IV

[252] Der Waffenstillstand war zu Malmoe am 26. August auf 7 Monate abgeschlossen worden. Durch das deutsche Land ging nur ein Schrei der Entrüstung über die Schmach, welche dem deutschen Namen dadurch widerfahren. In Schleswig stieg die Aufregung selbst unter den Truppen bis zu einem so bedenklichen Grade, daß sich General von Wrangel veranlaßt fühlte, unter dem Titel einer allgemeinen Recognoscirung sämmtliche Truppentheile bis hinauf zur jütländischen Grenze zu inspiciren. Wohl wissend, daß nichts mehr den Gehorsam und die Subordination erhält als eine, wenn auch übertriebene Anerkennung[252] derselben, sprach er in einem langen Armeebefehl seine


»vollkommenste Zufriedenheit« über die »Haltung der Truppen« aus.


Zwar bedauert er die »Ungleichmäßigkeiten im Aeußern,« die nothwendig aus der »verschiedenartigen Uniformirung« hervorgehen, und »dem Auge sich mehr oder weniger stark bemerkbar darstellen müsse,« beeilt sich jedoch hinzuzusetzen, daß diese »Ungleichmäßigkeiten« doch wieder »vollkommen ausgeglichen« werden durch den »Geist der Ordnung, des Gehorsams und der freudigen Hingebung,« der ihn zu den »schönsten Erwartungen berechtigt,« wenn es ihm


»beschieden sein sollte, hier oder auf einem andern Kriegsschauplatz, jene Truppen gegen den Feind zu führen« –


O, du ahnungsvoller Engel Du! – – – – denn man kann unmöglich annehmen, daß der General damals schon eine wirkliche Wissenschaft darüber gehabt habe, daß er nach Berlin als Commandeur der »Marken« berufen werde,[253] um die Nationalversammlung zu sprengen und den Belagerungszustand über die ruhige Stadt zu verhängen.

Ja, der »Geist des Gehorsams und der freudigen Hingebung,« ist dem preußischen Kriegsheere vortrefflich eingeimpft und genährt worden.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der Waffenstillstand von Malmoe war der erste Triumph, den die Fürsten dem Volke ins Gesicht schleuderten. Sie durften es wagen, waren sie doch ihrer Trabanten in Frankfurt gewiß.

Die denkwürdige Sitzung der deutschen Nationalversammlung am 16. September 1848 streifte dem arglosen, vertrauungsvollen Volk die Schuppen von den Augen. In dieser eilfstündigen Sitzung wurde die Frage des Malmoer Waffenstillstandes definitiv verhandelt. Die Commission, welche denselben zu prüfen hatte, sprach bedenklich ihre Ansicht dahin aus, daß die Nationalversammlung ihre Anerkennung versagen solle. In der darauf beginnenden Debatte zeichneten[254] sich unter den Rednern, welche für die Anerkennung sprachen, Herr von Vinke und der Fürst Lichnowski, unter denen, welche gegen dieselbe sprachen, Robert Blum und Simon aus Trier aus.

Von des Morgens um 9 Uhr hatte die Discussion ohne Unterbrechung bereits bis Nachmittags um 5 Uhr gedauert und immer noch war kein Resultat abzusehen. Das Volk hatte sich erwartungsvoll um die Paulskirche geschaart und diskutirte nach seiner eigenen Weise. Nur wenige theilten die allgemeine Spannung nicht; zu diesen Wenigen gehörten drei Männer, welche dicht am Hauptgange der Kirche standen und mit gleichgültiger, fast verächtlicher Miene auf das hin- und herwogende Publikum blickten. Von Zeit zu Zeit flüsterten sie sich einige Bemerkungen zu.

– Es ist nothwendig – sagte der jüngste von ihnen – daß wir hinausschicken. Man kann immer nicht wissen, was geschieht. Seit einer halben Stunde ist das Volk um das Doppelte angewachsen.[255]

– Bah! – erwiederte der Angeredete – was Du da »Volk« zu nennen beliebst, besteht zu drei Viertheilen aus Dütchendrehern und Pfeffersackscommis. Ich kenne die Frankfurter besser. Sie wundern sich über die lange Sitzung und meinen in ihrem Bourgeoisverstande, daß etwas Wichtiges dahinter stecken müsse. Wenn die Herren aus der Paulskirche herauskommen, gehen sie eben so ruhig nach Hause, als wenn sie Sonntags drüben im Forsthause ihren Schoppen getrunken.

– So gehe ich allein, auf meine eigene Verantwortung – sagte der Erstere entschlossen. – Sie hat uns ausdrücklich beauftragt, ihr sogleich zu melden, wenn das geringste Merkmal da wäre, was auf einen Tumult hindeute.

– Meinetwegen geh in's Teufels Namen. Was kümmert's mich? Aber ich sage es frei heraus, diese Weiberhierarchie will mir verflucht schlecht gefallen.

Was soll diese Geheimnißkrämerei bedeuten? Dummes Zeug. Wenn's ans Losschlagen einmal[256] kommt, was ich in diesem verdammten Meßjudennest sehr bezweifle, so kehre ich mich an Niemandem, sondern gehe meinen eignen Weg.

– Thun, was Du nicht lassen kannst – erwiederte Jener – ich thue dasselbe. Adieu.

– Ich begleite Dich, Joseph – sagte der Dritte, welcher bisher schweigend an dem Pfeiler gelehnt hatte. Sie schlugen den Weg nach der Mainlust ein.

Auf einer der schattigsten Plätze der Mainlust, vor sich die gefüllten Becher, saßen Alice, der Pater Angelikus und Salvador. Aus der Ferne schallten die vollen Klänge der Harmoniemusik herüber. Aber die drei Freunde schienen weder durch den Duft des herrlichen Rheinweins, noch durch den Zauber der Musik erheitert zu werden. Ernst saßen sie einander gegenüber, eine wahrscheinliche Folge des Gesprächs, das sie eben mit einander geführt hatten.

Alice wandte zuweilen einen Blick zwischen die Bäume in der Richtung nach Frankfurt zu, als erwarte sie Jemand. Der Pater blickte aufmerksam[257] auf Alice, als wolle er die Wirkung seiner letzten Worte prüfen. Salvador war noch blässer als gewöhnlich, und auffallend gleichgültig gegen das vorhin geführte Gespräch.

– Wozu sind Sie entschlossen, werthe Freundin? – fragte endlich der Pater, seinen Blick von Alicen abwendend.

– Zu handeln, wenn's Zeit ist – erwiederte kurz Alice.

– Sehr wohl – fuhr der Pater mit sanftem Tone fort. – Allein, wenn's nun Zeit ist, zu handeln, wie weit sind Sie zu gehen entschlossen?

– So weit die Nothwendigkeit und die von mir übernommene Mission es fordert. – – – Pater, fragen Sie mich nicht aus. Ich kann Ihnen keine bestimmte Antwort geben. Aber Eins kann ich Ihnen sagen: Unsere Wege mögen dieselben sein, oder auch nicht; sicherlich aber sind unsere Ausgangspunkte nicht die selben. Bedenken Sie wohl, daß ich mich nicht zum Werkzeuge fremder Privatrache hergebe.[258]

Der Pater sah sie mit einem lauernden Blicke an. Ein Lächeln des Hohns flog über seinen zusammengekniffenen Mund, als er mit seinem gewöhnlichen ruhigen Tone sagte:

– Es ist ein Unglück, was ich tief beklage, daß Sie nicht eine bessere Meinung von mir gewinnen können und nicht mehr Vertrauen in mich setzen. Sie kennen meine Zwecke. Sie sind so allgemein wie die Ihrigen, oder halten Sie die Interessen des Katholizismus in seiner ganzen Ausdehnung für weniger umfassend als die Interessen der radikalen Partei in Deutschland? Nun wohl, so fällt der Vorwurf, der indirekt in Ihren Worten liegt, daß ich nur eine Privatrache befriedigen will, in sich zusammen. Sie haben eine Mission, ich erkenne es an, ich habe die meinige. Die Mittel, sie zu erfüllen, sind wie das Ziel, das sie erreichen sollen, dieselben. Wohlan, so gehen wir miteinander! Ich brauche, um die meinige zu erfüllen, die Unterstützung der radikalen Partei, Sie, um die Ihrige zu vollenden,[259] das, was die katholische Partei Ihnen bieten kann.

Alice wollte antworten, als sie die beiden jungen Männer von der Paulskirche auf sich zuschreiten sah. Rasch erhob sie sich und ging ihnen entgegen.

– Ist die Sitzung zu Ende? – fragte sie schnell.

– Nein – war die Antwort – aber eine große Menge Menschen ist draußen versammelt und harrt auf das Resultat. –

Unbefriedigt kehrte sie zum Pater zurück und fuhr mit diesem und Salvador augenblicklich nach Frankfurt. Als sie dort hörte, daß der Majoritätsantrag mit 258 gegen 237 Stimmen verworfen und demnach der Waffenstillstand, trotz des Hohns, der darin lag, daß die Centralgewalt beim Abschluß desselben vollständig bis auf den Namen ignorirt worden war, anerkannt sei, sagte sie, mit Thränen im Blick und zitternder Stimme, zum Pater Angelikus, indem sie ihm die Hand reichte:[260]

– Ich bin entschlossen, Pater. Ich ziehe meine Hand, die ihn bisher beschützte, von ihm ab. –

Des Paters Züge veränderten sich nicht. Er nickte nur mit dem Kopfe und verließ schweigend das Zimmer.

Die Nachricht von dem Resultate der Sitzung verbreitete sich mit stürmischer Schnelligkeit durch die Stadt. Eine gährende Bewegung gab sich urplötzlich in dem Volke kund. Große Haufen zogen, die Nationalversammlung verwünschend, durch die Straßen nach der Westendhall; andere sammelten sich vor dem englischen Hofe, dem Zusammenkunftsorte der Abgeordneten der rechten Seite. Fenster wurden eingeworfen und mannigfach donnernde Pereats auf die Rechte ausgebracht. Generalmarsch tönte. Der englische Hof wurde von zwei Compagnien Kurhessen umzingelt, das Volk zurückgedrängt und das Haus besetzt. Aber noch hatte der Zorn des Volks nicht den höchsten Grad erreicht. Es fehlte die Einheit des Bewußtseins[261] in der Menge. Um Mitternacht herrschte wieder vollkommene Ruhe.

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Tausende strömten am Nachmittage des folgenden Tages von allen Seiten her nach der Pfingstweide zur Volksversammlung. Sämmtliche demokratische Vereine der umliegenden Ortschaften, so wie Frankfurt selbst setzten sich in corpore nach der Pfingstweide in Bewegung. Nachdem die Redner, welche meistens wie Schlöffel, Simon aus Trier, Wesendonck, Zitz u. A. der Linken der Nationalversammlung angehörten, unter dem lautlosen Schweigen des Volks, das nur zuweilen durch einen stürmischen Beifallsjubel unterbrochen wurde, gehört worden waren, wurde beschlossen:

Die Mitglieder der gestrigen Majorität, welche den Waffenstillstand anerkannten, für Verräther am Vaterlande, an der Ehre und Freiheit Deutschlands zu erklären, und

diesen Beschluß nicht nur dem deutschen Volke, sondern auch der Nationalversammlung selbst durch eine Deputation mitzutheilen.[262]

Darauf zog das Volk in zerstreuten Gruppen der Stadt zu, um sich vor dem »deutschen Hofe« dem Sammelplatze der Linken, nach deren Beschlüssen es sein ferneres Verhalten einrichten wollte, wieder zu vereinigen.[263]

Quelle:
Louise Aston: Revolution und Contrerevolution. Bde. 1–2, Band 2, Mannheim 1849, S. 252-264.
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