Der Armenadvokat und sein Freund.

[14] In einer Gartenlaube der Residenz saßen am selben Nachmittage zwei Männer von gleichem Alter, der eine aber trug einen Orden im Knopfloch.

Eine Magd brachte Kaffee und Cigarren.

»Wo hast du denn das schöne Dienstmädchen hingebracht, daß vor zwei Jahren in deinem Hause diente?« fragte der Ordensmann seinen Gastfreund, den Doctor Heister; »das war ein frisches Naturkind, immer fröhlich, mit Gesang die Treppe auf und ab. Es kam mir wie ein Heller, reiner Thautropfen vor; ist eau de mille fleurs daraus geworden? Wie hieß es doch?«

»Magdalene. Das ist eine unglückliche Geschichte. Ich kann's noch kaum glauben, daß das brave Kind gestohlen hat, und doch ist es so. Während ich in Angelegenheiten eines Mündels in Berlin war, haben sie sie hier in's Zuchthaus gebracht.«

»Also du lieferst auch Rekruten zu deinem Verein? Ich werde nun auch wieder eine solche Unschuld zu Gesicht bekommen, die ich unter den Händen hatte, als ich noch Bezirksrichter war. Es war ein Postillon; er hat einen Ehemann, der ihm im Wege stand, in den Graben geworfen und so traktirt, daß er nach vierzehn Tagen für die Ewigkeit genug daran hatte. Das ist ein durchtriebener Schlingel. Ich habe ihn aber hinter gebunden und habe ihm auf hohe Verordnung einige Dosen Contumazialprügel wegen frechen Leugnens appliciren lassen. Das hat ihn mürbe gemacht. Es ist nicht anders fertig zu werden mit dem Gesindel. Ich[14] will nur sehen, was der Verein mit ihm anfangen wird; er hat sich auch gemeldet.«

»Es freut mich innig,« erwiderte der Doctor, »daß du die Sache des Vereins so nachdrücklich gefördert hast durch das Rundschreiben an die Bezirksgerichte und die Pfarrämter.«

Der Regierungsrat, denn ein solcher war der Ordensmann, sah geschmeichelt mit dem Kopfe nickend auf seine schönen Sommerstiefeletten und sagte: »Der Verein soll auch die Vortheile unserer geregelten Staatsordnung genießen. Während wir hier sitzen,« fuhr er fort, sich auf dem Stuhle schaukelnd, »ist oder wird von allen Kanzeln des ganzen Landes das Evangelium der armen Sünder verkündet. Hu! wie werden die Thränenbeutel ausgepumpt werden. Das wird den Leuten wohlthun in diesen warmen Tagen, es ist auch eine Cur. Aber das mußt du doch gestehen, daß unser Staatsleben ineinander greift wie ein Uhrwerk. Wenn ich hier einen Druck an der Staatsmaschine anbringe, bewegt sich eine Feder im entlegensten Dorfe.«

»Ob das ein Glück ist?«

»Du bist und bleibst der ewige Opponent. Ihr Leute wollt das Gute nicht sehen. Was hättet ihr denn gehabt ohne den Amtsweg? Einen Winkel im Zwischenreich der Landeszeitung –«

»Lassen wir das. Du kannst dich nicht bekehren, sonst müßtest du mit deinem Schicksal unzufrieden sein und einen großen Teil deiner mühevollen Arbeit für nichtig achten. Drum lassen wir das. Du verdienst[15] allen Dank, daß du den Verein so rasch zu Stande gebracht. Du mußt ihn gut bevorwortet haben.«

»Gut bevorwortet?« lachte der Regierungsrat und hielt das eben entbrannte Zündhölzchen so lange in der Hand, bis er es an den Fingern spürte und wegwarf; »gut bevorwortet? Da sieht man wieder euch unpraktische Weltverbesserer. Ihr glaubt, mit Ideen führt man die Sachen durch. Diplomatie, Freund, Diplomatie ists, die euch fehlt; ohne diese kommt ihr nie zu Etwas. Ich für meine Person gestehe, daß ich gar keinen Penchant für euern Verein habe. Es ist jetzt ein weichmüthiger Humanitätsrappel über die Welt gekommen, der das Leben horribel ennuyant macht. Ich habe nun einmal kein Spitalherz und will auch keines haben. Als die Vereinssache im Collegium vorkam, ich war Referent, zuckte ich mitleidig die Achseln. Der Präsident ist gar kein böser Mann, nur ist ihm angst und bang vor allem Neuen; es ist ihm unheimlich. Es war aber auch gefehlt von euch, daß lauter prononcirte Liberale sich an die Spitze stellten.«

»Warum? Die Sache hat ja nichts mit Politik zu schaffen?«

»Allerdings. Glaubt ihr, man wird euch Gelegenheit geben, euch als Wohlthäter der Menschheit hinzustellen und unter den Proletariern Partei zu gewinnen?«

»Nun? Wie ging die Sache denn doch durch?«

»Wie gesagt, ich zuckte die Achseln, und das Finale meines Referats war: Wie werden sich die Herren die Finger verbrennen! Wie werden sie einsehen[16] lernen, daß sich die Welt nicht nach ihren Utopien constituiren läßt. Das gäbe eine gute Schule für sie. Der Präsident lächelte. Nun war die Sache gewonnen. Ich erklärte noch, daß, falls der Verein die Genehmigung erhalte, ich bereit sei, als Regierungsbevollmächtigter demselben zu präsidiren und ihn zu überwachen. So wurde euch die Sache gewährt, um euch einen Possen damit zu spielen.«

»Welchen Grund hattest du aber, eine so seine Intrigue anzulegen für eine Sache, die dich nicht interessirt?«

Der Regierungsrat faßte die Hand des Advokaten und sagte: »Du bist und bleibst eine ehrliche Haut, aber auch dir gegenüber mußte ich intriguiren. Seitdem ich von der Kreisregierung hieher versetzt wurde, thut es mir immer leid, daß unsere beiderseitige öffentliche Stellung eine vertrautere Socialität fast nicht zuläßt; die Parteiungen haben Alles zerrissen. Lache nicht! In der Verbrechercolonie finden wir einen Indifferenzpunkt, wo wir uns aneinander anschließen, ohne daß Einer sich bei seiner Partei zu compromittiren braucht. Wir haben in Heidelberg den Freundschaftsbund geschlossen, er soll aufrecht erhalten werden. Nicht wahr, alter Cherusker, wir bleiben die Alten?«

Die beiden Jugendfreunde drückten sich die Hände. Dem Advokaten kam diese Mischung von Treuherzigkeit und Schlauheit, die er eben vernommen, doch sonderbar vor; er wendete sich indeß immer gern nach der idealen, sonnenbeschienenen Seite an der Frucht des Lebensbaumes und erwiderte:

»Wir haben noch so viele Berührungspunkte, noch[17] so viel gemeinsames Streben, daran wollen wir uns halten, das Andere bei Seite liegen lassen.«

»Ja, das wollen wir.«

»Du bist auch besser, als du dich gibst,« bemerkte Heister.

»Was besser? Alle Menschen sind Egoisten. Alles Uneigennützige geschieht aus Eitelkeit, Langeweile oder Gewohnheit. Freilich, du bist eine exceptio idealis, darum verzeihe ich dir deine Demagogie.«

»Nein, ich will kein Privilegium. Ich glaube, daß noch zu keiner Zeit so viel Menschen waren, deren ausdauerndes Streben dem Gemeinwesen gilt, deren Leid und Freud' vornehmlich aus den Zuständen des Vaterlandes seine Nahrung empfängt. Ein seltener Opfermuth bewegt die heutige Welt; leider findet er kaum eine Gelegenheit, sich anders als im Hoffen und Dulden zu bewähren –«

»Gelegenheit macht Diebe. Wir kommen da an einen Punkt, über den wir uns nie vereinigen werden – transeat.«

Eine Weile herrschte Stille; beide Männer schienen innerlich nach den Einheitspunkten zu forschen, die sie so bereitwillig voraussetzten. Es war eine peinliche Pause.

So erquickend es für die Seele ist, wenn zwei Freunde lautlos beieinander sitzen, sich und den Andern still in der Seele hegen, nach fernen Gedankenwelten schweifend doch beieinander sind, jeder in dem andern ein sichtbares Jenseits erkennt; ebenso schmerzlich ist das innere Suchen und Stöbern, einander friedlich zu begegnen.[18]

Der Regierungsrath nahm zuerst wieder das Wort, indem er sagte: »Auch die Poesie ist uns heutiges Tages geraubt. Der schöne Gott Apollo ist zum kranken Lazarus voll Wunden und Beulen geworden. Die Poeten führen uns heute immer in die schlechteste Gesellschaft. Freigeister und Pietisten blasen aus Einem Loch und proclamiren diese heitere, sonnige Welt als ein Jammerthal. Du warst doch auch einmal ein Stück Poet, was sagst du dazu?«

»Die Poesie der modernen Welt ist ein Kind des Schmerzes, selbst die harmloseste ist das freie Aufathmen der vorher gedrückten Brust. Ich sehe einen großen Fortschritt darin, daß selbst die Poesie jene falsche Idealität aufgegeben hat, welche die wirkliche Welt ignorirte oder nicht in sie einzugreifen wagt. Eine Idee muß Wirklichkeit werden können, oder sie ist eine eitle Seifenblase. Nun betrachte die Armen und Elenden –«

»Gut, daß Sie kommen!« rief der Regierungsrath, einer stattlichen, schönen Frau entgegengehend; »Ihr guter Mann hätte mich sonst noch zum Dessert durch alle Höhlen der Armuth gejagt.«

Das Gespräch nahm nun eine heitere, spielende Wendung, denn der Regierungsrat liebte es, die Frauen durch zierliche Redeblumen zu ergötzen; den Ernst des Lebens entfernte er gern aus ihren Augen. Darin bestand seine Frauenachtung.

Er sprach sodann von seinem Roccoco-Ameublement, das ihm mit Frau und Kind bald nach der Stadt folgen würde, und bemerkte mit ausführlicher[19] Sachkenntniß, wie das echte Alte alles neu Fabricirte weit hinter sich lasse, da die Arbeiter Geduld und Kunstfertigkeit zu diesen seinen Schnitzeleien nicht mehr haben. Er hatte Schränke, Stühle und Krüge aus alten Ritterburgen und von den Speichern der Bauernhäuser um einen Spottpreis zusammengekauft und wußte manche lustige Geschichte davon zu erzählen.

Der Advokat sah bisweilen schmerzlich drein, denn er fühlte es tief, daß der Riß zwischen ihm und seinem Jugendfreunde nur nothdürftig überkleistert war.

Man trennte sich bald. Der Advokat machte sich noch daran, die Papiere eines Clienten zu ordnen, für den er andern Tages eine Reise antreten wollte. Selbst bei der Arbeit konnte er den Gedanken an seinen verlorenen Jugendgenossen nicht los werden; dabei erkannte er wieder aufs Neue, daß selbst die rein humanen Bestrebungen keine Einigung zulassen, wenn der sittlich-politische Hintergrund ein anderer ist.

Quelle:
Berthold Auerbach: Gesammelte Schriften, 2. Gesammtausgabe, Band 3, Stuttgart 1863, S. 14-20.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Schwarzwälder Dorfgeschichten
Schwarzwälder Dorfgeschichten
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Dritter Band
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Zehnter Band
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Rainer Moritz
Schwarzwälder Dorfgeschichten. Neue Volksausgabe.

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon