Das Weib

[260] Es schaut auf euch, ihr Frauen, Hoffend das Vaterland!

Kinkel.


Die Politik unserer Tage, ist nicht mehr die der vergangenen Jahrhunderte – Erziehung, Armen- und Krankenpflege, sociale Verbesserungen der mannigfachsten Natur, Abstellung der Kriege, dies sind Heute ihre wichtigsten Aufgaben und sie wird bei deren Lösung die Hülfe der Frauen nicht entbehren können.

(Josephine Buttler.)


Gar Manche mögen jetzt am Schlusse unserer Betrachtungen ausrufen: »Es ist ein schönes, aber unerreichbares Ideal, welches hier vor uns aufgestellt wird!«

Ja, es ist heute noch den meisten Frauen gegenüber ein bloßes Ideal, aber was sind wir denn und was können wir werden ohne den Glauben an das Ideal und das ernste Streben danach? Das Ideal ist die Feuersäule, welche vor uns hergeht durch das Dunkel des Lebens, die Verheißung des Höheren und Besseren, die stete Aufforderung, nach ihm zu ringen mit allen Kräften. Die ideale Auffassung ihres eigenen Selbst ist dazu bestimmt, die Frau zum Ideale der Menschheit zu erheben. Wir finden dies heute nicht mehr in jener dämmernden Idyllenwelt, die im geistigen Schlummer[260] sich lächelnd Blumenkränze windet, sondern auf jener höheren Stufe der Entwickelung, wo die höchste Einfachheit, die Einfalt und Harmlosigkeit des Kindes wiederum die letzten und natürlichsten Blüthen eines gebildeten Geistes und eines reichen Gemüthes sind. Diese goldene Zeit, von der die Dichter singen, muß zuerst sich dem Weibe erschließen, an seiner Hand geleitet es die Menschheit in neue, verklärte Räume.

Es gibt keine andre Epoche in der ganzen Geschichte der Menschheit, in welcher so allgemein, in solch umfassendem Sinne die Stellung des Weibes zu der übrigen sie umgebenden Welt betrachtet und erörtert worden wäre. Die Frauenfrage hat eine solch hervorragende Wichtigkeit und Bedeutung gewonnen, sie ist so mächtig in den Vordergrund unseres heutigen Lebens getreten, daß sie sich nicht mehr abweisen, nicht mehr mit Ironie und Sarkasmus hinweglächeln läßt. Sie datirt auch nicht von Gestern und Vorgestern und würde Morgen noch sein, wenn man sie auch Heute noch zurückzudrängen versuchte. Langsam und allgemach ist sie gekommen und hat sie sich fortentwickelt, hat sie wie alle gesellschaftlichen Wandlungen, die Stadien der Exaltation, des Unverstandes, des Predigens in der Wüste durchgemacht, die unzertrennlich sind von dem Auftreten neuer Ideen und dem Kampfe für dieselben.

»Ist's Menschenwerk, so wird es untergehen, ist's Gotteswerk, so wird es bestehen!« Dieses herrliche Wort der Bibel dürfen wir auch hier anwenden. Es ist das Wort, welches alles Neue, das in die Erscheinung tritt, dem subjectiven Ermessen der Zeitgenossen entrückt; es verweist auf den ruhigen, objectiven Maßstab der Geschichte, die in ihrem gleichmäßigen Gange Alles zermalmt, was unwahr, lügenhaft und überlebt ist, dagegen unabweislich[261] jede Idee bestehen läßt, welche die innere Gesundheit der Wahrheit in sich birgt, welche sich lebenskräftig fortentwickelt, trotz der Auswüchse und Gefahren, die häufig ihr Fortschreiten aufhalten, beeinträchtigen, und begleiten. –

Bis zu diesem Standpunkte aber, welcher das Ungesunde und Uebertriebene ausstößt, das Berechtigte gelten läßt, sind wir Heute in der Frauenfrage gelangt, und mit jenem humanen und objectiven Sinne, welcher als ein Merkmal unserer gegenwärtigen geistigen Entwicklung bezeichnet werden kann, wird diese Frage, welche auf's Innigste mit den übrigen Problemen unserer socialen Verhältnisse zusammenhängt, von allen Seiten betrachtet und discutirt. Was man noch vor zehn bis zwölf Jahren vielfach als unausführbar verspottete – die Anwendung gleichen Ernstes nämlich, gleicher Tüchtigkeit bei der Erziehung des Mädchens, wie bei der des Knaben, und die daraus folgende allgemein menschliche Gleichstellung der beiden Geschlechter, ist bald keine leere Forderung mehr, sondern sie wird mehr und mehr als berechtigt anerkannt. –

Nicht zu verwechseln mit dieser Frage, ist jene Andre, in wie weit alsdann auch die Frau vollständig die gleiche Beschäftigung mit dem Manne theilen soll. Absichtlich und unabsichtlich hat man diese Folgerung vielfach mißverstanden und mißdeutet, ohne daß uns dies jemals ernstlich erschreckt hätte. Die Forderungen und Aufgaben, welche der Staat und die Gesellschaft an den Menschen stellen, sind so umfassender, so mannigfaltiger Natur, sie sind noch so wenig vollständig durch tüchtige Kräfte ausgefüllt, daß beide Geschlechter friedlich nebeneinander das ungeheure Feld der Arbeit, der materiellen, wie der geistigen, werden ausbeuten können. »Raum für Alle hat die Erde!« sagt Schiller, und so lasse man[262] denn auch der Frau den Raum, den sie einzunehmen berechtigt ist, sobald sie ihn auszufüllen versteht, und dessen Ausnützung ihr einestheils durch die Nothwendigkeit des Erwerbs geboten ist, anderntheils durch ihr Recht, als ein mit gleichen Sinnen und Kräften begabtes Wesen, wie der Mann, sich selber naturgemäß zu entfalten und auszuleben. So gewiß und wahrhaftig aber die ewige Kraft der Natur der Regulator unseres ganzen Daseins ist, so gewiß wird auch sie die Gränzen und Marksteine setzen, wo die Gebiete des Mannes, wo die der Frau vorzugsweise liegen und zu suchen sind. Wir können nichts dabei thun, als in vernünftiger Weise aufklären, nachhelfen und erziehen und wie die Vorurtheile von Jahrhunderten hinwegschwinden, wie Schranken, die man für unübersteiglich hielt, am Ende von selber fallen, so wird sich auch im Großen und Ganzen die Theilung der Arbeit zwischen Mann und Weib vollziehen, wie dies bereits innerhalb der Familie, und der Beschränkung durch die Ehe, der Fall ist.

Ebenso müssen wir es der Zeit überlassen, in wie weit die Frauen thätigen Antheil nehmen sollen an dem politischen Leben ihres besondren Vaterlandes, ob sie darauf hinzuarbeiten haben, sich das öffentliche Stimm- und Wahlrecht zu erwerben. Jedenfalls ist dies eine Frage, die auf deutschem Boden nicht gelöst und ausgetragen wird, die in Ländern ihre Entscheidung finden muß, wo das öffentliche und politische Leben schon seit lange in andrer Weise alle Schichten des Volkes berührt und durchdringt, als dies bei uns der Fall gewesen. Wie es uns scheint, haben wir bis jetzt noch keine Ursache uns dafür oder dagegen zu erhitzen, nur dem einen Einwand möchten wir begegnen, den man gerne als einen großen Gegentrumpf ausspielt, nämlich der Behauptung, daß die Frau,[263] welche das Stimmrecht erwirbt, dann auch der Wehrpflicht Genüge leisten müsse. Wir glauben, daß der letzte Krieg es genugsam erwiesen, wie die Frau, auch ohne direct an den Kämpfen Theil zu nehmen, ihre Bürgerpflicht in reichem Maße ausgeübt, wie sie unerschrocken, dem Tod und allen Gefahren trotzend, rastlos arbeitete, die Wunden wieder zu heilen, welche die Schlacht geschlagen; wie sie daheim muthig und in Treuen aushielt, der eignen Schmerzen und Trübsal nicht achtend, nur darauf bedacht, nach allen Richtungen hin, zu trösten, zu helfen, zu ermuntern.

Wahrlich, es wäre den Männern schlecht gesagt gewesen, wenn sie diese Schutz-Armee nicht hinter sich gehabt, wie auch die Frauen sich aus jener Zeit die Lehre nicht mögen entgehen lassen, daß sie, in dem Alter der Jugend und Kraft, ihren Freiwilligendienst, thun müssen, auf dem Gebiete der praktischen, der häuslichen Künste, damit die Zeiten schwerer Noth, auch die richtigen, geübten Kämpfer in ihnen finden. –

Im Uebrigen könnte die Frage des weiblichen Stimmrechts schnell ihre Erledigung finden, wenn die Männer sich ernstlicher mit den Angelegenheiten der Frauen und ihrer Lage, sowie mit deren gerechtfertigten Wünschen beschäftigen wollten. Die lange Vernachlässigung aller Interessen des weiblichen Lebens innerhalb des gesetzlichen Wirkens, ist hauptsächlich Schuld, daß die Frauen daran Theil zu nehmen wünschen. – Die Männer könnten also jedem derartigen Verlangen schnell die Spitze abbrechen, durch ihre eigne warme Theilnahme an dem Wohl und Wehe des weiblichen Geschlechts, und in diesem Sinne auf sie einzuwirken, sollte ganz besonders eine der Hauptaufgaben der deutschen Frau bilden.

Ohne persönlich auf den Schauplatz zu treten, müßte sie daheim den Indifferentismus ihrer Gatten, ihrer[264] Söhne, ihrer Brüder wirksamer zu bekämpfen suchen, müßte sie im Interesse der eignen Töchter, sich eingehend, ach! unendlich viel eingehender, als dies bis jetzt geschieht, um die Mängel und Schattenseiten des weiblichen Daseins bekümmern, und sie Jenen an's Herz legen, die ihr ja keine Fremden, die die Väter, die Brüder, die künftigen Gatten dieser Töchter sind. –

Was nützt es uns neue Gesetze hervorzurufen, wenn das Geschlecht selbst in seiner Theilnahmlosigkeit verharrt, wenn nicht Alle mithelfen an dem Werke einer Befreiung, welches die Frau wahrhaftig nicht ihrer eigenthümlichen Sphäre entrücken soll, welches nur diese Sphäre in ihrem ganzen Umfang, in ihrer vollen Bedeutung zu entwickeln strebt. – Wir glauben, wie schon gesagt, daß es, wenn man in jenem Sinne vorgeht, wenn auch die Männerwelt die Nothwendigkeit von Reformen der Gesetze, der Erziehung, der gesellschaftlichen Verhältnisse, die das weibliche Geschlecht noch schädigen, einsieht, eines »weiblichen Stimmrechtes« auch für die Folge gar nicht bedürfen wird, und wiederholen, daß es überhaupt eine Thorheit wäre, wenn wir uns jetzt in Deutschland damit beschäftigen, Anstrengungen dafür machen wollten.

Unsere heutige Aufgabe ist vorerst und vor allen Dingen, die Erziehliche, nach allen Seiten und Richtungen hin, aber damit wir sie verfolgen, damit wir den Finger auf die wirklich wunden Punkte unseres socialen Lebens legen können, dürfen und müssen wir verlangen, daß man uns Frauen nicht länger von dem Erkennen der Wirklichkeit ausschließe, daß man sich auch unseres Rathes, auch unserer Erfahrung, auch unserer That bediene, wo es irgendwie das Wohl der Menschheit erheischt.

Von der Theilnahme an der Verwaltung aller öffentlichen Institutionen, welche der Entwicklung, oder den[265] Leiden der Gesellschaft entgegenkommen, sollten die Frauen nicht länger ausgeschlossen sein, ja sie dürfen es nicht, wenn man fortfährt auf den Wegen der Humanität voranzugehen, die man jetzt eingeschlagen. Man wird sich von Tag zu Tag mehr überzeugen, daß man ohne Frauenhand und Frauenthat gar nicht im Stande sein wird, ein nur annähernd Vollkommnes und Zweckentsprechendes zu leisten, daß man namentlich den Bedürfnissen des weiblichen Geschlechtes selbst gegenüber, sich durchaus der Frauenhülfe versichern muß. Und dies sollte unweiblich, es sollte emancipirt sein, wenn Frauen mitthätig sind bei der Beaufsichtigung der Kranken- und Armenpflege, der Waisen, der Schulen, der Gefängnisse, der Hospitäler, wenn sie ein Wort mitreden dürfen, in allen den Dingen die sich auf das Wohl ihres eignen Geschlechtes beziehen? Haben nicht auch einst die Römer, dieses stolzeste und mächtigste Culturvolk der alten Welt ihre heiligsten Interessen den Händen von Frauen anvertraut? Die unnahbare Würde der römischen Matrone, das geheiligte Ansehen der Vestalin – sie bildeten einen der festesten Grundpfeiler dieses weltbeherrschenden Staates und sein Zerfall begann, als das Ansehen der Frauen dahinschwand in Ueppigkeit und Lebensgenuß. Laßt uns Frauen thätigen Antheil nehmen an allen jenen Interessen des Gemeinwohles, die nur dann ihre menschliche Befriedigung finden können, wenn die beiden getrennten Individuen, welche die Menschheit ausmachen, sich miteinander zum thätigen Eingreifen verbinden. Sagten wir aber an vielen Stellen unseres kleinen Werkes, daß die verheirathete Frau vorerst und allein dem Hause und der Familie angehören muß, so möchten wir diesen Pflichten gegenüber doch auch ihr allgemeines Recht, als Weib betonen, möchten namentlich den Wunsch aussprechen, daß[266] ältere Frauen, deren Kinder erwachsen und versorgt, oder die kinderlos und Wittwen sind, sich recht warmen Herzens um Alles annehmen möchten, was unser Geschlecht berührt, denn grade der Rath von solchen Frauen, welche die Schule der Ehe durchgemacht, mithin um viele Erfahrungen reicher sind, als die Unverheiratheten, wird in vielen Fällen von hoher Wichtigkeit sein. Damit wären wir denn an jenem Punkte des weiblichen Lebens angelangt, den man gar nicht entschieden genug bekämpfen kann – wir meinen den Indifferentismus, welchen Heute noch die meisten nicht allein einer Bewegung entgegenbringen, welche sich direct auf ihr Geschlecht bezieht, sondern mit dem sie überhaupt die Welt an sich vorüber gleiten lassen. Auch die Frau soll, und muß sich eine Ueberzeugung herausbilden, auch sie soll ihre Stellung nehmen zu der sie umgebenden Welt, ganz ebenso wie der Mann! – Der große Florentiner weist in seinem unsterblichen Werke, in seinem Weltgericht, einen der tiefsten Höllenkreise denen an, die sich zu keiner Parthei halten, keine eigne Meinung haben. Aber ganz gewiß wird das Frauengeschlecht nicht früher die Früchte einer vernünftigen Emancipation ernten, nicht früher die Stellung einnehmen, zu der es berufen ist, so lange es nur Einzelne für sich arbeiten und kämpfen läßt, so lange sich nicht Alle an dem Werke betheiligen, welches Jahrhundertlange Vernachlässigungen, in Entwicklung und Heranbildung ihres Geschlechtes, beseitigen soll. Nicht Alle können thätig eingreifen, aber Alle können ein warmes Herz dafür in sich schlagen machen, können durch entgegenkommendes Verständniß Diejenigen stützen und fördern, welche die Kraft ihres Lebens daran setzen.

In viel größerer Anzahl als bis jetzt müßten in Folge dessen Frauen-Vereine in Deutschland entstehen,[267] die mit Hülfe denkender Männer sich namentlich damit beschäftigten die Zustände der weiblichen Arbeits-, Lohns- und Erziehungsverhältnisse zu ergründen und bloß zu legen. Es ist keineswegs die Hauptaufgabe dieser Vereine nur irgend eine neue Institution zu gründen und sich damit zu begnügen, sondern mit Hülfe dieser Institutionen und durch dieselben, die richtigen Erfahrungen zu sammeln; aus diesen Erfahrungen allgemeine Principien sowohl, wie auch wohlbegründeten Tadel, abzuziehen, und dann mit solchen Waffen in der Hand auf das große Ganze einzuwirken.

Es ist viel Gutes in Deutschland geschaffen worden; wir haben Fach-, Gewerbe- und Handelsschulen gegründet; Lyceen und Kunstschulen für eine höhere Durchbildung geschaffen, wie auch Handarbeit-Schulen und Handarbeit-Reformen. Man hat Verkaufs-Centralstellen für weibliche Handarbeiten aufgethan, Nähmaschinen-Gesellschaften haben sich gebildet, die Erziehung von Kindergärtnerinnen wird eifrigst gefördert, Kindermädchen-Institute entstehen, und die Vereine zur Heranbildung von Krankenpflegerinnen breiten sich mit überraschender Schnelligkeit aus. Schwer und mühsam aber, wie es immer ist, solche Anstalten zu schaffen, die wegen ihrer Neuheit die ganze Ungunst der Vorurtheile erst durchzukämpfen haben, in gleichem Maße verschwindend würde ihre Wirkung auf das Allgemeine sein, wenn man aus ihnen nicht allgemeine Regeln und Forderungen abstrahiren wollte. Aus diesen Gründen ist es aber auch so überaus wichtig, daß wir Alle gemeinsam vorangehen, uns gegenseitig fördern und belehren. Darin wird aber noch viel gesündigt und gefehlt; noch fehlt es ganz besonders an dem regen Austausch untereinander, an dem neidlosen Interesse, mit einem Worte, an dem Corpsgeist[268] unter den Frauen selbst, der sie einzig und allein im Dienste der Sache, der Idee, Alle für Eine, und Eine für Alle, müßte handeln und kämpfen lassen. Immer noch beschränkt man sich in seinem eignen Wirken viel zu sehr auf den selbstgeschaffnen, kleinen Kreis und weiß es nicht, oder will es nicht wissen, was der Nachbar drüben thut, und was wir etwa von ihm lernen könnten. –

Namentlich aber haben wir darauf zu merken unsre Kraft und unsre Mittel nicht zu sehr zu zersplittern; Alles was in das Gebiet des Erziehlichen einschlägt, muß darum, soweit man es nur vermag, dem Staat und der Gemeinde zugewiesen werden. Die Schule ist da, sie existirt, wir haben nur dafür zu sorgen, daß sie ihre Schuldigkeit in der richtigen Weise thue. Darüber hinaus bleibt uns noch für lange Jahre hinaus genug zu thun und je mehr man sich der ganzen Größe dieser Aufgaben bewußt ist, je mehr sie uns in dem Sinne zugänglich werden müssen, wie wir es oben ausführlich angedeutet, je weniger werden wir dem Manne seine sogenannten Fachwissenschaften, seine Theologie und Jurisprudenz streitig machen wollen, außer dem Beruf des Arztes, von dem wir überzeugt sind, daß er in vielen Fällen von Frauen in segensreichster Weise kann ausgeübt werden. –

Im großen Ganzen wird, davon sind wir fest durchdrungen, das Weib die Gebiete seiner Hauptthätigkeit immer in den Regionen suchen, für die es ganz besonders geschaffen und geeignet ist, und die immer schöner auszubilden, immer lebendiger zu durchdringen, den eigentlichen Schwerpunkt seiner Emancipation ausmachen.

Die ideale Seite des Lebens soll und wird fortwährend durch die Frauen repräsentirt werden, was auch Spötter, Zweifler und ängstliche Gemüther dagegen sagen mögen, denn bedürfnißloser als der Mann, biegsamer[269] und elastischer als er, sind sie, wenn harmonisch ausgebildet, die wahren Poeten, die reinen Menschen, welche die goldenen Früchte der Arbeit und des geistigen Genusses in schönstem Vereine pflücken. Eben weil die Welt es fühlt, daß sie durch das Weib zu neuer Jugend und Schönheit soll geboren werden, darum richten sich heute die Blicke Aller auf sie. Darum soll aber auch Niemand der Frau die Berechtigung bestreiten, an der Bewegung des öffentlichen Lebens in ihrem Sinne Theil zu nehmen; sie braucht nicht persönlich einzugreifen, nicht selbst die politische Rednerbühne zu besteigen, aber sie hat das vollste Recht ihr unbefangenes Wort mitzureden, wie die Wahrheit und die Gerechtigkeit es ihr eingeben. Die Kritik der Thatsachen und deren sittliche Erwägung muß der Frau als ihr höchstes Vorrecht eingeräumt werden. Ueber dem Getriebe der Parteien stehend, ist sie die Himmlische, die Gerechte, die wahre Hüterin der Freiheit und des Menschenrechts. Denn die Frau ist das Herz der Welt und dieses Herz ist dazu berufen, sich gegen alles Ungerechte und Gemeine aufzulehnen.

Wo der Mann feige verstummt, da öffne euch die Entrüstung den Mund, wo er furchtsam die Blicke niederschlägt, da schleudert ihr die Blitze des sittlichen Zorns! Als die Priesterin des Ideals muß die Frau dasselbe mit allen Kräften stützen und vertheidigen. Sie darf nicht länger in verzagender Schwachheit die Schranke sein, welche den Mann von dem höheren, selbstvergessenen Wirken für das Vaterland und die Interessen der Menschheit abhält! Ehe die Schmach unseres Jahrhunderts, die Sclaverei zum Falle kam, waren es vornehmlich die Frauen Amerika's, würdige, ergraute Matronen zum Theil, welche dieselbe bekämpften und unterwühlten, durch glühende Worte der Begeisterung, des Tadels,[270] der Entrüstung, die geschrieben und gesprochen, sich eingruben und fortpflanzten in den Herzen ihrer Zeitgenossen und zuletzt einen Zustand stürzen halfen, der nur durch blindes Vorurtheil und schnöden Egoismus gestützt, so lange hatte bestehen können.

In ganz ähnlicher Weise stehen Heute in allen civilisirten Ländern Frauen an der Spitze von Bewegungen und Bemühungen, welche den edelsten Zwecken der Humanität dienen, und während dies- und jenseits des Oceans, im Verlaufe von mörderischen Kriegen die Frauen ihre vollste Schuldigkeit ausgeübt, sehen wir es zugleich als eines der erhabensten Ziele weiblichen Einflusses hingestellt, so weit als irgend möglich, die Geißel des Krieges aus dem Leben der Völker verschwinden zu machen. Ganz gewiß können die Frauen dazu beitragen, indem sie mit allen Kräften in ihren Söhnen, Brüdern und Gatten die Gefühle der Toleranz, der Billigkeit, der gegenseitigen Werthschätzung zu pflegen, sich bestreben. Aber wo das Vaterland ruft, wo die eigne Nation bedroht ist, da werden solche Frauen auch wissen, was ihre nächste Pflicht ist. –

So sehen wir nach jeder Richtung hin, das Weib als die oberste Hüterin der Sittlichkeit, der Gerechtigkeit und der Idealität bestellt. Durch die Arbeit nicht herabgezogen, sondern erhoben, gekräftigt und geadelt, ist ihre wahre Emancipation vollbracht, sobald sie sich wieder selbst, und dem freien Gebrauch ihrer Kräfte zurückgegeben ist.

So weit die Sage uns hinabführt in die dunkelsten Zeiten unseres Erdballs, waren es weibliche Gottheiten, welche als die eigentlichen Erzieher und Wohlthäter des Menschen betrachtet und verehrt wurden, deren Hand ihn zu milderen Sitten, zu höheren Kulturformen hinanleitete.[271]

Wir stehen im Begriff diese Zeiten menschlich zu verwirklichen; sie werden erscheinen, sobald man dem Weibe seine Ursprünglichkeit zurückgegeben, sobald man ihm die schwere Binde von dem Auge genommen, welche der Mißverstand langer Jahrhunderte aus Unwissenheit, Beschränktheit, Fanatismus und Trägheit gleich einem ehernen Bande um seine Stirne gewoben!

Nicht jeder Frau ist es verliehen, gegen den Mißbrauch im Großen zu Felde zu ziehen, aber der Mißbrauch und die Ungerechtigkeit finden sich überall, überall fehlt es an dem großen und warmen Herzen, welches allein die Welt zu überwinden vermag. In eurer reinen und stolzen Brust, ihr Frauen, da muß es schlagen, und es werden Wunder durch dasselbe geschehen!

Feder und Wort sind euch gegeben, so gut wie dem Manne! Schreibet, redet, erziehet im Dienste der Menschheit! Vergeßt es nicht, daß selbst euer kleinstes und bescheidenstes Wirken ein der Menschheit geleisteter Tribut ist! Vor dem Auge, das in's Verborgene sieht, ist die größte und die kleinste Arbeit sich gleich. Die Gesinnung, die Pflichttreue, mit der sie ausgeführt wird, geben ihr allein den Werth!

Die Stunde ist da und der Weg geöffnet, der die Frau zu ihrer höchsten Entwickelung führen soll! Hinan, hinan die glänzende Höhe, daß unseres Göthe Wort sich erfülle:


Das ewig Weibliche zieht uns hinan!

Quelle:
Luise Büchner: Die Frauen und ihr Beruf. Leipzig 41872, S. CCLX260-CCLXXII272.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Fantasiestücke in Callots Manier

Fantasiestücke in Callots Manier

Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht

282 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon