Achtes Kapitel.

[71] Was ist aber alle Menschengeltung und alles Sinnen und Grübeln, wenn's wieder an die Arbeit geht? Dahin wie der Schatten einer fliegenden Wolke. Das ist der Segen aller Arbeit, zumal der lieblichen Handtirung, daß sie den Menschen wieder auf sich stellt: vergessen und nicht da gewesen ist alle kleinliche Verstimmung, die in der Müßigkeit der Mensch über sich kommen läßt, oder die Andere ihm einflößen.

Wenn Brosi in seine Werktagskleider schlüpfte und seinen Schlitten auf die Schultern nahm, wußte und wollte er nichts mehr davon, ob man ihn für einen närrischen Spaßmacher hielt oder nicht; er hatte eine brave Frau, verdiente sein Brod und noch eine Ersparniß dazu, und nun mögen Andere auch treiben und denken was sie wollen; er pfiff seine Ländler so lustig wie je und blieb dabei, daß er sich seinen Frohmuth von Niemand nehmen lasse.

Es hatte nach einem Thauwetter tüchtig gefroren und mit den Steigeisen sich scharf einhakend, marschirte der Trupp nach der Spitze des Kappelberges. Brosi mußte wiederum zuerst auf die Bahn. Er hatte ein halb Klafter auf den Schlitten und die Sperren geladen, aber kaum ist er damit am Bergeshang, da treibt es ihn so gewaltig, daß es ihn vom Boden hebt, und[71] er zappelnd sich mit beiden Händen noch an der Gabel festhält und durch einen glücklichen Schwung treibt er den Schlitten seitwärts und gewinnt wieder den Boden unter den Füßen, er steift sich mächtig zurück, sich fast ganz zurücklegend und schaut hin und her, um nirgends anzurennen, oder eine Stelle zu erkundigen, wo er einen Widerhalt finde, um festzustehen. Die Kameraden oben schreien und pfeifen, aber er versteht nicht, was sie schreien, und was sie mit dem Pfeifen meinen; er sucht aus dem Gurte zu schlüpfen, den er über die Brust gespannt hat, und der ihn an den Schlitten heftet, er will dann eine rasche Wendung versuchen um sich hinter den Schlitten zu bringen und ihn allein den Berg hinabstürzen zu lassen; aber er kann hüben und drüben keine Hand loslassen; der Gurt reicht ihm vom Bücken schon bis an's Kinn, doch er kann mit dem Kopf nicht durchschlüpfen, und jetzt stößt es ihn plötzlich wieder vorwärts, als ob der ganze Berg hinter ihm dreinschiebe. Er sieht und hört nichts mehr, und fortgeschleudert und mit dem Schlitten über einen Hang hinab durch die Luft fliegend, befiehlt er Gott seine Seele; da kracht und poltert es, er liegt zur Seite geschleudert, er lebt, er hebt den Kopf empor, und dort überstürzt sich der Schlitten zwei- dreimal und liegt endlich an einen mächtigen Felsen angerannt. Brosi erhebt sich auf die Kniee, die zitternden Hände in einander faltend betet er ein Vaterunser, und inbrünstiger wurden diese Worte gewiß nie gesprochen, als hier in der erstarrenden Bergschlucht.

Wäre Brosi nicht auf fast wunderbare Weise aus[72] dem Gurte geschlüpft, er läge jetzt dort am Felsen zerschmettert. Das Herz im Leibe zitterte ihm, als er jetzt aufstehend an Moni und das traurige Geschick des vor der Geburt Verwaisten gedachte; er begann nochmals ein Vaterunser, als er es jenseits des Felsens krachen und splittern hörte, und dann war Alles still. Er konnte nicht weiter und setzte sich wie zerschlagen auf den umgestürzten Schlitten; da vernahm er wieder Schreien und Pfeifen, sie suchten ihn gewiß, und mit angestrengter Kraft rief er laut zwischen die beiderseits vorgehaltenen Hände: Halloh! Von allen Seiten antwortete es ihm, und der Jörgtoni, bei dem Brosi früher als Schlafgänger gewesen war, stand zuerst vor ihm.

»Hast den Uribasche nicht gesehen? Er ist hinter dir drein,« fragte der Jörgtoni, ohne die glückliche Rettung Brosi's mit Einem Worte zu erwähnen.

»Ich weiß von Niemand was, ich dank' Gott tausendmal, daß ich noch von mir weiß,« antwortete Brosi, und bald standen die Anderen mit leeren Schlitten bei ihm; des Uribasche's Kalter jammerte kläglich nach seinem Vater.

Man umging den Felsen, Brosi schlich mühsam hinter drein und der Jörgtoni, der wieder der Erste war, rief laut:

»Daß Gott erbarm, da liegt er todt.«

Alle standen festgebannt, lautlos, nur des Uribasche's Kalter wimmerte und jammerte und die Zähne klapperten ihm.

»Das ist rack aus gewesen,« sagte der Jörgtoni, der den Zerschmetterten untersuchte. Man lud ihn auf zwei[73] zusammengebundene leere Schlitten, deckte ihm mit dem Kittel, den man ihm auszog, das Gesicht zu, drei Mann spannten sich vor, und auf mühsamen Umwegen auf dem eingefrorenen Bache führte man die Leiche nach dem Dorfe. Der Sohn des Uribasche ging hinterdrein, in der einen Hand trug er die Mütze des entseelten Vaters und wischte sich damit die Thränen ab, die alsbald gefroren, in der andern Hand trug er ein Stück Brod, das dem Vater aus der Tasche gefallen war; er sah wehmüthig darauf, man wußte nicht ob aus Kummer, oder weil er nicht wußte, ob er dreinbeißen solle.

Brosi folgte still und matt, es fror ihn mächtig, als aber die Ziehenden abwechselten, spannte er sich selbst auch vor, und die Anstrengung brachte ihn zu neuer Kraft.

Im ganzen Dorfe war Jammer und Wehklage über den so jähen Tod des Uribasche, ein Jedes wollte sein bester Freund gewesen sein und hatte schöne Thaten von ihm zu erzählen, besonders die Frauen, die sich auch hier am zahlreichsten einfanden, stimmten darin überein, daß man solch' einen braven Nachtwächter nie mehr bekomme. Diese hatte er immer pünktlich geweckt, wenn sie große Wäsche hatte, jener hatte er eine verlaufene Gans heimgebracht und einer Andern ein vergessenes Stück Tuch von der Bleiche geholt. Auch der Kalte, der sonst meist nur Spottreden erfuhr, lernte zum Erstenmal die guten Worte der Menschen kennen; er stand aber noch immer wie vergessen da, rührte nicht Hand noch Mund und hielt die Mütze in der einen und das Stück Brod in der andern Hand. Von der[74] wunderbaren Rettung Brosi's sprach Niemand eine Silbe. Als er heimwärts ging und ihm Moni entgegeneilte, ihn auf offener Straße umarmte und weinend rief: »Gott Lob und Dank, daß du gesund bist,« da sagte er: »Ja, ich dank Gott, daß ich dich hab'; ich hab' doch Einen Menschen, der sich freut, daß ich noch da bin, die Anderen, die thun, wie wenn ich gar kein Mensch wär', weil ich von Endringen bin. Das Nest ist's aber nicht werth, daß einer von Endringen hier Burger ist.«

Moni hatte viel zu thun, ihm diesen Aerger auszureden, sie verschluckte den Kummer, daß er immer Endringen wie ein Paradies lobte und ihren Geburtsort so herabsetzte; nach echter Frauenart sagte sie:

»Dank Gott, daß er uns nicht härter gestraft hat, weil wir in Unfriede gelebt haben; er hat uns gezeigt, was wir verdienen. Gott Lob und Dank, daß die Warnung so an uns vorbeigegangen ist.«

Dem Uribasche galt das erste Läuten der Todtenglocke von Haldenbrunn, und seitdem heißt diese Glocke der Uribasche. Dieses Andenken ist länger geblieben als das andere das ihm errichtet ward; das hölzerne Kreuz draußen am Felsen des Kappelberges, wo er den Tod fand, ist längst versunken und verschwunden.

Am nächsten Sonntag schrieb indeß Brosi in seinen Kalender: »Der Herr über Leben und Tod hat mich vor einem frühzeitigen Ende bewahrt; ihm sei allezeit Preis und Dank. Ulrich Sebastian genannt Uribasche †.«

Des Uribasches Kalter übernahm die Bedienstung seines Vaters als ein Erbamt; man überließ es ihm[75] ohne Widerrede so lang das Mitgefühl um den Tod des Vaters noch frisch war; gegen Neujahr aber mehrten sich die Klagen, daß man dem halben Simpel die Bewachung des Dorfes überlasse, zumal in so gefahrvollen Zeiten, und der Bewerber fanden sich Viele.

Brosi ging seiner Arbeit nach; aber auf Allen, die sie vollzogen, lag eine Bangigkeit: der Tod des Uribasche machte sie beklommen und vor der Abfahrt wurde jetzt oft still gebetet.

Moni erzählte ihrem Manne, daß der Kalte nicht mehr lange Nachtwächter bleibe und Brosi sagte scherzend, das wäre ihm für den Winter ein fröhliches Amt und er würde die Holzfuhren dann aufgeben.

Am andern Tage sah man Moni ungewöhnlich viel im Dorfe umherlaufen, sie ging bei den Großbauern umher, die im Auerhahn so freundlich mit ihr gesprochen hatten.

Als es am Neujahrstage zur Wahl kam, erhielt Brosi die gewichtigsten Stimmen; er that aber noch ein Uebriges, theilte das Amt mit dem Kalten, der auch in den kurzen Sommernächten den Dienst allein versehen konnte und im Winter nur die Stunden vor Mitternacht anzurufen hatte: die nach Mitternacht behielt sich Brosi.[76]

Quelle:
Berthold Auerbach: Gesammelte Schriften, 2. Gesammtausgabe, Band 6, Stuttgart 1863, S. 71-77.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Schwarzwälder Dorfgeschichten
Schwarzwälder Dorfgeschichten
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Dritter Band
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Zehnter Band
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Rainer Moritz
Schwarzwälder Dorfgeschichten. Neue Volksausgabe.

Buchempfehlung

Strindberg, August Johan

Gespenstersonate

Gespenstersonate

Kammerspiel in drei Akten. Der Student Arkenholz und der Greis Hummel nehmen an den Gespenstersoirees eines Oberst teil und werden Zeuge und Protagonist brisanter Enthüllungen. Strindberg setzt die verzerrten Traumdimensionen seiner Figuren in steten Konflikt mit szenisch realen Bildern. Fließende Übergänge vom alltäglich Trivialem in absurde Traumebenen entlarven Fiktionen des bürgerlich-aristokratischen Milieus.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon