nie erwartet, daß der keine höhere Harmonie fasse als das bedachtlose Blöken der Herde. Mit solchem Blöken recht behalten wollen gegen alle sanfteren Melodien des Herzens, spricht weder für einen musikalischen Begriff, noch kann es dem widersprechen. – Sie sagen, der Beweis unserer Fortdauer läge in Gottes Abwägung unserer Verdienste und Schuld, ich ließ mir's gefallen, wenn Sie nur eine viel näher liegende Folgerung nicht außer acht ließen. – Daß man um so weniger das Recht habe, den Menschen aus der Lebenswerkstätte zu drängen, eben weil das ewige Gericht vor der Tür[138] auf ihn wartet. – Man sollte meinen, ihr hättet das ewige Gericht nur erfunden, um den armen Sünder durch das eurige hineinzustoßen. – Ist denn die Tat das Verderbliche, oder die Anlage zum Verbrechen, – die Neigung, der wilde Trieb, der Instinkt? – Das Verbrechen ohne den bestimmten Trieb ist ein Werk des Zufalls, der Umstände, des Fatums. Weil dies und jenes zufällig sich so ereignet, ereignet sich das Verbrechen auch. Nun! – dies am Menschenleben strafen, ist Unsinn; ist es aber gar innere Anlage, geheimer eingeborner Trieb, unwiderstehlicher Reiz, wie vermag da des Ungebildeten, Ungehüteten Willenlosigkeit diesen Reiz in sich selbst zu bekämpfen? – Naturen, die sich selbst kreuzigen und segnen vor der Missetat und in sich hinein das Nichtverbrechen als Unschuld anerkennen – was aber nur leerer Raum ihres Daseins ist –, kommen nie zur Besinnung über sich und also nicht zur Rechtfertigung gegen die Sünde, die notwendig ist, um den Menschen vollkommen zu machen. Und ob daher der Sünder nicht auf einer Stufe stehe, die einer höheren Entwicklung näher liege, das ist die Frage.

Pfarrer. Sie meinen, man müsse sündigen, um das Beßre in sich zu entwicklen. Die Sünde wär demnach eine Gnade Gottes, ohne sie würden wir den alten Adam nicht ausziehen? –

Fr. Rat. Darauf antworte ich nicht, aber ich erinnere Sie an die Frage, die Sie dem unmündigen Täufling tun: Widersachst du dem Teufel? – Darauf antwortet der Mündige für ihn: ›Ich widersache‹ – so auch der Staat sagt gut für den noch unmündigen Erdenbürger! – Welche Verpflichtung legt dies ihm auf? – Zweitens, der Staat verurteilt den Verbrecher! Zu was führt diese Sünde – wenn nicht zur Einsicht: Sünder und Richter stehen im engen Verband. Beide müssen einander auf die höhere Stufe heben. Wahre Menschenliebe ist die innigste Selbstliebe; sie vergilt sich selber reichlich, sie kann den Sünder nicht verachten, weil das Heil auch des Gerechten aus ihm ersprießt. – Weiter: – War des Verbrechers Anrecht und Bedürfnis nicht, dem Staat einverleibt zu sein mit seinen Befähigungen, mit seinen Regungen und Tendenzen? – Und wer hat die Schuld, daß er's nicht wurde? – Frage ich aber, wieviel Schmerzen, unverschuldete, dem verwilderten Täufling des Staates noch müßten durch den vergütet werden, dann müßtet ihr bald einsehen, daß, wenn ihr ihm die Hände unter die Füße legtet, ihr hättet ihm nimmer genug getan. So ist der Verbrecher immer die Sündenschuld des Staates. Könnt ihr die Wurzel dieses Unheils vielleicht erspähen, da werdet ihr sehen, daß die Verstockung einer ganzen Welt diesem Verbrechen vorausgeht.

Pfarrer. Sie sprechen weissagend, aber nicht begreiflich!

Fr. Rat. Lassen Sie mich immer weissagen wie Tiresias, für Ihre nahliegende Ansichten ganz blind, um für die tiefliegenden Wahrheiten den Scharfblick zu bewahren. Ich werde später auf Ihre Gründe eingehen, wenn ich nur erst die Irrquellen mir selber bezeichnet habe, den Giftkelch, den man daraus braut und dem Volke aufdringt; und dann, wenn dieses Gift[139] sich auswirft, nicht in sich es bekämpft, von wo es ausging, sondern an dem Auswurf des Giftes sich rächen will, während der Staat grade an diesem zur eignen Erkenntnis kommen konnte und so als Wiedertäufer dem Teufel wiedersachen, wobei ihn der Verbrecher aus der Sündentaufe heben könnte! – Und wie Sie sagen, würde dann der Täufling durch diese Gottesgnade den alten Adam ausziehen! – –

Pfarrer. Für diese Begriffe bin ich zu schwach! – Wenn ich auch zugeben soll, daß der Staat ursprünglich zu manchem Übel der Anlaß war, so liegt doch in jedem einzelnen die Gewissensstimme, die ihn vor dem Bösen warnt.

Fr. Rat. Wie rechtfertigt denn der Staat, daß er diese Gewissensstimme gänzlich verleugnet? – Besteht er nicht auch aus einzelnen, die zusammen in ein Horn blasen? und wie kommt's denn, daß in diesen Hütern und Vertretern des Rechten niemals sich diese Stimme geltend macht? –

Pfarrer. Sie behaupten das, aber dazu gehört eine lange Reihe von Beweisen und keine Voraussetzung, sondern Gründe.

Fr. Rat. Die Sie mir immer widersprechen würden. – Denn Sie sind für die Ferne blind und glauben an eine maskierte Gegenwart. Nun will ich hier eine Reihe von Fragen tun, nicht für Sie, sondern für mich!

Lebt der Staat in gesunder Ehe mit dem Volk, hat er das wahre Vertrauen, die reine Treue, die Aufopferung, die Aufrichtigkeit für es, da er nur Sklavengeist von ihm verlangt? – Ist der Staat dem Volk ein treuer Vater, entwickelt er seine Kräfte, respektiert er seine natürlichen Anlagen, betätigt er seine Energie, sichert er ihm sein Recht der Freiheit und freut sich seiner Stärke, oder rügt er vielmehr an ihm seine Entwicklung ins Freie, Große, Göttliche? Ist er ihm eine liebende Mutter, die mit Geduld in seine Irren sich schickt, die, im Entsagen geübt, als glückliches Schoßkind es pflegt und ihm den Vaterlandsboden erwärmt? Oder vernachlässigt die Mutter das Kind um ihrer Lüste willen? – Was ist der Staat dem Volke? Ein herrischer Sklavenhändler, der Tauschhandel mit ihm treibt, und darum den Knechtsinn ihm einquält; der Machtsprüche verhängt über es und sein darbendes, angefochtnes, tausendfach geärgertes Herz in den Sumpf versenkt frömmlender Moral, der über seinem aufstrebenden Geist den Sargdeckel zuschlägt oder auch mit dem Halshand eines Hundes die Kehle ihm zuschnürt.

Bürgermeister. Sie bescheiden den Staat vor Gericht, statt über den Verbrecher zu entscheiden.

Fr. Rat. Weil's unmöglich ist, ohne den Staat anzuklagen. Der Verbrecher selbst ist das Opfer! – Die Vox populi zeugt gegen den Staat, der das Volksherz vergiftet und seinen Geist verfinstert gegen den Verbrecher. Er lehrt ihm Wiedervergeltung! O Staatsklugheit, dein Begriff alles Werdens und Gedeihens ist gar niedrig, und nicht zu rechtfertigen vor dem strengen Gott mit der Waag! – Wie soll die Volksstimme gelten, wo noch kein öffentlicher Geist, kein Gemeinsinn in ihr widerhallt? – So ist denn die[140] Vox populi zwar keine Kindertrompete, denn ich hör's ja mit Schauder, es ist die Stimme von wilden Hunden, sie bellen wie toll um ihn her, der mit Gewalt in den Abgrund gestürzt wird. Wölfe sind's, sie begleiten ihn mit gierigem Blick, sie wollen sein Blut lecken, dem betäubt von ihren Flüchen die Besinnung in Fasern martervoller Verzweiflung zerrissen ist. Und dies Bellen, Heulen und Grinsen, ist das die Vox Dei? – Nein, Sünder sind diese nicht, der Sünder ist schon durch sein Bewußtsein gewürdigt, eine Verantwortung an sich zu vollziehen, und seine höhere Natur gegen einen Augenblick der Leidenschaft, gegen seine eigne Versunkenheit geltend zu machen, es ist ein noch niederer Zustand der Verworfenheit, denn er ist tierisch. – Der Sünder ist höher selbst durch sein Verbrechen gestiegen. Er ist ja der nicht, der sich am Gesunknen versündigt, er steht ja außer dem Kreis der kalt und gefühllos Verdammenden. Er hat zwar gemordet – das Verbrechen liegt ihm noch schwer auf dem Haupt. – Ein fürchterlicher Wahn hatte seine Geistessinne gelähmt, aber jetzt, wo er plötzlich erwacht in der Mördergrube, da fühlt er in Verzweiflung sich bewußtlos; er wollte da nicht hinein! Nein! Nein, nein! Seine Seele weiß nicht davon. Er wollte sich nicht von den Menschen trennen, er hatte sie ja lieb, er wollte nie von einer Ehre sich lossagen, sie war sein Licht! – Die Menschen, die Freunde, sie schreien über ihn! – O Verlassenheit der Schreckensnot! – O ödes Gebürg der Verzweiflung, ist kein Baum, der ihn schirme, kein schützend Dunkel? Wollen die Lüfte ihn nicht kühlen? – Wollen die Vögel vom Gezweig herab ihm kein Trostlied singen? – Ja, du, Natur, bist Gottheitsstimme und hast ein leis Gehör für den Jammer und möchtest mit ihm dich verständigen! Aber die Söhne des Staubs, die ein falsch Gewissen heraufbeschwören der Gesetze, der Philosophie, der Religion, die finden keinen Weg als vom Leben zum Tod.

Seht, der Verbrecher hat Mutter, Vater, Kinder und Brüder wie ihr, er fühlt sie in seinen Eingeweiden, sie fühlen den Schwindel, den Fluch der ganzen Menschheit! – Ihr kreuzigt den Vater, ihr entreißt die Eingeweide dem Mutterleib, ihr brandmarkt die Brüder und zerschmettert der Kinder zartes Haupt am harten Fels eurer Mißbegriffe. Diese Schuldlosen mordet ihr, samt dem einen Kranken, Besinnungslosen! – Ihr Richter zerfleischt die Bande der Natur! – Wie? – Ist dies Deutschlands weithinschallende Rechtslehre? – Dem Kind den Vater schänden, dem er geliebt, geheiligt ist, auch ob er Verbrecher ist! – Müßt ihr den sittlichen Untergang in die Seele der Nachkommen pflanzen? Mit Strafen wie mit Lohnen! Nein, das Kind haßt euch! denn es würde zum Verbrecher an den Banden der Natur, wollt es euch nicht hassen! –

Bürgermeister. Aber Verbrecher, die eine Untat lange mit sich herumtragen und sie ordentlich mit Überlegung reifen, sie dann endlich mit vorsätzlicher Tücke vollziehen, wie wollen Sie es verantworten? – Ich mein, im Gegenteil könnte uns der Gott mit der Waag, wir wollen ihn Minos nennen, eine Schlappe anhängen, wenn wir ihm seine Opfer nicht überantworten.

[141] Fr. Rat. War das Opfer früher schon der mißratne Sohn, den der Vater aus dem Hause stieß? – oder ist es später erst so weit gekommen, daß er mit voller Überlegung die Wege des Lasters ging? Wo hat er die Güter genossen, die ihn das Gute würdigen lehrten? – Oder wo hat das Volk so viel Gemeinsinn, so viel geistige Erhebung, um seine Jugend zu beseelen durch Gebote und Beispiele geistiger Einwirkung? – Waren seinen Kräften Wege geöffnet, sie spielen zu lassen, oder lag vielmehr ein gewaltiger Druck auf denen, die seinen Untergang vorbearbeiteten? – Euer Minos ist ein Schutzgott der Eigensucht. Das Urteil ist ungerecht, wenn es Wunden aufreißt, statt sie zu heilen. Mord an der Unschuld ist es, denn eure eigne geht dran zuschanden; und nur der Mut zum Opfer kann den wahren Weg finden! Armer Verbrecher! Wer hat die bösen Geister auf dich gehetzt, du konntest dich ihrer nicht erwehren! – Wer hat schuld? – Du nicht! Nein, du nicht, denn schon kaum zur Welt geboren, belog das Leben dich und die Gesetze. Die Seele konnte nicht aus ihrem Zwinger sich losmachen und mit dem Genius sich mischen. Erst läßt man dich nicht du selber werden, dann schiebt man die Verantwortung dir zu, vor dem Staat, der selbst aller Verantwortung sich losspricht vor dir! –

Verhüll ihn, Menschheit, er ist dein Sohn, noch unmündig! – vielleicht weckst du noch den Keim aus dem harten Boden, den kein Mitleidstau je benetzte. Der Same liegt auch lang erstarrt im Sand der Wüste, dann badet ihn ein warmer Gewitterregen, dann steigt die Palme auf und beschattet den Wandrer und labt ihn mit Wein aus ihrer Krone, so könnte die Menschheit auch auf Vergeltung rechnen, wollte sie des Sohns der Wüste sich annehmen.

Ich kehr aus meiner Vision zurück. Sie schweigen beide! – Es sind Ihnen Unerhörtheiten! Mit dem Bibelgesetz: »Liebet ihn als euch selbst« brüstet ihr Pharisäer euch. – – Langsam und bequem besteigt ihr die Schädelstätte wie weidendes Vieh, und mästet euch hinan zum Opferaltar, um den Glanzpunkt eurer Weisheit, das Urteil, darauf niederzulegen, doch haltet ihr den Henker, der es vollzieht, für unehrlich. Ihr wägt und durchsucht den Unflat, um beil – und strangfähige Expektanten zu gewinnen für die letzte Nebelbank eures Unverstandes, dem die Rechtsgelehrsamkeit wie ein hitziges Klima das Fieber seiner Untersuchungswut noch beizt.

Bürgermeister. Ganz gewiß muß es den zur Begeisterung aufregen, der seine Kräfte dem Staat widmet, um ihn vom Auswurf der Menschheit zu reinigen. Die psychologische Beleuchtung eines Verbrechens mit Umständen und Nebenumständen, die Besonnenheit mitten im Sturm der Gefühle, dem Ausspruch der Gerechtigkeit nichts zu vergeben, dies ist kein unwürdig Opfer, das wir der Menschheit und unserm Gewissen bringen.

Pfarrer. Nun gar der Priester besteigt den Weg zur Gerichtsstätte nur zum heiligsten Zweck, er begleitet den Sünder, ihn seinem Heil entgegenzuleiten, ihm Trost und Zuversicht auf die göttliche Gnade beizubringen, allein es wird uns von diesen verhärteten Gemütern schwer vergolten. Erst[142] kurz ein Beispiel in Rom des schwärzesten Undankes und Religionsverachtung gab ein solcher scheußlicher Bandit, indem er den eifrigen Priester, der seiner ewigen Verdammnis entgegenarbeitete, plötzlich und unversehens in die Nase biß und gar nichts von geistlichem Zuspruch hören wollte.

Fr. Rat. Der Verbrecher wird die Nase doch nicht gar abgebissen haben? – Dafür halt ich ihn zu gutmütig, er wird ihm nur die Nase ein bißchen derb gezwickt haben, so wie ein Hund edler Rasse, der zu verstehen geben will, daß er seine kleinlichen Peiniger und ihren Unsinn nicht länger zu dulden gewillt ist. Der Priester wird da wohl auch mit Erbauungsreden eingehalten haben?

Pfarrer. Allerdings! Der war ja mehr tot als lebendig. Das Abendmahl war nur mit unsäglicher Müh dem Sünder beigebracht worden, ihn schauderte davor, trotz dem starken feurigen Wein im Abendmahlkelch, er war matt von den vielen Verhören und wollte nicht ohne Mut den letzten Weg gehen, so trank er ihn aus, der Wein schlug auch an, aber schwer ist zu glauben, daß er mit derselben Unbefangenheit jenseits sei aufgetreten vor dem göttlichen Richterstuhl, wie er hier dem Schwertstreich mit Lächeln und großer Ruhe den Hals hinstreckte, denn das heilige Nachtmahl, das er so sehr wider Willen nahm, nur um nicht mehr mit Zureden gemartert zu werden, das konnte unmöglich sein Heil befördern!

Fr. Rat. In der letzten Stunde zwingt ihr ihm den Abschieds – und Nachtmahlskelch ein, als Reinigungstrank und Toast auf die Gesundheit seines zukünftigen Lebens –, den er einst schon auf guten Glauben als Kredenzbecher dieser lumpigen Erdenschererei, die ihm aus Ehebrüchen, Wortbrüchen, Einbrüchen, Verleumdungen, Totschlag und aller Verräterei mit Galeerenketten, Fußblöcken, Schandpfahl, Staubbesen zusammen und durcheinander gekeltert war in dem Augiasstall eurer Justiz. Da muß es ihm freilich widerstehen. – Unterließ man doch, zu dieser grassesten barbarischen Rechtsanmaßung, Menschen zu verdächtigen, zum Bekenntnis ketzern, zum Menschen beschuldigen, und richten mit menschlichen Sinnen, Gott als Zeuge zu rufen, der sich schämen muß, daß er die Vernunft vom Menschengeschlecht so mißbrauchen läßt. Schleudern Sie lieber den Bannstrahl gegen das Verbrechen des Urteils, drohen Sie mit Kirchenbann, Sie werden sehen, der Staat macht sich nichts draus, und nach wie vor köpft und hängt er nach Rechtsbelieben. Will die Kirche nicht nach seiner Pfeife tanzen, so darf sie nicht erwarten, daß er nach ihrer tanze.

Bürgermeister. Das glaub ich, wie wird die Justitia sich kümmern um der Priester höllische Drohungen, das wär eine schöne Verwaltung des öffentlichen Rechts. Die Verbrecher würden ja wie Sand am Meer sich ausbreiten ein fruchtbar Geschlecht, als wär es mit der Kirche in den Bund der heiligen Ehe getreten, die Frechheit würde sich auf den Thron setzen. Sie haben die Hefe des Volkes nicht in Gärung gesehen. Hätten Sie den Aufruhr erlebt, als die Rotmäntel hier einrückten und vom Straßenpöbel das Zeughaus geplündert wurde, da schoß ja dies Gesindel wie die Pilze empor,[143] man wußte nicht, wie und woher? – Ich vergesse mein Lebtag nicht ein altes Weib, was unter einem alten Sattel hervor, den sie im Zeughaus geplündert hatte, mich angrinste. Mir ist viel schon in meiner Staatspraxis vorgekommen, aber nichts so Schauerliches als dies verdammte alte Weib mit dem Sattel auf dem Kopf, der sie vor dem Regen schützte, es goß fürchterlich, sonst hätte die Revolution auch noch länger gedauert, aber einem langweiligen Landregen widersteht keine Revolution! –

Fr. Rat. Riß das alte Weib mit dem Sattel auch aus vor dem Landregen? – Bürgermeister. Hunderte waren's, die Gott weiß aus welchen Winkeln her – vorgekrochen waren, und mit dem Regen wieder verschwanden. Nur die eine unterm Sattel saß ganz trocken und höhnte alle würdigen Beamte, die da mitten im Regen dem Unfug steuern wollten.

Fr. Rat. Wie's möglich ist, daß der Staat ganz unbewußt Hunderte von alten Weibern herbergt? –

Bürgermeister. Die Hefe des Volks, die unversehens über den Bottich gärt und ebenso wieder in dem Schlamm versinkt.

Fr. Rat. Es lautet schrecklich! – So ein Staat von alten Weibern, die im bösen Mut aufbrausen. – Ich möcht ihn nicht regieren, noch weniger von ihm regiert werden! Ja leider! – Was ist des Deutschen Vaterland? Nicht Pommerland, nicht Schwabenland; es ist das Alteweiberland! – Aber sollte etwa der Staat durch hündisches dummes Inquirieren, durch Hetzen und Verfolgen aus Alterweiberfurcht sich um den jungen Nachwuchs bringen? Es gibt so alte Kater, die ihre Jungen würgen, und die schauderhafte Alte, die unterm Sattel hervor die würdigen Beamten so verhöhnte, ist ein wahrhaft prophetischer Anblick.

Bürgermeister. Der Abgrund des Verderbens, der Schlamm der Menschheit ist wohl schauderhaft, aber nicht prophetisch.

Fr. Rat. Dieser Schauder ist aber prophetisch für die Staatsgenossen, die ihr die Hefe des Volks nennt und aus der eine ungesunde Gärung emporsteige. – Warum wißt ihr nicht, woher sie kommen? – Wohin sie verschwinden? – Warum will der Staat sie nicht finden und ihrem Verderben zuvorkommen? –

Bürgermeister. Ihre politische Unschuld bürdet dem Staat auf, eine verwilderte Rasse zu erheben. Die in einem Fluchen und Verwünschen jedes rechtlichen Gefühls ebenso spottet wie auch der Gesetze. Nein, Frau Rat! Wollte der Staat auch sich zu allen Opfern entschließen, sie wären vergebens! –

Fr. Rat. Welcher Opfer kann er sich denn rühmen, die er gebracht habe? – Wenn's gegen den Feind gilt, dann findet ihr sie in ihren Schlupfwinkeln, dann zieht der Staat ihnen Montur an und läßt sie in Reih und Glied aufmarschieren! wenn der Landesvater will losdonnern, dann sind sie euch gut als Futter für die feindlichen Kanonen. Was davon heimkommt und selbst nach Futter schreit, das betrachtet ihr als Hefe des Volks, und laßt's wieder im alten Schlamm versinken, wißt nicht mehr, wo's geblieben ist, vor euch[144] mag's unter die Erde versunken sein, muckst es, so wird man seiner schon Herr werden! Die alten Weiber sind euch ein Greuel; ihr freches Angrinsen möchtet ihr ihnen eintränken, sowie sich Gelegenheit dazu findet, werdet ihr nicht säumen. Wer sind diese alten Weiber? – Es sind die, deren Söhne, deren Männer im Krieg Kanonenfutter wurden, oder als Krüppel heim kamen! sie sind Raubgesindel geworden, die ihrigen zu ernähren, das war ihrer erregten Rache, Bosheit und Tücke willkommne Genugtuung! Es war ihnen Ersatz dafür, daß man sie völlig im Staat ignorierte. Daß der ihnen gleich von oben herab alles bessre Gefühl, alle Bildungsfähigkeit absprach, ja sogar auf die durch nichts erwiesne Behauptung hin, daß sie für alles bessere Gefühl gleichgültig seien, sie behandelt wie die Hunde. – Stürzten sie sich denn nicht in dieses Elend, um einander zu retten? – Wollte der Vater nicht die Kinder emporbringen? – Wollte er ihnen nicht so viel vom Lebensgenuß zuwenden, als in seinen Kräften war? – Hängen die Kinder nicht mit heroischer Liebe am Vater, an der Mutter, könnt ihr sie zum Verrat bringen? – lieber teilen sie das bittere Elend mit jenen, als euren Lockungen zu folgen. – Euer Wasser und Brot, euer dunkles Gefängnis und schwere Ketten brachten den jungen Andreas Petry nicht zum Geständnis über seines Vaters wahren Namen, euer Versprechen, ihm das Leben zu schenken, für ihn zu sorgen, bewegten ihn auch nicht dazu! Ihr wollt sie des Mangels an sittlichem Gefühl anklagen und seid selber die ärgsten Schelme, daß ihr sie sucht zu verführen zum Verrat! War das keine kindliche Liebe, als dieser Knabe mit Verzweiflung bat, ihn nicht zur Überführung seines Vaters zu gebrauchen? Aber eure Justizwut hat dies Kindesflehen nicht geschont, er konnte sich nicht entschließen, selbst als man ihm das Geständnis seines Vaters vorhielt. Der Vater bat um Schonung für das harte Leugnen seines Sohnes und sagte, er weiß, daß sein Geständnis notwendig des Vaters Leben kostet. Als er aber selbst das Bekenntnis seines Namens vor dem Sohn wiederholte, da schrie der laut auf, aus Schmerz warf er sich zu Boden, und raste so heftig, daß er nicht zu sich zu bringen war, bis eine wohltätige Ohnmacht ihn der Verzweiflung entriß, daß der Vater verloren sei! – Spürt doch diesem Seelenjammer des Kindes nach! – War's die Naturstimme? – Was mag Vater und Sohn schon für bitteres Elend geteilt haben, welche Gefahren füreinander bestanden! – Das macht die Liebe stark. – Könnt ihr das von euren Kindern allen sagen, die ihr mit Lebensgenüssen sättigt, mit der höchsten Sorgfalt ihre Gefühle wollt bilden? – sind sie höher anzuschlagen als die Gefühle, als die heroische Aufopferung des Verbrechersohns? – O schlagt doch zum wenigsten hier eure eigne Nachkommenschaft nicht höher an als dies Räubergesindel, diese vernachlässigte Hefe des Volkes, das im Schlamm des Staatsbottich vergärt, und nie von oben herab eine hilfreiche Hand sah! – Nein, nur immer die Strafrute, die keine Liebe, noch Ehrgefühl, noch Ehrlichkeit einbläuen kann! – Doch diese Hefe des Volkes vom Gaunerstamm haben eine Liebe zur Ehrlichkeit, haben Ehrgefühl, Geist und Heroismus, und vielleicht grade weil der Staat keine Befähigung mehr[145] hat, diese ganz edlen Anlagen zu verwenden, so verwildern sie! – Der Vater dieses Andreas ließ es wohl nicht an Mühe fehlen, ihn zum vollendeten Räuber zu bilden, sogar Räuberidyllen dichtete er, um in den Söhnen Gefühle anzuregen, wie sie ein großer General kurz vor der Schlacht haben könnte, lesen sie hier in der Aktengeschichte das End davon ins Deutsche übersetzt. Nachdem zwei Brüder über alle erlebten Abenteuer sich ergötzten und über die Mutlosigkeit vornehmer Reisender, sagt der eine: »Aber, Bruder, bei uns kommt die Furcht nach der Tat, wenn sie im Land umherstreifen, uns zu fangen, wenn wir im Verhör mit schweren Ketten beladen sollen die Freunde verraten!« –

»Bruder! Verräter wollen wir nicht sein! und wenn auch einer drunter unser Feind war und Streit mit uns hatte, so wollen wir ihn nicht verraten, denn die Gefahr gleicht allen Streit aus, und das tröstet uns in Ketten, wenn wir keine Verräter sind.«

»Aber Bruder, es steht schlimm, wenn ein Verräter ist unter uns, dann sprechen die Richter nicht mehr vom Zuchthaus, dann wird vom Köpfen geredet, vom Galgen und Schinder!« –

»Laß sie sprechen, wie sie wollen, die Richter! – Noch sind wir frei, und werden wir je gefangen, Kamerad, was tut's? – Weiter kann's nicht gehen als ans Leben. Und so sterben wir als große gewaltige Räuber.«

»Hei ja, Viva! Wir sterben wie berühmte Männer!«

»Die Mütter geben das Zeichen zum Essen, die Buben und Mädchen rufen zur Suppe, ihr Väter, zur Suppe, ihr Brüder.« –

»Auf zum Essen, Kameraden, zum Essen!« –

»Wer betet vor?« – –

Lesen Sie hier noch in der aktenmäßigen Geschichte dieser Räuberbande, was über die Erziehung des jungen Andreas gesagt ist, der jetzt erst siebzehn Jahr alt ist: ›Der Vater ließ ihn verschiedne musikalische Instrumente lernen. Er spielt mit vieler Fertigkeit Klarinett, auch Flöte und Flageolett spielt er nicht ungeschickt, diese Kunstfertigkeit sollte ihm zu einem ehrlichen Erwerb helfen, wie war aber dies möglich, da ihn der Broterwerb unter der niedrigsten Volksklasse herumtrieb, ihn mit Räubern und Dieben zusammenbrachte, die er von Kindsbeinen an kannte, und da sein eigner Vater ihn schon als Buben mit auf den Straßenraub nahm, ihm von seinen Großtaten jenseits des Rheins, von dem erhabnen Schinderhannes und dessen würdigen Kämpfen erzählte und seinen Geist erhitzte zur Nachahmung der großen Vorbilder.‹

Diese weisen Bemerkungen der Justiz selbst, die Sie hier in den Akten gedruckt sehen, führte diese nicht darauf, daß, wenn der Vater mit großartigen Zügen und edlen Farben seine Vermahnungen ausmalt, um sie zu verherrlichen und zur Nachahmung zu reizen, dies doch der Beweis ist, daß der Sinn für das Edle und Großartige auch ein Beweggrund ihnen war, so zu handlen, und daß auf diesen Sinn könne und müsse gewirkt werden, um diese Menschheit zur beßren Einsicht zu leiten. Aber nein! – Stumpf wie die[146] Ochsen spricht auch hier die Justitia wieder von der niedrigsten Klasse des Volkes, als ob die das Verderben zu erzeugen sich nicht erwehren könne. Doch ist hier in diesen kurzen Bruchstücken des Berichts, der nicht zur Apologie der Räuber geschrieben war, sondern als Beweis ihrer gerechten Verdammung, – ganz unwillkürlich in den kräftigsten Farben ihr Heroismus geschildert, zweitens ihr Ehrgefühl, da sie untereinander keines Verrats sich schuldig machen. Dann ihr Gewissen, da es sie beruhigt, wenn sie zum Tod gehen, keinen verraten zu haben. Jetzt fehlt noch zur Vollendung eines vollkommen edlen Charakters das Zartgefühl der Sittlichkeit, und dies kann nicht rührender ausgesprochen sein als in eben diesem Knaben. Da er nämlich zum öffentlichen Verhör sollte über die Straße geführt werden, ward er so bestürzt durch das Schreien und Toben des Volkes, daß er sich nicht ermannen konnte, hervorzugehn. – Plötzlich verlangte er sein Instrument, was bei seiner Gefangennahme ihm war abgenommen worden, so ging er den langen Weg bis zum Markt und blies anmutige Hirten – und Waldlieder mit ruhigem Schritt unter Begleitung des Volkes, ohne beleidigt oder gestört zu werden, ganz gezähmt folgte es seinen melodischen Tönen, die durch den einfachen versöhnenden Ausdruck das tiefste Mitgefühl erregten. Die aufgereizte Hefe des Volkes ward beschwichtigt durch die sanfte Stimme des Knaben, den ihr zum Verbrechertod führtet, es verlangte Begnadigung, die ihm auch gewährt wurde, da viele die Bittschrift unterzeichnet hatten, die selbst waren beraubt worden! – Wie sehr spricht auch dies für die verachtete Volkshefe, die so leicht die Rache aufgibt, und wie beschämend, daß ihr sie verachtet. –

Ja! was ist da noch lang hin und her zu streiten, wir sehen's deutlich und wissen's, auch die Gerechtigkeit ist blind. Da kann man auf keine tiefere Einsicht rechnen. Die niedrigste Volksklasse, die der Staat ignoriert, weil er nicht mit ihr zurechtkommen kann, stößt als noch ans Züngelchen der Waage und bringt ihren Stumpfsinn in Bewegung. Diesmal wär's dem armen verlaßnen Knaben zugute gekommen, allein die blinde Gerechtigkeit sendete ihn ins Zuchthaus, ins Verderben. –

Die gedruckten Akten wimmlen von großartigen Zügen mitten unter schwarzen Verbrechen. Viele der Jüngern hatten noch ihre Schulzeugnisse ausgezeichneter Fähigkeiten und Fleißes und ganz untadeliger Aufführung. Wie kamen sie um alles, wozu ihre Anlagen ihnen so gerechte Ansprüche gaben? – Nun, sie versanken im Schlamm, in dem der Staat die Volkshefe gären läßt. Lesen Sie irgendeine dieser kurzen Biographien, Sie werden keine finden, wo der Vorwurf ganz auf dem Verbrecher haftet! – Schon daß wir ihn beschuldigen und uns nicht selbst schuldig fühlen, das zeugt gegen uns. Warum ist er nicht in die goldne Wiege geboren? Warum in der Volkshefe, wo tausend Wiegen gehen an ein traurig Schicksalstand geknüpft? Die Kindchen drinnen lächeln der rettungslosen Zukunft entgegen. Kein Strahl der Güte dämmert da hinein! Mutter und Vater dürfen nicht fragen, was soll aus dem Kinde werden? sie wissen, Elend ist ihr Los. Das[147] ist der Inbegriff ihres Bewußtseins. Ahnung ihrer Kräfte, ihres Wertes ist ihnen versagt. Der Staat, der immer drohend als strafender Zuchtmeister, aber nie als gütiger Vater sich zeigt, schreibt ihnen Gebrechen und Laster zu und verlängert die Geißel des Rächers bis übers Leben hinaus, aber das Eigentum freier Anlagen, die unabhängige Ausübung ihrer Tugenden und Fähigkeiten streitet er ihnen ab. Und so macht der Geächtete die Höllenfahrt des Lebens unter Armut, Beschränktheit und Finsternis, aber nicht, wie ihr wollt, von niedrigen Begierden und Leidenschaften gegen die Tiefe hingezogen, von der er noch im Versinken nach der Höhe aufblickt. Aber der Landesvater, der ganz Güte, ganz Nachsicht ist, und seine Minister, Räte und Beamten, die in eben dem mildesten Geiste der Regierung alles aufbieten zur Erhaltung, Entwicklung und Verfeinerung des Volkes, haben die Grenze der Verdammnis zwischen dieses in der Tiefe versinkende Menschengewürm und ihr hochmütiges Gewissen gezogen.

Bürgermeister. Ihre Vorwürfe sind Aufgereiztheit, nicht geprüfte Überzeugung, die Grundzüge unserer ausübenden Macht sind die Sittenverbesserung, ihr Streben ist ein rastloses Vordringe des Geistes, was den Menschen vom Tiere trennt. Die Quelle des Glückes rieselt im Genuß dieses Strebens, sie versinkt in dem Vorwurf, den wir andern aufbürden und nicht dem eignen Selbst. Des Staates Tätigkeit stockt nicht, aber er kann diese Elastizität nicht denen mitteilen, die im erstarrenden Gefühl ihres Unvermögens nur Stoff zu Klagen, aber keinen zur eignen Bildung in sich finden! Lesen Sie die politischen Zeitungen, da werden Sie den Kampf der Staaten in fortwährendem Wetteifer fürs Wohl der Menschheit begriffen sehen.

Fr. Rat. Ach ja, jeder sucht's dem andern zuvorzutun. Die immer höher sich bildende Zensuredikte, die Anstrengungen gegen Sittenlosigkeit, die eifrigern Forschungen über Gott und Satan, die brillanten Erlasse gegen die Juden und das Wirken gegen die gefährlichste Bekanntschaft des Volkes mit seinem praktischen Selbst, das erhält den hitzigsten Wetteifer der Nachahmung von Sparta, Athen und Korinth. Aber leider, der Arme, für den eure Intelligenz keine Eingeweide hat, ist weder Fuchs noch Storch genug, um aus der flachen Schüssel eurer Staatsvorteile was zu erschnappen oder aus der langhalsigen Flasche eurer Weisheit einen begeisternden Zug zu tun. Ihr wollt den Armen an den Boden fesseln seiner Geburt. Kann er da säen und ernten? wo kann er die Hand ausstrecken nach Brot, wo schlafen? – Gefangen haltet ihr ihn unter freiem Himmel, verdammt ihn zu Fronen, Wachten und Abgaben, auch ohne Einnahme. Versucht er's, zu entfliehen, dann jagt ihn ein humaner Staat wie der andere wieder zurück an den Ort seines Elendes, und dann seht ihr in ihm einen Vagabonden, der sich eingerichtet hat auf Diebstahl und Raubmord! dann muß das Beil euren Weisheitsspruch vollziehen an diesen verhärteten Bösewichtern. – Aber, seid ihr denn nicht verhärtet, daß ihr den Fluch der Armut an eurer glattpolierten Bildung so kaltblütig abgleiten lasset. Ihr leset seine Geschichte tausendfältig wiederholt in allen Akten der Polizei, sie malen[148] euch selbst mit den ärgsten Farben des Unflats, und ihr brüstet euch noch damit, jedes Verbrechen fällt auf euch zurück, und ihr wollt an Gottes Statt sitzen und richten? Und nie! nie, daß ein heller Augenblick euch warnte: was wag ich zu tun an dem, den ich selbst ins Verderben stürzte? –

Bürgermeister. So ganz wollen Sie die Schuld uns aufbürden? – Sie wollen nicht zugeben, daß der Keim des Verderbens ursprünglich in jenen charakterlosen Naturen liege, welche die Mittel des Heils verachten, die vorgezeichnete Straße der Kultur meiden und lieber auf Nebenwegen der Bosheit schneller zum Ziel ihrer ungezähmten Begierden rücken.

Fr. Rat. Ungezähmte Begierde! – Nun hören Sie! – Gelehrten ist gut predigen! – Da lesen Sie die Charakteristik des Veit Krämer, den ihr zum Beil verurteilt habt, hier in den Akten! –

»Seine Geständnisse sind nicht Folge der Furcht, auch nicht Hoffnung, dem Tod zu entgehen; sobald er ins Gespräch kommt über die Vergangenheit, so reißt ihn das Interesse hin, ein unwillkürlich Lächeln der Erinnerung verrät ihn, welches bald in volles Lachen übergeht. Nicht als ob er aus teuflischer Bosheit sich seiner Taten freue, sondern weil er in jedem Bekenntnis die Bestätigung findet dessen, was seine Kameraden ihm voraus weissagten: Du wirst beim ersten guten Wort, was man dir gibt, bekennen, und aus lauter Gutmütigkeit dir den Kopf abschlagen lassen! – Er ist kein verworfner Bösewicht, sein Charakter ist ein Übermaß von Leichtsinn, aber eine große Gutmütigkeit, er kann einer ernsten Ermahnung nicht lange, einer freundlichen Behandlung gar nicht widerstehen, er ist aber nicht imstande, das Abscheuliche seines Räuberlebens einzusehen. Die Gewohnheit macht, daß ihm das Gehässige daran nicht auffällt. Er sagte: ich kann keinen Vorsatz der Besserung fassen, es ist mir zu schal und ekelhaft, auch verbat er sich jeden moralischen oder geistlichen Zuspruch. Ich will gern mein Urteil ausstehen, daß keiner über mich zu klagen hat, nur stellt mir meine Bosheit nicht vor und mein zukünftig Heil, denn ich kann beides nicht begreifen. –«

Pfarrer. Was für Hoffnung ist da, auf einen solchen Seelenzustand einzuwirken? Kein Charakter! Nicht einmal Strafesfurcht, nicht Liebe zum Leben, nicht Einsicht und Begriff von Schande, keine Reue! Religion würde ihm nun gar nicht beizubringen sein! –

Fr. Rat. Charakter? – Religion? – Alle Kraft des Segens, alle Weihe der Sakramente können aus diesem Charakter ins Leben gerufen werden! Was ist diese Leichtigkeit des Mutes, gewissenhaft zu sein? – Diese Freude und Wohlbehagen bewußter vollendeter Unwillkürlichkeit? – Er weiß, daß er sich verraten werde, und lächelt dazu? – Er kommt eurer Frage entgegen und weiß, daß sie ihn in den Abgrund stürzt! Er unterwirft sich dem schmählichen Tod, um eure Klagen gegen ihn zu stillen! – es ist nicht Mangel an Charakter, es ist unwiderstehlicher Reiz! – Der Mutige hat auch den Reiz der Gefahren! – es wird ihm zur Last, sich vor dem Tod zu hüten, und unmöglich, davor zu fürchten! – Und solch ein Charakter läßt sich nicht wie Holz zurechtschnitzeln.

[149] Pfarrer. An dieser Gleichgültigkeit sich zu bessern haftet kein treuer Wille, kein Versprechen, kein Vorsatz. Und Sie sind gegen die Vorkehrungen des Staates, diese Leute zur Besinnung zu bringen? – Sie nennen ihn einen gewaltigen Zuchtmeister, der über denen schwebe! die Sie unschuldig genug als Heroengeschlecht bezeichnen, und die doch nur mit voller Kühnheit lasterhaft sind, weil jedes Gefühl ihnen abgestorben ist, einen Sieg zu erkämpfen über das Laster! –

Fr. Rat. Diese Isolier – und Schweiggefängnisse, mit denen der Staat das innere Gewaltige, Verwegne und Energische der rohen Menge an verborgne Ketten der Heuchelei und Blödsinns zu legen wagt, führen so wenig zum Zweck, das Böse vom Guten zu scheiden, daß die Erfahrung ihn einstens aufs empfindlichste belehren wird!

Freilich der empirische Pöbel glaubt sich wohl zu befinden bei jenen gehaltlosen hohlen Spekulationen, die der Despotismus zu Systemen ausspinnt und damit den Namen der Weisheit und Menschenliebe sich aneignet.

Bürgermeister. Vor einem blinden Verfahren bewahre uns der Oberherr der Geister, aber das Mannigfaltige, Widersprechende dieser verworrnen Schicksalsrätsel, die durch jedes Berühren dem Bestehenden Gefahr drohen, kann nur durch ein System, in das die Einsicht gebildeter und geprüfter Begriffe einstimmt, auf eine rechtfertigende Weise gelöst werden.

Fr. Rat. Ein System? – Ist das nicht Geistesdespotie! – Das Schrecklichste, was ein Geist denken kann, das Einstimmen in ein System! der blinde Glaube ans System? – Wo hat der Geistige durch Tat und Wort seiner eignen Herrschaft uns unterworfen? – Und wir fassen das Schattenspiel unseres Aberwitzes in ein System, nach welchem wir unsern Bruder in Bande schlagen? für den wir zu sonst keinem Opfer uns fügten, noch nichts mit ihm teilten von den Gütern des Überflusses, keinen unverschuldeten Kummer ihm erleichtert haben. – Sie, Herr Pfarrer, sagen, dem Verbrecher würde man keine Religion beibringen? – Nein, gewiß nicht, aber darin ist auch auf sein einziges Rettungsmittel hingedeutet. – Er muß die Idee von Gott selbst erschaffen, er steht zwischen zwei Finsternissen, die ihn gänzlich einhüllen; durch seine schaffende Kraft wirft er Licht dazwischen! aus seinem eignen Geist drängt das Licht die ringsumgebende Finsternis in die Ferne! die Quelle seiner Größe, seines Geistesglückes strömt daher! – Sie wundern sich darüber? – Nun, wie einfach ist doch das! – er fängt mit sich als rohem Tier an, er arbeitet sich durch bis zum erhabensten Geisteswerk! – Zwar eure Kultur bis zur Verblendung, bis zum erhabensten Luxus konnte ihm den Weg der Selbsterkenntnis nur durch Verzweiflung bahnen in diesen Schweig – und Isoliergefängnissen. Euer System, ihr glaubt unbedingt daran! Kein Wort spricht eure Vernunft, kein Wort der Liebe euer Herz! – lesen Sie diese Verse, die in Mannheim mit Rötel, aus der Mauer losgekratzt, an den Steinblock geschrieben waren, an den der Verbrecher gefesselt war.
[150]

Dächt jeder dran, was Christus spricht,

Des Armen Recht vergesset nicht,

So würde man davon nicht wissen,

Daß ihr aus Not habt rauben müssen! –


Aus einem Blut mit euch entsprossen war, der euch hier anklagt! – Es mit euch zu teilen, wie mit ihm ihr teiltet, wär vielleicht sein Wunsch, sein höchster Gedanke: hättet ihr nicht mit grausamer Gleichgültigkeit ihn eurem System unterworfen, hättet ihr Bande geflochten, wenn auch geringe nur, sie hätten ihm genügt, die alten zerbrochnen Flügel hätte er abgeworfen, mit neuen hätte er sich aufgeschwungen, und keine List des Vogelstellers hätte ihn mehr erreicht.

Bürgermeister. Ihre Begeistrung überrascht Sie mit Einbildungen, die nicht sein können, nicht werden können. Die Beschauung der Welt und die Tätigkeit in ihr führt auf untrügliche Überzeugungen, daß für zauberische Pläne des Idealen kein Boden zu finden ist in der Wirklichkeit.

Fr. Rat. Das haben sich diese philosophischen Verbrecher selbst prophezeit, sie machen ja auch, wie wir sehen, keine Ansprüche, sie appellieren nicht mehr an eure Einsicht. Sie haben einen Begriff von Gott und, obschon er ihnen ein bitteres Los zuweist, sie nehmen's an, und zwar mit Vertrauen. Am Abend vor der Hinrichtung schrieb's ein Verbrecher an die Wand.


Schickt Gott schweres Kreuz zu tragen,

Nehmen wir's geduldig an;

Denn der's schickt, der kann's auch nehmen,

Alles steht in seinen Femen,

Der allein uns richten kann.


Bürgermeister. Dergleichen Stoßseufzer deuten freilich auf ihr letztes End, hätten sie noch Oberwasser, so hätte Gott das Nachsehen.

Fr. Rat. Vielmehr ist der Stoßseufzer eine schwere Beschuldigung gegen die, welche dem reißenden Tier des Luxus in den Rachen werfen, was das gerechte Erbteil jener unterdrückten Erdenbürger ist. – Bedenken Sie, daß, wenn Sie das Geschlecht der Motten er nähren mit Ihrem überzähligen Winterpelz, die nackten Armen leicht glauben, es sei kein großer Schaden, den Pelz den Motten abzujagen! – Hier lesen Sie die Geschichten solcher Leute, denen es einfallen könnte, einen Anteil an Ihrem Mottenpelz zu haben! –

»Geboren im Darmstädtischen an einem rein lutherischen Ort, als Knabe seiner harten Stiefmutter entlaufen, dient er als Hirtenjunge, ein Zimmermann lehrt ihn seine Profession, läßt ihn katholisch erziehen, dies und sein langjähriger Dienst unter den Pfälzischen hinderte, nachdem er strupiert war, daß man ihn in seinem lutherischen Geburtsort duldete, auch fand er keinen Unterhalt da. – Wenn man einmal meine Meerschweinchen an einem Ort gesehen hat, sagte er, so ist dort kein Verdienst mehr für mich,[151] und haben meine Weibsleute eine Gegend mit Tragringen versehen, so ist auf lange Zeit da kein Brot mehr für uns, wollte ich von einem festen Sitz meinen Erwerb betreiben, wer sollte die Kinder besorgen, wenn meine Frau mit den Ringen und ich mit den Schweinchen umherzögen? In einem festen Wohnsitz müßte ich herrschaftliche Abgaben geben, Wachen und Frondienste leisten, Haussteuer bezahlen, das alles fällt beim Wanderleben weg. Klagt eins Hunger, so häng ich ihm ein Bandelier Tragringe um, es läuft ins nächste Dorf, kauft man ihm nichts ab, so gibt man ihm ein Stück Brot, und wenn davon Abgaben sind, so ist es doch bloß an Eltern und Geschwister.« –

Fr. Rat. Eine Wohnstadt für die Armen, für das Geschlecht des Menschengewürmes, was könnte mich hindern, ein wahres Attika zu erbauen zum Ruhmesglanz meiner landesväterlichen Milde! Ja, wär ich Landesherr, ich wollt's euch zeigen, daß, wenn Begeistrung mich überrascht, ich doch an ihr nicht verzage als an einem Ding der Unmöglichkeit. Alle Gelüsten nach Pantheon, Kirchen, Museen, Naturalienkabinetten, Wintergärten und dergleichen würde ich an diesem Musensitze eines künftigen gewaltigen Geschlechtes abkühlen, eine Helden erzeugende Stadt müßte sie mir werden, inmitten der Zirkus olympischer Siegeskränze, denn da die Enkel doch ohne Hosen laufen, bis des Großvaters Tod sie zum Erben der seinen macht, so könnte die Polizei es nicht als dem Geist des Christentums zuwider verpönen, daß sie wie ungetaufte Heiden auf dem olympischen Spielplatz durch den Reif springen, oder man müßte um ihrer Gaunereien willen einen jeden in das Isoliergefängnis von ein Paar neuen Hosen und Jacke stecken, und das so lang, bis sie wieder herausgewachsen wären, sollten sie dennoch nicht zur Besserung schreiten, und abermals der christlichen Gesinnung zum Schauder dem Sanskulottismus sich ergeben ohne alle Rücksicht auf die fortschreitende Kultur, – nun so lasse man sie in ein zweites Paar Hosen und Jacke, recht fest und nicht durchzubrechen, einfangen, lasse sie bei Wasser und Brot und etwas Zugemüse in diesen moralischen Schweig – und Isoliergefängnissen, bis sie zur Erkenntnis kommen, daß mit gesunden und starken Gliedmaßen, frischem jungen Mut, der Gefahren und Beschwerden trotzt, mit spartanischer Abhärtung und Mäßigkeit man den unbedingtesten Anspruch an den Staat habe, einen ehrenvollen Posten in ihm auszufüllen. Ei! – diese widerbellende Magen tollkühner Hungerleider nicht zu Paaren treiben und mir gehorsam nachlocken wie die Lämmer auf die Weide, diesen Spott wollt ich mir als Landesherr in die Blätter der Geschichte nicht aufzeichnen lassen!

Bürgermeister. Gauner, Diebe, Vagabonden, Züchtlinge, die doch auch in den Pferch dieser Stadt gehören. Das wäre eine herrliche Lämmerherde, hinter dem Landesvater dreinziehend! –

Fr. Rat. Männer der Vernunft und des praktischen Lebens, große Männer des Ruhmes und Helden der Geschichte würde ich aus dieser Herde mir erziehen.

[152] Pfarrer. Sie scheinen als Landesvater Unendliches auf die Spitzbuben zu halten, so daß Ihnen ein geübter Mann im Amt und erworbner Kenntnis ganz überflüssig zu sein scheint!

Fr. Rat. Männer unverbrüchlicher Treue, felsenfester Ausdauer, unbezwinglicher Tapferkeit und Vaterlandsliebe! –

Bürgermeister. Sie möchten wohl das ganze Nationalgefühl auf sie übertragen! –

Fr. Rat. Scharfsinn und Politik wie Odysseus. Großherzig wie Diomedes! – Erschrecken Sie nicht, mein Geheimnis – mit dem ich die ganze Zeit hinterm Berg halte –, das Heiligtum des Nationalgefühls in seiner ursprünglichen Kraft wiederherzustellen, dazu ist bloß der sittenverwilderte, aller Verfeinerung glücklich entwischte, frevelnde, vogelfreie, besitzlose Erdenbürger geeignet! – Er, der noch nicht gelogene Treue zur Schau trug – denn betrog er, so war das sein Metier, welches die Not ihm aufzwang, – der seinem Vaterlande noch nichts zu verdanken hatte, der noch nicht Repräsentant gewesen seiner Würde, die er nicht Mann war zu vertreten, der jetzt aber in dieser Würde auftritt gegenüber einer Gattung, die am Menschenwesen nur in Beziehung auf sich selbst Anteil nimmt, und zwar den höchsten Gipfel da, wo's am steilsten ist, mit leichter Mühe ersteigt, aber fremde Kräfte zur Krücke bedarf. – Ja, selbst auf den Oberherrn lehnt sich der edle biedere Staatsdiener, der die Glossen seines Kopfs für Weltgenie hält, und wehe dem, der daran zweifelt! – mit einem Teerpinsel zeichnet er die Schafe seiner Herde, welche Schmach ihnen ewig in der Wolle sitzen bleibt. – Und welchem dies Zeichen der Abwesenheit aller Ehre nicht die saubere Wolle zusammen gebacken hat, des verwegnem Lauf der Wahrheit und Rechtschaffenheit wird die Krücke in den Weg geworfen, daß er drüber stolpere und, wie man hofft, Hals und Bein breche.

Bürgermeister. Sie sind ein großer Kritiker; Sie sind Dichter und Genie des Zeitgeistes, Ihr gestempeltes Wort kann aber leider so stark den Unschuldigen treffen wie die Krücke.

Fr. Rat. Hören Sie, nein! Denn mein gestempelt Wort steckt niemand in Schweig- und Isoliergefängnisse, wo das kranke aufgereizte Gemüt zur Wut angeschürt wird und mit sich allein brüten muß in bitterer Einsamkeit, wo Tage und Nächte gezählt oder ungezählt eine verzweiflungsvolle Kette bilden, von keinem Klang des Mitgefühls betont! Ach, Kinder des Elendes, wer soll euch trösten? – mein Herz wirft sich umher in Verzweiflung, wenn ich daran denke. Ach, könnt ich's euch zurufen, die ihr alle in Kerkern schmachtet, das tiefe Wort: Freiheit! So schwer angefochten, gekränkt, ohne Hoffnung, ohne Ziel! – es ist noch ein Unbezwingliches in euch, die Macht der Seele, Freiheit zu fühlen! eine göttliche Gabe kann ohne Frevel nicht geraubt werden! Das überlegt ihr! die ihr wagt, auch nur den Plan der Schweig – und Isoliergefängnisse dem Freiheitschützer darzulegen, dem Herrscher über das Vertrauen aller, und seine Phantasie damit zu besudlen. –

[153] Bürgermeister. Wie's scheint, konnten Sie gar auf den Gedanken kommen, die Sträflinge, die Verbrecher und Demagogen als Schutzwehr des Herrschers gegen den Staat aufzustellen, und in Ihrer politischen Unschuld mit Hilfe der demagogischen Keule selbst die Sittenverbesserung anfallen, das reinste Streben berechneter Klugheit mit Fußtritten verfolgen, den Geheimnissen unserer Religionsgebräuche überall ein Bein stellen.

Pfarrer. Ja, mit verkehrter Beleuchtung sie zu frappanten Zerrbildern zu nüancieren.

Bürgermeister. Es läßt sich ja auf der Hand darlegen, daß Ihr menschenliebiger Unverstand die ärgste Despotie, die Sie doch hassen, erzeugen würde, denn wenn auch jene Verbrecher (ich will's zugeben) dem einen treu sein würden, der ihnen Zutrauen bewies, ich will's zugehen, denn oft hab ich ihre Festigkeit und Ausdauer bewundert in den verzweiflungsvollsten Momenten – nun, das ist eine hündische Treue, die auf den leisesten Pfiff des Herrn den anfallen würde, der ihm gegenüber jene Weltkenntnis und beobachtenden Verstand als Staatsmann wollte geltend machen, wozu sein Beruf, das Recht vom Unrecht zu scheiden, ihn auffordert. Denn ich geb unbedingt zu: La garde filoux ne se rends pas; wem sie Treue geschworen, der kann jede Lage behaupten und würde auch jede zu benützen wissen. Denn leider ist dies der natürliche Trieb des Menschen, dem kein Hindernis die natürliche Kraft hemmt, er muß obenaus und nirgend an. Alle geistige Bildung würde verdunkelt, wo nicht gar verworfen. – Fr. Rat. Um allein zu glänzen, nicht wahr? – Sie fürchten sein Übergewicht! – ich bin's auch überzeugt, das Höchste des Verstandes tief und wahr durchdringt die innersten Herzen und erregt natürlich die Furcht derer, in denen das Feuer der Demagogie unter bescheidner Asche glimmt. Denn der geniale Fürst, der noch die verlorne Menschheit zu retten wüßte, der würde auch der Kraft des Wolfszahns und der List des Fuchsschwanzes entgehen. – Und – – dies demagogische Feuer, wovon ich die Funken aus dem rauchenden Kopfe jedes Staatsmannes fahren sehe, würde gedämpft werden. – – –

Mein ursprünglicher Begriff vom Wohl und Weh der Zeit hat sich einmal darin festgesetzt, die Demagogie eures gebildeten Weltverstandes, mit dem ihr den reinen Menschensinn selbst im Landesherrn verfolgt, um den irgendwie zu beseitigen, ja durch Aberglauben und Vergötterungstrieb der Gesetzesdespotie ihn wirklich wie einen Sklaven zu binden meint, grad mit denen im Zaum zu halten, die ihr als Demagogen auf dem Korn habt. Und so kommen Sie mir grade entgegen mit der Frage, ob ich will dem Landesherrn eine Leitgarde aus Spitzbuben und Gaunern bilden, ja freilich, das will ich, und die wird euch im Respekt halten, daß ihr keine Fuchsschlingen und keine Wolfsgruben um ihn her aufwerft. Und daß die eingesperrten Demagogen mehr Verstand haben als euch lieb ist, das beweist ja schon, daß ihr sie einsperrt, denn sonst ließt ihr sie als arme Tropfe laufen und das mit Recht, da ihr selber dies Prärogativ der Geistesfreiheit genießt.

[154] Bürgermeister. Um Gott, Frau Rat, donnern Sie nicht auf uns ein! wenn Sie auch hie und da auf Mißgriffe stoßen, wenn auch dann und wann, hier und da ein leicht Versehen, und einer oder der andere mehr oder weniger – –

Fr. Rat. Ich will Ihnen helfen, Sie wollen sagen: Wenn wir auch den Zweck durch die Mittel verfinstern, und das Menschengeschlecht und seine Bestimmung durch unsre Verkehrtheit dem darunter leidenden Herrscher zum qualvollen Rätsel machen, so glaubt doch, daß wir's uns selber weisgemacht haben. Und nun, Herr Bürgermeister, widerlegen Sie mich nur derb, sonst läßt's die Zensur nicht passieren.

Bürgermeister. Wir tragen unsre Lasten eingehüllt ins Bewußtsein unserer Verantwortung vor Gott; alles, was unsre Kräfte vermochten, zum Wohl der Gesamtheit, das geschah. – –

Fr. Rat. Nur nicht das, wozu jeder geschaffen ist. – Ach, folgt dem Ruf des Weisen: Kenne dich selbst! Ach, der Weise fordert viel, ihr könnt keine schlechtere Bekanntschaft machen. – Strafen, welche die Reinheit der Phantasie besudlen dessen, der sie verhängt, und das Herz mit Bosheit füllen dessen, der sie vollzieht, sind Vergehen, die euch dem größten Verbrecher gleichstellen. – Ist der nicht wahnsinnig, der sich dazu hergibt, diese Strafe zu vollziehen? Oder wie kann er ruhig schlafen bei der Grausamkeit seiner Pflichten? – er müßte denn selber einen Genuß an dieser Tyrannei haben! – Während ihr Göttern gleich im Rate sitzt, hat der Teufel den Samen der Bosheit euch ins Herz gesäet, hat es vergiftet mit wollüstigem Genuß an der Grausamkeit. – Was meint ihr, der Verbrecher solle zur Besinnung kommen in dem Isolierkäfig! – Ein Philosoph, der ein geborner und geübter Denker ist, der in so einer Eremitage inmitten seiner Profession sitzt, – probiert es mit dem, und er wird das Denken bald satt haben! – Was ihr nicht mit der reinsten Aufopferung tut, daraus geht nur Elend hervor. Zum Werk der Liebe gehört der ganze Mensch. Wie der Bräutigam der Braut nachgeht und sie wiederzugewinnen sucht, die er leichtsinnig versäumt und betrogen hatte, weswegen sie sich aus Verzweiflung dem Teufel verschreibt, sie will Leidenschaft vom Geliebten, dem sie Herz und Hand gelobte und der sie heimlich verriet.

Pfarrer. Wenn diese Braut aber so ausarten kann, daß sie sich dem lasterhaftesten, liederlichsten Leben ergibt, muß doch der Bräutigam ihr den Kopf zurecht setzen.

Fr. Rat. Was ist das zwischen Liebenden? Schweighäuser, Isolierhäuser! um eine Hyäne aus der Braut zu machen, aber nie wird sie sich mit liebender Furcht ihrem Herrn und Gemahl anschmiegen, nie wird sie in mütterlicher Lust ihm die Söhne erziehen! – Heimlich wird sie ihnen Rache einflößen, der Spitzbube, der Gauner, der Mörder wird die Mutter rächen! – so spricht ihr dumpfes Murren.

Bürgermeister. Der Staat braucht des dumpfen Murrens nicht zu achten, und kann die ohne Gewissensbisse schweigen heißen, denen er Schutz und Obdach gewährt.

[155] Fr. Rat. Schutz und Obdach? – Mit stolzer Verzweiflung singen die: der Mond ist unser Nachtquartier, der Wald ist unsre Sonne! –

Bürgermeister. Im Gegenteil! Der Wald ist das Nachtquartier und der Mond die Sonne, ich habe das Lied oft mitgesungen.

Fr. Rat. Wieso? – mit den Spitzbuben? –

Bürgermeister. Nicht mit Spitzbuben; – mit Geist und Herz erhebenden Gefährten sang ich's oft als Student, in der Burschenschaft, den Hieber an der Seite, mit Kanonenstiefeln und einem tüchtigen Zopf im Nacken! wo unsere Gelübde erschallten, die innern und äußern Feinde des Vaterlandes zu besiegen!

Fr. Rat. Und deswegen sind Sie so hinter den Dieben her. Noch außerdem, daß Sie Wunder zur aufgeklärten Zeit beitrugen, indem Sie, trotz dem besten Schneider, an ihrem edlen Gewand schnippelten, und kürzten sie nach beliebigem Muster zu einer sehr engen Jacke um.

Bürgermeister. Wenn die Jacke dünnfadenig ist und abgenutzt, soll man sie da nicht wenden, daß sie wieder ein Ansehen erhält? –

Fr. Rat. Eine dünnfadenige Jacke, die zu eng ist, muß bei erster Gelegenheit einen Krach tun.

Bürgermeister. Unbekleidet kann doch die Braut nicht sich umhertreiben?

Fr. Rat. Eine Athletin, immer Trotz bietend, immer bereit zum Kampf, braucht kein Gewand! – Sie säugt ihre Kinder ungegürtelt, sie pflegt den deutschen Baum der Treue! O, laß sie innerlich wachsen, ja innerlich, und die Borke wächst mit. Doch wenn sie sich verraten fühlt vom Mißtrauen, wenn der Bräutigam sie zwingen will statt sie zu gewinnen, dann fühlt sie sich herabgewürdigt, sie ergibt sich dem Teufel, rein toll vor Wut, verraten, mißhandelt zu sein. Nein, rechnet auf keinen Funken der Liebe! – Die Liebe, der Geist, die Aufrichtigkeit allein konnten hier heilen. – Aber Rache und Erbitterung holt ihr aus der Apotheke eurer Seelenarzneikunde, ihr amputiert der Menschheit edelste Glieder, ihr fragt nicht, ob sie noch zu retten seien, und verstümmelt damit euren eignen Begriff vom Zeitgeist, vom Willen und Bedarf der Nation. – Euch bleibt nichts übrig als eure verrückten Vorurteile; und die, wahrhaftig, machen euch noch ganz blind. Ihr tappt im Dunklen, und möchten Sie den Wald oder den Mond zur Sonne haben, Herr Bürgermeister, Sie sehen Ihre eigene Hand nicht vor den Augen! – Sagen Sie, wie konnte man die Bande des Schinderhannes und des schwarzen Peter ohne weiteres zum Tod verurteilen und kurzweg hintereinander exekutieren? –

Bürgermeister. Ich bekenne mein Erstaunen, dies also bringt Sie so in den Harnisch? Man sollte meinen, Sie hätten einen Liebsten drunter gehabt.

Fr. Rat. Mehr als einen! Es waren Helden, wär ich Fürst, ich wüßte mir keine bessere Leibgarde zu wählen! –

Bürgermeister. Potztausend, Frau Rat, da ständ doch gewiß der Teufel Schildwach vor Ihrer Türe, und wir ehrliche Teufel würden von dem nicht vorgelassen bei Ihnen mit unsere Gründe, warum wir die Schinderhannesbande vom Leben zum Tod brachten.

[156] Fr. Rat. Diese Gründe würde ich auch nicht anhören.

Pfarrer. Die Frau Rat scheinen ziemlich despotisch zu Werke gehen zu wollen!

Fr. Rat. Mit des Teufels Leibwache kann man schon dem eignen Geist Wege bahnen und Dinge tun, wobei den Philistern die Haare zu Berg stehen! – und alle politischen Mäuse können da aus ihrem großen Frankfurter Käse sich auf die Hinterpfoten stellen und verwundern, daß noch eine so große Welt außer ihrem Käse von ihnen nicht in Beschlag genommen war!

Bürgermeister. Wenn Sie auch Ihre Weisheit anstrengen, sie uns bestens einleuchtend zu machen, deswegen ist sie von der gesetzgebenden Macht noch nicht sanktioniert und würde von dieser erst sehr müssen modifiziert werden.

Fr. Rat. Dann säß gleich wieder der Teufel drin. Bei einem gewissen Halbdunkel oder im Mondschein sieht man Gespenster.

Ihr seid nicht fähig, die menschliche Natur zu beurteilen, sonst hättet ihr jener Gefängniseinrichtung nicht einen Augenblick nachgegeben! – Ja, ihr würdet es als Pflicht auf euch nehmen, dagegen aufzutreten, und lieber euer Amt niederlegen als nachgeben! –

Pfarrer. Was soll man tun! – Wir sind die Passiven im Lande.

Fr. Rat. Ihr Priester, statt so oft den Rabenstein hinaufzustolpern mit den armen Sündern – wie oft war's denn? – dreimal in einer Woch! – da wär ich doch wahrlich zum Landesherrn gelaufen und hätt in ihn hineingedonnert und hätte ihm die Hölle heißgemacht, daß er nicht so ins Zeug hinein soll hängen und köpfen lassen! –

Bürgermeister. Frau Rat, Sie sind im Irrtum, da war auch nicht ein klein Leutnantchen für Ihre fürstliche Leibgarde herauszuheben. Die fürchterlichen Mordtaten forderten Wiedervergeltung, die schnellste war hier die menschlichste. – Die unendliche Menge von Verbrechen! – Der letzte scheußlichste Raubmord, empörend selbst für den Mindergefühlvollen, haben den regsamsten Eifer der Gerichte angefacht.

Fr. Rat. Ja dieser angefachte Eifer, wie hier im Pfister zu lesen! »verfügte, daß gleich zum Husaren geschickt wurde, um auszureiten und Kundschaft einzuziehen, allein der Husar war nicht zu Haus und das Pferd war lahm, zum Streifen war's zu spät, die grausame Tat geschah erst um fünf Uhr abends, und die Anzeige kam erst um neun Uhr nach Mittelgrund zu den Gerichten, um zehn Uhr war erst Gewißheit angelangt, um elf Uhr ward der Chirurgus geholt, der am andern Morgen gleich beim Verscheiden des armen Gemordeten erst kam, ihn zu besichtigen, es hatten somit die Räuber (sowie auch der Tod), von denen man keine Spur hatte, siebzehn Stunden Vorsprung, wobei alle Verfolgung vergeblich gewesen sein würde, zumal auch ohnehin des einzigen Husars Pferd lahm stand und gar nicht in dem Augenblick geritten werden konnte.« Wie das alles hier geschrieben steht in den Akten des Pfisters! Wie ist denn hier für die Sicherheit der rechtlichen Bürger gesorgt mit dem angefachten Eifer der Justiz! – [157] Bürgermeister. Alles kann nicht auf einmal geschehen! In wenig Monaten haben wir eine Untersuchung zu Ende und die Deliquenten vom Leben zum Tod gebracht, wo jetzt schon Gras auf ihren Gräbern wächst, und schon ist man wieder andern verbrecherischen Bündnissen auf der Spur.

Fr. Rat. Trotz dem lahmen Pferd werden also die Verbrecher keinen Vorsprung gewinnen? – Aber doch immer nur nach geschehener Tat? –

Bürgermeister. Wie meinen Sie das? – nach geschehener Tat? – Wir können doch nur eines Verbrechers uns bemächtigen, wenn er verbrochen hat. –

Fr. Rat. Nähme man doch seiner sich an, bevor man sich seiner bemächtigt, vielleicht käm man dann auf einen bessern Fuß mit ihm zu stehen und für weniger Unkosten. Wär das Pferd nicht lahm, und der Husar immer beritten, vielleicht daß man der Teufelsgewalt, die der armen Seelen sich bemächtigt, dann zuvorkäme! – die doch so gut auf den Tod verwundet sind als jene vom Chirurgus zu spät besichtigten Raubgemordeten. – Und daran ist bloß das lahme Pferd schuld und der Husar, der nicht zu Hause ist, und der Chirurg, der zu spät kommt, und das Verbrechen, was den Vorsprung gewinnt vor diesen Anstalten ohne menschliche Vorsicht und Liebe und Geist, und endlich die ganz miserable Heilmethode und Krankheitsuntersuchung der Rechtspflege, die den Verbrecher an den Galgen des eignen Unverstandes hängt und nie was Gescheutes zuwege bringt.

Pfarrer. Sie bleiben immer bei dem Negativen, bei dem, was man nicht soll, aber kommen Sie doch auf das Positive, auf das, was man soll, damit man die Wege der Weisheit offen vor sich sieht! –

Fr. Rat. Es wär mir lieber, Sie möchten's erraten, so weiß ich, Sie wären einverstanden mit mir. Sollen Sie dem Verbrecher helfen, so müssen Sie sein zweites Ich, seine bessere und also seine liebendere Hälfte sein. Ich frage Sie, ob Sie dies in Ihrem Innern fühlen? – Nein, Sie werden eingestehen, daß vielmehr der Verbrecher Ihnen mit Wärme und Liebe anhängt, sowie Sie ihm den geringsten Anlaß dazu geben. Aber ihr leugnet ja selbst der angebornen Natur Liebe und Kraft in ihnen, wie wollt ihr den Weg finden, diese zu entwicklen? – Daran habt ihr nie gedacht, daß ihr ihm erst eine Unsterblichkeit geben müßt statt ihm das Leben zu rauben. Ihr müßt die Bedürfnisse der Unsterblichkeit in ihm wecken, sie sind das Bedürfnis der Liebe, diese kennt nur Unaufhörlichkeit. –

Pfarrer. Frau Rat, Sie kommen da wieder mit Unmöglichkeiten.

Bürgermeister. Ja, totale politische Unschuld.

Pfarrer. Sie haben keine Ahnung von diesem innern Mord aller sittlichen Prinzipien! alles Gefühl geht in Rauch auf, alle Moral ist längst in Asche versunken! –

Bürgermeister. Rechnen Sie nicht auf Vorstellung und Begriff, dazu ist die Tafel ihres Denkvermögens viel zu sehr mit Unrat aller Laster und Genüssen des Verderbens befleckt. Darauf ist kein Sittengesetz zu verzeichnen.

Fr. Rat. Habt ihr denn alles versucht, was sonst auf Seele und Geist Einfluß hat? – Ihr habt gar nichts versucht, selbst das bißchen Sonne, das[158] manches Grashälmchen frühzeitig weckt, das versagt ihr ihm. – Das Licht der andern Welt habt ihr in Nacht verwandelt, schwer geladne Gewitterwolken türmen sich vor seinem Blick in die Zukunft. – Für was ist alle Kunstbildung, wenn sie nicht den Schmetterling aus seiner Verpuppung löset, für was Geist, wenn er euch selbst nicht hellsehend macht? – Setzt ihr die Allmählichkeit in der Natur voraus, und verzweifelt, daß die Bildung des Verbrechers je vorwärts rücke, so bedenkt, daß ein inneres Vorwirken euren Blicken entzogen ist, erkennt ihr aber die Macht der Natur, durch einen Zauberschlag im Nu ein neues Leben mit allen künftigen Bestimmungen zu beginnen, was sie zweimal Euch beweist beim Lebensein- und ausgang durch geheimnisvolle Vorbereitung im Schoß der Mutter, im Verein aller Naturkräfte (die geistigen nicht ausgenommen), vorzüglich aber die Liebe! so denkt, daß auch dies Erdenleben eine Schwangerschaft ist; – daß jenes Urteil, was diese Schwangerschaft in ihrem heiligen Werde vernichtet, fürchterlicher Verrat am Göttlichen ist! Ihr habt die Bildung, ihr seid zugänglich für jenen Begriff, für jene Vorstellungen des Höheren, eure Gedächtnistafel ist ja nicht so mit Unflat bedeckt, daß kein Sittengesetz drauf eingegraben werden könnte. Nun, warum haftet das Gesetz des Geistes nicht darauf? Warum habt ihr die Ahnung nicht der höheren Elementenwelt? Warum tritt auch euer Begriff in Knechtsgestalt auf? – Ich will's euch sagen! weil der Beginn eurer Laufbahn eine Lüge war! – ›Es werde Licht‹, dies allharmonische Werde, das in einem Nu alle Lebensfeuer ausströme, das habt ihr geleugnet! Furcht wuchert in eurer Seele. Euer Geist selbst ist gebunden, härter als der Gefangnen, und doch verzweifle ich nicht, daß er sich regen werde, sowie ihm die Stricke gelöst sind. Und doch fühlt der Liebende, den ihr leugnet, die ewige Sehnsucht, euch zu überwinden, um euch zu beglücken! – O verzweifelt nicht am Verbrecher, legt nicht Hand an ihn, seine Verwilderung führt ihn nicht so weit ab vom Ziel als eure falschen Vorkehrungen! –

Ja, Herr Bürgermeister, ich seh, in Ihren Augen leuchtet meine politische Unschuld, die Sie mit Nachsicht überschwemmen, ich aber anerkenne in Ihnen keine unschuldige Politik; denn sie ist aller Verkehrtheit Urlüge, die hat so weit euren Geist herabgewürdigt, daß er nicht einmal mehr zurechnungsfähig ist. Diese Urlüge der Politik drückt mit finsterem Schlaf despotisch auf euch zusamt den Verbrechern! richtet die Urlüge der Politik, und die gesamte Menschheit wird ins junge Grün der Unschuld wieder sich einkleiden! – Der Scharfrichter, der das Beil glücklich führt gegen diese Urlüge, bedarf keiner dreihundert Schläge, um sich ehrlich zu richten, der erste Schlag macht ihn zum König der Erde!

Pfarrer. Eine neue Religion bedarf einen neuen Katechismus! –

Fr. Rat. Nehmen Sie aus der alten Religion die reine Basis. ›Die Liebe richtet nicht! – sie bringt sich selbst zum Opfer! – Zweitens! verfolge nicht mit Messerstichen das fremde Gewissen, weil du den Stich des eignen Gewissens so gut überwindest und vernachlässigst.‹

[159] Bürgermeister. Wollten Sie doch den Wahn fahren lassen, als ob wir gegen unser eidliches Gewissen handlen, im Gegenteil zwingt es uns zu jedem Schritt, selbst mit Widerstreben unseres Gefühls.

Pfarrer. Und ein Teil dieses Elendes selbst ist mit über uns verhängt! Unsre schönsten Hoffnungen auf Menschenglück, unseren Jugendstolz und Gefühl menschlicher Erhabenheit sehen wir im Schiffbruch zu Trümmern gehen, und Geringes nur ist durch unser Bemühen zu retten!

Fr. Rat. Sie guter Herr Pfarrer und bester Herr Bürgermeister! Ihr seid übel dran, ihr könnt nicht mehr unwillkürlich wollen; ihr müßt mit Absicht und Vorsatz auf das Gute lossteuern. Zwei schlechte Krücken! über die man hundertmal Hals und Bein bricht, ehe man einmal mit ihnen ankommt.

Pfarrer. Ja, das ganze Leben ist ein ewiges Stranden alles Heiligen und Höchsten, worauf man baute, und dem in seiner Jugendbegeistrung alle Kräfte gelobte! –

Fr. Rat. Ach, den besten Seelenkräften stellt der Teufel ein Bein und stiebt alle moralischen Vorsätze auseinander, wie der Sturmwind die gewaltigen Äste der Eiche losbricht, da stehest du, Baum, mit wetterzerzauster Perücke mitten in deinem Sommer, und der Wind wirbelt mutwillig mit deinen ausgerupften Locken im weiten Nichts herum. – Wolltet ihr aber die Naturstimme Steuermann sein lassen, ihr würdet nicht Schiffbruch leiden! sie bleibt auf keiner Sandbank sitzen der Gesetzesdespotie, der Rechtsform, des Aberglaubens am alten System; sie steuert sorglos zwischen den Zorneswogen der Hoffart, des Neides, der Herrschsucht und des beleidigten Ehrgeizes heimlicher Rachsucht, des tyrannischen Selbstdünkels. Sie entfaltet für Freiheit den nötigen Sinn, die Geistesschönheit, das Allumfassende der Menschenliebe. Reiner unbefangner Religionsgeist! – Heilige Kunst, vollendete Menschennatur, in der Volk, Kinder und Götter in mannigfaltigen Gruppen ihr nachschwimmen, bilden die stolze Flotte, die, ihrem Kompaß und Steuer vertrauend, auf dem Lebensmeer gefahrlos dahinrauscht.

Pfarrer. Wie kommt's aber, daß diese Siegesgöttin bisher noch keine überwindende Reden gehalten hat, daß im Gegenteil ihr Stottern oft verrät, sie wisse nicht aus noch ein? –

Fr. Rat. Weil man ihr aufs Maul schlägt, mein lieber menschenfreundlicher Lavater! – Weil man ihr den Prozeß macht, ohne sie anzuhören, weil man sie nicht versteht und doch verdammt. – Denn der sie versteht, für den wird sie mächtig und mächtiger, es ist kein Eindruck so gewaltig, sie bemeistert ihn.

Pfarrer. Aber das Böse, was in dem Menschen wuchert, wie kann dies bekämpft werden als durch Inspiration höherer Weisheit, die mit der Naturstimme gar nicht zusammenhängt? – Die Kirchenväter, die das Wesen der Sünde so tief erkannten, haben dieser Naturstimme doch auch aufgelauert und allerdings gefunden, daß ihr nicht zu trauen sei.

[160] Fr. Rat. Das Böse ist eben im Menschen, weil die Naturstimme nicht Herr in ihnen geworden, ein alter Kirchenvater hört sie so wenig, als wenn er mit seiner Pelzmütze auf einen alten Teppich schlägt! – Der närrische Hochmut, uns von der Nichtigkeit des Weltalls überzeugen zu wollen, dies Prachtgebäude der Ewigkeit, aus dem wir Belehrung und Veredlung schöpfen mit jedem Atemzug, und so ein närrischer Kirchenvater, – schätzen soll man ihn, als ob er die himmlische Weisheit wär, und steht vor dem Weltall wie die Kuh vor dem neuen Scheuertor! – Ei, daß er sich nicht schämt und besinnt! – Alle Stern mit ihren mächtigen Sippschaften sollen vergänglich sein, und ich elender Kirchenvater, der das ausgeheckt hat, und nie meine Gedanken übers Kirchendach hinaus hab fliegen lassen, soll fort und fort über all unsre Begriffe hinaus fliegen.

Pfarrer. Die prophetischen Monumente des Alten Testamentes mit dem Siegel des auslegenden Geistes zu verwahren, der nur wahre Emanation göttlicher Urkraft sein kann, unmittelbare Gnade Gottes; – durch die sein heilig Regiment über den schwachen Menschengeist ordnen, und seine Existenz, die auch bei dem besten Streben, ihn zu begreifen, oft bezweifelt wird, zu beweisen im Feld des Übersinnlichen; – da streifen die Kirchenväter doch weit über das Kirchendach hinaus.

Fr. Rat. Das Suchen nach Gottbegreifen ist das Sichselbsterzeugen des Menschen. – Ist die Frucht im Mutterleib nicht auch in fortwährender Tätigkeit, sich selbst zu erzeugen? – ist Leben überhaupt ein anderes als das Liegen im Mutterleib und Werden? – was hat ein Kirchenvater da dreinzupfuschen? – gibt's nicht ein sinnlich Denken, was den Apfel reift? – Das Gefühl des Werdens ist moralisches Genie, Quelle der Unsterblichkeit. – Die Kirchenväter haben sich diesen Lebensstrom abgedämmt zu einem stehenden Sumpf, in dem hat sich aller Unrat gesammelt, und sind wie die großen bemoosten Karpfenhäupter drin herumgeschwommen, das kann aber mich nicht hindern, munter mit der reißenden Lebensflut dahinzurauschen.

Pfarrer. Sie halten also unser christliches Verharren für ein Weilen im Sumpf der Geistesdespotie! – für charakterloses Nichtdenken, für Feigheit – die über sich beschließen lässet, und nicht für Unterwerfung der göttlichen Offenbarung! –

Fr. Rat. Das Göttliche ist frei im Menschen, und kein Beweis von dem, was Gott getan, was er gemeint und was er prophetisch wahrgemacht hat einst, hindert, daß jetzt der sich freiem Spiel überlasse in ihm. Was ist Genie? – Es ist des Gottes freies Spiel im Menschengeist. Das aber kann der Kirchenvater durch kein Gebot im Zaum halten.

Pfarrer. Und die göttliche Gnade, haben die Kirchenväter sie nicht als Offenbarung gehabt? –

Fr. Rat. Was Gnade! Ein Fabelwort und fürchterlicher Selbstdünkel! Alles in der Natur ist Sinnentrieb, und das ist ihr Geist.

Pfarrer. Wie? – Das ist ihr Geist? –

[161] Fr. Rat. Strömt die Natur nicht Leben? Wo soll der Geist aufspringen? – Der Mensch ist ganz zwei, denn er ist ein anderer, wenn er denkt, und ein anderer schlafend, und doch ist er nicht zwei, denn er schläft, wenn er denkt, und denkt, wenn er schläft. So ist er denn nicht sein eigen, wie's scheint, denn ein höherer Geist treibt seine Sinne zum Denken, zum Werden. Der Mensch ist nicht, er wird erst. Der Mensch ist noch nicht geboren, er keimt erst. Der Mensch ist noch im Mutterleib, und sein Denken ist schlafendes Saugen der unreifen Frucht. – Der Mensch wühlt sich durch die unendlichen Wolken des Denkens zum wirklichen selbständigen Sein, das heißt: er erschafft sich erst durch Denken. – Sie meinen sich wirklich! Sie sind aber nicht wirklich, Sie sind nur Pfarrer! –

Pfarrer. Als Pfarrer muß ich doch noch Herr meines Geistes sein! Ich muß ihn verwenden, er ist durch meinen Fleiß, durch mein eignes Bewegen, das heißt denkendes Lenken, dazu geworden, daß ich der Menge ihn wiedergebe; und zwar als Religionslehre, als beglaubigende Macht wirkt er auf die Menschheit, ebenso als segnende Kraft, ebenso als belehrende Stimme auf die durch das Wort Gottes sich bildende Menge. Da kann mein Geist doch nicht als Pfarrer eine Stufe niedriger stehen wie als Mensch? –

Fr. Rat. Ach, gehn Sie doch! In was vor einem zähen Vogelleim hat sich Ihr Geist die Flügel verklebt! – Die Schwungfedern sind ganz verleimt. Da hüpfen Sie wie ein gezähmter Dompfaff auf dem Kirchenterrain und picken den heiligen Hanfsamen, den Sie vorgestreut kriegen von den Kirchenvätern, und da wollen Sie noch als Pfarrer sich eine Stufe höher retirieren als der wilde Waldmensch, der vielleicht noch nicht aus seinen Urwäldern hervor ans Sonnelicht kam? – Treten Sie in die Sonne, und Ihre Gestalt wird in ihrem Licht sich abgrenzen und im Schatten sich Ihnen vormalen. Nun, Ihre Gedanken sind der Schatten, den die alleuchtende Geistessonne umgrenzt. Im Denken muß der Geist aufgehen, er ist Lichtkeim der Zukunft. – Das irdische Leben ist der Mutterschoß des Geistes. Das ist Sünde, was dem Geist Eintrag tut, weil jede Verstocktheit und Zwangsgewalt des Geistes Werden unterbricht.

Pfarrer. Aber der Geist, aus welcher Quelle strömt er? –

Fr. Rat. Nicht aus der Gnadenquelle. Er hat den Willen des Werdens, nicht aus Gnade, aber aus Selbstliebe, er kann und soll der einzig Selbstliebende sein. Es ist keiner unter, keiner über ihm, dem zulieb der Geist handle, alles verwandelt er in sich, damit er alles ausströme. Geist ist Selbstliebe, die kann nicht Gnade sein.

Pfarrer. Was ist aber Gott? ist der auch Selbstliebe? –

Fr. Rat. Er ist Geist! Selbstüberwinder aus Liebe zu sich. Einer in sich den andern! – Überwindet der Liebende nicht den Geliebten, drum nennen wir Gott die Liebe. Liebt sich, sucht sich, überwindet sich ineinander! –

Pfarrer. Und die Wunder, die er tut, die den Geist des Menschen so oft überraschen, mitten in der Finsternis, mit hellem Licht der Bekehrung –[162] die auch sollen nicht aus dem Gnadenquell fließen? – noch außer denen, die der Gottsohn mitleidvoll über die Menschheit ergoß?

Fr. Rat. Christus hat müssen nach Wundern ausgreifen, um die Menschheit zu bekehren, das war freilich kein Wunder, er hatte sie bei der Hand. Aber das nimmt mich wunder, daß sein Geist ohne sinnliche Wunder nicht wirken konnte. Wahrscheinlich hat er Eil gehabt, wieder in den Himmel zu kommen, was ihm auch nicht zu verdenken ist, es gibt Jahrszeiten und Witterungen, wo man keinen Hund vor die Tür jagen mag. – Man muß sich alles zurechtlegen; seitdem ich in Klopstocks Messiade gelesen habe von den Marmorhallen und parkettierten Himmelsböden, da dacht ich, unsereins ist auch froh, wenn's wieder zu den seinigen kommt. Es hätte ihn vielleicht freilich ein bißchen mehr Zeit gekostet, wenn er's hätte ohne Wunder abmachen wollen! –

Pfarrer. Ich umgehe Ihre Scherze; ich erinnere Sie an die göttlichen Dekrete, die in Erfüllung gehen mußten. Alle Wunder hatten schon ihre Bestimmung im Alten Testament!

Fr. Rat. Das war eben das Unglück, denn immer ist's zu bedauern, daß die Menschheit nicht durch die göttliche Weisheit klug gemacht ist, sondern durch die Wunder schon zweitausend Jahr perplex. Einmal macht ich die Reise nach Heidelberg mitten im Winter, die Bäume waren alle überglast, abends im Mondschein das Wunder anzusehen von den ungeheuren Silberschluchten in den Bergwendungen, und die stolzen Mauern mit den Kaiserbildern, hinter denen die Zeit alles abgebrochen, die treten hervor und fangen das Silberlicht auf und verwandlen sich in Geister durch den Zauberspiegel der Natur; – schau hinein in diesen Zauberspiegel, sie will die Wahrheit deiner Sinne nicht gefangen nehmen, noch deine Vernunft! – Das erbarmt mich aber sehr, wenn das Menschengeschlecht angerückt kommt mit seinen Gesetzen und Auslegungen der Wunder, und ein Menschengeschlecht will sie dem andern aufplacken und verweigert dem Geist, zu genießen, was der ihm Reifes bietet, als sei es die Frucht vom bewußten Apfelbaum: »Du sollst nicht vom Baum der Erkenntnis essen!«

Bürgermeister. Ihre philosophischen Ausfälle auf den Staat, daß Sie den Verbrecher als seine selbstverschuldete Staatskrankheit schildern, das wird dem freilich eine verderbliche Frucht des Erkenntnisbaumes scheinen.

Fr. Rat. Der Staat ist Mensch, die Menschheit zur Freiheit heraufbilden ist seine physische Geschichte. Er trägt die Krankheitstoffe in sich, und soll sich aus ihnen erlösen. Ist die Menschheit Kind, dann liegt Anlage und Gesundheit im Keim! – Der Staat muß diesen Freiheitskeim in ihr entwicklen, sonst ist er Rabenmutter und sorgt auch für Rabenfutter. Ist die Menschheit zum Jüngling herangereift, dann ist dem Staat als Vater des Sohnes Freiheitsblüte die beglückendste Hoffnung und sein heroisch Feuer der höchste Genuß! Muß dem Vater nicht obliegen, daß der Sohn nicht Sklave sei, daß die gewaltigen Kräfte der Selbstheit sich in ihm[163] ausbilden, aber nicht unterdrückt werden. Sollte der Vater den Weg der Natur in ihm nicht anerkennen wollen? – Dann aber ist die Menschheit Mann geworden. Herz und Seele und den Gesamtgeist der Menschheit hat der Staat selbst aber aus der Geschichte herauszubilden, und das ist der Staat als Heros! – Hiermit tritt er zugleich ins Zentrum zurück und wird Herr der gesamten Peripherie. –

Bürgermeister. Mensch ist der Staat? – Mutter, Vater! – Dann endlich Herz und Seele regiert vom Gesamtgeist, der ein Heros ist und ins Zentrum zurücktritt und Herr wird der gesamten Peripherie! – Ei, wo bleibt der Landesvater? –

Fr. Rat. Ja! wo bleibt der, wenn er nicht rasch der Zukunft in die Mähne greift und kühn sich ihr in den Nacken schwingt, und unter jauchzendem Zuruf der Menge den atabyrischen Gipfel erreicht, bekanntlich der Siegesgipfel der olympischen Renner! – Wenn er von diesem Höhenpunkt aus nicht herrscht, tief im Herzen die Weisheit, mit gradem Schritt daher tritt, die gerechte Seele voll Redlichkeit, daß Bürger und Freunde mit Ehrfurcht und Gunst und vaterlandliebender Wonne ihn umschwärmt. – Wo bleibt er? – Mich ängstigt's selbst! – Wo bleibt er, wenn er nicht Genius der Menschheit wird? – Das heißt vollziehendes Prinzip ihrer Ansprüche! – Der Staat hat dieselbe Willkür, dieselbe Gewissensstimme für Gutes und Böses wie der Christ, doch die verkrümelt sich in den Rechthabereien der Staatsdiener gegeneinander. – Der Verbrecher ist des Staates eigenstes Verbrechen! – Der Beweis, daß er sich als Mensch an der Menschheit versündigt. Die ihn dahin bewegen zur Willkür, die alten Staatsphilister, die sind auch seine Krankheit. Die sich aber dieser Willkür nicht fügen und nicht durch die seelenbeengenden Verhältnisse sich durchwinden können, das sind die Demagogen, an denen versündigt sich dieser ungesunde Staat, weil er ihre gesunden Kräfte nicht in Harmonie zu bringen weiß. Und grade denen muß er sich widmen, weil sie seine Ergänzung sind und seine Wiederherstellung, während die andern, die sich ihm fügen, ihn in sich versunkner und stocken machen!

Bürgermeister. Der Regierung dürften, die unter ihrem Schutz aufkommen, den Daumen aufs Aug setzen? – Sie soll's für eigne Krankheit halten, daß nicht diese widerspenstigen Kräfte ihr im Schoß wurzeln? Nein, wollten diese nicht zahm werden, so mußte ihr eignes Verhängnis sie züchtigen, und das hat der Staat nicht verschuldet.

Fr. Rat. Würde ein Gott sich kränken über diese Verkehrtheiten? – Nun, warum willst du nicht Gott sein? – so denkt der tapfere Erdenbürger bei den Beschlüssen eures Aberwitzes und freut sich, durch Leiden oder Handlen mitzuhelfen an der Wirksamkeit der Zeit. Laß die Großen zu regieren wähnen! Ein Wahn trennt allemal die vom eignen Willen, die vom freien Geist sich nicht regieren lassen! – Es ist des Staates Untergang, denn er verhindert alle Selbsthülfe, alle Hülfe untereinander! – Einmal wird der Geist sie überwinden und die Staubwolken ihres Tuns verwehen.[164]

Der freie Geist verläßt mutig um der Zukunft willen frühere Satzungen. Drum ist dem Geist Gesetz und Religion die Freiheit. Das ist göttlich, das andre ist sklavisch. Wär der Staat nicht Sklave, so wär er nicht Tyrann, der niedrigste Sklave. – »Glaub, oder du mußt sterben des ewigen Todes! – Glaub, oder du bist des Teufels!« – Was soll ich aber glauben? – »Eben, daß du verdammt seist, wenn du nicht glaubst.« – Wenn ich aber nicht glaub an das eine, so brauch ich auch nicht zu glauben an das andre, so kann ich den Teufel auch mit Gott in die Flucht schlagen! –

Pfarrer. Ihre Ansichten sind eine Verwirrung von Regent, Staat und Religion, es stimmt weder mit moralischen noch politischen Zwecken überein.

Fr. Rat. Nimm alle Mißverständnisse auf dich! Was mißlingt, schieb nicht auf andre, was sie leugnen, schiebe ihnen nicht zu, was sie fordern, das lasse deine Weisheit ihnen darbieten; sie können nichts begehren, als was ihnen heilsam und notwendig ist, ihre Bedürfnisse sind der Brunnen, aus dem du deine Macht schöpfest, die Zauberkraft, mit der du deine eigne Größe erzeugst. – Das ist Staateswirken, das ist Religion, das ist Herrschergeist – der mutig und weise das Erhabenste leistet, was Menschen an einen Menschen fordern können. –

Bürgermeister. Der rechtschaffne Staatsbürger kann diese Kuriosas nicht beglaubigen, er muß nach Grundsätzen handlen und kann von diesen zugunsten einer neuen Moral und neuen Götterlehre nicht abgehen! –

Fr. Rat. Auf welcher Basis ruhen diese Grundsätze? Wenn ihr die Wiedervergeltung als Palladium der Justitia aufrichtet, wie soll euch vergolten werden für den Stumpfsinn, die euch überlaßnen Erdensöhne ganz des Teufels werden zu lassen mit Blauholzraspeln, Wollespinnen, Teppichweben, Holzschuheschneiden nebst hoffnungslosem Schweigen und Einsamkeit? Sollten die nach moralischer und philosophischer Überzeugung ungerechten Urteile die Wiedervergeltung abbüßen, wer müßte da alles Teppiche weben und Holzschuhe schneiden!

Bürgermeister. Ich bemerke, daß jene abgestumpfte Verbrechernaturen gar leicht in solche mechanische Beschäftigungen sich finden, ja oft mit Leidenschaft daran hängen, vielleicht um über ihre Lage sich zu betäuben, was studierte Männer, die auf den Geist des Weltalls einwirken, nicht vertragen würden mit so entwickeltem, praktischem Sinn.

Fr. Rat. Nicht entwickelt, verwickelt ist dieser praktische Sinn und eingesponnen in die beschränkteste Gesetzesdespotie, weswegen er auf ebensoviel Nachsicht Anspruch hat als die Verbrecher selbst! –

Bürgermeister. Nun wohl, so ist dem ungebildeten Verbrecher leicht zu ertragen, was dem gebildeten, wenn auch nach hergebrachten Gesetzen fehlgehenden Richter Höllenqual sein würde! –

Fr. Rat. Was dem Richter Höllenpein sein würde, das verhängt er über den Verbrecher! – Wollten doch die christlichen Maxime, für die so viel Lanzen gebrochen werden, auch einmal unter Gewehr treten! – »Tue[165] deinem Nächsten wir dir selbst!« – In der Gesamtheit Schoß müßten dann die verwilderten Kräfte fruchtbar werden. Sie sagen, der Verbrecher hänge mit Leidenschaft an seinem elenden Tagwerke. – Öffnet euch das nicht die Sinne? – Hier, wo das geringste zerstreuende Mittel die brennenden Wunden verharrscht, die eure irrende Rechtsgewalt mitleidlos und gedankenlos ihnen schlug, sollte da euch nicht einleuchten, wie unsinnig euer Weg ist? Aber auch für euch ist ein Religionstrost, ›ihr wisset nicht, was ihr tut!‹ – Aber der Mantel der Ignoranz darf nicht ferner eure Blößen decken, jeder Verbrecher hat das Recht, Prozeß gegen den Staat zu führen. Wär ich Advokat, ich wollte ihm heiß machen. Eines ursprünglichen Fehlers, aus dem alles Übel erfolgt, ist er zu überzeugen!

Bürgermeister. Dem Staat heiß machen, das klingt närrisch! Wo ein Vorwurf des Unrechts ist, muß ein Beweis des Rechts sein, es muß ein Weg sein, das versäumte Recht einzubringen, wie ist das zu bewirken?

Fr. Rat. Der ganze Staat muß beritten gemacht werden! kein lahmer Gaul? alles tüchtige Traber! – kein besoffner Husar, der nicht zu Hause ist, allesamt Husaren fortwährend im Sattel, selbst wenn es schon neun Uhr vorbei ist, bis zur Morgensonne dem Verbrechen im Nacken sitzend, und nicht dem aus Nachlässigkeit siebenzehn Stunden Vorsprung geben und nicht den Herrn Chirurg durch Rasierung der Staatshärte, Schröpfen, Frisieren und dergleichen abhalten, dem verwundeten Geist der Menschheit noch Hülfe zu leisten. Der ganze Staat muß und hat nichts anders zu tun als den Verbrecher zu retten und seine Heilung zu bewirken, das ist meine neue Moral, und meine neuen Götter werden dazu ihren Segen geben! –

Bürgermeister. Wie? Der Staat habe keine andre Verpflichtung als bloß der Verpfleger rettungsloser Kranker zu sein? – Das klappt nicht. Von jeher hat der gesunde Staat des kranken Stoffes sich entledigt, aber nicht sich damit gemischt. So ökonomisch braucht er nicht mit seinen Säften zu sein. Die Räuberäste ohne Zagen abgeschnitten, damit die andern blühen. – Man erbebe nicht über des Staates Härte, seine Moral, seine Politik und Religion weisen ihn darauf an; man beschuldige ihn keiner Gefühllosigkeit, sein Mitgefühl sträubt sich dagegen, aber seine Erfahrung findet nur in dieser Strenge Heil! – Es gibt Krankheiten, in welchen nur drastische Mittel helfen. Der Arzt, welcher die Krankheit als solche erkennt, aber zaghaft zu Palliativen greift, wird nie die Krankheit heben, wohl aber den Patienten nach kürzerem oder längerem Siechtum unterliegen machen!

Fr. Rat. Wenn Sie den Tod als drastisches Mittel anwenden, wie ist da zu heilen? – Gestehen Sie lieber, der Staat sei selbst zu malade, um dem Verbrechen zuvorzukommen, obschon das auch nur kranke Einbildung ist. Aus gänzlichem Mangel an Energie, was das Hauptsymptom seiner Krankheit ist, streckt er alle Viere von sich, und wir versinken in diesem Krankheitssumpf! – Trauriges Los! Armer Verbrecher, du mußt zuerst dran, weil alle Energie noch in dir steckt, aus der der Lebensstoff, der[166] gesundmachende, wieder aufkeime, so ist dein Los, daß du zuvörderst dieser Krankheit zum Opfer fallest, die nichts Energisches verträgt.

Bürgermeister. Wie wollen Sie doch diese Krankheit dem Staat andichten in seinen edelsten Anstrengungen, gerecht und billig zu sein! –

Fr. Rat. Gerecht und billig! – Da er krank ist, wär's zu viel verlangt, es geht über unsre Kultur hinaus, gibt es doch nicht zwei Freunde im Staat, die in Tat und Urteil gerecht und billig einander sind. Ach, ihr Verbrecher! – letzter Lebensfunke! letzte Hoffnung dieses maladen Staates, könnte ich Mittel finden, eure Kraft in ihn hinüberzupumpen, der zu nichts zu bringen ist mehr als einen lamechten Gaul und einen Husaren, der nicht zu Hause ist, an euch zu wenden. – Wenn diesem ursprünglichen Verbrecher, diesem maladen Staat das Gewissen erwacht, so greift der arme Kranke zu den Prinzipien der Welterfahrung, kann er sich damit durchreißen, so ist keine Räson mehr in ihn zu bringen, er wird bei jedem Gewissensschmerz nach diesem Opiat greifen! – Dies einzige wäre zu versuchen, wenn man ihn bewegen könnte, den großen Karpfenteich der Wissenschaft den Verbrechern zu öffnen. – Gefangen würden sie nicht zaudern, den einzigen Ausgang zu wählen; – ihre angeborne Energie, ihre noch ungebrochne Naturkräfte, ihr starkes Organ für Naturrecht, ihr von Vorurteilen und selbstsüchtiger Politik noch nicht gebeugter und geknebelter Geist würde vielleicht in der Wissenschaft, namentlich in der spekulativen, die Gesundheitskrise des Staates vorbereiten; ihr Scharfsinn, ihre ungebändigte Sinnenkraft und Ausdauer, die nicht Tag noch Nacht ermüden – wie könnten die neues feuriges Blut dem veralteten Sündenstaat einströmen! Und auch dem Schwert der Gerechtigkeit wär damit Genüge geleistet, denn durch eine neue sittliche Auferstehung in der Wissenschaft waren sie von ihrem moralischen Tod geschieden, sie würden zu einem neuen Leben erwachen, sie würden selbst sich nicht mehr als Verbrecher anerkennen und würden am End mit Ruhm bedeckt hervorragen.

Pfarrer. Wie? – was? – wie meinen Sie das? – die Verbrecher sollten sich der Wissenschaften bemächtigen, um durch sie sich aus der Versunkenheit zu retten? –

Fr. Rat. Was ist da zu verwundern? –

Pfarrer. Wo bleiben unsre große Gelehrte? sollen sie in diesem Kloak oder Karpfenteich mit denen herumschwimmen? –

Fr. Rat. Nun ja, als bemooste Häupter dieser Burschenschaft! als freie Lehrer in einem gemeinschaftlichen Interesse der Welterlösung durch sie! – Sehet hier aus der Wiege des Geistes eine neue Blütenknospe aufsteigend zur Freude der Mutter der Menschheit! – sehet das erste Kind der Wissenschaft, der Kunst! in ihr erholt sich die gesunkne, die verirrte Kraft und wird Mensch! – Der Mensch ist aber ein Gott, sobald er Mensch ist, und als Gott ist er wunderbar schön! –

Pfarrer. Gott sei der Mensch! ich hab ihn nie begegnet als solchen; ich[167] hab ihn auf Irrwegen getroffen! Körper, Seele und Geist mit Schwächen kämpfend, aber nicht sie überwindend!

Fr. Rat. Ich auch hab noch keinen Menschen begegnet. Noch hat der Liebeskeim zwischen Natur und Geist sich nicht zum Menschen entwickelt. Aber wir können und sollen Mensch werden! und für den maladen Staat selbst ist's der einzige Weg der Rettung, den Menschen in ihm gedeihen zu lassen.

Pfarrer. Aber die Wissenschaften, wie können die in die rohe Natur hineingebildet werden, wie sollen sie zum Refugium der Verbrecher dienen, wie können ihre Priester mit denen Umgang pflegen, mit ihnen zusammen das Heiligtum verwalten? Unmöglich! unmöglich! zu viel Selbstverleugnung wär das! – Ein Weltumsegler des Geistes! – soll einen korrespondierenden Punkt haben auf seiner Bahn der Wissenschaft mit einem Wesen, das nicht einmal den reinen Instinkt mehr hat der Natur, weder Stein noch Pflanze noch Tier ist, sondern versunkener Verbrecher! – sollte zum Beispiel denen ein Julius Müller Kolleg lesen über die Sünde, über den zweiten Erlöser der Welt! – ein Tholuck über die Glaubwürdigkeit der Evangelien? – ein Dahlmann über Politik – ein Fichte, ein Weiße über Ästhetik, ein Delbrück über Platos hohe Ideale, ein Gabler als gründlicher Psycholog, ein Creuzer Philologie, ein Trendelenburg, ein Werder Logik, denn es müßten doch auch streitende Parteien sein, ein Encke Astronomie! Bessel seine Kometenberechnung, und ein Ranke müßte durch die ganze Geschichte zwischen den Nachbarschaften der Revolutionen hindurchschlüpfen, dem Ideenparadies solcher Verbrecher, wie natürlich einem Schinderhannes, einem schwarzen Peter, einem Seppel und Eichelmeier gegenüber! – Und zuletzt Zumpt, die lateinische Grammatik, wie würden die Verbrecher das Latein kauen?

Bürgermeister. Je! je, je! Was würden die Herren sagen, sollten sie auf der Verbrecheruniversität angestellt werden!

Fr. Rat. Einen weiß ich, dessen helles geistiges Auge die Zeiten durchspähet, das ist der Jacob Grimm, der auch in der Buchstabenlehre der Wissenschaft das Bedeutende hervorhebt, aus den seltsamen vorüberstreichenden Erscheinungen das Richtige herausfühlt. – Mit aller Liebe und Kindlichkeit nebst dem deutlichsten Verstand und dem ruhigsten Sinn würde der die Leidenschaften dieser Verbrechernation an das Band des Geistes knüpfen. Nur der Geist kann zwingen, nur ein Geist läßt sich zwingen. Gäb's eine Geisteschemie, um die krankhafte Mischung geistiger Elemente im Verbrechercharakter zu zersetzen! Der Zustand, in dem das Verbrechen sich bildet, ist Krankheitsbildung.

Pfarrer. Sie meinen, das Verfahren gegen den Verbrecher müsse eine chemische Zersetzung des Krankheitsstoffes sein; – das Gesetz selbst müßte der chemische Prozeß sein? – und die Strafanstalt eine Heilanstalt!

Fr. Rat. Durch Licht den Geistesphosphor oxydieren, sein Quecksilber absondern.[168] Das Geisteslicht als chemisches Agens wirkend, wodurch das Medium, die Wissenschaft, nur erleuchtet zu sein braucht, um den leidenschaftlichen Stoff zu zersetzen in Pottasche, in Kohlenstoffgas, Kohlenleber, in übersaure Kohlensäure, eigentlich Diamantsäure, wie denn alles Leidenschaftliche Diamantstoff ist im Verbrecher. – Mut – Diamanture de fer, Heftigkeit, Diamanture de cuivre. Vieles wird als Knallgas sich entwickeln, vieles in Träumen als Seelengebilde sich niederschlagen, in denen sie ihr Ideal gewahrte.

Bürgermeister. Zu steil ist mir dieser Pfad ganz ungekannter Höhen, ich kann Ihnen nicht nachklettern.

Fr. Rat. Dem Verbrecher kann nur ein Leben gedeihen, dessen Besitz ihm niemand streitig mache, in dem allein alles sein gehöre, in dem er alles hervorbringe; ein Stoff des tiefen Nachsinnens, und zwar von nur erhabner Wirkung. – Statt eurer hoffnungslosen einsamen Einsperrungen laßt sie ein phantastisch Reich betreten des schaffenden Genusses, vielleicht führt dieser Weg zur Quelle der Magie, wo sie Dichter, Schöpfer, Künstler, Genien werden.

Pfarrer. Das können sie nur im Traum werden!

Fr. Rat. Im Wachsen fesselt oft der bleierne Schlaf Seelenreize, die im Traume wach werden und Wirkungen des Erhabenen hervorbringen. Naturszenen, wie sie die Wirklichkeit nicht erlebt, bilden sich im Traum, Höhen und Fernen seltsam erleuchtet, rinnende Bäche, säuselnde Luft, rauschende Wässer, so einsam, düster und still, in denen führt die Seele, die Schöpferin dieser Gebilde, ein unbegreifliches Leben. Alle Künste dienen ihrem Reiz, zu schaffen, auf herrlichen Anhöhen stellt sie gigantische Prachtgebäude auf, die reinsten Verhältnisse mit überraschender Kühnheit der Erfindung. Die Seele beschaut staunend ihr eignes Werk im Traum, Gesang und Saitenspiel, große Werke der Harmonie lockt sie zauberisch aus sich hervor, nimmt sie dann wieder auf mit bewegten Sinnen, wie Alexander der Große ist sie ganz göttlich im Traum! Vermag nun auch der Verbrecher im Träumen sich über sein schwer Geschick zu erheben, vollendet ein ihm innewohnendes Wesen das Erlösungswerk, das ihn höher empfinden lehrt, solange der Schlaf dauert, wie sollte es nicht in unserer Macht stehen, den Verbrecher aus der Hölle des Bewußtseins zu erlösen? Warum nicht durch Wissenschaften, Künste, durch alles, was die Sinne in ein Zauberreich des Selbstschaffens führt, ihn mit seinem Selbst vertrauter machen, in den echten Besitz seines Ichs setzen, von dem er dann erst Rechenschaft zu geben vermag? Wer ist mein gerechter Richter als nur mein Gewissen? Das nur ist der Retter, der Erlöser, niemalen ein anderer Richter! –

Pfarrer. Sie führen in Labyrinthe und blenden den Begriff, der sich Licht schaffen möchte, und die Wirklichkeit macht uns schwindlen, so tief liegt sie uns vor den Füßen.

Bürgermeister. Ich bewundere, wie der Herr Pfarrer über alle theologische[169] Anlagen hinaus Ihnen nachsetzt auf steilen Höhen, wo mir schwindelt, hinaufzuschauen.

Fr. Rat. Meine Weisheit wird Sie beide nicht schwindeln machen, mein Auge sieht nur, was der Blick beachtet, man vernimmt ja auch nur, was man wirklich versteht. Es kann noch unendlich viel da sein, was wir nicht hören und nicht sehen, weil wir's nicht verstehen; aber man kann wissen, fühlen, daß man nicht alles sieht und hört. So klagen die Weisen und Patrioten, daß die Großen der Welt ihre Zeit nicht verstehen; sie vergessen aber, daß die von allgemeinen Weltbeziehungen keine Ahnung haben und vom bleiernen Schlaf des Zutrauens befallen sind, dies alles sei in ihrer Macht, und es ist auch eine Macht in ihnen, eine größere schlafbefangene, die sie nicht zu regieren vermögen, weil sie sie nicht verstehen.

Bürgermeister. Wer steht auf dem Posten, wo er den festen Überblick habe aller Bewegungen und ihrer Grundursachen? Die Geschicke aus der Ordnung der Dinge bekämpfen, das ist dem Staatsmann Kompaß und Steuer.

Fr. Rat. Der Posten des Überblicks ist das Volk, es begreift seine Dichter und Philosophen und hat also den Begriff seiner Zeit. Es ist der Pol, der die schaudervolle leer – erhabne Bildung abstößt, wo das Herz nichts fühlt, weil der Geist nichts umfaßt.

Bürgermeister. Tun Sie den Staatsmännern und Fürsten nicht unrecht, die es fest im Auge haben, den moralischen Übeln der Zeit zu steuern.

Pfarrer. Sie werden doch nicht mit dem Leer – erhabenen die Kirche meinen, die einfache patriarchalische Bewaltung der Völkerherden.

Fr. Rat. Nein, ich meine China mit seiner unendlichen Examinationsweisheit, mit seinen Avancements der geheimen Räte, mit seinen Titel und Orden, mit seiner väterlichen Regierung, das heißt polizeilicher, die aber aus lauter väterlichen Ermahnungen besteht, alles durch Edikte abmacht, unendliche Gesetze hat, woraus unfaßliche Seelenleiden, Geisteszermalmung und Herzzerknirschungen hervorgehen, die alle moralische Kraft zerstören.

Bürgermeister. Wo hat aber das Volk je seine Zeit begriffen? – es würde ja ohne Leitung sich selbst vernichten! –

Fr. Rat. Es bildet seine Helden und Götter! –

Pfarrer. Schöne erhabne Dichtungen, aber nicht praktischer Verstand. – Bürgermeister. Und man müßte einen ehernen Mut haben, den Kampf mit ihm zu bestehen, es würde sich bäumen gegen alles Bestehende.

Fr. Rat. Ein mutig Roß, das wiehert und Feuer aus den Nüstern sprüht, wenn die Trompete ruft, leicht in den Streit dahintanzt, weder Charakter noch Denkweise aufopfert, ja, sie nicht einmal verbirgt, wer es zu regieren weiß, den nenn ich Fürst, der kann stolz auf seinen errungenen Lorbeern ruhen, denn er hat mehr als Schlachten gewonnen. –

Bürgermeister. Das Exentrische! führt zu nichts! – der Weltmann kann's nicht respektieren. Wer sich damit schleppt, beweist schon, daß er zum Praktischen nicht berechtigt sei! –

[170] Fr. Rat. Was Sie exzentrisch nennen, ist Naturgenie, es erzeugt das Praktische und führt es durch, wo Gespenster Reißaus nehmen, weil sie Geister wittern, entwickelt es die wunderartige Fähigkeit, mit Geistern zu verhandeln. Es ist ordnender Künstler in allen verwirrten Erscheinungen, es ist Naturforscher und vermag's, die Leidenschaften mit ihren Wirkungen in seinem Laboratorium zu zersetzen.

Bürgermeister. Sie kehren ins chemische Laboratorium zu Ihren Verbrechern zurück! –

Fr. Rat. Das Volk würde mich in meinen Strebungen verstehen, denn es fühlt sich selbst im Verbrecher! –

Bürgermeister. So! – Es kann sein! ich mein es auch! Aber ist das zu seinem Ruhme?

Fr. Rat. Sprechen Sie sich nicht selbst das Urteil, daß Sie sich in ihm nicht fühlen und doch ihn verurteilen.

Bürgermeister. Wär dem so, dann würde ich nie ihn verurteilen, denn man wird sich nicht selbst Recht sprechen.

Fr. Rat. Und doch ist jed Urteil ungerecht, das nicht aus diesem Begriff hervorgeht. Der Richter muß sein eignes Selbst im Verbrecher fühlen, er muß die Möglichkeit ahnen, die Willensstärke erwägen, sich selbst zu retten und die Mittel dazu erforschen. – Naturgesetz, Naturrecht – wie viel tiefer geht es doch, wie innig schließt es sich an Geist und Herz, wie nährt es die Seele, wie strömt es fortwährend Mitgefühl, das heißt schaffendes Leben. Da gehört der Geist nicht einem, von dem er ausgehe, nein allen, die ihn trinken wie die Luft, wie den Tau, wie das Licht und die Nahrung der Erde. Wer das Naturgesetz versteht, der ist kühn, er fühlt sich im Verbrecher – – Sie zucken die Achseln? – Ich fühl mich im Verbrecher, ich will mit meinem Naturgenie vortreten, und der Regent wird mich verstehen und wird eingehen auf was die Welt umwälzen wird, und das ist grade die höchste Zeit jetzt.

Bürgermeister. Nur im Regenten irren Sie, ihm wird's so wenig einleuchten, als daß die Seele ein konsonierender Ton der Unsterblichkeit sei, was Sie letzt öffentlich behauptet haben. Wenn das Naturgeist ist, so werden wir nicht daraus klug.

Fr. Rat. Ist das Ihr Urteil über einen so erhabenen Begriff? – er ist nicht von mir! – – Ich aber werde nicht klug aus eurer Staatsklugheit, die an ihren Sätzen und Gesetzen durchaus keinen Zweifel zugibt und der Armut im Geist ihre verschmitzte Lügen aufbürdet. – Ach, der einfache Sinn des Volkes muß die Großmut des Herrschers – muß seinen Geist regieren. – Er muß empfinden, daß der reiner dastehe, der im Verbrecher sich selbst begreift, während jene, die sich dünken, gar nichts mit ihm gemein zu haben, wohl geistig viel unbefähigter sind, sich von ihrer verbrecherischen Begrifflosigkeit zur Vernunft herauf zu schwingen.

Bürgermeister. Ein Regent soll sich im Verbrecher fühlen! – O, Übermut eines weiblichen Kopfs.

[171] Pfarrer. Ihre Weltumwälzung geht von so seltsamen Axiomen aus, als nähmen Sie keine Rücksicht auf die Achse, um die sich diese Welt herumwälzt!

Fr. Rat. Das ist eben die Naturpolitik, daß sie von einem eurer Politik ganz unscheinbaren Grund ausgehe. Kein Russe, kein Österreicher, kein Franzose noch Türke werden darin etwas sehen, daß ich mein Verbrechersystem auf einen andern Fuß setze. – Aber siehe da! der Wahrheit Licht fand eine Spalte, wo sie durchdringe: Und es ward Licht!

Bürgermeister. Das sind ja die erstaunlichsten Dinge, die Sie uns vorprophezeien? –

Pfarrer. Mir fällt der Sturz der Engel ein, die gegen ihren Schöpfer im Anfang der Zeit waren aufrührerisch geworden und die er doch gleich niederduckte, so wie es seiner Allmacht geziemte. Sie aber meinen, Gott habe müssen denen schmeicheln, daß sie doch die Unart, ihm so auf dem Nacken zu hocken und über ihn hinaus zu gucken, nicht zu weit treiben! –

Fr. Rat. Mit so gewaltigen Uranfängen göttlicher Despotie wollen Sie mich verwirren! – So wie aber die Welten nicht gegeneinander prallen, sondern gewaltig und hehr in sanften Bahnen einander umlaufen, ebenso umlaufen sich die geistigen Prinzipien auch in einzelnen Begriffen der Welterscheinungen. Alles einzelne ist nur begriffen durch allumfassenden Geist! – Ich fühle, daß große philosophische Geheimnisse die Beweggründe sind dieser Begriffe; – daß die Wahrheit hervortritt ganz geharnischt, die bis jetzt noch immer durch den Neid, den Unsinn und die daraus entspringende Härte unterdrückt war! – Ja! Keiner hat vor dem Verbrecher etwas voraus, der in ihm nicht die Seelenflamme, das Vernunftwesen anfacht, das heißt, im Überwinden des Wahnsinns – der Verwünschungsbedingung – ihn dem Göttlichen versöhnt; hatte etwa der Gott ein besseres Material, dem seinen Odem einzublasen? – War ihm der Mensch gut genug? und haftet im Verbrecher etwa nicht der Hauch Gottes und kann der anders sich bewähren, als indem er göttlich mache? – Welche Bedeutung hat die Kunst, die Wissenschaft? – Wenn sie nicht frei macht, was gebunden ist? – – Musik allgemeine Weltsprache! – warum fragt ihr nicht in dieser sein Herz, seinen Geist? – Er würde tiefer antworten, für euch belehrender! – Musik! Trieb, den versunkenen Lebensgeist aus dem Wahnsinn zu wecken! – Bedenkt, Menschen! – Es ist ja nur ein Verneinen, das Böse! – fragt ihn doch, so daß er müsse mit Ja antworten, so habt ihr ihn gerettet.

Pfarrer. Was soll er bejahen? – den Gott leugnet er; sein Ja ist ein Stoßseufzer, den die Not ihm abdringt; sonst würde er Gott einen guten Mann sein lassen.

Fr. Rat. Lieber Herr Pfarrer, beseitigen Sie Ihr goldenes Kalb! und verlangen nicht, daß er da und grade unter dieser Form solle anbeten! – Warum wollen Sie denn absolut, daß der Gott mit ihm hebräisch spreche?[172] – und nicht, wie ich verlange, durch die Wissenschaft, durch die Kunst? – Meinen Sie, das wär Gebet, was Sie und der Herr Kaplan allsonntäglich der Gemeinde vorlangweilen? – Meinen Sie, es wär keine tiefere Sprache, die man mit Gott führt? –

Bürgermeister. Alles, was ich da herausbuchstabiere, ist, daß Sie meinen, dem Unmut der Verbrecher mit einem Konzert unter die Arme zu greifen! –

Fr. Rat. Was ist Wissenschaft anders als Sprache mit Gott. – Musik! – Kunst! – tiefeindringendes Geniusvertrauen in göttliche Kräfte! – Gebet, dem kein Teufel widerstehen mag? – prallt auch ein wissenschaftlicher Teufel mit Gott zusammen, daß es kracht, nun, er rückt sich wieder zurecht und fährt fort in seinem kühnen Experimentieren! – Und ich wüßte nun nicht, was ihr vor dem Verbrecher voraus hättet im Begriff wie in der Phantasie! – Der Verbrecher würde vielleicht energisch der Fesseln sich entledigen, – das heißt frei werden im Felde der Wissenschaften, wo ihr mit gebundenen Sinnen dem alten Ritus folgt. – Kann man sie nun ihrer Natur nach geistigerweise da hinüberschiffen, so wird ein ganz ander Regiment. Die Zweifel, die der Wogengang der Energie sind, heben sich als kräftige Prätendenten dem Usurpator gegenüber! –

Pfarrer. Zweifel? – Gegenüber wem? – Über was? – Wollen Sie dazu den Verbrecher in die Lehre der Wissenschaften nehmen, um seinen Geist mit Zweifeln auszufüllen; mit denen das bestehende Dogma, den Fels der Kirche zu bombardieren?

Fr. Rat. Der Gott, der das All geschaffen und sich selbst dazu, wird nicht in seiner Ewigkeit erschüttert. Wer ein guter Schütze werden will, muß versuchen, zu treffen! – Im Menschen gelten alle Charaktere, sie gehen in ein neues Element über, in das der Schöpfung! – der Charakter erschafft sich; – was in sich nicht geschaffen ist, das ist Verbrechen. So, durch Geist – wird das, was noch ungebändigte Sinnenwut war, Geschöpf – vollkommen in sich organisiertes – und lernt sich fassen, das heißt seiner Kräfte harmonisch sich bedienen, – das heißt Rechenschaft von sich geben – das heißt: wirklich Mensch werden! – Was ist der Verbrecher? – Die Sinnenkräfte überwältigen in ihm die sittliche Natur, die von selbst sich dem Geist unterwirft. Die Sinnenkräfte sind stärker und hemmen dies edle Regiment, – sind wir deswegen berechtigt, eine so im Kampf begriffne Natur zum Teufel oder aus dem sinnlichen Reich der Schöpfung zu verbannen? – Stehen denn wir im vollkommenen Gleichgewicht unserer innern Regungen? – oder ist vielmehr das höhere Besinnen ganz taub in uns? – Ist dieser ineinander wirkenden Mächte, der Seele, des Leibes und des Geistes, – ein einzig harmonisches Erzeugnis in uns, dessen wir uns rühmen könnten? – Was haben wir Großes vollendet, dieser Lebensbewegungen würdig? – Trauer und Freude und sonst Regungen des Geistes und des Herzens, sind sie so, daß ihre reinen und ungetrübten Empfindungen Zeugnis geben für die Keuschheit oder Unschuld unserer[173] Natur? – oder für das Feuer unseres Geistes, oder für die Hingebung der Seele? – Sind es Leidenschaften, ist es Begrifflosigkeit, ist es totaler Wahnsinn selbstischer Befangenheit, die in uns wühlen, wenn wir mit den Begriffen der Menschheitsrechte aufs grausamste uns herumstreiten, den innern Frieden daran setzen, sie zu leugnen? – Wie läßt dies Rätsel sich lösen, daß das Geschöpf harmonisch geordneter Kräfte nicht wird und nur Schimäre ist? – Daß es ein sittliches Dasein lügt, vorstellt, aber nicht wirklich ist, daß es die Tugend fingiert, daß es die Vernunft widersacht, die Gefühle verbildet, leugnet oder lügt so wie alles! – Deutlicher ausgesprochen: – Morden wir nicht, und rauben und plündern und verleumden? und verderben die Menschheit, sittlicherweise schuldvoller wie jene Verbrecher, weil wir für einen gelogenen Ausdruck den reinen Ausdruck der Natur leugnen, und wer weiß, haben wir nur darum Verbrecher, weil sie nicht unter Tugendlarven zu wandeln verstehen, wer weiß, verachten sie deswegen die Religion, weil auch nur Larven die Stellen der echten Götterbilder im Heiligtum eingenommen haben. – – Und aber, wenn in uns die vollkommne, die idealische Natur nur als Keim sich entwickelte, so würden wir die kühnen Gedanken und Begriffe fassen, wodurch die Menschheit sich neu erzeugen könnte, aber nicht an unserm Urteil, an unserer Fassungskraft zu scheitern käme. Warum ist der Verbrecher nicht Tugendheld geworden? Weil er in die enge verschrobene Kultur seine breiteren Anlagen nicht einpferchen konnte! Ihr habt ja nur Maßstäbe, weil ihr vor dem Unermeßlichen euch fürchtet! Ihr habt gegenüber der Idealität eine Tugendfestung handwerksmäßig mit Nachdenken und Beweisführen euch gebaut und macht aus dieser heraus den Prozeß der feldflüchtigen vogelfreien Menschheit. Was habt ihr aus diesem Sitz der Beschränktheit schon für Dekrete erlassen? – Wie habt ihr die Natur verfolgt, weil sie in euer System nicht paßt. Für euch ist ein Etwas nicht, was dem Verbrecher als wuchernder Reiz einverleibt ist, das sich Luft macht unter Bedingungen, durch die es zum Verbrechen wird. Wären diese Bedingungen nicht, so würde es vielleicht der wirkende Reiz der Begeistrung fürs Unendliche sein, an das ihr euren Maßstab nicht anlegt. – Verstehen Sie mich? – Nein! – Natürlich, denn Sie stehen mitten in dieser bewußtlosen Bewußtheit einer angemeßnen Tugend!

Pfarrer. Blieben Sie doch nur ein klein bißchen bei der Wirklichkeit, bei der Möglichkeit nämlich, Ihre weite noch nie und nirgend gefaßte Anschauung zu realisieren.

Fr. Rat. Was denken Sie? – Nicht zu realisieren wären meine Anschauungen! sie müssen realisiert werden, sowie ihr einen Funken dieser Wahrheitsflamme nur auffangt. Entweder ihr habt den Keim der Menschheit nicht in euch, oder ihr müßt diesen Keim schützen, so verwildert er auch sei. Zum Ausreuten habt ihr kein Recht; und eure verfeinerte Kultur, eure philosophischen Begriffe sind die tiefste Lüge, wenn ihr wagt, dem Menschen, dem die ganze Welt gehört, das Dasein auf dieser abzuschneiden.[174] Zur Bildung der Erde sind wir berufen, und der Beruf läßt sich immer realisieren.

Pfarrer. Wie wollten Sie nun eine Lehranstalt oder Verbrecheruniversität organisieren? –

Fr. Rat. Nichts leichter als das! – Wie man einen Karpfenteich abläßt durch einen Abzugsgraben in einen weiteren größeren See, so läßt man die Verbrecher überschwippen in die vollgepumpten Anstalten von Lehrstühlen, Musensitze, Zenosgänge und sonstige klassischen Böden, statt nur mit Predigten von der ungenießbarsten Tautologie gefüttert zu werden. Ein geschwätzig Weib erzählt alles dreimal, aber die geschwätzige Theologie schwätzt ohne Aufhören dasselbe, bei welchem Schwätzfieber sie aus allen Schweißlöchern Vokale dazu ausschwitzt, was kann davon ein gesunder Verbrecher inspiriert werden! –

Bürgermeister. Was Sie sich ausgeheckt haben, Sie wollen die Verbrecher zu großen Gelehrten umbilden! wenn ich's recht verstehe! – Aber wie ist's möglich! wo nimmt der Staat die Kräfte her? – Er kann sich nicht ganz dafür verwenden. Er hat Pflichten, denen er obliegen muß, die ihn ganz in Anspruch nehmen, auch wenn diese idealischen Projekte nicht ganz Phantasma wären. – Was hat eine Staatsmacht für Verantwortungen!

Fr. Rat. Freilich, das Weltmeer würde dabei dem Regenten bis über die Knöchel laufen und seinen Königsmantel bespritzen! allein er bedenke doch, daß er auch der Säemann wär eines neuen Menschengeschlechts und durch diesen Coup einen erschütternden Schlag mit dem Regierzepter auf den Froschteich der Philister appliziert, um ihr Lärmen zu stillen. Und kein verfliegend Geschwätz würde die Unsterblichkeit dieses Regenten anfechten. – Der Ruhm zwar verdient keinen Ruhm; er lebt in sich, denn, was er tut, ist größer, als die Menge begreift. Wenn es aber wahr werden kann, daß einstens die Auserwählten unserer Geschlechter die Himmel bevölkern sollen, wie können wir da es wagen, nur einen Lebensfaden zu verkürzen, da nicht des einen allein, sondern auch seiner Nachkommen der Himmel beraubt würde. Was sind das für Großtaten, dem Armen von der Fülle des Übermaßes eine Brotsame fallen zu lassen, – und für den Geist, den verschüchterten, haben wir nichts! Und doch ist vielleicht der Verworfne unser nächster Nachbar, und doch ist's vielleicht zu unserer eignen Verständigung notwendig, daß alle Wesen, vielmehr noch alle Menschen in ihrer eignen Geistesnatur reifen. Die sieben Weisen unserer Zeiten, – vielleicht haben wir sie schon geköpft, vielleicht auch schon vier Evangelisten gehängt, und vielleicht behelfen wir uns nur mit dem Abhub der Geschlechter, und diese können keine Genien mehr hervorbringen. Wir haben nichts mehr als nur mürbe verloderte Lumpen von papiernem Adel! Wohin soll der einzelne sich retten, wenn er seinem Selbst bei den Geistern Hülfe sucht! Wenn der Freundschaftshunger ihn befällt? – Er muß ja verzweiflen, er findet ja unter euch allen keinen,[175] in dem er sein unsterblich Teil könnt pflegen! – Glaubt ihr, daß alle so zahm sind wie ihr? – Daß auch geistige und erhabne Forderungen oft den Menschen verwildern, grad weil er denen nicht genügen kann? – Nachher hat man gut die Unsterblichkeit leugnen, wenn man sie erst zerrüttet hat.

Pfarrer. Also Gottlob, sind wir doch endlich im Port der Unsterblichkeit angelangt; ich dachte immer, Sie würden diese leugnen.

Fr. Rat. In denen leugne ich sie, die danach handeln, als ob es keine gäbe. Es ward nicht erlebt, daß einer, der hinterm Ofen sitzengeblieben war und von einem neuen Weltteil sprach, ein Kolumbus ward und Amerika entdeckte.

Bürgermeister. Dieser eine Kolumbus war ein Abenteurer, es gelang ihm, Amerika zu entdecken. Es war eingeborner Trieb, er war fast toll geworden vor Angst, daß er jene außergewöhnliche Laufbahn der Gefahr nicht bestehen solle. Und so hat er sich hinein gewagt, was einem andern niemals einfallen konnte. Müßte ein jeder so ringen nach dem gelobten Lande der Unsterblichkeit, so würden viele Schiffbruch leiden oder gar darauf verzichten.

Fr. Rat. Eine Laufbahn der Gefahr nennen Sie, was zur Vollendung, zur Erweckung unserer Sinne die Natur als notwendige Seelen – und Geistesspeise uns so nah legt, wie im Ei dem Vogel, der sich durchpickt, die Eierschale schon Nahrung wird. Hier im Evangelium brütet sich der Geist für ein Himmelsklima aus, was natürlich ganz andrer Sinne bedarf als im Ei der Erde. Ist nun dem Evangelium die Aufopferung für den Feind Gebot, wie sollte der Staat nicht nur sich zumuten können, dem Verbrecher als seinem Feinde schon eine evangelische Schutzwehr zu sein, sondern ihm wohl zu tun, ihn zu retten, sogar in ihm und durch ihn sich selber reifen für jenes Klima der Unsterblichkeit. – Sehen Sie, Herr Bürgermeister! nicht so weit ist es von hinter Ihrem Ofen bis zu jenem abenteuerlichen Meer, seine Wogen schlagen an Ihrem Lehnsessel an. Das ganze Menschenleben ist die Brandung vom Meere der Unsterblichkeit. – Wer sich nicht darauf einschifft, der kann freilich nie erwarten, dies Abenteuer zu erleben.

Bürgermeister. Ja! aber vieler Mühen sind umsonst, und ihre Genialitäten leiden Schiffbruch, und die Gefahren, die ihnen den Hals brechen, beweisen den Vorwitz ihrer Wagnisse und daß der Frevel am Bestehenden sich immer rächt.

Fr. Rat. Der Gefahren achtet der geniale Schiffer nicht, er ist beseelt vom Eifer für das Göttliche. Und sollte auch das Bestehende darüber zugrunde gehen, so war das nicht der Unsterblichkeit geeignet. – Die lächerliche Angst ums Bestehende können nur die haben, die sich fürchten, auf dem Meer der Unsterblichkeit frei dahinzuschiffen, und nicht sich da zu Hause fühlen. Wer am Ufer ängstlich verharrt, der wird den Lebensgeist nicht fassen, er wird nur immer rumoren gegen die Lebensgewalt des Geistes.

[176] Bürgermeister. Die Verbrecher also wären die erste Schiffsladung auf diesem ominösen Unsterblichkeitsmeere, und noch dazu ungefesselt, ganz frei, Steuer und Ruder ihnen überlassen.

Fr. Rat. Künste, Wissenschaften sind das Freiheitsmeer des Geistes. In der Freiheit kann der Geist nicht untergehen, nicht verderben. Er muß sich selbst in ihr finden, Inspiration und Mitteilung sich selber sein.

Bürgermeister. Die Verbrecher können doch keine Welterlöser, keine Reformatoren werden. Was halten Sie von diesem Geschlecht der Gauner und Diebe, das schon mit der Geburt der Verschlagenheit Keim entwickelt, und dann seine gespannte Tätigkeit damit gleichsam zu allen gesetzwidrigen Streichen armiert.

Fr. Rat. Was ich von diesem Geschlecht halte? Nicht mehr als von den Sperlingen. Wären diese nicht getötet worden, weil sie Korndiebe waren, so wären die Engerlinge nicht gekommen, die dem Gras unterirdisch die Wurzeln abfraßen, und dann wären nicht so viel Maikäfer ausgekrochen, die das grüne Mailaub wegzehren, und dann hätten wir so keinen dürren Sommer ohne Laub und ohne Gras. Grade das halte ich von den Gaunern und Dieben, sie sind unter den Menschen nichts Ärgeres als Sperlinge. Diese munteren Vögel, die zu allem Wagnis aufgelegt sind, selbst ganz kühn dem Säemann in den Furchen nachhüpfen und die Saat wieder aufpicken, die er aus winterlicher Vorsorge ausstreut, sind zwar dem Korn schädlich, daß es vielleicht nicht so dicht steht, doch schnappen sie auch viel gefährlich Ungeziefer in der Luft weg; aber die Haar stehen einem doch nicht zu Berg über ihr gänzlich Verderbnis. – Einen Sperling zu einem andern Menschen machen, ist zwar eine Aufgabe, seine Natur ist hartnäckig, aber ängstigt euch nicht, alles Große gelingt dem Willen des Großen. Der nicht fühlt die Schwere der Schicksale, die er trägt, fühlt nur die Kraft, sie zu tragen. – Grade vor sieben Jahren überreichten Sie trefflicher Staatsmann mir am ersten Tag vom neuen Jahrhundert eine kleine Schrift, ob die Franzosen das Recht haben, die Revolution anzufangen, unterdessen war die schon zwölf Jahre vom Stapel gelaufen, und einholen hätte man sie nicht mehr können. So auch segelt mein Beweis mit gutem Landwind in die Weite und macht sich Hoffnung aufs Gelingen, und es ist am Bestehenden nichts weiter gelegen, das ein großer Wille durchkreuzt und somit aufhebt.

Bürgermeister. Natürlich in einer freien Reichsstadt, die aus lauter Privilegien zusammengeschneit ist, hat die Unschuld sogar auch politische Vorrechte, sonst könnte man sie über ihren Rumorgeist belangen.

Fr. Rat. Die Unschuld, die hat immer das ursprünglichste Recht, der Meinung sind wir beide, und wollte man sie die Wege bahnen lassen, sie würden zum Sieg führen! – In ihren Schriftchen stimmten Sie für die hohen Absichten der Revolution, aber diese hohen Absichten schienen nur wie Mondglanz über einen teuflischen Morast und liehen ihr Zauberlicht den Leidenschaften, die darin wühlten. Diese müssen das Ziel erobern, und[177] erst, wenn sie ausgerast haben, stellt sich ihre Urnotwendigkeit ins Licht des Bewußtseins.

Pfarrer. Sie geben da die allgemeine Weltgeschichte in einem Atemzug, die Absicht erhaben, die Mittel niedrig und schwankend, die Beweggründe oft teuflisch, der Kampf imposant, und der moralische Sieg und sein Erfolg rätselhaft.

Fr. Rat. Ein Rätsel muß das andere lösen, und die Revolutionen treten einander auf die Ferse, das beweist die Geschichte unserer Tage.

Pfarrer. Ja, in der einen pflanzt man den Freiheitsbaum auf, aber ohne Wurzel und Schattenruhe, mit einer Mütze gekrönt der Raserei und mit einem Schild gedeckt der Tyrannei!

Fr. Rat. Und in der folgenden wird dieser eingerammte wurzellose Baum gekappt von einem, der sich selbst darauf stellt als ein Verhüllter. Eine Weile ist er das Entzücken der Nation! der Held, der Retter. – Eine Weile ergötzt dies Weltenschauspiel, das sich immer steigert; – wie's zum Schluß kommt, so stimmt die Spannung sich herab zu Spott und Verachtung! – Aber wer kann urteilen? – Wer kennt den Rätselhaften? – Und was wär ihm gelungen, hätte man ihn erraten? – Konnte er Frankreich dann retten? – hätte er die Revolution, die in ihrem Paroxym dem Staat den letzten Stoß zu geben drohte, dann erwürgt? –

Pfarrer. Seine Bewunderer hatten sich's anders erwartet, es war ihnen unrecht, daß er über die Gleichheit hinaus mächtig geworden war, die sie mit ihrem Blut besiegelt hatten!

Fr. Rat. Aber sein Sturmschritt mußte die schwankende Gleichheit zermalmen, wo jeder die Gewalt an sich zu reißen suchte. In ihm konzentrierte sich dies Schwanken zur exekutiven Gewalt! hat er sie mißbraucht? – hat er nicht vielmehr die Wunden zu heilen gesucht, die diese gleichen Brüder einander schlugen? Wollte er nicht wieder beleben, nicht wieder aufbauen, was sie zertrümmert und erstickt hatten? – Und war diese Gleichheit eine moralische, so hing ihre sittliche Größe nur von ihnen selbst ab; – wollten sie aber in der Macht ihm gleich stehen, so waren sie Usurpatoren, nicht er, denn die Macht des Genies usurpiert nicht. Alles Kühne und Große war im Entzündungsfieber geschehen, diesem fiel der König der Franzosen als Opfer, denn ihm mangelten die schützenden Kräfte des Genies. – Er mußte unter den Speeren der bis an die Zähne geharnischten Volkswut sich verbluten. Ein Menschenleben war's nur, doch als der schaudervollste Fluch lastet dieser Mord auf der Geschichte. Und hätte sie eine ideale Würde, wenn diese ihr nicht zur Schande gereichte? Doch die diplomatische Moral erkennt nicht das Große, Gerechte, sie anerkennt und erhebt nur schwankende Halbtugenden und weiß nichts von dem Fruchtkorn des Geistes, das lange schon im warmen Boden liegt, und dem donnert die Wolke den Gewitterregen zu, noch ehe der Teufel losgeht! – Im Sturm keimt das Fruchtkorn des Genies, es wächst zum Baum, der streut seinen tausendfältigen Samen weit über die[178] Grenzen hinaus. Die Revolution wär allemal geworden, was aber aus ihr geworden wär, ohne diesen reinen Samen – der nach überstandenem Sturm aufgehen muß, oder es war alles umsonst – das war Verderben!

Bürgermeister. Ich bin auf der Flucht vor den brausenden Wellen Ihrer Beredsamkeit, die Sie bald auf die Höhen der Revolution tragen, dann im lecken Kahn der Verbrecher schaukeln, der, ich fürchte, Schiffbruch leiden wird.

Fr. Rat. Die Revolution wie das lecke Schiff werden von den Wellen der Leidenschaften eine Weile hin und her geworfen, bis Licht und Witterung eintritt, wo dann die wilden Wasser sich verlaufen.

Bürgermeister. Der Morast bleibt, und die Wasser sammlen sich bald wieder, das Maß der Sünde läuft bald wieder über, und wie aus der Urne des Flußgottes strömt es unaufhaltsam.

Fr. Rat. Ja, unaufhaltsam und in Fülle, denn die niedrige Straflust quillt auch aus der Urne. Der Rachegeist, der die gesunde Vernunft unterdrückt, die, um das Leben zu retten, was an der losen Wurzel über dem Abgrund hängt, nur die Hand auszustrecken braucht, und die Hinterlist, die diese Wurzel immer mehr löst, bis sie als höhnendes Zeichen der Macht hinabstürzt – die schwellen diesen Sündenquell an.

Bürgermeister. Mit der Vernunft ihrem Handausstrecken ist nichts getan, und wollte Prometheus auch ein neues Geschlecht bilden, mit Kraft und Genuß den Göttern selber zu gleichen, es würde doch wieder unter dem Joch der Notwendigkeit schwitzen. Der Staat aber hat allgemeine Interesse, allgemeine Grundsätze und kann nicht dieser Prometheus sein.

Fr. Rat. Lieber Herr Bürgermeister, die hohlen Phrasen regieren schon lange die Welt statt der lebendigen Moral; – ihr Staatsmänner seid froh, sie als Staatskunst, wie die Kunst der Religion in Glaubensartikeln, aneinander gereiht zu haben, auf die euer Unsinn paßt, von dem ihr selbst die Spielbälle seid. Ihr habt keine freie Energie, die selbst Gott notwendig hatte, um die Welt zu schaffen, eure Sprache belügt euer Denkvermögen, denn die Worte, die eure Ideen abrunden, wirken mächtiger auf euch zurück als ihr Inhalt. Euer Unglaube an die Naturstimme erzeugt den Aberglauben an eine falsche Politik, der ihr die reinen Menschheitsinteressen aufopfert, und ihr bekennt, die Vernunft würde nichts ausrichten mit euch? – und beschließt so über Leben und Tod! – Ach, müßtet ihr über jeden schuldlos Hingerichteten einen Verbrecher freigeben, und das wär billig, nun Verbrecher, dann seid ihr für die Ewigkeit frei!

Bürgermeister. Was Sie von Staatsmännern sagen, muß man sich gefallen lassen, Sie scheinen aus geheimen Quellen Ihre Begriffe herzuholen, aber der Grund Ihrer letzten Behauptung, daß man so viele unschuldig hinrichte, der ist nicht mit dem tiefsten Senkblei zu erforschen.

Fr. Rat. Hier in dieser berühmten Reisebeschreibung von Geyser lesen Sie die Beschreibung der Festgelage, die August von Polen zur Feier des Beilagers anordnete: Hier »die außerordentlichen Inventiones vom Fest[179] der sieben Planeten, worin der hohe Gout seiner Majestät hervorleuchtet, in welchem er als Sol, mit einem Feuerwerk von funfzig halben Kartaunen repräsentieret, als Mars gibt er ein Kartell mit denen aus ihrer Asche erweckten Abencerragen«, übergehen Sie die Lustbarkeiten und lesen Sie hier weiter.

Bürgermeister. »War man nun vergnügt in Dresden und ging daselbst alles prächtig zu, so ist es freilich nicht allenthalben im ganzen Kurfürstentum ebenso bewandt gewesen; au contraire, ein trockner heißer Sommer ohne Regen zog eine gewaltige Teurung nach sich – die Not ward bald so gar groß, daß Raub und Mord entstanden. Solchem schreienden Elend abzuhelfen, wurde häufig Anstalt gemacht. – Dies müssen wir auch sagen, daß damalen Ihro Majestät vom hochfürstlichen Haus Gotha viel tausend Scheffel Getreide übernommen und nachmalen um einen sehr billigen Preis an dero Untertanen wieder verkauft, auch unter der Armut nicht wenig umsonst austeilen ließen. Allein, weil die Sache durch Juden gegangen, so ist die Frage, ob es der Armut zustatten kam, wie seine Majestät gewünscht.«

Fr. Rat. Bei der Zusammenkunft der sieben Planeten im Garten des japanischen Palais ging alles nach bestem Wunsche seiner Majestät, denn es waren keine Juden dabei. »Jagen, Feuerwerk, Turniere, Ringrennen, Wasserstechen, auf der Elbe ein Ballett der Wassernymphen, prächtige Gruppe des Neptun mit großer Harmonie von Blasinstrumenten. – Dann die Waldfeste; hierunter: der erleuchtete Eichwald, – jeder große Eichbaum mit dreihundert brennenden Wachskerzen, die kleinen aber besetzt und bevölkert mit dreihundert Waldteufel und Hamadryaden in goldbrokatnen Wämsern und reichen Samtkleidern, geziert mit kostbaren Plümagen des indianischen Vogel Foca und andern raren ausländischen Vögeln, welche mit großen Kosten herbeigeschafft« – wenden Sie das Blatt – – hier lesen Sie vom Jahrmarktfest.

Bürgermeister. »Ein großes Jahrmarktfest, maskiert, von denen allerhöchsten Herrschaften gegeben, wobei allerlei galante Evenements, als italienische Oper, Komödien und Kampfspiele, Gaukel – und Kunstspiele, große Zigeuner- und Räuberbanden, welche in kostbarsten Aufzügen und wohlberitten mit gold- und silbernen Zaumzeug und gestickten Schabracken großen Aufzug hielten, mit allerlei Lärminstrumenten durch die Straßen, wobei die Polizei dem Pöbel zu wehren einen schweren Stand hatte, inmaßen das Volk zu toll war, die Räuber von nahem zu inspizieren, und eine so wilde Lust dabei sich zeigte, daß es mit Lustschreien und Salutieren nicht im Zaum zu halten war.«

Fr. Rat. Ja, es sieht seine eigenen Naturkräfte da in effigie und wie im Traum vergöttert einherziehen. – So ging das vier Wochen lang.

Bürgermeister. Hier wird ein Treibjagen beschrieben: »Fünf polnische Ochsen, wobei aber gleich anfangs das schöne Leibpferd des Königs verwundet wurde; eine Löwin, ein Pavian, drei Bären, sieben wilde Schweine. Dies[180] alles war trefflich veranstaltet, wobei viele Tausend Zuschauer, während sich die allerhöchsten Herrschaften auf dem Schauplatz mit den wilden Tieren herumtummelten. Aller kostbare Schmuck und Prachtzeug, in welchem König Augustus die Sonne vorgestellt, wurde nachmalen unter den Kuriositäten des japanischen Palais aufbewahrt.«

Fr. Rat. Der Hofstaat lebt immer noch, wenn die, welche ihn getragen haben, schon lange modern.

Bürgermeister. »Hierbei wird aufbewahrt die eiserne Kette, woran die aufrührerischen Friesen Heinrich den Frommen aufhängen wollten. Ferner ein sächsisches Richtschwert, womit vierzehnhundert Hinrichtungen exekutiert, sodann zu beiden Seiten zwei Reihen Richtschwerter, wo mit jedem derselben dreihundert Exekutionen die Scharfrichter sich losgerichtet, inmitten das Schwert, mit dem der Kanzler Kroll wegen des Cryptocalvinianismi hingerichtet usw. – Diese bedeutsamen Zeugen der königlichen Gewalt sind versammelt um seiner Majestät Wachsgestalt, welche im polnischen Krönungstalar von blau Samthermelin, mit Goldblumen durchwirkt, unter dem goldnen Himmel von der Frau Kurprinzeß Brautaufzug sich sehr gewaltiglich ausnehmen.«

Fr. Rat. Im Kürfürstentum Sachsen haben die Herren Scharfrichter eine gute Ernte gehabt, um sich ehrlich zu richten und ihre Schwerter als Trabanten des polnischen Königs und großen Planeten Sol unter seinem Thronhimmel aufzuhängen. – Wie sieht's aus, Herr Bürgermeister? – Meinen Sie nicht auch, daß da mancher ehrliche Kerl, so gut wie Sie, mag drunter gewesen sein, der sich nichts weniger versah, als den Kopf verlieren zu müssen.

Bürgermeister. Ja freilich, man kann von Glück sagen, nicht unter diesen sogenannten Exekutiones mitzuzählen, an denen sich der Scharfrichter ehrlich gerichtet. – Es ist grausam, das viele Menschenblut so fließen zu lassen.

Fr. Rat. Viel meinen Sie? – jeder Blutstropfen ist zu viel.

Bürgermeister. Das gehört wieder zu Ihren starken Behauptungen, es gibt revoltische Zeiten, wo die boshaften Ansteckungen die ganze Luft verpesten, und es ist immer noch nicht erwiesen, daß unter den Köpfen auch ein Kopf gewesen, der nicht sein Los verdiente, denn es läßt sich nicht erwarten, daß in deutschen Landen die Gerechtigkeit so sehr daneben gehe.

Fr. Rat. Nein allerdings, aber wenn auch nur ein Geringes daneben, so haut sie doch immer dem Unrechten den Kopf ab und kann ihn nachher nicht wieder aufsetzen! und so haut sich doch die Gerechtigkeit auch mitunter frei an einem, der gar nicht weiß, wie er zu dieser Ehre kommt. Noch außerdem, daß in jedem einzelnen Opfer der Justitia eine Nachkommenschaft untergeht, die das Tageslicht nie erblicken wird! Wer berechtigt die Justiz, die noch ungezeugten Geschlechter mit zu verdammen, ja, dies Argument ist noch von den Psychologen gar nicht erwägt! – Was sagt Ihr? – Wie kommt's, daß einer mutig, kühn und adelig in den Tod gehe, und alle große Eigenschaften der Natur auf der Richtstätte ihren großen Charakter[181] entfalten? – Vielleicht, weil er würde ein groß Geschlecht erzeugt haben. Jetzt in der Todesstunde regt sich dieses Geschlechtes Ingrimm, wie mit Gewalt die Könige und Machthaber die Lücken ins Menschentum reißen. Diese gemordeten Geschlechter waren vielleicht die Stämme reinster Menschenrasse, waren die Sterne wohl, die unsere Verfinsterung aufgeklärt haben würden! Und woher die Unheilbarkeit des Jahrhunderts! – hat da das Richtschwert vielleicht auch sich eingefressen und hat durch die Lücken ganzer vertilgter Geschlechter das adelvolle Blut vergossen und das erniedrigte Blut der Schinder und Henker allein übrig gelassen?

Bürgermeister. Ja, wenn Sie so rechnen, daß an den ungebornen Geschlechtern dieser Hingerichteten noch die Blutschuld hafte, dann zieh ich freilich den kürzern.

Fr. Rat. Man muß wohl der unmitleidigen Gewalt des Menscheningrimms den Feuergeist der Unschuld entgegenstellen. Ja, große Macht und Gewalt liegt in den ungezeugt gemordeten unschuldigen Geschlechtern. Keiner ahnt die Zauberkräfte der Natur, die nicht ins sinnliche Leben konnte sich ausbreiten, sie verdoppelt ihre Gewalt. – Wir leugnen, was wir nicht wissen, aber deswegen ist doch wahr, was wir nicht ahnen. Und Leben! – Diese heilige Schöpfungskunst im Menschen, wo es sich mit der ursprünglichen Freiheit des Geistes vermählt, kann nicht durch einen Schwertstreich sich vernichten. Aufwärts soll die Welt steigen, daß der Geist zum Begriff komme und Mensch werde.

Ich habe mir oft die Frage gestellt, was doch des Gerichteten Seele gleich nach dem Tod empfinde für ihren Richter, und ob sie Ruhe habe endlich nach dem verzweifelten Kampf mit der gemeinsten Leidenschaftlichkeit, die sie aus jedem Schlupfwinkel heraushetzte. Ja, wenn der nicht gleich nach dem Tod seinem Verderber sich sühnte, so müßte ein rächend Geschick über ihn hereinbrechen.

Bürgermeister. Sie wollen vor dem Geist des Gerichteten uns bange machen, daß er uns verfolgen könne? Es hat noch keiner nach dem Tod uns nachgesetzt!

Fr. Rat. Aus der Welt kann der nicht fort sein, dem ihr eben den sinnlichen Lebensfaden abgeschnitten habt. Deswegen ist sein Dasein nicht von der Natur aufgehoben, weil ihre Ordnung zerrissen ist, sie fängt im Rettungskahn ihn auf, den ihr in die Wogen hinabgestoßen habt. – Die feineren Sinne, wenn auch nicht überzeugt, empfinden ahnungsweise dem Gemordeten das Lebensgeheimnis nach. Mancher Richter fühlt die Ohnmacht als Todesbote in seinen Gliedern, wenn er ein Todesurteil unterzeichnet. Manchen verfolgt die Ziehkraft der Erinnerung, gegen die er nichts vermag, sie wird zum unwillkürlichen Bewußtsein in uns des Unrechts.

Die geistigen Organe haben ein willkürlich Vermögen in die Ferne, wie gesendete Boten, die ahnungsweis solcher gewaltigen Schicksale Verzweiflungsmomente widerhallen und der Seele den schauder- und schmerzempfindenden Reiz geben der Sympathie! – So hab ich lange den hingerichteten[182] König der Franzosen in meinen Träumen gesehen, mit ihm gesprochen, in seine Geschichte, in seine Persönlichkeiten mich hineingefühlt. Dann war mein Geist plötzlich gehoben zu seiner Verteidigung und hielt die Volkswut bezähmt. Sag mir einer, das sei nichts! – Zum Redner bin ich geworden in meinen Träumen und prägte dem Volk meinen Willen auf.

Bürgermeister. Ein Wille, im Traum dem Volk aufgeprägt? Was müßte aus dem schon geworden sein, wenn es den Willen ausdrücken müßte unserer Träume!

Fr. Rat. Wo käm seine Bedrängnis her als von euren verkehrten Träumen, ob ihr wacht oder schlaft, einerlei! – Mir gab der Traum Empfindnerven der Wirklichkeit. Die Heldengeister der Revolution kamen im Traume zu mir, sie gaben mir die Hand, und ihr Anblick belehrte mich über die Zeiten, ist dies Unwirklichkeit zu nennen? Nein, dies Mitempfinden muß Gegenwirkung sein des Geliebten, Empfundenen. Wir können nicht für das Nichts empfinden. Die Seele kann nicht im Leib sterben, die angezogen wird durch begeistigte Verwandtschaften, sonst würde ja der Reiz, die Anziehungskraft der Liebe, das Ersterben des Geliebten bewirken. Mag auch die Seele einen Leib haben nach dem Tod, uns fehlen die Sinne – oder sie schlafen noch –, dies neue Sein zu gewahren, wie die Natur Wesen mit mehr oder weniger Sinnen begabt und dadurch ihre Lebensbeziehungen einschränkt, – im Kristall beschränkter wie in der Pflanze, weniger im Tier, am wenigsten im Menschen. Also in ihm ist das Bewußtsein am stärksten, doch ist's nur eine erweiterte Grenze, und die Schöpfung hört nicht da auf, wo unser Begriff aufhört. – Da unser Bewußtsein kaum zu lallen beginnt, wie wollen wir jetzt schon hinaus über alles, was es im Strom offenbarender Beredsamkeit uns noch mitteilen wird? Eben wie der Maulwurf die Gestalt des Menschen nicht ahnt, nichts weiß von dem, was das Auge wahrnimmt, ebenso kann außer unserer Sphäre selbständiges Leben sich bewegen, das wir nicht ahnen, aber empfinden. Wasser, Feuer, Luft, Erde! – kann es nicht noch ein Element geben und noch eins, in dem unsre Sinnennatur noch nicht unmittelbar schwimmt, weil die Kraft dazu noch nicht erwacht ist? In der Raupe sind alle Sinnenkräfte des Schmetterlings gebunden. – Diese Zukunftssinne müssen in uns vorbereitet liegen, und grad im Tod erst werden sie geboren, wodurch sie wie bei dem Schmetterling einen höheren Grad der Schöpfung einnehmen. Das Erwachen der Sinne ist das Erweitern des Schöpfungskreises für das Geschöpf selbst, es lernt mehr durch sich selber bestehen; seine Teile erleiden Veränderungen, die es zu seiner ewigen Existenz mehr befähigen! – Das Übergehen durch noch ungeahnte Krisen sind die ewige Machtsprache der Schöpfung: »Es werde!« Nichts anders ist der Tod! – – Alle Anlagen, alle Ausbildung derselben sind organisches Werden jener höheren Existenz. Wir nennen geistig, was Bezug auf dieses höhere Werden hat, weil es unsern jetzigen Lebenssinnen entwachsen ist; als Begriff mag es die werden de Sinnennatur des nächsten Schöpfungsmoment sein. Da das hier Geistige vielleicht das dort Sinnliche ist. – Drum[183] ist es nie zu spät und immer wichtig bis zum letzten Augenblick alle Lebensbefähigungen zu bilden, als fortwährendes Werden der Zukunft! –

Bürgermeister. O Tod, wo ist dein Stachel, Herr Pfarrer! –

Fr. Rat. Wir glauben im Tod uns vom Irdischen getrennt! wird die Erde nicht auch noch weitere Schöpfungskreise einnehmen? Ist sie in sich fertig? – Sind die Elemente abgegrenzt in ihrem Sein? – Hat die Luft ihr Sein in sich, oder ist ihr Lebensprozeß ein fortwährend Hinübergebären? – Ist das Feuer, das Wasser noch Kindesnatur, und wird es in erweiterter Sphäre erst seine Mannheit erwerben? – Wie könnt ihr an das Machtwort der Schöpfung glauben und nicht ahnen, ja deutlich empfinden, daß es ewig widerhalle!

Bürgermeister. Der Herr Kirchenrat schaut mit Entsetzen, welche ungeheure Schollen Sie mit Ihrer Pflugschar ihm in den Wegstürzen! –

Pfarrer. Was könnte man auch dazu sagen? Wenn ich mir die Frage erlaubte, wo Sie mit allem hin wollen, was die Erde absetzt, die Antwort würden Sie wahrscheinlich sparen! –

Fr. Rat. In den Mond will ich damit. Ihr sagt zwar, der Mond nähre die Erde, sein Licht ströme Fruchtbarkeit, ja! aber kann diese fruchtbarmachende Kraft nicht eben auch anziehende sein, wie ausströmende? – Er scheint mir viel zu durstig! – Auf der Nacht liegt der Tau, der Mond kommt zu trinken, er legt seine Strahlenlippen an und saugt! Was lockt einsaugend Küssen des Mondes aus der vollbusigen Erde? – Nu! meinetwegen strafen Sie Kirchenvater die üppigen Sinne der Erde, die nicht dem Reiz widersteht und wieder küßt, und daß ihre Küsse Blumenteppiche sind voll schwellendem Reiz, die Duft hauchen, der steigt auf, – der Mond saugt ihn, und die Erde seufzt die Rosen aus ihrem Busen, es tut ihr so wohl, und der Mond trinkt den ganzen Strom duftender Liebesrosen, und die Nachtigallen schlagen dazu, und die Blüten wirblen in der lauen Luft! O unersättlicher Mond! – könnte etwas vergehen, wenn's nicht verzehrt würde, könnte etwas werden, wenn's nicht gelockt würde, und könnte die Liebe genießen, was sie nicht selbst erzeugt?

Bürgermeister. O Tertullian und Cyprian, packt ein! die Frau Rat sind mein Kirchenvater!

Fr. Rat. Und Sie, Herr Pfarrer, gönnen Sie dem Sohn des Menschen nicht einen duftenden Blütenstrauß? Daß der's auch mit den Sinnen schmecke, wie's zukünftige Leben duftet. Die Erde schwillt ihre Früchte, und wirft den Liebestribut der Menschheit in den Schoß, die nährt sich von der üppigen Liebe der Planeten. Nun, Erdseele, deine geheimen Reize erbeutet sich der Mond, wir aber, die wir der chemische Sinnenverband sind dieser Liebeskräfte, wir trinken und küssen und schwärmen nachhallend betäubt diesen Liebesbund. – »Ewig! – Sein Ende würd Verzweiflung sein!« Geht mir mit eurer Unsterblichkeitslehre! Alleweil merk ich's, wie's zusammenhängt. Und daß ihr's nicht versteht! –

Pfarrer. Ich gestehe, mir ist schon längst dunkel vor den Augen. [184] Bürgermeister. Und mir ist, als habe ich einen Schoppen von der feurigsten Lage getrunken!

Fr. Rat. Das lass ich gelten, – ich fühl mich auch wie besessen. Was haben wir denn für einen Monat? – haben wir nicht Mitte Mai? – Es grünelt mir, es verduftet mich wie Rosenhauch und verhallet mich wie Nachtigallengeschmetter! – Unsterblichkeit! – – Laues Spülich eurer philosophischen Henkersmahle! Und dann verzichtet ihr auf diesen Genuß: mir ekelt selbst, und wollet lieber gar nicht sein, als wie immer! – O Bacchus – Seelenretter! ich bin nicht schüchtern! ich trinke deinen feurigen Wein! – Mach die Seele unsterblichkeitstrunken und dann schwing die taumelnde in deinen Götterarmen hinauf in den Vollmond, voll rieslendem Feuer der Phantasie zur süßesten Erfreulichkeit gebracht des Unsterblichen. – Herr Bürgermeister! schwingen Sie sich in den Sattel, den Herrn Pfarrer lad ich nicht ein, er schmachtet hinter dem Palisadengitter der Kirchenväter. – Er sieht uns traurig nach; kann es Ihnen Trost geben, Herr Pfarrer, Ihre Überzeugung zu bekräftigen aus dem Munde der Kirchenväter: in der Kirche zu Lorch stehen sie in Holz ausgeschnitzt alle mit offnem Munde! die Spatzen haben in sämtliche Kehlen ihre Nester gebaut! – es war um die lindenblühende Zeit, ihre fallenden Blüten wirbelten durch die zerbrochnen Fensterscheiben, zwanzig Paar Sperlinge kamen um die Wette durch die runden Scheibenlöcher geflogen zur Ätzung der zwanzig Kirchenväter. Das Gezwitscher war über die Maßen, aus allen Kehlen: Schilling! Schilling! – Sie können alljährlich um Pfingsten den Geist dieser Kirchenväter in Gestalt einer Sperlingsherde vernehmen.

Pfarrer. Ich wußte voraus, – Sie werden meiner ernsten Frage mit lauter exzentrischen Ausweichungen die Antwort schuldig bleiben, darin exzellieren Sie! und auf Ihre tiefe Einleitung, daß ich glauben mußte, Sie werden das Schöpfungsall enträtseln, – Sie wollten uns erlösen von den sündigen Verdammungsurteilen, die mir das Leben verbittern und mich immer in trüber Stimmung erhalten, daß ich oft denke, wär ich nie geboren, – lieber, als den armen Sünder da hinaufbegleiten den schauderhaften Todesweg, mit dem elenden Zuspruch bis zu dem verfluchten Gnadenstoß hin ihn turbieren zu müssen. – Sie haben dort in Ihrem mondhellen Eckchen Mondvisionen und tun unerwartet einen Sprung des Übermutes, der Himmel weiß, für wen man Sie halten soll! –

Fr. Rat. Wohl gesprochen! die Brust ist mir leicht, und hell sind meine Visionen, halten Sie mich, für wen Sie wollen, der spiegeltiefe Strom der Zukunft ist mein Bett, in dem mein Übermut kopfunter taucht, darum sind die Verbrecher nicht aufgegeben, weil sich die Erdenseele in den Mond verhaucht samt Meer und Luft und allen Elementen, wie die hier gebundenen Sinnenelemente der Menschenseele höherer Sphären freies idealisches Organ werden. Wie zum Beispiel die Barmherzigkeit ein gebundenes Seelenorgan ist im Richter. Im Verbrecher, durch die gewaltsame Geburt des Todes, ist sie die erste entbundne Lebensbedingung seiner höheren Natur geworden.[185] Die Seele schöpft den Atem des Allerbarmen im Augenblick, daß sie hinüberscheidet, und diesen Atem strömt sie zunächst auf ihren Richter. Der erste Atemzug des hinübergebornen Verbrechers ist die Milde der Versöhnung, sie heilt des Richters verwundetes Gewissen durch den Tod des gerichteten Verbrechers selbst.

Bürgermeister. Mein Begriffsvermögen ist eingewelkt und kann nicht mehr pulsieren. Wie! mein richterliches Gewissen sollte verletzt sein und wieder geheilet durch die im Tode entbundene Barmherzigkeit des Verbrechers! Was verstehen Sie unter Gewissen?

Fr. Rat. Gewissen ist die Grenze alles Wissens, es ist unwillkürliche Bewußtheit, die pulsiert in allen Geistesarterien offenbarend, und der Wille ist ein Usurpator, der nicht sich seiner Gewalt unterwirft. Ein Werden muß sein, ein ursprüngliches; erst nachher kann das Urteil der Vernunft aus ihm erwachsen. Dies Werden ist aus dem Gewissen geboren, der Natur oder des Geistes. Der Mensch ist das gewissenentsprungene Geschöpf der Natur, er lebt durch ihre Bewußtheit. Der Geist entspringt aus dem Gewissen des Schöpfergeistes. –

Die Natur kann nicht unvollendet Leben ersterben lassen; was sie erst geboren, das muß sie entwickeln; – das durchlebte Empfundene der Sinne kann nicht ersterben, es ist das Erworbne. – – Gehör, Gefühl, Gesicht können uns nicht mehr geraubt werden! die Sinne können in der höheren Lebenssphäre sich nur erweitern, verschmelzen mit noch andern unbewußten Sinnen, die wir jetzt noch nicht verstehen, geistige Naturen ahnen sie, sie sind eine notwendige Folge unserer in den weiteren Schöpfungskreis gebornen Sinne. Eine Mutter sagt ahnungsweise, sie wolle die Kinder fortwährend umgeben und für sie Sorge tragen nach ihrem Tod. Es ist das Gewissen der Natur, was aus ihr spricht; sie fühlt dies als das Element ihres Seins. Wer dies Gewissen als den eingebornen Instinkt der Mutterliebe leugnet, ja freilich, der kann nicht leben, wer im Tun und Handeln den eingebornen Instinkt des Geistes leugnet, wer diese Keime in sich erstickt des höheren Werdens, – der Allbarmherzigkeit, der Großmut und vieler noch anderer Seelen – und Geistesorgane, – wie kann der ein Leben der Unsterblichkeit erwerben und tragen mit zerstörtem Organismus! – Es gehört ja wohl ein starker Organismus zum Träger der Unsterblichkeit. – Wenn meine Sehkraft reicht bis dorthin? wird dann mein Blick nicht durch die Sterne dringen? – Kann nicht durchsichtig für den Blick werden, was jetzt undurchsichtig ist? – So auch das Gehör! kann es jetzt wohl in den Geist hinein horchen und erlauschen, was der Liebende zu uns denkt, – wird es dann nicht können das Denken der liebenden Natur zu uns erlauschen? Und dann der Gefühlssinn, – ist nicht seine erste Regung in die Ferne für das Verwandte? – Hat's je ein Bürgermeister empfunden, wenn ein Liebender mitternächtlich an ihn dachte, daß er aus tiefem Schlaf geweckt wurde zum Denken an ihn? Woher kommt das heilige Interesse an Naturen, die wir nicht erreichen, weil sie zu fern, vielleicht zu hoch stehen, als bloß,[186] weil eine Beziehung zu ihnen als Keim in uns liegt, weil diese Empfindung als Lebensreiz unsere Geistessinne erhöht, um auf sie zurückzuwirken.

Das ist die Geistesliebe zwischeneinander; eine elektrische Wirkung denkender Wesen aufeinander. Wenn das Denken einst unbeschränkter sein wird, so wird auch ein erweitertes Sinnenwirken aufeinander sein, sie werden zusamt dem Geist die Tiefen durchdringen, und so eine wachsende Verwandtschaft bilden verborgener Geistes – und Naturkräfte. Schon hier auf Erden hängt meist die Vollendung eines Charakters von der Einwirkung verwandter Naturen ab! – Der Fürst hängt ab von der Liebe des Volkes, das Volk ist die inspirierende Sinnengewalt seines Geistes. Er kann nichts wirken ohne dieses Einverständnis seines Geistes mit des Volkes Sinnen! – Was ist Freundschaft? – leider das unverstandenste, gemißbrauchteste, versäumte Geistesfeld falsch einwirkender Richtungen, fremder Weltinteresse und nicht Interesse der Liebe. Poesielose Selbstigkeit, statt Poesie der Selbstheit, und Phantasie, die edelste Trägerin aller erhabenen Wirkungen aufeinander, ist ohne Macht. Dies alles ist verborgne Zukunftsanlage. Der Freund, dem du dich hingibst, ihm zulieb dich heiligst und bildest, dem du deine erhabnen Gedanken zuhauchst, der wird die kräftigste Weihe deines Charakters; – aber auch der ganze Charakter dessen, den du so als Genius in dir trägst, steigt aus dir empor. Einer kann göttlich vollendet werden durch die beziehende Empfindung zum andern, so erzeugt sich der Fürstencharakter aus dem Volk, so erzeugt sich der Genius aus dem Freund.

Bürgermeister. Nun bin ich sehr übel dran wegen der dunklen Schatten meines Begriffs in dem hellen Licht Ihres Geistes.

Fr. Rat. Diese Anlagen der Großmut, des freien Allerbarmens, der reinen Allgemeinheit sind das Genie der Menschheit, sie sind der Trieb des Werdens, ursprünglicher Gewissenstrieb. Sie sind die vorbereitenden Organe eines idealischen Seins. Lebenskräfte dieser freien Ungebundenheit als Instinkt des Ideals treiben und toben in elemantarischer Wonne! – Wie könnten auch diese Gewalten im Keim schon wieder untergehen! Nein, sie müssen werden, sie sind die Eigenschaften des Grenzenlosen, Unendlichen, sie sind die organische Natur eines höheren Ichs. Die willkürlichen Glieder eines Zukunftsleben; sie werden die Sinne unserer neuen Erzeugung, sie sind viel animierter als die übrigen Organe; sie sind das höchste Lebensprinzip der Seele und durchströmen versöhnend gleich jede Untat, sonst wär der Tod gleich Herr der ganzen Welt. – Und alles Große tausendfach schimpflich gemordet – im Selbstgefühl, und verfolgt im Denken wie im Tun; – wär's nicht längst schon in seinen Banden verschmachtet, wenn ihr Lebensgeist es nicht ewig neu stärkte? – Der Geist ist alleiniges Gegengift gegen die Sünde des Todes; er überwindet ihn, und nur das lebt nicht fort, was nicht mit dem Geist den Tod überwindet, und ich will mir meine Unsterblichkeit nicht rauben lassen.

Bürgermeister. Der Herr Pfarrer machen ein Gesicht wie ein römischer Fünfer!

[187] Fr. Rat. Das ganze Werden hängt ab von dem einen Begriff über die Sünde, unter ihrer Kelter schwitzt das Menschengeschlecht seinen Feuergeist aus. Wär ein guter Faustkämpfer für diese Sache der Menschheit, die Schatten der Gerichteten im Elysium würden Freudenschauer überlaufen; denn einmal ausgesprochen muß sie gelten. Nein! es ist nicht möglich, daß sie untergehe, ohne den Schoß der Menschenliebe zu befruchten.

Bürgermeister. Ich leg mein Amt nieder, es verträgt sich nicht mit meiner juristischen Verantwortlichkeit, daß die Menschenliebe die Gerechtigkeit unterdrücke.

Fr. Rat. Allerbarmen allein ist gerecht.

Pfarrer. Wollten Sie Ihren Ton etwas herabstimmen nach unsern Begriffen, so würde ich vielleicht manche Frage haben!

Fr. Rat. Natürlich! die Begriffe angemaßter Rechte stimmen nicht mit dem Posaunenton der Wahrheitstiefen und am wenigsten mit der zu allem gemißbrauchten Vox populi, der Sie zugeschworen haben, Herr Pfarrer! Halt dich still, Vox populi, bis du dich besser verstehst, laß deine Gebeine erst auferstehen aus dem Sarg des Buchstabens, dann laß dir kein Schloß vor den Mund legen, wo du laut werden sollst, laß deine Lippen nicht mißbrauchen zu bösem Geschrei, laß deine Saiten einklingen in die Weltharmonie; – ihr musikalischer Tonsatz ist die Gerechtigkeit, die Menschheit ist ihr edles Thema mit heldenmäßigen Anlagen zu den kühnsten Übergängen und überraschendsten Wendungen. Darauf kommt's an, zwischen Ursprung und Folge die Modulation zu bilden des Allgemeinen.

Bürgermeister. Wir müssen freilich dem Sinn des Menschen nachkommen im allgemeinen, der aber ist die beharrliche Mittelmäßigkeit, sie allein hat die Kraft des Bestehens, ihr muß der Staat sich widmen. Die Alltagsmenschen sind der Popolo! – Das Idealische, wenn es auch augenblicklich die Welt weiter bringt, so muß es doch bald wieder fort, weil es zu absolut ist und die große allgemeine Mittelmäßigkeit unterdrückt, zu der ich auch gehöre! – Wegen dem Universalerben muß der natürliche Sohn unterdrückt werden.

Fr. Rat. Ist eure morsche Scheinbrücke der Gerechtigkeit über den Abgrund des Trugs und der Scheinheiligkeit für die Mittelmäßigkeit erbaut, so wundert euch nicht, wenn sie schwindelnd hinabstürzt und von diesem Abgrund verschlungen wird. – Und wer ist denn hier der natürliche Sohn, der durch die Mittelmäßigkeit als Universalerbe enterbt wird? – Das Genie! – Die Philister schießen mit vergifteten Bolzen auf die geisterhabne Unschuld des Genies. Überzeugt von ihrer eignen Vollkommenheit, wollen die es nicht anerkennen. Wer ihre Fehler oder Laster und lächerliche Seiten und Gemeinheiten nicht hat, den halten sie für verstümmelt. Hast du Genie, so betrachten sie dich als etwas Abnormes, und beklagen dich, wie zum Beispiel als hättest du einen Kropf oder brandrote Haare oder ein schiefes Bein.

Pfarrer. Das Genie hält sich wohl für besser noch als nach Gottes Ebenbild[188] geschaffen! Es schmückt sich generös mit so vielen Aventagen; dünkt sich König der Natur, dem alles gehöre, für den alles gemacht sei – und doch ist's gezwungen, so gut wie die allgemeine Mittelmäßigkeit, für Essen, Trinken und Schlafen sich dem Gesetz zu unterwerfen! –

Fr. Rat. Schade, daß man Ihre Reden nicht ausstopfen kann, ich würde sie sonst zum Andenken auf den Ofen plazieren. – Was auch Genie sei – es kann sich der Mittelmäßigkeit nicht unterwerfen. Alle verschiedne Richtungen müssen eine Gesamtwirkung haben, nämlich: das Vorwärtsströmen. Das Genie ist der Flußgott des Geistes. – Beharrt die Vox populi wie der Frosch auf einem Ton, im stehenden Sumpf der Mittelmäßigkeit, so wird das Genie dennoch Mut haben dürfen, in die Tuba zu stoßen, daß die Mauern darüber einstürzen. Wir haben so lange im Sumpf ausgehalten, so lasset uns nicht die lebendigen Wässer fürchten, wenn die angeströmt kommen und den Sumpf wegschwemmen.

Bürgermeister. Der tote Sumpf sind wir; – das merk ich. – Uns Staatsleute wollen Sie hinwegschwemmen, und die lebendigen Wasser, die mit Macht angerückt kommen; – das kann ich mir denken, wen Sie darunter meinen.

Fr. Rat. Nun! heraus mit der Farb, ich möcht's selber gern hören, wen mein ich? –

Bürgermeister. Was haben Sie für Rumor gemacht, als wir die bösen Buben einsteckten, die Demagogen?

Fr. Rat. Sie sind ein guter braver Mann, Herr Bürgermeister? –

Bürgermeister. Ich weiß schon, warum ich gut bin, aber das bleibt unter uns.

Fr. Rat. Sie haben nichts zu fürchten. Denn wurde mit Ihrer Erlaubnis die Pastete ins Gefängnis geschickt, ohne daß man untersuchte, von welchem Geschmack sie war, so hat der Herr Pfarrer die Güte gehabt, in seiner eignen Tasche zwei Flaschen Bordeaux mit langen Stöpseln den Gefangenen mitzubringen und mit ihnen Ihre Gesundheit zu trinken.

Pfarrer. Mit Vergnügen hab ich diese Gabe der Milde den armen jungen Leuten gebracht. Etwas Herzliches und Sanftes hatten diese tollkühnen Burschen, man mußte ihnen gut sein. Mir war ein Stein vom Herzen, als sie sich glücklich durchgemacht hatten.

Fr. Rat. Sie hatten auch das Beste dazu getan. Aus den Flaschen tranken Sie den kühnen Burschen Mut zu und mit dem Pfropfen bewaffneten Sie sie zu ihrem Unternehmen.

Pfarrer. Daran bin ich unschuldig! ich weiß von nichts! – Ich weiß nichts von diesen langen Stöpseln; sollten die etwas Amtspflichtwidriges enthalten haben, so bin ich ganz unschuldig! –

Fr. Rat. Fürchten Sie, daß der Bär Sie fresse, weil Sie in Ihrer Unschuld etwas Pflichtwidriges getan haben? –

Pfarrer. Dem Bären, der von allen Banden der Wahrheit sich losreißt, und mit verleumderischen Sprüngen mir nachsetzt, dem ist bös entkommen, ohne daß er einem Wunden schlägt, mit schimpfierenden Narben.

[189] Fr. Rat. Der Bär hat kurze Beine und Sie haben lange Beine, nehmen Sie die an den Hals und flüchten Sie zu den Demagogen, die fürchten sich nicht vor dem Bären!

Bürgermeister. Sie sind sehr unvorsichtig, Frau Rat, obschon Sie zwar nichts zu fürchten haben von dem Herrn Pfarrer! –

Fr. Rat. Die geistlichen Herren fürcht ich auch niemals (der Pfarrer verbeugt sich), alles mag man fürchten, nur nicht, was man bekämpft.

Bürgermeister. Bekämpfen Sie denn auch die Demagogen, weil Sie sich nicht vor denen fürchten? –

Fr. Rat. Die sind meine Leute! die werden meine Sache ausfechten, wenn ich lang nicht mehr bin. – Ja! – Wenn ich jetzt erst auf die Welt käme, wo ich schon siebenundsiebenzig Jahr alt bin, dann würd ich noch erleben, worauf ich spekuliere: Fürst und Demagogen ein Herz und eine Seele, ihren Verfolgern zum Trotz!

Pfarrer. Da spekulieren Sie falsch! der Fürst kann nie mit Demagogen gemeine Sache machen, es verträgt sich nicht mit seiner souveränen Macht, die kann nicht, wie sie will, sie hat Bedingungen zu realisieren, die sie mit andern souveränen Mächten eingegangen ist.

Fr. Rat. Warum soll die souveräne Macht nicht mit den Demagogen gemeine Sache machen? – Warum nicht, zum Teufel? – Was haben andre Mächte der souveränen Macht da dreinzureden? – Was für Bedingungen dürfen sie ihr machen? – Wirf die Bedingungen ab, du souveräne Macht. Sag an, daß du nicht mehr willst Sklave sein! Ein freier Demagoge! Nur dem Ideal unterwerfe dich, was die Vernunft vor dir enthüllt. Diesem erfülle die Bedingungen! – Die Demagogen, das ganze Volk stelle als Handlanger dabei an, die alten Hebeböcke, das alte Radwerk, das alte Getriebe der alten Staatsmaschine unter das alte Eisen zu werfen! –

Bürgermeister. Wie soll das werden? – das läuft wohl auf eine Konstitution hinaus! –

Fr. Rat. Ei was! – Macht das Blut Rechte geltend gegen das Herz? – Kann der Geist eine Grenze ziehen zwischen sich und der Seele? – Bin ich König, so ist das Volk mein Blut. Das echte Volksblut ist demagogisch, es strömt mir durchs Herz, ich bin sein Geist, ich umfasse seine Seele! – Was kann es mir fordern? – Es ist meine Macht, daß ich's gewähre. Ich konkurriere mit dem Himmel; er gibt die Seligkeit dem Verstorbnen auf Bedingung; ich geb sie den Lebenden unbedingt, soweit meine Macht ausreicht, und die wird sich dehnen, das versprech ich euch, als Demagogenhaupt überragt die Königsmacht alle Potentaten, das ist zu ahnen, zu begreifen, denn es ist nicht anders möglich!

Bürgermeister. Sie werden mit dem Volk nicht zurechtkommen, es will seine Rechte auf fester Basis begründet haben.

Fr. Rat. Das kommt anders! – Als erster Demagogenfürst natürlich zerhaue ich den Knoten, statt ihn zu schürzen, und führ als Volksverbündeter die Sache durch. Geist, Kraft und Zeit wende ich Demagogenfürst nicht auf Erhaltungskniffe[190] oder Entfaltungskniffe meines Pouvoirs, denn der Beweggrund meiner Handlungen ist das Volk, das mein Heldenblut ist, und dieses Volkes Beste ist dann meine Erhaltung, meine Würde und unbedingte Gewalt.

Bürgermeister. Diese weltumwälzende Gewalt wird dem Unheil der Inkonsequenzen nicht entgehen.

Fr. Rat. Mag's! – Wenn's dann nur dem Unheil der heutigen Konsequenzen entgeht! Ach, wie würde die Menschheit gesund werden und freudig, wenn auf einmal die Demagogen ihren Herrscher umringten und in ihrer Mitte ihn hielten, ihn fest machten und sicher gegen jede Verräterei und absonderlich gegen die Philister! –

Bürgermeister. Sprechen Sie mir als Bürgermeister der edlen Stadt Frankfurt nicht Hohn mit den Philistern!

Fr. Rat. Wie denken Sie das? – Nein! Mag's mit dem Wechsel der Zeiten kommen, wie's will! – Sehen Sie ihre prächtigen Eichen, ihre herrlichen Linden dort auf dem Wall, die über die Brandmauer herüber ihre Wipfel schwingen im Mondglanz. Nein, sie wird ewig eine edle Ruine bleiben einer edlen Republik; sie wird ihre schützenden Mauern ausdehnen dem Verratnen, und der Schrei der Unbill wird laut in ihren Hallen widerhallen.

Pfarrer. Plato sagt: Die Menschen würden dann weise regiert werden, wenn Philosophen auf den Thronen säßen! – Unter dem Demagogenhaupt kann ich den Philosophen nicht erkennen, noch weniger kann ich den Demagogen vom Verbrecher unterscheiden.

Fr. Rat. Das Leben ist eine Kunst, Herr Pfarrer!

Pfarrer. Jawohl, Frau Rat! –

Fr. Rat. Sie sagen jawohl, aber wie verstehen Sie es? –

Pfarrer. Nun, es ist eine Kunst, die Bedingnisse des Lebens, die das Geschick ins Unendliche variiert, seinen Anlagen und Wendungen gemäß zu erfüllen.

Fr. Rat. Aber der Staat übt diese Kunst nicht, sonst würde der Demagoge ihm nicht widerstreben. Aber das Leben ist auch die Kunst des Gottes, der uns geschaffen hat. Kunst ist Beseelung des Stoffes. – Es ist die Kunst Gottes, daß wir leben und da sind. Die Kunst des ewigen Lebens ist sein Meisterstück. Sein oder Nichtsein, das überlegt der Philosoph; er kann's doch nicht deutlicher sagen als die Natur, sie ist die Sprache Gottes. Die Kreatur ist das lebendige Gotteswort, ausgesprochen durch die Natur; jede Kreatur muß sich in ihr verstehen, Selbstleben – das heißt sich selbst verstehen, das ist jener unsterbliche Lebenskeim, der Gottes Kunstwerk ist; im Denken tun wir nichts anders, als diesen Lebenskeim aus dem Busen unseres Geistes hervortreiben. Im Verbrecher hat dieser Keim nicht können treiben, ihm fehlte Licht und Nahrung, die Quelle konnte ihm nicht nahen, der Staat hatte sie gehemmt. Im Demagogen ist hier die gereizte Leidenschaft, die im Lebenskeim als Geistesfeuer, als Selbstbegeisterung aufsteigt, um dieser Quelle Bahn zu machen, um die Offenbarung des Bewußtseins der[191] Menschheit zuzuleiten; in Hoffnung, daß auch der Verbrecher dadurch gesunde. Sehen Sie, das ist der große Unterschied zwischen Verbrecher und Demagog, die Sie nicht voneinander unterscheiden können. Und der Fürst muß ja wohl das Haupt der Demagogen sein, wenn er regieren soll, der Staat, der große Rebeller, würde ihm sonst das Regiment entwinden! – Ja, der Regent muß der Demagogen Retter werden, er muß den Fluch, der ihre Jugendbegeisterung in wilden Haß umwandelte, aufheben, das »Ideal ihrer Jugend in sich ihnen geben. Er wage, was man nur mit begeisterten Kräften vermag, und lege den Keim einer großen unüberwindlichen Zukunft in ihre Brust; – er mache sie zu Helden, die das wandelnde Schicksal ihm fesseln; und wenn es auch wie die Megäre über seine Zeit herfiele, – sie würden mit ihm streiten wie der junge Herkules!« Ich habe es schon einmal gesagt, aber es ist nicht verstanden worden. – – Ach, wollten meine Worte anklingen, welche heitere Blüten würde die Unschuld tragen, und welche milden Früchte würde die Weisheit reifen, und Religion würde dann kein goldnes Kalb mehr sein, dasselbige anzubeten, sie würde zum Stamm einer unendlichen Lebensentfaltung.

Nichts mehr besagt die Bedingung des ewigen Lebens, als was das Leben der Natur besagt. – Entfalte dich, heißt das Gebot des ewigen Lebens. – Herr Pfarrer, alles Geschick ist der Entfaltung des Geistes untertan, nach ihr muß es sich richten, und wir sollen nicht eigenmächtig dem Verbrecher diese einzige Lebensquelle entziehen! – Ich spür in des Geistes Eingeweiden, wie ungerecht dies ist.

Pfarrer. Das Geschick hat bisher uns im Zügel gehalten, sollte ich meinen, und uns oft schweren Prüfungen unterworfen.

Fr. Rat. Und der Geist soll diese Prüfungen bestehen, weil er des Geschickes Meister sein soll; – das Geschick ist bloß zu des Geistes Siegerlust, zur Übung seiner heroischen Kräfte! –

Pfarrer. Frevelhaft ist das gesprochen: Ereignisse, die oft Elend und Jammer verbreiten in den Hütten der Armut und ebenso die Großen und Reichen ihrer Schwäche überzeugen, die kann der Geist nicht bestreiten, er muß sich dem höchsten Richter unterwerfen.

Fr. Rat. Wer ist der höchste Richter?

Pfarrer. Das fragen Sie? – Er, der uns züchtigt, der unsre Geschicke lenkt und unvermutet oft, wie aus klarer Luft ein Donnerschlag, unsre Weisheit zunichte macht! Alle philosophischen Richtungen haben doch nie können das Geschick bestürmen, das Fatum! Auch die Alten, die so viel Überwindungs- und Heroenfeuer hatten, mußten das Unerbittliche anerkennen.

Fr. Rat. Der Philosoph ist noch im Reich der Entwicklung, gar nicht der Geist, der sich Mensch taufen könnte. – Der Schneck, der schmutzige Phantast spürt erst umher mit seinen Fühlhörnern in seinem System, und wo er auf etwas stößt, da zieht er zurück und sucht erst Ausdrücke, um seiner Entdeckungskunst Gestaltung zu geben. Wenn man aber ins Wasser schaut, wie der kunstreiche Gottesgeist dies ewig dahinströmende Lebenselement[192] mit dem Geist des Reflexes versehen hat, dann erschaudert man in sich, wie dieser Spiegel die Sonnenstrahlen in seine rauschenden Wellen taucht und alle reinen Himmelslichter in ihr spiegelt. – O Lebensstrom, – was auch deine Wellen abwaschen müssen und mit sich fortführen, die reinen Lichtboten, die Sterne, scheuen nicht, ihr Antlitz in deinen Wellen zu baden. Wie sollte ich fürchten, mein Geistesantlitz im Busen des Verbrechers zu spiegeln! – Und das ist die Andacht der Religion, die als Leben in den Geist geboren ist, daß sie uns mit Lebensschauer durchdringt. – – Alle Andacht muß Geist hervorbringen. Wir haben diesen Lebensgeist auch im Verbrecher zu wecken; Köpfen, Hängen, Rädern! Ha, Schauder der Finsternis, du zermalmst mich. – Einen empfindlichen Leib hat die Natur geschaffen, warum? – daß er in jeder Empfindung solle geistdurchdrungen werden; und ihr martert diesen Leib! – Ihr martert die Natur, die Urkraft Gottes zerfleischt ihr! – der Mensch, in den sie eingeboren ist mit allen Tiefen der Empfindung, gibt Zeugnis, daß ihr Wahnsinnigen in eurem Hochmut es wagt, zu zerreißen die Braut des göttlichen Geistes! Wie dumm kommt das mir vor, Herr Pfarrer, vom Fatum, daß dessen der Geist nicht Herr werden könnte! – Habt erst Geist! – dann wird dies keine Frage mehr sein. Wir werden dann nicht mehr vor dem Fatum zittern. Wir werden auf jedem Fall ihm stehen; und die Begeisterung wird da widerstehen, wo sonst die Furcht ausriß. Denn die empfindungsvolle Natur ist auch Panzer dem Geist, klingender Stahl, der Wohllaut tönt und seine Kraft verdoppelt. Glauben Sie, daß nicht jede Fiber des geistigen Menschen den Widerhall fühle des Naturgeistes? –

Pfarrer. Sie betäuben mich! – Wie sollen meine Einwürfe Ihnen entgegnen, da Sie ein vorüberrauschend Bild nach dem andern vor meinem Begriff leuchten lassen. Es sind so geistbewegende Vermittlungen mit dem Göttlichen, die Sie zu verleugnen scheinen. Zum Beispiel: Beten! – Wo kam dies Vertrauen ins Gebet her, wo nähmen wir selbst den Begriff davon her, wenn es nicht eine Verwirklichung göttlicher Verheißung in sich trüge; können wir auch ein bloße Schimäre auf unser Inneres einwirken lassen; auf unsere Erhebung? –

Fr. Rat. Ja, Inneres! – Warum setzen die Frauen Putz auf den Kopf und die Männer nicht? – Weil der Mann den Sitz der Eitelkeit im Kopf aufgeschlagen hat und die Frauen obendrauf. – Schimären sind solche Trophäen der Eitelkeit. Wie zum Beispiel meine Gesellschaftshaube mit Sonnenblumen Heliotropus dem Sonnengott geweiht, weil diese Blume sich auf ihrem Stiel der Sonne nachwendet! – So wenig aber mein gemachter Sonnenblumenkranz auf meinem Kopf nach dem Sonnenschein sich richtet, was mir auch ganz lieb ist, weil's meine Frisur derangieren würde, so wenig richtet sich die Schimäre der Eitelkeit im Kopf des Mannes nach dem göttlichen Geist, was dem auch ganz recht ist aus demselben Grund! – Ja! unsre weiblichen Kopfverzierungen sind nur die ausgesteckten Fahnen unserer Eitelkeit; während die Schimären im Kopf der Männer eine schädliche Gärung[193] der Lebensstoffe bewirken, in der das bißchen Lebensluft verpufft. – Könnte die Weltweisheit und Kirchengelahrtheit ihre Schimären auch als Mützen auf dem Haupte tragen, – was für seltsame Muster der Kopfbedeckung würden zum Vorschein kommen! – Der Mensch geniert sich zwar sehr um die Mode, auch äußerlich. – Ein frisierter Kopf rückt und rührt sich nicht in der Gesellschaft, er hat nichts zu denken und den andern fühlbar zu machen als: Rühr mir meinen Kopf nicht an! – Am Abend, wenn er nach Hause kommt, setzt er die Schimäre ab und die Nachtmütze auf zu einer bequemen Ruh, wo der steife Hals sich wieder erleichtert und naturgemäß in Morpheus Arme sinkt! Ach welche Wonne! – O Geist, sinke deinem Morpheus in die Arme, saug ambrosische Freiheitsluft, fühl dich in Träumen fessellos, damit du schmeckst, wie das ist, kein gehöhnter Sklave zu sein der Geistesfurcht! und daß Freiheit selbst das Fatum überwinde. Die Fluten des Gesprächs hatten mich über Ihre Frage hinausgerissen, wir wollen's nachholen! Aber haben Sie denn schon manchmal Lust gehabt, zu beten? – Wie ist es da? –

Pfarrer. Wer könnte in Zeiten der Bedrängnis nicht den Geist zum Himmel aufrichten und Stärke erflehen! –

Fr. Rat. Stärke? – Wer könnte den Geist hindern, diese vorauszunehmen noch ohne Gebet! oder ist dies vielleicht Gebet: »Ich will stark sein und will tragen!« – Dann weiter wird der Geist denken: »Warum soll ich zagen, da ich meiner himmlischen Urkraft der Unsterblichkeit mich besinne, der alles Schicksal weichen muß?« – Das ist doch wohl der Inhalt Ihres Gebets? –

Pfarrer. Jawohl! – nur daß ich meine Wünsche und Bitten an den Schöpfer des Himmels und der Erde richte, der Herr ist aller Geschöpfe, und sie dem unterwerfe! –

Fr. Rat. Sie Heuchler! warum unterwerfen Sie sich? – weil Sie meinen, daß Ihnen doch anders nichts helfe, indem er die Macht ist und die Herrlichkeit.

Pfarrer. Warum ist das Unterwerfen dem göttlichen Ratschluß geheuchelt? –

Fr. Rat. Wenn Sie drunter weg könnten, so würden Sie's versuchen, aber nun, weil Sie einmal das Hasenherz im Leib haben, so unterwerfen Sie sich! –

Pfarrer. Aber wer sich nicht unterwirft, zieht Gottes Zorn auf sich! –

Fr. Rat. Wie zum Beispiel die Verbrecher, die widerbellen dem Gott! – und stürzen sich dabei nach seinem ewigen Ratschluß ins ewige Verderben, nicht wahr? – Aber nein! Ich will diesem Verbrecher einen andern Weg zeigen, einen Weg der Macht, der Selbstheit, der Seelengröße, der Geistesfreiheit! – haben Sie was dagegen? – würden Sie als regierende Macht zagen, mir Mittel und Wege frei zu lassen, um aus der zu hängenden, zu köpfenden Menschheit eine der himmlischen Geisteskraft sich bemächtigende Nation zu bilden? –

Pfarrer. Als Regent würde ich allerdings Bedenken tragen, solche Menschen,[194] die ihren ursprünglichen Beruf zur Sittlichkeit, zur Moral verleugnet und ihre Leidenschaften empört gegen das Bestehende – den Nebenmenschen gefährdet haben, wieder in Besitz und, wie Sie sagen, sogar einer freieren Macht als früher zu setzen.

Fr. Rat. Und da würden Sie als Baum der Gerechtigkeit statt guter Früchte lauter Spießruten tragen, um die Menschheit zu geißlen. Und darum ist auch der Verbrecher nicht gegen Sie verantwortlich, weil er den Apfel der Gerechtigkeit, des friedlichen Vertrags nicht von Ihren Zweigen schüttelt, sondern den berüchtigten Apfel der Zwietracht und dann noch allerlei andre Äpfel von Sodom und Gomorrha. – – Wenn es dem Staate beigeht, jeden Schritt mit dem Maß der Intrige zu bemessen und danach seine Großmut raubsüchtig der Menschheit vorenthalten, wenn, anstatt sie in ihrer Gesamtheit übereinstimmend zu heben und im harmonischen Wellenschlag zu tragen, er diese ihm ergebnen Kräfte benutzt, um sich dagegen zu sichern, zu wehren, – wie kann ein solcher es wagen, den Verbrecher zu strafen! Also! – Eben aus Ihrem Mißbegriff, aus Ihrem Mißbrauch, Unverstand, Gelüsten, Sünden, Laster, Verbrechen entstehen die Verbrecher. Und Sie wollen nicht dulden, daß ich die den Weg des Heils führe? – Was sagen Sie, Staat, zu Ihrer Verantwortung? Denn Sie sind ja wirklich als Orgelpfeife des Staates gewiß gar nicht mächtig, eine andre Antwort zu geben als der Staat selber, und ich kann mich nach dieser ganz richten.

Pfarrer. Zu meiner Verantwortung? – Was ich da sage? – Nun lassen Sie mich um Gottes willen erst auch eine Frage an Sie tun! Hat ein Mörder den Tod verdient? –

Fr. Rat. Sehn Sie! ich will mich zu Ihrer melancholischen Ansicht der Gerechtigkeit herablassen! und will das Vergeltungsrecht dieser ganz in Mißbegriff liegenden Zeit noch einen Augenblick statuieren, obschon dies niemand mehr beschämen sollte als den, der Verzeihung predigt. – Doch dann müßte zuvörderst der Staat seine Verbrechen büßen, denn er ist die Veranlassung aller Sünde, Sie geben das zu, aber da ist keine Macht, die ihn zum Schafott führt.

Pfarrer. Ich gebe nichts zu, und Sie haben es auch nicht erwiesen.

Fr. Rat. Man kann mit einer Pistole vor einen eigensinnigen Kopf schießen, und die Kugel prallt ab, und dies kann selbst den Geist in Erstaunen setzen.

Pfarrer. Weil ich nicht gleich Ihren Argumenten meine Überzeugung preisgebe, nennen Sie mich eigensinnig! Machen Sie mir die Schwächen des Staates begreiflich. Und welchen Staat meinen Sie? – Daraufhin kann ich vielleicht Sie besser verstehen.

Fr. Rat. Ich meine keinen Staat, wo mir die Zensur meine Ansichten streichen kann, ich mein einen ganz andern Staat hinter dem Himalaja gelegen, der ein Widerschein ist von dem Staat, den ich meinen könnte; sollte mir aber auch das die Zensur streichen wollen, nun, so mein ich den auch nicht. Ich meine nichts, was könnte gestrichen werden. – Aber da ich doch, ohne den Beweis an Ihrem Kopf abprallen zu lassen, den Staat für den größten,[195] ja für den einzigen Verbrecher am Verbrechen halte, der sein Schwert der Gerechtigkeit mörderlich mit Schuld befleckt hat, so ist er auch der Verbrecher, dessen ich mich am ersten annehme. Ja! – dem will ich zuerst die Macht der Selbstheit, der Unumstößlichkeit und der freien Bewegung aller seiner Glieder sichern! – Nun! dann werden Sie doch auch nichts dagegen haben, daß ich auch jedes verbrecherische Individuum unter meinen Schutz nehme? –

Pfarrer. Ich geb ja alles zu, kommen wir nur endlich dazu.

Fr. Rat. »Willst du strafen oder lohnen, mußt du Menschen menschlich sehen.« Denken Sie sich, Herr Pfarrer, ich wär Mahadö, der Herr der Erde, der zum sechsten – oder siebentenmal heruntergerutscht kommt (denn der gute Kerl ist geduldig), um die Menschheit zu retten oder vielmehr die Gans, die von Philemon und Baucis geschlachtet sollte werden. Ich, der Gott, umarme die Gans und stehe in meiner vollen Götterwürde da. Soll ich strafen oder lohnen, muß ich Menschen menschlich sehen! Der Staat aber als Unmensch, der alles auf sich berechnet und nicht sich für alles hingibt, der sieht ganz unmenschlich und unverständig drein und greift mit Unverschämtheit ins Richtamt Gottes nach der Gans und schlachtet die. Das ist die erste große Beschuldigung des Jupiter Tonans gegen den anmaßenden Staat. In weitere Untersuchungen läßt er sich nicht ein. Es ist dem Gott zu klein, im Morast herumzurühren; er hat einen feinen Geruch, und den will er schonen, wie es einem Gott zukommt, sich selber zu schonen und nicht, wie Sie meinen, alles zu untersuchen, mit einem Himmelsteleskop jedes Verbrechen verborgen liegen sehen. – Himmlische Weisheit braucht's nicht erst zu entdecken, daß die Verbrechen nur krankhafte Erscheinungen des Staates sind. Eine ganz krankhafte Erscheinung ist schon das Strafen und Lohnen ohne die Befähigung dazu! das heißt ohne die Weisheit! – beim Lohnen nun absonderlich, das gar nicht sein sollte, weil es den Morast aller Gemeinheiten aufwühlt.

Bürgermeister. Das ist wieder eine neue Ansicht, wo mir der Begriff darüber still steht.

Fr. Rat. Ich hab mich immer über das Unabhängigkeitsgefühl gefreut in dem weisheitsvollen Dekret unseres Staates, daß die Senatoren keinen Orden annehmen dürfen. – Es heißt nicht allein, ihr sollt euch nicht bestechen lassen, ihr sollt das Zeugnis eurer Verdienste nicht zur Schau tragen, es heißt auch: Führt kein Abzeichen, das der Gemeinsinn nicht versteht, prahlt euch nicht mit Verdiensten, die eine Notwendigkeit unserer Verpflichtungen sind. Es heißt aber auch, daß der Mut und die reine Absicht keinen Lohn vertragen. Das Gute ist verborgner Trieb im Lebensquell, es müßte den Atem verlieren und in sich stocken, sollte es den Lohn ertragen. Das ursprünglich Göttliche lohnt sich nicht, Lohn ist dem Guten nicht Würde, es ist ihm verkennende Schmach. – Der Staat muß nicht lohnen, wenn er nicht die Gerechtigkeit in eigner Person anschwärzen will.

Bürgermeister. Wie Barcelona unserer Stadt das Bürgerrecht schenkte, weil[196] die Kaufleute von dort hier auf der Messe in ihren Rechten vom Rat geschützt wurden gegen die Bürger, die mit ihnen in Streit kamen. Das war keine unedle Anerkenntnis.

Fr. Rat. Das lass ich gelten, das öffnet dem Gemeinsinn die Schleusen, aus dem eben die strengste Zucht entspringt. Gemeinsinn greift da ein, wo kein Gebot noch Verbot wirkt, er ist die freie Freiheit. Aber die Eigenmächtigen verstehen diese nicht. Innere Gebundenheit und äußere Freiheit sind doppelt schwere Ketten, – bewußtlose Trunkenheit, die die Sinne bindet und verwirrt.

Bürgermeister. Da sprechen Sie den Demagogen das Urteil.

Fr. Rat. Ihr seid die Demagogen – die ihr beim Strafen wie beim Lohnen eigenmächtig eingreift in die geistigen Anlagen der Menschheit. Der des Lohnes bedarf, ist so krank als der Straffällige, und der ist noch kränker, der Lohn und Strafe austeilt.

Pfarrer. Aber das Notwendige ist ja doch Bedingung des öffentlichen Verfahrens.

Fr. Rat. Dazu reicht Menschenwitz nie aus, drum wendet er ihn aufs Unnütze! Unnütz sind eure Zucht-, Schweig- und Isolierhäuser. Das sind keine Heilanstalten, sondern Marterkammern der geistigen und sittlichen Natur. – Den Kranken betten wir sorgfältig, wir löschen seinen Durst, wir mildern seine Hitze, und kein Weh ist, was wir nicht durch erfinderische Pflege erleichtern, die ihn seiner Schmerzen vergessen macht. Wir besänftigen seine Ungeduld; jeden Genuß, der neuen Lebensreiz gibt, bieten wir ihm. Der erste Reiz zum Leben, die erste Spur erneuter Kraft erfüllt uns mit Hoffnung, und so verschmilzt die Lebenswärme des Heilenden mit der wankenden Lebensflamme des Kranken. – Machen wir's auch so mit denen, die der Pflege unseres Geistes vertraut sind? – Oder wie kommt es, daß der Geist nicht mit gesunden Sinnen begabt ist, sondern mit Bosheit behaftet gegen den moralisch Kranken? Diesen vom Schicksal Zerschmetterten, der meist von jener Kehrseite des irdischen Glückes herkommt, der wir den Rücken drehen, – den nennen wir nicht krank, sondern Verbrecher, weil er in seiner unberatnen Leidenschaftlichkeit unsern Egoismus verletzt; in jenen bittern Heilanstalten der Moral empfängt ihn die Verzweiflung statt der Krankenpflege. Wir malen sein Inneres ihm so schwarz, daß er nie hoffen kann, das Schlechte zu überwinden, wir erlöschen die erneuende Lebensflamme mit dem giftigen Hauch der Vorwürfe, die keine Frist gönnen der irrenden Natur, sich wieder zurechtzufinden. Und wenn wir den Lebensreiz in ihm ermartert haben, daß er erschlafft und nachgibt, er sei derselbe Bösewicht, den wir so bitter tyrannisch ihm einätzen, dann schlagen wir ihm den Kopf ab oder hängen ihn oder machen ihn blödsinnig in Schweig – und Isolierhäusern. Muß dies unerhörte Verfahren der Narrheit nicht die gesunden Sinne empören? Warum pflegt ihr nicht den Verbrechenskranken, wie es die Natur euch ins Herz schrieb bei dem Naturkranken? – Warum keinen Tropfen Linderung in der Fieberhitze? Warum[197] kühlt ihr nicht den Aussatz? – Warum ätzt ihr vielmehr so den Menschenhaß, die Verachtung und Verleugnung der Wahrheit mit eurer Inquisition? – Sind eure abnorme Ansichten nicht auch Krankheitsymptome, die ihren Sitz haben im Egoismus wie das Verbrechen auch? – Und so ist die Behandlung des Verbrechers mit derselben Krankheit behaftet, die das Verbrechen erzeugte.

Wären wir geistig ganz gesund, so ist unmöglich, daß wir nicht auch den Verbrecher heilten. Denn geistige Gesundheit ist unwiderstehliche Heilkraft, die jede Versündigung am Geist ausgleicht und organisch erneuert. Unser Geist steht noch auf der Stufe der Amphibien, verliert der Frosch ein Bein, es wächst ihm wieder, verliert der Krebs eine Schere, so ersetzt sie sich, und der Staatengeist ist ein Krebs, er huft vor allem Geistigen zurück, eh er es mit der Schere packt. – Wären die Großen nicht mit dem Wahn behaftet, das Richteramt sei ihnen von Gott vertraut, so würden sie ihre Sinne anstrengen, einen Weg der Gesundung für die Verbrecher zu finden, das würde sie zu der Quelle leiten, aus der sie entspringen, und da würden sie entdecken, daß der Staat selber diese Quelle ist. Ja, dann würden sie sagen: Wie ist das zu ändern! es ist nicht möglich. – O nein, mein Freund, es ist wohl möglich! – bring zuerst das kleinste Opfer! – das zweite ist dir leichter, im dritten erwacht dein Selbstgefühl immer mehr, du kannst endlich nichts mehr tun, nichts mehr zugeben, worin du deinen besseren Regungen einen Damm setzen müßtest, du kannst nicht mehr alles Mitleid, alle Großmut mordweise in dir unterdrücken. Dein eignes Selbst ist dir zu heilig, du liebst dich selbst um der göttliche Gabe willen zu trösten, zu heilen, statt der früher höllischen Übermacht, in die Enge zu treiben, ins Verderben zu reißen, und ich will nichts mehr sagen. Sie beide werden es nicht leugnen, was Ihr eigen Herz bejaht.

Pfarrer. Ihre Ansicht oder Ihre Überzeugung vielmehr in Ehren! – aber ich kann nicht zugeben, daß der Geist, der den Verbrecher zum Bekenntnis leitet und ihm die Auswege verschließt, ein listiger Verführer oder Verderber sei, er führt ihn vielmehr zur Reue, verhütet den Schaden, der durch ihn gestiftet würde. Der Staat vermag nicht anders dem Übel zuvorzukommen.

Bürgermeister. Ja, wie sollte man das Bekenntnis anders herbeischaffen, um das Verbrechen mit dem Stab der Gerechtigkeit zu messen? –

Fr. Rat. Alter Unsinn, altes System, alte angeborne Despotenwut, wie alles, was man erzwingt. Das Verbrechen ist geschehen, der Verbrecher weiß selbst nicht wie! – er kann's sich selber nicht begreiflich machen. Das, was er darüber sagt und sagen kann, ist ganz gleichgültig, so wie ihr selbst durch eure gesunden Begriffe über dem Verbrecher steht, und ist das nicht, so habt ihr auch nicht das Vermögen, den Stab der Gerechtigkeit daran zu legen! –

Pfarrer. Aber müssen wir nicht darauf bedacht sein, durch das Bekenntnis sein Gewissen zu erleichtern und mit sich auszusöhnen?

[198] Fr. Rat. Diese ermarterte vorzeitige Krise hemmt den organischen Verlauf der Heilung. O, laßt euch nicht betören von allgemeiner Kurzsichtigkeit, Engherzigkeit und Unvermögenheit des Staates. Der Staat handelt nur dann recht, wenn eben alle edle Regungen in ihm befriedigt werden. Für was lägen die Anforderungen in der Menschenbrust, diese Stimme des Erbarmens, wenn sie nicht auch die Stimme des Rechts wär, und wenn wir ihr kein Gehör sollten geben?

Pfarrer. Es sind vielleicht andre Gelegenheiten, an denen diese edle Regungen sich bewähren können. Hier fordert das allgemeine Beste mannliches Selbstbezwingen dieser Mitleidsstimme! –

Fr. Rat. Es gibt keine andre Gelegenheit als nur die größte, dieser gilt auch der höchste Adel der Seele. Wollen Sie mit dem bißchen Sentiment, was der gierige Egoismus absetzt, hier und da Gutes wirken? – Hier und da ein Unkräutchen ausrupfen, an der Wegebesserung der Tugend arbeiten? – sie von beiden Seiten mit Dornsträuchern bepflanzen? Eine Schattenbank dem Wanderer hinsetzen, ihn zur Ruhe einladen und zur Betrachtung von der Vergänglichkeit irdischer Dinge? Wollen Sie mit ihm Betstunde halten, Gott loben aus dem Gesangbuch und damit den Lebensorganismus, der laut und kräftig durch die Elemente sich arbeitet, unterdrücken? –

Pfarrer. Unsere Anstalten, unsere Verwendungen fürs Heil des Geistes, der Seele gehen doch weiter, als Betstunden halten aus dem Gesangbuch. Man kann unserer Zeit nicht vorwerfen, daß sie ihren Wirkungskreis gering abstecke.

Fr. Rat. Ach ja! Richtig! so was hab ich erfahren! Eine Mission nach Sibirien! wo der fürchterliche Schnee liegt, wo die vielen Wölfe als die Menschen fressen, die dahin sind verwiesen worden, da sollen nun Frauenzimmer hin, die Bären und Wölfe zu zivilisieren, zu waschen, zu kämmen, zu rasieren und ihnen ein wenig menschliche Gesinnung einflößen. – Ja wahrhaftig, so was hab ich gehört, oder hat mir's geträumt?

Pfarrer. Das letzte wohl, Frau Rat, denn es sind nicht Bären und Wölfe, sondern die Menschen, welche diese würdigen Frauen unter ihre Obhut nehmen, und es liegt auch kein Schnee, sondern ein ewiger heißer Sommer herrscht dorten.

Fr. Rat. Ja richtig! Ich weiß! – Das waren die vielen Hosen von bunt beblümtem Zeug, die man nach Afrika am Kap schickte als Patengeschenk, um die unschuldigen Kaffern zur Taufe zu locken.

Pfarrer. Nun, war das nicht ein christlicher Zweck? – ein edler Drang des Herzens! – Menschen, die so fern von uns schmachten ohne das Wasser der heiligen Taufe, noch mit liebreichen Geschenken der Sittlichkeit zu ihrem eignen Heil zu bewegen? –

Fr. Rat. Ei, Herr Pfarrer, lassen Sie sich sagen, wie's gegangen ist mit den Hosen. Es war so großblumiger Kattun, der hier ausverkauft wurde, die Missionsdamen machten aus, daß ein getaufter Kaffer unmöglich könne mit unbekleideten Beinen mehr vor Gott, der alles sieht, herumlaufen, sie[199] haben also die ambulanten und andächtigen Schneidermamsellen, deren es unzählige gibt, die gern abenteuerliche Reisen machen, versammelt in ihrem Konvent. Sie haben sich alle miteinander an einen langen oblongen Tisch plaziert, mit grünem Tuch beschlagen; sie haben die Brillen aus dem Futteral gezogen und auf die Nas geklemmt, Fingerhut und Nadelbüchse und große Schneiderschere, damit haben sie die ganze Nacht gezackert hin und her in den Blumenteppichen; denn da es ein Werk der Schamhaftigkeit war, so wollten sie's nicht beim hellen Tag, sondern bei Mondenschimmer und bei Talglichtern betreiben! Eine Probiermamsell hat in einer Nacht über funfzig Probeanzüge gehalten dieser Patengeschenke, und wem man es so erzählte, der würde es nicht glauben. – Ein Frauenzimmer, das vom Taufkosen – Anprobieren in Ohnmacht fällt, bei einer Tasse Kaffee hat sie sich wieder erholt, sie klagte es ihrer Bas, meiner Lies. Diese Hosen, mehrere Tausend an der Zahl, sind denn endlich in See gestochen, mit großer Erbauung derer umstehenden Christen wurden sie unter tausend Segenswünschen, Gebet, Abschiedstränen, Glockengeläut eingeschifft. Aber sehen Sie, Herr Pfarrer! – –

Pfarrer. Die Frau Rat erzählen das so launig, es kommt beinah zum Lachen heraus, aber bleiben wir bei der Absicht, den Opfern, die man einem solchen Zweck brachte, und es ist nicht mehr zum Lachen! – Kaum schlägt an unser Herz das Gefühl tiefer notverlaßner Menschheit, so dehnt es unbegrenzt sich aus, so bleiben wir nicht im Vaterland stehen, nicht Europa begrenzt unsre Wirksamkeit, wir fliegen in fremde Weltteile, überall ist ja derselbe unserm Herzen verwandte, unserm Geist von der Gottheit anvertraute Mündel und Pflegling.

Fr. Rat. Eben das, Herr Pfarrer, wollt ich sagen, und die Hosen sind auch glücklich ohne Sturmwetter am Kap der guten Hoffnung angelangt, sichtbar hat die göttliche Vorsehung grad in der glühenden Sommerzeit gewaltet, wo die Passatwinde sich oft karambulieren und meist viel Schiffsladungen dem Krieg der Elemente zum Opfer fallen, da ist diese Ladung ungefährdet angekommen, denen Täuflingen ausgeteilt worden, die sind zu Haufen zur Tauf herbeigestürzt und haben mit Tanzen und großen Luftsprüngen sich taufen lassen, auf den Kopf gesetzt die bunten Blumenhosen, auf beiden Seiten hingen die blumigen Beine herab, und der christliche Glaube und alles geht herrlich und in floribus in dem Afrika her! –

Pfarrer. Auf dem Kopf haben diese ungebildeten und stumpfen Kinder der Natur diese Kleidungsstücke angelegt? – Ei, da geht ja der ganze Zweck der Sittlichkeit verloren.

Fr. Rat. Wie so? – Ich sag Ihnen ja, daß ganze Schwärme hervorkamen; wie die Mücken im sonnigen Abendglanz, so tanzten sie mit ihren Hosen auf dem Kopf herum und ließen sich taufen.

Pfarrer. Der Zweck ist nicht erfüllt! –

Fr. Rat. Warum das? – Soviel Beinkleider, als da sind in der Wüste Afrikas, so viel gläubige Herzen, so viel bekehrte Seelen! – Nein, da will ich Ihnen[200] noch was anders mitteilen, da ist jetzt wieder ein anderer Weltteil! Asien! – Da ist wieder was los, da bin ich begierig! – wieder eine Expedition. Da sollen die Inder gänzlich auf europäische Weise sich vermählen lernen; und allemal beim Sterben des Ehegatten, wenn der begraben wird, wo sonst die Frauen verbrennen mußten, da wird jetzt gleich ein Bräutigam zum Leichenbegängnis mitgeführt. Es ist nun schon in den Zeitungen zu dieser Expedition aufgefordert, bis jetzt hat sich abermals eine Schneidermamsell dazu gemeldet. Es ist außerordentlich, was diese Frauenzimmer Courage haben! – sie unterwerfen sich See – und Landungeheuern, wenn sie nur ihr Scherflein zum Ganzen beitragen; denn daß manch Seeungeheuer so eine christliche Person wegschnappt, das ist gewiß! – Für zehn, die ein Haifisch kapert, kommt höchstens eine ans Land! –

Bürgermeister. Ja! daß das Frauenzimmer keine Todesfurcht kennt! – Und grad von einem Meeresungeheuer verschlungen zu werden, das grauelt mir!

Fr. Rat. Gelten Sie, das ist kein Spaß, der Tod gräuelt einem immer, aber so ein Seeungeheuer kann einem Verbrecher doch auch nicht schwärzer vorkommen, als eine Bürgermeisterperücke mit einer schwarzen Schabracke, die Sie anhaben, wenn Sie ihm den Stab brechen! – Sie, die noch nie in die Wochen gekommen sind, können sich freilich keine klare Vorstellung davon machen, wie man hinübergeboren wird, und es ist auch danach, es dröhnt einem in allen Gliedern. Aber endlich kommt man doch mit einem Götterjüngling nieder, der längst in sich verspürte Geniusjüngling, das eigne höhere Selbst. Wenn Sie Mutterfreude an sich genießen wollen, so lassen Sie das Urteil mit Hängen und Köpfen – das Vollstopfen der Zuchthäuser; – denn sonst bringen Sie sich selbst als ein Monstrum und nicht als Genius zur jenseitigen Welt, und da wird man sich nicht genug verwundern können drüben über das Frankfurter Mondkalb mit der Bürgermeistersperücke! –

Bürgermeister. Mit Hängen und Köpfen hab ich mich nicht so sehr viel befaßt, die Stimme des Erbarmens hat immer ein geneigt Ohr bei mir gefunden! – Aber wir haben einmal Pflichten, die ihr vorgehen, davon wollen Sie nichts hören. Der Schutz der Gesamtheit ist uns anvertraut, wir müssen das Gift ableiten, die Tollkühnheit in Bande schlagen, die Heimtücke ersticken.

Fr. Rat. Despotenwut, Sie weiser Solon und Lykurg! Despotenwut und Feigheit, aber kein Gerechtigkeitsgefühl.

Pfarrer. Tut man nicht alles, den Verbrecher einer ewigen Barmherzigkeit würdig zu machen? – Hat er nicht den Trost, daß Christus für die Sünden der Welt gestorben ist? –

Fr. Rat. Kommt dem Verbrecher nicht damit, daß der Gott für die Weltsünden sei gestorben, da er als schwacher Mensch selbst einen so harten Tod für seine eignen Sünden erleiden muß. – Und da nicht einmal das Sterben des Heilandes dem Richter als Genugtuung für den Sünder gilt, wie soll da[201] der arme Sünder von dem Tod des Gottes profitieren, Sie weiser Tertullian, Ambrosius, Gregorius und Alexandrius? – Wenn Christus wirklich gesagt hat: ich sterbe den Tod für die Sünder, so war ihm das auch höchst zu viel mit eurem Spießen und Hängen und Sengen und Brennen der wehrlosen Menschheit! aber ihr habt ja den Christussinn nicht verstanden.

Pfarrer. Schreiben Sie mir den Unsinn der Kirchenväter nicht zu, Sie irren! Ich bin ihr nicht untertan! Meine Pflichten als Pfarrer haben mich als mit der Menschenliebe übereinstimmend bisher geleitet, und ich werde nicht nach veralteten Satzungen, die immer anmaßende Tyrannei waren und keinen philosophischen Grund hatten, mich je richten. Glauben Sie ja nicht, Frau Rat, daß ich so arbiträr, so einseitig und unbillig sei und sinnlos für universelle Humanität, oder nicht Mut haben sollte, dem, was dieser universellen Humanität widerspricht, auch zu widersprechen! –

Fr. Rat. Darauf kommt es nicht an, aber Sie wollten Ihre Weisheit nicht den Kirchenvätern zu verdanken haben, da muß ich Ihnen den Beweis deutlich führen, wie Sie dennoch unbestrittner Erbe dieses Unsinns der Kirchenväter sind und ihren einmal eingeleiteten Unsinn aufs listigste durchgesetzt haben.

Pfarrer. Ich! – Frau Rat, Sie können mir nicht bange machen, daß ich ein solch Ungeheuer sollte sein, die Menschheit mit Fesseln der List vom reinen Begriff des Göttlichen und Schönen und dessen Genuß abzuhalten, wie das durchgängig der Kirchenväter strenge asketische Verrücktheit war.

Fr. Rat. Also Sie, Herr Pfarrer und Kirchenrat, der hier seiner hohen Ahnen sich schämt und ihnen öffentlich widersagt, passen Sie auf, wie ich meinen Beweis führe einer frappanten Ähnlichkeit Ihrer Charakteranlagen mit denselben; daß man meinen sollte, man hört noch die vergilbte Tendenz früherer Zeiten nachhallen! –

Von der Griechenwelt erzähle ich Ihnen, die in so vielseitigen Idealen der Schönheit ihre Götterbilder verewigten. Untergesunken ist die Begeisterung für das persönlich Göttliche des Griechengeistes im Christentum. Wir haben nach Ihren heiligen Kirchenahnen, deren Kirchenururenkel Sie sind, dem Schönheitstempel des Leibes abschwören müssen und ihn für einen Madensack erklärt, der ein sündhaftes Exkrement sei der Natur. Die Tempel sind zertrümmert mit ihren Götterbildern – Zeugnis kirchenväterlicher Barbarei – oder sind mit Gewalt in christliche Vorstellungen verwandelt worden – Zeugnis ihrer Schlauheit. – Wie zum Beispiel die drei Grazien als die drei Kardinaltugenden Glaub, Hoffnung und Lieb in der Sakristei der Paulskirche zu Rom von den Kardinälen höchlich verehrt werden. Einer Venus waren verschiedne Altertumsforscher auf der Spur, daß sie in St. Loretto als Jungfrau Maria Wunder tue; – Winckelmann hat dies durch historische Beweisführungen erledigt, daß nicht zu zweifeln ist. – Wie aber sollte der Sohn der übergetretenen Venus nicht der Götterknabe Amor sein, der so viel olympische Wunder verrichtete an Göttern und an Menschen, die er zusammenbrachte, und so die Menschennatur durchdrungen hat mit Götterkräften.[202] Er war der erste, der unser Heil begründete, indem er den Menschenteig mit der Gottheitshefe in Gärung brachte.

Pfarrer. Frau Rat, halten Sie ein! –

Bürgermeister. Ich erstaune ob Ihres Übermutes und Ausgelassenheit.

Pfarrer. Lassen Sie Ihre eigne Überzeugung nicht wie jene Sappho sich vom leukadischen Fels den Hals abstürzen.

Bürgermeister. Ja, Frau Rat, Sie gehen aus allen Fugen! –

Fr. Rat. Nun! Alle beide! – Schreien Sie nicht wie die Neuntöter! Was lamentieren Sie um die Sappho? – sie hat sich ja nicht zu Tode gefallen! – sie hat ja wie ein Fisch schwimmen können, unter dem Fels hielt ein Nachen mit allen möglichen Bequemlichkeiten zu einer angenehmen Fahrt, und die Schiffleute haben sie aufgefischt und mit ihr fortgesegelt dem flüchtenden Liebhaber nach, der aber sich hat erreichen lassen, und haben beide eine glückliche Fahrt gehabt. – Meine christliche Überzeugung kann auch schwimmen, und wenn sie einen übermütigen Sprung tut, wird sie schon aufgefischt werden.

Sind Sie beruhigt über meinen Sturz in den Abgrund? – Dann werd ich in meiner Götterexplikation fortfahren. – Der Heilige Geist kann nach Winckelmann nur der Gott Apoll gewesen sein. Mars hatte sich aus den zu engen Himmelsschranken herausgeflüchtet, denn dort den Erzengel Michael repräsentieren, das war ihm nicht angenehm, immer dem Teufel den Fuß in den Nacken zu setzen, und wie Sie selbst wissen, hatte er viel kriegerische Abenteuer, die nicht unter des Himmels Schutz waren. Wie zum Beispiel die französische Revolution nur bloße Rachewut ist von ihm, daß der Griechenhimmel war zerstört worden. Er schwor auch beim Styx, mit dem Fluch der Revolutionen die Völker heimzusuchen, bis der Olymp wieder hergestellt sei. – Merkur, nachdem der als Gabriel die Verkündigung abgemacht hatte, schlich sich hinter den Kirchenvätern zum Tempel hinaus zu den Schleichhändlern, die er perfektionierte, während dem Duanenkordon kann es ihm schon Spaß gemacht haben, wie denn alles Verbotene ihm eine interessante Aufgabe ist. Er durchstreift alle Druckereien, – vor Druckerschwärze erkennt man nicht die Götterzüge – aber öffnet die Bücher, die er druckt, da leuchtet sein Genie, Gesetze und Rechtsform zu umgehn. – Jupiter als Gottvater durfte sich nicht für seine in heimlicher Liebe erzeugten Göttersöhne interessieren, so mußte er's geschehen lassen, daß die Kirchenväter den Herkules, welcher im Göttertempel abgebildet ist mit Amor auf dem Arm, der ihm den Weg zur Omphale zeigt, – zum Fährmann Christofferus machten. Den Amor mußte er nun doch wieder über den Styx herüberbringen, der hatte keine Ruh im Christenhimmel. Weil er das Spielen auf Blumenwiesen und in den Rosenhecken gewohnt ist, verlangte ihn hinaus ins Grüne, er hat sich jedoch streng nach der Observanz der Kirchenväter halten müssen, so konnte er nicht seiner natürlichen Neigung beglückender Neckereien mit den Menschen sich hingeben. Statt so anmutig, wie ihn die Mutter der Liebe geboren hatte, mit heiterer[203] Lust ihnen zu begegnen, drängte er im dolenten Rabbinerkostüm zwischen Pharisäern und Schriftgelehrten sich durch! – er sagte zwar, ich bin die Liebe, aber die alten Philister erkannten nicht den Amor. – – In unserer nach allen Seiten sich bildenden Zeit, – worin die Damenvereine den Vortrapp bilden in den christlichen Staaten, – haben sie dieser Gottheitsabkunft nachgespürt und in Winckelmanns Altertumforschungen bewährt gefunden; – es war an der Transfiguration dieser alten Götter nicht zu zweifeln und frommen Herzen nicht zu verargen, im Antikenkabinett sich eine etwaige Vorstellung davon zu machen, natürlich nicht ohne geistliche Leitung.

Ein Kirchenrat, der sie zwischen den Götterreihen durchführte, möglichst ihre Bescheidenheit schonend, pflanzte sich vor jeden Gott hin, ahmte seine Stellung nach mit verschönender Grazie, und statt der Götter ließ er sich von allen Seiten betrachten, indem er künstlich sich auf dem Absatz seiner gewichsten Schnallenschuhe drehte, so ging das fort vom feurigen Mars zu Merkur, dem anstandsvollen Herold, von dem zum Gott Apoll, dem leuchtenden Bogenspanner, des Pfeile töten, – dann Bacchus, der lautjauchzende, – dann Alkäus; Victor triumphalis – vor nichts scheut unser Kirchenrat zurück, er läßt die Götterreihe in seiner Person von allen Seiten sich abspiegeln. – Wir brauchten die Augen doch nicht auf diese unverschämten Götter zu erheben, – als ob der Mensch den nackten Götteranblick vertragen könne? – So ging's weiter bis zur schaumgebornen Anadiomene, zur hervorschreitenden Gnidia! – gleich verwandelt sich der Kirchenrat in die liebliche Stellung der Antike; sanftes Schmeicheln lauscht in seinen Blicken! man kann nicht mehr von einem Kirchenrat verlangen. – Obwohl ein verstohlener Blick uns überzeugte, daß zwischen Ihnen, Herr Pfarrer, und der Venus noch ein Unterschied sei, so ließen wir doch uns an Ihrer Ansicht genügen. – Nun haben die Kirchenväter damals gewiß nicht weniger aus allen Kräften zur Gründung der Kirche die wesentlichsten Eigenschaften der Gottheiten, Apostel und Heiligen nach Maßgabe ihres christlichen Denkvermögens durch ihre Dogmen vermittelt wie Sie, Herr Pfarrer, die Vermittlung waren von der antiken Götter Konterfei. Es ist einmal nicht anders, unbewaffnete Augen können den Gottheitsanblick nicht vertragen. – Sie selbst, Herr Pfarrer, haben sich als mildernder Schatten dazwischen plaziert. – Sie müssen nun eben so zufrieden sein mit dem Schatten, den die alten Kirchenbärte mit ihrer Laterna magica Ihnen an die leere Wand Ihrer Denkkammer hinmalten. Und aber ich weiß heut noch nicht, warum wir uns mit Ihnen unter diesen Antiken herumtummelten, der Sie durchaus mit dem Battenrock und Stiefelmanschetten hinter der Mode waren. Machten's die Kirchenväter nicht grade so? – Und wär's nicht besser, wir hätten von gar keinem Gott gewußt? – Jupiter, Battenrock! – Apoll – desgleichen mit dem Rohrstock als Bogenspanner! – Mars abermal desgleichen, den Mantel drapiert. – Merkur ganz derselbe, mit dreieckigtem Hut auf dem Kopf, die Fußspitze in der Schwebe. – Als Herkules[204] stießen Sie mit Ihrem Rohrstock dem Aufseher unter die Nase, sonst ist alles ohne Unglück abgelaufen bis zur Venus, über die Sie eine lange Rede im Abgehen hielten, um uns aus dem Antikentempel hinauszutrödeln, so daß Sie uns mit Ihren studierten Anmerkungen wie an einer Schnur gereiht an Ihren göttergleichen Anblick fesselten. Was haben Sie nun noch den listigen Kirchenvätern vorzuwerfen, da Sie ein eben so loser Schelm sind und ebensowenig verlegen, durch Ihr eigen Ingenium die Götterpersonalien uns vertrauter zu machen. Den Jupiter stellten Sie dar: Giove crolla – la testa immortale! und schüttelten dazu Ihr unsterblich Haupt! zum Glück, daß die Mauern Frankfurts nicht davon erzitterten!

Bürgermeister. Gott sei Dank, sonst ging ich nicht heute mit dem Herrn Pfarrer hinter dem Schlimmäuerchen nach Hause; von den gewaltigen Thematas, die wir heute erörterten, könnte ihm der Kopf wackeln. Die alte Mauer könnte ihm das Kompliment machen und mir grade auf die Nase stürzen.

Pfarrer. Ja! nicht zu leugnen ist's, viel Seltsames, viel Großes, viel Neues und noch Unerhörtes haben wir heute erörtert, aber es wird leider alles auf demselben Fleck bleiben. Denn Weltumwälzungen sind der freien Stadt Frankfurt einmal nicht ins Schicksalsbuch geschrieben.

Fr. Rat. Ach Sie verzagter Peter, warum nicht? Weltumwälzungen sind grad nur dem möglich, der's probiert, und warum soll der Weltengenius nicht ein Frankfurter sein, frag ich? –

Pfarrer. So wenig, wie man die Sprache auf einmal wegwerfen kann, kann man die Welt umwälzen; sie bildet sich allmählich, sonst würde uns keiner verstehen! –

Fr. Rat. Richtig! Sperr auf das Maul und sag A, A! dann ist der erste Buchstab da! – und dann kommt B und dann kommt C, so ist die Welt umwälzt. – Ich bedarf keines Ruhmes, aber: ja! es wär mir doch eine Befriedigung, wenn die Spitzbuben heimlich meinen Sarg entwendeten von eurem Kirchhof aller bleiernen Gesetze und auf jene steile Höhe des Ruhmes brächten, wo der Lorbeer blüht und die ungelenke Polizei nie hinaufhampeln wird. O Nehmalles und Laßnix und Rattengast und ihr alle, die ihr vielleicht dem Beil entgeht, werdet dort die goldnen Saiten auf die Dichterleier spannen und mir einen Päan dichten.

Bürgermeister. Die Stadt wird einen Katzenbuckel machen, damit der Hain drauf gepflanzt werde, und die Frankfurter Stadtmusikanten werden mit einstimmen. Denn die Asche einer so großen Frau muß unserer Stadt konserviert werden, das bin ich als Bürgermeister verpflichtet, zu überlegen! –

Fr. Rat. Ich bin noch nicht tot und kann noch warten, und die Stadt Frankfurt braucht keinen Katzenbuckel zu machen.

Wenn ich einstens bloß aus dem Geist hervorgehe, als die kühnste Anschauung ihres eignen Geistes, dann kann sie stolzer sein auf mich als der stolzeste Denker! – Denn der veraltet zwar nicht, der mit der Zeit geht; der ihr aber voranschreitet, hat die Zeitlichkeit überwunden.

[205] Bürgermeister. Dann werden wir Sie als den bewußten Götterjüngling auf unsern Zinnen schweben sehen im Mondenschein! denn Sie können dann nicht veralten! –

Fr. Rat. Ja! und ich werde die Lorbeern dort oben in meinem Grabeshain plündern und sie herabwerfen auf die wohlverdiente Stadt, die erste im deutschen Reich.

Pfarrer. Frau Rat, das ist zu viel gesagt, Frankfurt ist ein altes Rattennest mit seinen dicken Wällen.

Fr. Rat. Was? – zu viel gesagt? – Wissen Sie, Herr Pfarrer, und vergessen Sie ja nicht, daß Frankfurt ein Freistaat ist, wo jede Wirksamkeit Bürgertugend sein muß, oder sie hätte ihren Zweck verfehlt. – Ein großer Staat ist ein eigennütziger Held. Die selbstische Natur steckt ihm in den Rippen, von sich hat er einen überspannten Begriff. Er will eigensinnig durchsetzen gegen den mächtigen Strom des Weltengeistes, was der ihm allmählich wieder davon flözt. – Was aber ordentlich in der Freiheitskultur wird gehalten, das muß auch wie der Obstbaum glauben ans Frühlingswetter! erst sieht er noch ganz dürr aus, daß man ohne Bedenken sich einen Reiserbesen draus könnt schneiden, um die Gass zu kehren. Morgen schwellen schon die Knospen; da hat der Baum ein ganz ander Ansehen. Es sieht jeder: der Baum ist guter Hoffnung! – Es gibt zwar Frost und kalte Tage, die können dem Frühling eine Weile Widerpart halten. Aber die liebe Sonn wird mit jedem Tag gewaltiger! – sie wird recht behalten. Schwellen die Knospen und blühen, – dann wird die Sonne sie auch reifen und eine reiche Ernte wird sein! und das ist das freie Bürgertum, was sich immer mehr veredelt. – Nun mögen Sie sagen oder denken, was Sie wollen, so ein Verhalten nenne ich eine große Staatspolitik, wo dies Bürgertum in seiner Blüte geschützt ist, und diese Politik ist auch auf Naturrecht begründet und kann den andern Staaten zum Muster dienen! und wird auch recht behalten und ist wahre Religion der Politik, deren Grundzüge so groß sind, daß alle Religion nur klein ist gegen diese. Wie zum Beispiel: die Freiheit aller macht den einzelnen frei. Das Volk ist der Höhenpunkt, nach dem der Lauf der Sterne berechnet wird. – Drittens. Nur das macht mich zum Fürsten, was ich dem Volk angedeihen lasse, oder viertens: Was ist ganz mein? Meine Seele! – aber es ist ein Gott über ihr, der sie liebt. – Der gab dieser Seele zur Trift die Weisheit und Gerechtigkeit für das gesamte Volk, an ihm muß ich meinen Willen reifen, an ihm meinen Witz schärfen, an ihm muß der Heldenmut für es groß werden, in der Entsagung muß sich die Liebe läutern.

Dazu ist mir das Volk geschenkt, daß ich in seinem Spiegel mich erkenne; – dazu ist mir's gegeben, daß ich groß und klar wie ein fruchtbarer Sommertag über ihm herziehe. – Ein Sommertag ist bald herum, aber er kann ein froher Tag sein, an dem das Volk sich nicht bedrückt fühlt, aufgelegt zum Blühen, an dem es selbst sich entwickelt zu großer Gesinnung, an dem es nicht mit dem linken Fuß aus dem Bett steigt – langsam und träg sich[206] herausschleppt, sondern mit froher Zuversicht mit beiden Beinen zugleich herauswippt und dem Tagwerk entgegenspringt. Nicht furchtsam wie vor Sklavenarbeit; – heiter wie frische Morgenluft im Gefühl, daß der Tag fruchtbar Wetter bringe. Nun! ein solcher Tag ist kurz! er geht unter tatenreicher Kraft schnell vorüber. Ein Menschenleben ist auch kurz. Von allem, was in der flüchtigen Zeit gewonnen ist, kann der Mensch wie der Tag nichts sein nennen als die edle Wirkung auf die Gesamtheit, nichts ist diese als die süße und doch feurige Reifekraft des Tags! –

Wie kommt's, daß von den großen Monarchen und Thronbesitzern, den Reichsverwesern, Staatsmänner, Minister, Präsidenten bis auf die Geheimen und Räte aller Welt –, Staats – und moralischen Angelegenheiten, keiner dran denkt, schön Wetter zu machen, daß sie alle mit Frost oder Fröstlen am Himmelsbogen hinaufziehen? Daß das Volk gleich verschnupft ist, sich räuspert, hustet, keine klare Stimme hat, wenn es sein Hosianna soll singen. Daß der Gott Apoll seine Leier abspannt, sein Gespann hinter einem dicken Nebel unbekümmert dem Abend zu – in die Tränke führt, während schlechte Bänkelsänger mit ihrem Kalophonium den Fiedelbogen wichsen und dann und wann losstreichen, ein schlecht Loblied kratzen auf die Regierungssonne, an der sich keiner wärmen kann. Nun, der Tag geht herum, die Nacht kommt, wogegen aller Tyrannen Gewalt nichts vermag. – Der Tag des Belial geht herum so gut wie der Tag des Gott Baal. Baal war ein außerordentlicher Regent, berichtet der diesjährige »Hinkende Bote«. Er hat durch seine große Geistesgaben das Reich Babylon aus seiner Geisteslethargie geweckt und ihm einen hohen Schwung gegeben. Er hat das Land urbar gemacht und es mit himmlischen Gärten bepflanzt, – hat Flüsse miteinander vermählt, daß sie im gemeinsamen Bett große Lasten trugen. Den Geist hat er zum Höchsten angeregt, wer vor ihm wollte gelten, durfte der eignen Güter nicht gedenken, er mußte dem allgemeinen sie opfern. So haben die Menschen ihn als Gott verehrt. Jawohl, die göttliche Natur ist auch in ihm Mensch geworden. In der Bibel steht zwar, er habe Menschenopfer gefordert. Opfer ihrer Geisteskräfte, Opfer ihrer Besitztümer, aller Zwecke, die nicht das Gemeinwohl betrafen, – diese Opfer fordere auch ich und Gott mit mir von denen, die das Herz haben, Fürsten zu sein ihrem Volk. – Eben von jenem Weltumwälzer, dem Napoleon, hätt ich's erwartet. Jawohl, statt Gott Baal zu sein, ist der Belial in ihm erwacht. Das Urteil ist die höchste Macht und wird in der Erkenntnis des Volkes vollzogen. – Das Volk hat schon den Napoleon gerichtet, obschon seiner Regierung glühend heißer Nachmittag noch ist, es sieht schon im voraus ihn in den Orkus hinabstürzen! Und der Boden mit Menschenblut getränkt und die Ernte ein Fluch, ein Spott seiner Leidenschaften. Das Volk? – es will seinen Fürsten unsterblich haben und sieht mit Schauder sein Versinken und warnt ihn mit jeder Bewegung, mit jedem Instinkt, der sich in ihm regt, mit jeder dem Bedürfnis, das es von ihm befriedigt wissen will. Ja, das Volk ist die Warnungsstimme des Herrschers! – Das erweist eben die hohe Bestimmung[207] des Herrschers, daß eine Generation in seine Macht gegeben ist, an ihr sich zu erziehen. Der Napoleon hat die Eintagsprobe nicht bestanden, die Fürsten machen nicht die geringste Anstalt zu schönem Wetter! Denn sie haben nicht die politische Unschuld, die Sie mir vorwerfen, die ich Ihnen aber zum höchsten Verdienst anrechne und in der der ganze Frankfurter Rat steckt wie in einem warmen Pelz. Ein gut Gewissen ist ein gut Unterfutter. Wenn nun der Napoleon kein Ingenium hat für den einfachen Beruf eines schönen Sommertags, und die andern Fürsten, die er jetzt unter der Fuchtel hält, keine Energie dazu haben, – wie sehr muß ich da den Frankfurter Musterstaat preisen, der immer das schöne Wetter hat erhalten in seiner politischen Unschuld, die nichts für unmöglich hält und eben den goldnen Sommertagsruhm zwar nie überschreitet, aber grade in dieser Mäßigung eine unübertreffliche Größe darlegt! denn alles Überschreiten wär vom Übel. Nein, der Glücksträger und Glücksspender eines Volkes muß in der Allgemeinheit aufgehen. So macht unser Frankfurter Magistrat einen höchst erfreulichen Sommertag zusammen aus. Sammeln sich trübe Wolken, gewiß wird an unserm Frankfurter Himmel ein heller Fleck sein, wo das blaue Firmament sich zeigt und die Sonnenstrahlen durchfallen, und sollten böse Wetter uns überrumpeln, sollten wir in unserer Unabhängigkeit gestört werden, die alle deutschen Kaiser bisher respektiert haben, die von den Römerzeiten her uns noch erhalten ist, die immer sich selbst regierte, nie einem Kaiser noch König den Pflichtschwur tun durfte, die nie ein Ärgernis gab, nie Spott und Schimpf auf sich geladen, – kurz! immer sich so verhalten hat, daß ihr dies schöne Los nie ist mißgönnt worden. Ja, sollten wir dieses schönen Loses beraubt werden, so wird noch lange das Gefühl der Unabhängigkeit in unserer Mitte fortglühen und von jedem sklavischen Schritt uns abhalten. Der Gesamtgeist kann die schwersten Lasten tragen, in unsern Herzen wird sein Stimmenrecht gelten, in dem ist unsere Freiheit nie gefährdet. Und endlich bleibt uns noch der hohe Ruhm der Eintracht, der Selbstbeherrschung, die im rechtlichen Sinne des Worts den unabhängigen Freistaat bilden, was den zukünftigen Generationen einleuchten wird. Also denk ich, daß Frankfurt der größte Staat, zwar nicht im Territorium, denn das ist nicht über die Maßen, sondern im Geist ist. Und mit Recht haben die Kaiser es respektiert als Zentrum des freien Willens, daß, wenn sie zur Krönung hier anlangten, sie die Erlaubnis einholen ließen dazu, und der Frankfurter Rat erst zusammenkam, um im Namen der Bürgerschaft zu beschließen, daß er zur Krönung eingelassen werde. Und wenn sie aber dies nicht zugaben, so drückten sie den Gesamtwillen dadurch aus, daß er nicht zum Kaiser sei angenommen. Wär ich Kaiser, ich würde auf dem Römer, als der edelsten Schul großer Staatsmänner, meine treuen Räte wählen, meine Reichsstützen. Was im kleinen sich erprobt, kann im großen als helles Licht scheinen. Die helle Ansicht moralischer und politischer Fragen traue ich ihnen zu. Wer im kleinen das Allgemeine im Aug hat, umfaßt immer das Ganze, nicht durch Bücher und diplomatisches Studium,[208] sondern durch Erfahrung und geübte Bürgertugend, durch Aufmerksamkeit auf Gewinn und Verlust. – Nun, Herr Bürgermeister, man rufe mich einst zum Kaiser aus! – was doch meiner Seel auch einstens bei einer Wiederkehrung geschehen kann, denn es ist nicht gesagt, daß sie dann grade wieder in einem Weiberrock stecken wird. –

Bürgermeister. Das kann nicht fehlen, Sie werden mit allgemeiner Stimme zum Kaiser ausgerufen.

Fr. Rat. Ja, man rufe mich zum Kaiser aus! – Ich werde meine Kammern und gesetzgebenden Körper, und wie die Regierungsgemächer als heißen mögen, aus lauter ehrlichen Gemütern und fähigen Köpfen zusammensetzen, die hier in der republikanischen Pflanzschule sich für das Reich erziehen. Frankfurt wird mein Absteigquartier sein, in Frankfurts Mauern werd ich mich für mein deutsch Reich krönen lassen. Aus der Frankfurter Mitte werd ich meine Staatsdiener wählen; und das wird mir das ganze Heer von Vorurteilen, von Verblendung, Blödsinn, törichtem Eigensinn, Bosheit, Hof fahrt und Selbstsucht, und was dergleichen schlechte Laster, die sich um den Thron lagern, in die Flucht schlagen in seiner politischen Unschuld, und ich müßte ja dann den Teufel im Leib haben, wenn ich Frankfurt nicht wollt das Prädikat des ersten Staats in der Welt zugestehen.

Der Bürgermeister, überrascht von dem leidenschaftlichen Redefeuer der Frau Rat und ihrer Kaisermiene, gerät mit seiner Antwort ins Stocken, der geistliche Herr steht schon eine Weile mit Hut und Stock an den Türpfosten gelehnt und wünscht die Unterhaltung beendet. Denn die Gespensterstunde ist im Anrücken, und er ist Geisterseher.

Fr. Rat (fällt dem Bürgermeister in die Rede). Frankfurt ist meine Wieg, es wird auch mein Sarg sein. Und das Plätzchen gefällt mir so wohl, was ich mir auf dem Kirchhof ausersehen hab, daß ich's mit keiner Königsgruft vertauschen mag. Ich lieb meine Vaterstadt, ich lieb die Bürgerschaft, mit der ich großgewachsen bin und alles mit ihr erfahren und geduldet hab, und jede Freud mit ihr geteilt und jeden Herbst mit ihr eingetan hab. Kommt Ihnen das alles nun wie Fabelwerk vor, obschon's Wahrheit ist, so nehmen Sie's auf der andern Seit als angestammte Lieb zum Vaterlandsboden und rechnen Sie einem Atheisten, wie ich bin, nicht als Sünd an, daß ich glauben kann und muß, daß der Himmel nur in der Vervollkommnung praktischer Tugend und die nur in der vollkommnen Geistesfreiheit liegen kann. – Da steht noch im Flaschenfutter ein guter Frankfurter Wein vom Mühlberg, den hat mir Ihr Herr Kollege Bansa zum Präsent gemacht, kommen Sie, wir wollen unserer guten Bürgerschaft, dem ganzen hochlöblichen Magistrat und besonders denen Einundfunfzigern ihre Gesundheit trinken.

Der Bürgermeister läßt sich dazu bereitwillig finden, der Pfarrer stellt Hut und Stock in die Ecke, geht langsam zum Stuhl, steht am spätesten wieder auf. – Sie scheiden mit lustigem Mut und mit kräftigem Händeschlag – beide mit roten Backen. –[209] Am andern Tag komm ich angerennt.

Fr. Rat. Nun, was bringste gelaufen?

»Denk Sie, was es Neues gibt und wovon die ganz Stadt voll ist, das ist die Geschicht vom Bär und dem Herrn Pfarrer! – Die prophetisch Geschicht ist eingetroffen!«

Fr. Rat. Was für eine Prophetengeschichte, sei deutlich und erzähl's, wenn was passiert ist, es geschieht so alle hundert Jahr gar nichts! –

»Nun, hat Sie's denn nicht prophezeit dem Herrn Pfarrer vorgestern mit feurigen Reden, der Bär wird ihn fressen, wenn er sich nicht zu den Demagogen retiriert. Und ist ja der Bär, der die ganz Zeit schon auf der Meß herumtrappelt mit zwei Affen und tanzt vor den Gassenkindern, dem Bärenführer ausgerissen, wie grad der Pfarrer wollt in die Kathrinekirch gehn, und da ist der Bär vom Liebfrauberg die Neu – Gräm herunter durch die Sandgaß immer hinter dem Pfarrer drein gekugelt wie ein großer lebendiger Muff, und der Herr Pfarrer als voran und hat ungeheure Sätz getan, und alles ist mitgelaufen, und die Gassebuben auch all! – Er hätt ihn auch eingeholt, – aber da hat ein groß Sirupsfaß wo an der Tür gestanden, da hat sich der Bär aufgehalten und hat hineingeschnuppert und geleckt, da hat ihn der Bärenführer wieder gefangen! –«

Fr. Rat. Mädchen, was du sagst, – der Auflauf muß scharmant gewesen sein! Nu, und der Herr Pfarrer?

»Der ist nach Haus gangen und hat sich ins Bett gelegt, weil er in einem sehr starken Schweiß war! – und hat ein ordentlich klein Fieber gekriegt und hat schrecklich geschnarcht, als wenn er der Bär selber wär, daß die Leut all erschrocken waren und haben gefürcht, er wird ernstlich krank!« –

Fr. Rat. Nun gar! – Wenn einer schnarcht, wird er gleich eine Krankheit haben, ei das ist ja Gesundheit und gar keine Krankheit. –

»So? – Nein, da irrt Sie sich aber! Was hat er erst heut nacht angefangen?« –

Fr. Rat. Nun, so sag's doch! was hat er denn angefangen? –

»Er hat schrecklich geschrien mitte in der Nacht, als ob er am Spieß stäk, daß es widergehallt hat, der Nachtwächter ist aufgedämelt vor dem Haus, er hat aufgeschlossen und dem Geschrei nachgangen und die Tür aufgestoßen. – Da liegt der Herr Pfarrer in einem schrecklichen Nachtschweiß und schreit im Schlaf auf, der Bär kommt, der Bär kommt!«

Fr. Rat. Wie kommst du nur dazu, so wunderlich Zeug zu erdenken! – »Ei, ich laß meinem Geist die Zügel schießen.«

Fr. Rat. Ich dachte, du hast ihn nie gezügelt.

»Drum kann er auch so gut voltigieren!«

Fr. Rat. Wenn er dich nur nicht einmal absetzt!

»So hilft Sie mir wieder auf! – Aber die Geschicht mit dem Pfarrer ist wahrhaftig wahr, wenn Sie ihn sieht, so kann Sie ihn fragen.«

Fr. Rat. Wie kann ich ihn doch fragen, ob er geträumt hätt vom Bär. Ende dieses merkwürdigen Gesprächs.[210]

Quelle:
Bettina von Arnim: Werke und Briefe. Bde. 1–5, Band 3, Frechen 1959, S. 137-211.
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