Zweite Szene

[19] Staberl. Redlich.


STABERL. Lieber Herr Redlich, ich dank für alles, was ich genossen habe. Jetzt aber muß ich fort. Stellen Sie sich vor, was auf einmal ausgekommen ist. Die Bürger müssen die Wachtposten wieder übernehmen, man sagt, nur auf ein paar Tage. – Aber, was seh ich? Sie sind ja ganz erhitzt.

REDLICH. Jawohl bin ich das. Haben Sie je so etwas gehört? Mein eigener Schwager will mich klagen, und zwar ungerechterweise, weil ich eine alte Schuld, die laut Testament meines Schwiegervaters längst geschenkt ist, nicht bezahlen will.

STABERL. Ihr Herr Schwager? Der Herr Bleyer? Nu, das ist schon der Rechte! Mich hat er einmal um einen alten Taft belangt, den ich ihm zu einem neuen Parapluie genommen habe. Und der Taft war doch frisch gefärbt, kein böses Aug hätt ihn anschauen dürfen.

REDLICH. Ich gebe einmal nicht nach. Er wird nachdenkend.

STABERL. Ich auch nicht – wenn ich nur etwas davon hätte. Der Herr Bleyer ist aber schon so ein Mensch! Oh, ich könnte noch mehr Schlechtigkeiten von ihm erzählen! Zutraulich. Schauen Sie, voriges Jahr im Winter bin ich alle Nacht in seinem Wirtshaus g'wesen, und wie man da im Diskurs oft viel red't, so bin ich durstig worden und hab viel getrunken; Geld ist viel aufgegangen, ich muß es sagen, aber glauben Sie, es war erkennt? Sooft ich besoffen war, hat er mich in den Schnee hinauswerfen lassen – Sie, das tut weh! Der Mann hat mich gekränkt! Zum Glück hab ich's im Rausch[19] niemals gemerkt und bin durch sechs Wochen hintereinander glücklich alle Tag hinausgeworfen worden, aber einmal hat mir's ein Bekannter entdeckt, da bin ich ausgeblieben!

REDLICH der nicht auf ihn gemerkt hat. Ich muß meiner Alten doch den Vorfall sagen.

STABERL erzählt fort. Ein anderer Wirt hätte nach mir geschickt als nach einem täglichen Gast, aber er war schlecht genug und hat nichts mehr dergleichen getan. Aber schon gut! Ich räche mich doch noch an ihm! Ich mach ein Puschkawil auf ihn und schlag's an sein Tor an.

REDLICH für sich. Ob ich ihm nicht ein paar Zeilen schreiben soll?

STABERL fährt fort. Seine schwarze Katz hab ich ihm mit einem Parapluiestaberl totgeschlagen, jetzt weiß ich nicht, wer auf dem Fassel sitzen wird! Aber meine Rach ist noch nicht aus!

REDLICH. Ich will selbst zu ihm – klagen kann ich mich doch nicht lassen.

STABERL. Nein, hören Sie, da sind Sie einer irrigen Meinung, das ist just schön! Lassen Sie sich nur klagen, der Richter muß auch leben! Schaun Sie, ich bin schon oft geklagt worden und lebe doch noch! Es wird Sie auch nicht umbringen.

REDLICH. Mir ist nur um die Schande, einem jeden kann ich's doch nicht auf die Nase binden, wie oder wann!

STABERL. Gibt Ihnen wer was? Kein Mensch! Ich setze den Fall, es springt Ihnen heute als Bindermeister ein Reif vom Geldbeutel, so lacht Ihnen alle Welt aus, und kein Mensch sagt: »Da, füll dein Fässel von meinem Geld!« Schaun Sie mich an, ich. bin jetzt dreißig Jahr Parapluiemacher, bin wenigstens zwanzigmal alle Jahr bei Gericht gewesen und habe mich nie vor die Leute geniert, ja, wenn ich was davon hätte! Oh, ich hab gar ein hartes Brot! Wenn andere Leut schöne Zeiten haben, kann ich verhungern, wo ich will. Ich muß sozusagen von Regen und Schnee leben – Sie, da dazu gehört eine Viehnatur!

REDLICH. Adieu, Herr Staberl, ich muß auch fort. Mir fällt soeben ein, daß ich auch noch heute aufziehen muß – auch ich muß auf die Wache! Adieu!

STABERL. Sie sind ja noch gar nicht gerichtet!

REDLICH. Das ist gleich geschehen! Adieu! Zuerst zu meinem Schwager, dann auf die Wache. Er geht ab.


Quelle:
Das Wiener Volkstheater in seinen schönsten Stücken. Leipzig 1960, S. 19-20.
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