2.

[134] Bei Rothenburg an der Tauber ist eine rauhe, wilde Steig, die Kniebrechen genannt wegen ihrer Steile. Da hat sich vor Zeiten eine grausame That begeben, an welche jeder, der des Weges geht, mit Schaudern denkt. Die Geschichte lautet, wie folgt. Es wurden zu jener Zeit drei Männer aus Rothenburg an des Kaisers Hof gesandt, um ein Anliegen ihrer Stadt an den Herrn zu bringen. Der Kaiser empfing die Abgeordneten auf leutselige Art, und er fragte vorerst einen nach dem andern nach ihren Namen, wie sie sich schrieben. Der erste sagte, er schreibe sich Vötter; worauf der Kaiser: das ist ein gar schöner, freundnachbarlicher Name. Der andere, gefragt, sagte, er schreibe sich Brueder. Der Kaiser: das ist ein noch schönerer Name, der einem wahrlich ins Herz hinein wohl thut. »Und wie schreibt denn Ihr Euch?« fragte zuletzt der Kaiser den dritten. Der antwortete nach einigem Zögern, fast kleinlaut: »Ich schreibe mich Mörder.« »O pfui!« sprach der Kaiser, »das ist ein garstiger, ein schlimmer Name; es möchte einem die Haut drob schaudern.« Das hatte der Kaiser im Scherz gesprochen. Jener aber hielt es für Ernst, und es beschlich Neid und Mißgunst sein Herz, und weil ihn die andern darob neckten, zuletzt Haß und Rache. Als sie daher nach Hause zurückkehrten, so überfiel er sie, Angesichts der Vaterstadt, auf der Kniebrechen, und schlug sie todt. Darob wurde der Mörder[134] eingefangen und hingerichtet; und es ist der letzte seines Stammes gewesen zu Rothenburg an der Tauber.

Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 2, Leipzig [um 1878/79], S. 134-135.
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