Drittes Kapitel

Der Marchese D ...

[242] So abwechselnd wirkte die Schwester mit ihren Briefen, mit ihrem Schicksale auf unser Haus; ein paar Monate darauf wurde der Marchese D ..., ein Vetter des Herzogs von A ... bei der Gräfin angemeldet, der ihr neue Nachrichten von ihrer Schwester zu bringen versprach. Sie fand in ihm den gewandtesten liebenswürdigsten Mann; sie konnte ihn mit niemand vergleichen; alles an ihm schien eigentümlich; er hätte auch ohne Reise so werden müssen; aber er war gereist und redete die meisten Sprachen Europens. Er brachte ihr die Nachricht, daß ihr Schwager eilig an einen nordischen Hof gesendet worden, um ganz inkognito Angelegenheiten von größter Wichtigkeit abzumachen; erlaube es seine Zeit, so würde er auf seiner Rückkehr sie besuchen; ihre Schwester sei inzwischen aufs Land gezogen, um eine große öde, doch sehr fruchtbare Strecke Landes mit einem neuen Dorfe zu bevölkern; sie habe sich aus England viel Ackergerät kommen lassen, und gelte in der ganzen Gegend für eine milde Heilige, von der niemand ohne Unterstützung und Trost gegangen. Der Marchese erbot sich alle Briefe, die sie ihr übermachen wollte, durch eine Adresse, die in Italien ihm eröffnet, viel schneller als bisher dahin zu fördern; sie nahm das Anerbieten mit Vergnügen an, und beschrieb mit großem Anteile in einem versiegelten Briefe, den sie ihm für die Schwester übergab, die Freude an dem liebenswürdigen Verwandten: sie schätze sie glücklich, wenn der Herzog diesem Vetter auch nur nach gewöhnlicher Familienähnlichkeit sich nähere. Mit vielem Stolz zeigte ihn die Gräfin ihren Bekannten; dem Grafen wußte er sich durch ein gefälliges Anschmiegen an seine Ideen eben so wert zu machen; der Graf meinte sie schon in ganz Spanien realisiert und arbeitete Tage lang, ihm alles recht klar und deutlich aufzuschreiben, was er von allem in jenem Himmelsstriche für anwendbar halte. Schon darum war er es sehr zufrieden, als die Gräfin den widersträubenden Marchese fast zwang in ihr Haus zu ziehen: so konnte er mit ihm kürzlich diese Vorschläge durchgehen und sich über Lokalverhältnisse unterrichten. Der Marchese kannte alles, ja er vertraute dem Grafen unter dem Siegel der Verschwiegenheit, daß er von einer Gesellschaft, an[242] deren Spitze der Friedensfürst stehe, abgesendet worden, alle Kultur der andern europäischen Staaten unbemerkt in das Land zu bringen, so daß die schweren Ketten des Vorurteils und der Gewohnheit unbemerkt nicht gebrochen, sondern verrostet, von sich selbst zerfallen würden. Bald kam die Zeit, wo Graf Karl mit den Seinen wieder aufs Land ziehen wollte; der Marchese konnte sich wegen seiner geheimen diplomatischen Verrichtungen nicht von der Stadt entfernen, und die Gräfin, des Landlebens schon im voraus überdrüssig, täglich geschmeichelt durch neue Feste des Marchese, der sinnreich auch das Unbedeutendste geltend machen konnte, das Geld nie sparte, das Ausländische erhob, ohne das Inländische herabzusetzen, einen Fandango mit einem Walzer schloß, spanische Trachten den Frauen schneiderte und anpaßte und Deutsch von ihnen lernte: die Gräfin konnte sich nicht losreißen von ihm und eine kleine Kränklichkeit ihres Kindes gab den Grund, die Entfernung von einem geschickten Stadtarzte zu bedauern. Der Graf kannte zu genau den melancholischen Zug, den die meisten Schlösser des Landadels tragen, eingeprägt durch die Einsamkeit, welche notwendig aus der verschiedenen Bildung des Landvolkes hervorgeht, ja es war der eigentliche Geist seines Strebens, durch eine bessere Erziehung der Landjugend und selbst durch deren Rückwürkung auf die Eltern den echten Fortschritt der Zeit allgemein zu machen, und also die verschiedenen Stände in einen natürlichen Austausch ihrer Gedanken in gleicher Sprache wieder gesellig einander zu nähern, wie noch vor funfzig Jahren in vielen Gegenden Deutschlands Herren, und Diener an einem Tische mit einander aßen und außer der Beschäftigung keinen Unterschied an einander kannten. Die Freude und die Gesundheit von Frau und Kind lagen ihm näher als seine eigenen Wünsche; er sah sie in der Stadt so heiter, wie er sie noch nie gekannt. Er selbst bat sie, in der belebten Stadt, wo sich alles nach geschlossenem Frieden neu begrüßte, noch einige Wochen zurückzubleiben, auch wollte er sie dann durch einen neuen Garten, den er in einem Walde entworfen, überraschen; sie nahm diesen Vorschlag mit Weigerung an, sprach von ihrer Pflicht bei ihm zu bleiben, aber er drang aus Liebe darauf und so entfernte er sich von ihr seit ihrer Verheiratung zum ersten Male auf längere Zeit. Auch Liebe tut oft zu viel, auch sie kann irren.[243]

Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Romane und Erzählungen. Bde. 1–3, Band 1, München 1962–1965, S. 242-244.
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