VI

[92] Es schlug gerade Mitternacht, als der Pater und Salvador durch die stillen Straßen der Vorstadt wandelten.

– Salvador – sagte jener mit ernster Stimme – Du bist heute zwei Mal ungehorsam gewesen. Deine Heftigkeit kann uns Alle ins Verderben stürzen. Du mußt Dich beherrschen lernen, mein Sohn; nur durch Selbstbeherrschung gelangt man zum Ziel, präge Dir das wohl ein. Und nun merke auf. Du kennst jetzt den Fürsten, Du wirst ihm gefolgt sein und seine Wohnung erspäht haben. Daß Du nach jener unvorsichtigen Scene auf dem Perron nicht in seine Dienste einzutreten[92] versuchen würdest, konnte ich mir leicht denken. Es ist auch besser so, wie es jetzt ist. Aber das ist nur ein Zufall, daß es besser ist, ein Zufall, der Dich nicht berechtigt, abermals ungehorsam zu sein. – Habe Acht, was ich sage. Du wirst um 2 Uhr wieder auf dem Perron oder vielmehr in der Nähe sein, damit Du nicht gesehen wirst; Du wirst Acht geben, ob der Fürst um 2 Uhr 20 Minuten ins Haus geht; hörst Du? genau 2 Uhr und 20 Minuten. Es ist nothwendig, daß Du auch die nächste Querstraße rechts vom Hause beobachtest. Dort ist ebenfalls ein Eingang. Wenn er hinein ist, so merkst Du Dir genau die Zeit, während welcher er darin bleibt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er nicht aus derselben Thüre herauskömmt, durch die er hineingegangen. Richte Dich darnach. Sobald er das Haus verlassen, eilst Du zu mir und stattest mir genauen Bericht ab.

Salvador versprach Alles getreulich zu erfüllen. Doch war seine Neugierde in Betreff der beiden Damen zu groß, als daß er nicht wenigstens[93] die schüchterne Frage wagen mußte, ob er nicht die Eine davon bereits gesehen.

– Was kümmert Dich das? – fragte lächelnd der Pater, indem er ihn forschend anblickte. – Allerdings, die Eine von Ihnen ist dieselbe, welche Du nach der Kirche begleitet, und zwar ohne meine Erlaubniß. – Und nun sei wachsam und lasse die überflüssigen Gedanken fahren. Gute Nacht. Der fromme Pater hatte seine guten Gründe, weshalb ihm die keimende Liebe Salvadors zu Lydia nicht unlieb war. Wir werden sie später kennen lernen. Salvador eilte leichten Herzens auf seinen Posten.[94]

Quelle:
Louise Aston: Revolution und Contrerevolution. Bde. 1–2, Band 1, Mannheim 1849, S. 92-95.
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