74.

Aus verhs. 13.

O die du wohnest in den gärten, wenn die gesellen auff deine stimme mercken, so laß mich sie hören.

[337] Nach dem lied: Zerfließ, mein geist, in Jesu blut und wunden.


1.

O Königin, du crone der jungfrauen,

Die du im garten reiner seelen wohnst,

Laß deine zier bei der gesellschaft schauen,

Worinne du als deinem tempel thronst:

Du hast vor deinem angesicht

Dir einen lust-platz zugericht,

Darinn dein Philadelphie blühet,

Und aus dir seine wurtzeln ziehet.
[337]

2.

Schau, alle, die du hast zum dienst erlesen,

Und zu genossen deines reichs gemacht,

Die lehrstu selbst im innern Geistes-wesen

Auff deinen treuen ruff zu geben acht.

O laß sie uns vernehmlich seyn,

Und tieff ins hertze dringen ein,

Damit kein wort fürüber gehe,

Woraus in uns nicht frucht entstehe.


3.

O weißheit, pflantz die kaum entsproßnen zweige

Tieff in dich selbst, den rechten lebens-baum:

Daß jeder selbst den liebes-grund erreiche,

Und wachsthum find im stillen garten-raum.

Mit thau und regen nach begier,

Dein Paradis grün für und für

Im innern grund hervor mit freuden,

Daß wir verbotne bäume meiden.


4.

Reiß auß vom grund betrüglich falsche früchte

Vernunfft und eigner Wille müssen fort,

Daß dein Geist sein bestraffungsamt verrichte,

Und nichts unreines leid am tempel-ort.

Weil da die Deyheit in dir ist,

Mit der du licht und leben bist:

Dann kommen aus dem sanfften lichte

In jedem Monat neue früchte.


5.

Wie fruchtbar wird dein Philadelphie werden,

Wenn alles unkraut gantz ist ausgeschafft?

Wird nicht die frucht ein reines saltz der erden

Und sein exempel lauter Gotteskrafft?

Drum bau den weinberg, der vor dir

Nun steht, das ihm kein wildes thier

Zerwühle, noch die thier fuchslist schände,

Dein wachend aug gefahr abwende.
[338]

6.

Nun mercken wir, o fürstin, in dem garten.

Auff deine stimm im geist von tag zu tag,

Was sich aus dir eröffnet zu erwarten,

Weil uns sonst nichts erfreu'n noch ruhren mag.

Gehorsam wird die losung seyn,

Was sey entfremdet oder dein.

O laß uns zum vollkommnen gehen,

So können wir dich hörn und sehen![339]

Quelle:
Gottfried Arnold, München 1934, S. 337-340.
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