XVI

[175] Nach einer kurzen zweistündigen Ruhe hatte der Kampf wieder begonnen. Aber Kämpfer wie Kampfplatz boten eine völlig veränderte Physiognomie dar. Die leidenschaftliche Wuth des vorhergehenden Tages, der tiefe Ingrimm über am Volke vielfach begangenen Verrath war einer kalten Entschlossenheit, die regellose wilde Tapferkeit, mit welcher die Barrikaden vertheidigt und die Wachen gestürmt worden waren, einer festen Disciplin gewichen, welche ein durchaus revolutionäres Gepräge trug. Einen halb kindischen, halb rührenden Anblick gewährte die ernste Würde und Grandezza, mit der die wackern Proletarier einen alten Säbel oder eine Flinte über die Schulter, um die grauleinenen[175] Beinkleider ein rothbuntes Schnupftuch statt der Schärpe geschlungen, den groben Strohhut verwegen auf die Seite gerückt, ihre Posten bezogen.

Auf den Barrikaden wurde es früh lebendig. Auf wenige Augen hatte sich in dieser Nacht der Schlaf gesenkt, aber welch' Unterschied zwischen denen, die hinter den Barrikaden, und denen, welche vor ihnen erwachten. Jene voll lachenden Muthes und frischer Thatkraft blickten, auf ihre Flinte gestützt oder am Wachtfeuer sitzend, dem dämmernden Morgen entge gen, der das Signal zum neuen Kampfe werden sollte, diese lagen, in ihre grauen Mäntel gehüllt, ermattet am Boden und starrten in dumpfer Betäubung oder angstvollem Hinbrüten in die Nacht hinein.

Wie konnte es anders sein.

Das kämpfende Volk sah aus seinem Blute unvergängliche Lorbeern sprießen.

Darum war es siegesfroh und kampfesheiter. Mochte es siegen oder untergehen: gleichviel, dort winkte ihm die Palme des schönsten Sieges, hier[176] die Immortellen-Krone des blutigen Märtyrerthums.

Anders ihre Gegner. Der Sieg im unheiligen Kriege gegen ihre für die Freiheit kämpfenden Brüder brachte ihnen keinen Ruhm.

Die Sturmglocke ließ dumpfes Gewimmer ertönen. – – Die Kämpfer eilten auf ihre Posten. – – Von Neuem entbrannte der Kampf.

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Auf den trümmerbedeckten Straßen hatte die Kampfeslust ihre blutigrothe Fahne aufgepflanzt – eine Welt voller Schmerz und Lust, voll unsäglichen Leidens und unvergeßlichen Entzückens. – – –

Aber dort in dem heiligen Tempel seligen Friedens, wo auf rosenbedecktem Throne die Liebe ihr purpurglühendes Banner entfaltet hatte, hielt noch die von freundlichen Träumen bewachte selige Ruhe der tiefsten Gewährung die Glücklichen umfangen. – –

Klagend schallte die Sturmglocke herüber, ihr Geheul schwamm wie das Schwanenlied der Freiheit[177] auf den Wogen der Morgenluft über die ruhelose Stadt.

Der Prinz erwachte – – hatte er von Kampf und Blut geträumt?

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Eine Stunde später ging Lydia am Arme des Prinzen durch den noch ohne Blätterschmuck dastehenden Park. Die Sonne schien freundlich durch die Zweige, von denen einige bereits von ihrer Wanderschaft zurückgekehrte Frühlingssänger ihr Lied ertönen ließen.

Plötzlich stand Alice ihnen gegenüber. Sie wollte ihren Augen nicht trauen, als sie das ihr entgegenwandelnde Paar erblickte. Sie konnte es nicht begreifen, wie diese beiden ernsten Charaktere in diesem Augenblicke, wo draußen die Frage des Jahrhunderts gelöst wurde, es hatten über sich gewinnen können, aus jedem Zusammenhange mit der blutenden und freiheitschwärmenden Welt da draußen so völlig herauszutreten.

Lydia war ein Weib; ihr verzieh sie, und als sie in das glückstrahlende Auge ihrer Freundin[178] blickte, da öffneten sich ihre Arme – und Lydia stürzte weinend hinein.

Auch der Prinz fühlte sich von dem ernsten Wesen Alicens sonderbar erregt. Er fühlte, daß er den Vorwurf, welcher darin lag, verdiene.

So sonderbar hatten diese so verschiedenen Charaktere ihre Rollen getauscht. In Alicen, deren Leichtsinn in der Politik an Frivolität grenzte, war durch die großen Scenen der jüngst durchlebten Revolutionsnacht eine erhabene Wehmuth erweckt worden, die sie den beiden Liebenden gegenüber als eine düstre Schwärmerin erscheinen ließ.

– Sie sind glücklich, mein Prinz – sagte mit Bitterkeit lächelnd Alice. – Sie wissen, wie sehr ich es Ihnen gönne. Aber erlauben Sie mir, Sie daran zu mahnen, daß der heutige Tag ein Tag des Handelns und des Ernstes, nicht des Liebens und des Scherzes ist. – – O, ich will Ihnen keinen Vorwurf machen; aber eilen Sie, ehe es zu spät ist. Das Haus Hohenzollern hat sein Brennusschwert in die eine Wagschale geworfen,[179] das Volk ist bereit, in die andere die königliche Krone zu werfen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Eine Stunde des Kampfes noch – und der Sieg ist unser. – Wehe dann den Besiegten!

Der Prinz erbleichte. – Was ist zu thun? – fragte er hastig.

– Eilen Sie auf's Schloß und bewirken Sie das Einstellen des Feuerns. Lassen Sie die Soldaten zurückziehen, damit nicht das verhängnißvolle trop tard! auch an dem Hause Hohenzollern zur fürchterlichen Wahrheit wird.

Rasch verließ der Prinz die beiden Frauen, welche schweigend sich dem Gewächshause zuwendeten.

Als sie dort anlangten, reichte Alice ihrer Freundin die Hand und sagte ihr Lebewohl.

– Du willst mich verlassen – fragte diese erschrocken.

– Ich lasse Dich in den Armen der Liebe zurück – sagte jene traurig; denn sie ahnte, daß das Glück Lydias nur kurze Zeit dauern werde.[180]

– Ich warte das Ende des Kampfes ab und dann wandre ich zum Thore hinaus. Meine Mission ist hier beendet. Ich gehe nach dem Norden.


Der Ausgang jenes denkwürdigen Kampfes in der Nacht vom 18. bis 19. März ist bekannt. Am Morgen des 19. – es war ein Sonntag – wurde das Feuern eingestellt und das Versprechen gegeben, daß die Soldaten sich zurückziehen sollten, sobald das Volk die Barrikaden niedergerissen hätte. Nur wenige Barrikaden gingen diese Bedingung ein, die meisten blieben, wie sie waren. Dennoch gab man im Schlosse nach; man war schwankend geworden theils durch die eigene Anschauung, theils durch die Schilderung der unbezähmbaren Wuth und der unerschütterlichen Entschlossenheit des Volks.

Die Minister von Bodelschwingh, von Thiele, von Eichhorn hatten schon in der Nacht[181] in eiliger Flucht die Stadt verlassen. Auch der Prinz von Preußen hatte es für nöthig gehalten, sich dem Anblick des erbitterten Volkes zu entziehen, das – ob mit Recht oder Unrecht, wird wohl nie klar entschieden werden – ihm die Hauptschuld für das der Freiheit zum Opfer geflossene Blut beimaß. Ueber Tausend aus den Reihen des Volkes lagen theils verwundet in den Häusern umher, theils bedeckten sie als Leichen den blutgedüngten Boden. Außer denen, die später an ihren Wunden starben, hatten gegen dreihundert auf den Barrikaden den Tod gefunden. Unter diesen war auch der Camerad Ralphs, der junge Hartwig; der alte Steiger, welcher jenem in prophetischer Ahnung sein Schicksal vorausgesagt, lag in einem Keller der Jerusalemsstraße. Beide Beine waren ihm durchschossen. Ralph war durch die Fürsorge Alicens in ihre Wohnung gebracht, und dort von seiner Schwester Anna treu gepflegt.

Die Stadt, durch die Eleganz und Zierlichkeit ihrer breiten und geraden Straßen berühmt, bot jetzt einen ernsten Anblick dar; die Trottoirs und[182] das Pflaster waren aufgerissen; die Wände der Häuser mit Kugelspuren bedeckt, die Dächer ihrer Ziegel beraubt, so daß die grauschwarzen Sparren sichtbar wurden, zwischen denen man in die schwarzen Böden hineinblickte. – – – –

Der Kanonendonner war verstummt. Das Volk aber ruhte nicht; es bestand auf der Ausführung der ihm gemachten Versprechungen, und verlangte, das Schloß umwogend, daß die Soldaten die Stadt verließen.

Es geschah. Von Pulverdampf geschwärzt, sich kaum auf den Beinen haltend, mit zerrissener Uniform, zogen sie stumm, die Augen zu Boden schlagend, aus dem Schlosse heraus auf den Lustgarten. Ohne Klang traten sie den Rückzug an, die Linden hinab zu dem Brandenburger Thore hinaus.

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Am dritten Tage begrub das Volk seine Todten auf dem Friedrichshain. Damals rechneten es sich die Behörden der Stadt, welche sich die[183] Früchte der Revolution gut schmecken ließen, vielleicht weil sie selber die Saat gestreut, die das Volk mit seinen Thränen und seinem Blute begossen, zur Ehre, daß ihnen gestattet wurde, den unabsehbaren Trauerzug des Volks zu geleiten. – Es sind dieselben Behörden, welche acht Monate später für die Fortdauer des Belagerungszustandes Adressen sammeln und die am 18. März 1848 verstümmelten Proletarier nach der Ostbahn schicken, um Berlin von diesem »Gesindel« zu säubern.

Als der Zug der Leichen das Schloß passirte, erschien der König auf dem Balkon und entblößte ehrfurchtsvoll das Haupt.

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Die Bürgerwehr wurde organisirt. Berlin war von den untersten bis in die obersten Schichten hierauf umgewandelt.

Der Vereinigte Landtag trat zum zweiten Male zusammen. Fürst Lichnowski gehörte zur gemäßigten Opposition, er strebte sichtbar danach, sich populär zu machen.[184]

Der Landtag hatte seine Arbeiten vollendet. Die »einigen Grundlagen der künftigen preußischen Verfassung« und das »Wahlgesetz« waren proklamirt worden.

Das Volk murrte, aber es wartete auf die constituirenden Versammlungen.

Die Wahlen begannen. Die alten doctrinären Liberalen standen im Vordergrunde. Man schickte sie nach Frankfurt und nach Berlin. Auch der Fürst Lichnowski wurde nach Frankfurt gewählt.

Nicht sechs Wochen waren seit dem 19. März verflossen und die Contrerevolution begann die ersten Steine zu dem Fundament zu legen, zu dem prächtigen Pallast, den sie am 7. November vollendete und am 5. December einweihte.

Der große Zug nach dem Friedrichshain am 4. Juni 1848 war das letzte Aufflackern des mächtigen revolutionären Geistes, und der letzte große friedliche Sieg des Volkes über das wiederauftauchende Bourgeoisphilisterthum.

In demselben Maße, wie das Andenken an das, was man am 18. März gewollt hatte, abnahm,[185] nahm die im Finstern schleichende Reaktion zu. Vergebens nährten die Redner der Clubs die Erinnerungen der Revolutionsnacht, vergebens wies die Presse auf die Fortschritte der Reaction hin:

Der Geist der Revolution selbst, die Vorsehung des Volkes wollte es anders.

Nur die vollendete Contrerevolution kann die Mutter einer vollendeten Revolution werden.

Das ist die Lösung des Räthsels.[186]

Quelle:
Louise Aston: Revolution und Contrerevolution. Bde. 1–2, Band 2, Mannheim 1849, S. 175-187.
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