Die Unverheirathete

[220] Gleich von unbegränztem Sehnen

Wie entfernt von träger Ruh'

Müsse sich mein Leben dehnen, Wie ein Strom dem Meere zu.

Rückert.


Ich wußte, daß es Glück und Klarheit in und durch uns selbst gibt.

Rahel.


Wo bliebe denn nun der Schrecken des ehelosen Standes für solche weibliche Naturen, die sich im Leben selbst zu helfen wissen und sicher und fest auf eigenen Füßen stehen? Wie manche Frau, die in unbedachter Eile den Ehebund geschlossen, würde oft gerne mit der alten Jungfer tauschen, die ihren besseren Gefühlen und Ueberzeugungen treu, sich lieber selbst genügen ließ, als daß sie ohne Neigung oder aus kalter Berechnung an den Altar trat. Ein jedes Lebensloos hat seine Leiden und Freuden, und ein Mädchen, das seine Aufgabe versteht, seine Kräfte benützt und entwickelt hat, wird auch nach außen immer eine ebenso ehrenvolle und geachtete Stellung finden, wie sie die hochstehendste Frau sich nur wünschen kann. Es wäre sogar recht schlimm, wenn alle Mädchen sich verheiratheten; man erinnere sich nur an so viele ältere Damen, die im wahren Sinne des Worts in einer Menge von Familien als die[220] überall helfenden und schützenden Genien gar nicht entbehrt werden könnten.

Das Einzige, was der verheiratheten Frau zu beneiden ist und von dem Mädchen wohl am Bittersten entbehrt wird, ist nicht die Liebe des Gatten, nicht die gesicherte Lebensstellung, es ist der süße Name der Mutter, welchen des Mädchens Ohr niemals vernimmt. Das ist es, was das weibliche Herz am schmerzlichsten vermißt – die Freude eines Kinderumgangs und dessen ungestörten Besitz.

Und hier ein Wort an euch, ihr Frauen, die ihr so oft erbarmungslos das Mädchen beurtheilt, dem ein anderes Loos als euch zugefallen. Was euch frischer und liebevoller erhält, das ist nicht vielleicht euer größerer Verstand oder euer liebevolleres Herz, sondern der unschuldige Zauber der Kinderwelt, die euch umgibt. Wie viele von euch wären grämlich und verknöchert, kalt und unfreundlich geworden, wie so manche unter euren unverheiratheten Mitschwestern, wenn dieser Zauber euch gefehlt hätte! Das ist der wahre und gerechtfertigte Schmerz des ehelosen Standes, daß die Mutterfreude und das Mutterglück ihm fehlen. Gänzlich fehlen? O nein! Die versagte Liebe, welche die Wunde schlägt, kann sie auch wieder heilen. In der Kinderwelt rinnt der Born, der ewige Frische und Gesundheit verleiht, und die unverheirathete Frau ist sehr wohl im Stande, sich der Jugend eben so unentbehrlich zu machen, wie die eigene Mutter. Aber um dieses zu erreichen, müssen sie ihre Bildung, ihr Wohlwollen, ihr geläuterter Geschmack dem heranwachsenden Geschlechte nahe stellen; als Beschützerin, als Erzieherin und Freundin desselben erringt sie sich Mutterrechte, und ihre Mühe wird reichlich belohnt durch den unausbleiblichen Segen jeder liebevollen Thätigkeit.[221] Und dies ist es noch nicht allein. Tausend Waisen, tausend Kinder der Armuth strecken hülfeflehend ihre Arme nach jenen Kinderlosen aus, die so häufig an Katzen und Schooßhündchen ihr Wohlwollen verschwenden und ihre irdischen Güter nur zur Befriedigung von Launen und Eitelkeiten benützen. Diese Kinder können euch ganz und ungetheilt gehören. Liebet sie, bildet sie zu tüchtigen Gliedern der Gesellschaft, und ihr thut mehr als die wirkliche Mutter, von der es ja kein Verdienst genannt werden kann, daß sie das eigene Kind liebt und erzieht.

Ja, das Gefühl der Mütterlichkeit muß im Herzen jedes Mädchens geweckt und gepflegt, mit geistiger Bildung, mit praktischer Tüchtigkeit verbunden werden. So steht es dann gewappnet da, gegen jeden inneren Feind und braucht die Tage nicht zu fürchten, von denen es heißt, sie gefallen uns nicht. Wie sollten Bitterkeit und Grämelei Raum finden in einem Herzen, das für das allgemeine Gute schlägt, wie könnten sie einen Geist verdüstern, der sich nützlich zu beschäftigen und alles Schöne zu genießen und zu schätzen weiß?

Aber um dieses Ziel zu erreichen, muß man auch das jüngste Mädchen darauf hinweisen, daß es viel länger alt, als jung sein wird. Die Kunst, mit achtzehn Jahren zu gefallen, ist klein, aber der Zweck unseres Lebens geht dahin, erst dann in reinster Schönheit zu glänzen, wenn die Rosen auf den Wangen anfangen zu erbleichen.

Welche traurigen Folgen die Thatlosigkeit des weiblichen Geschlechts in späteren Jahren für dasselbe hat, ist genugsam bekannt, wir brauchen sie nicht aufzuzählen. Aber gar nicht zu berechnen ist es, welche wichtige Folgen für die Umgestaltung des socialen Lebens es haben wird, wenn alle diese ruhenden Kräfte in Bewegung gesetzt[222] würden. Wir sagten es vorhin schon, daß die Ehe immer eine gewisse Beschränkung in sich schließe, und von der Frau und Mutter, welche innerhalb ihres Hauses ihre Pflicht erfüllt, können wir eine unmittelbare Einwirkung auf die Gesammtheit mindestens nicht fordern, sie gehört zuerst und vor allen Dingen dem Hause an.

Anders ist es mit dem Mädchen. Es kennt keine Schranke für seine Thätigkeit, als diejenige, welche die Weiblichkeit ihm zieht, und innerhalb derselben wachsen und erweitern sich seine Aufgaben, von Tag zu Tag. Es ist fast wunderbar zu nennen, wie es den Zeitgenossen mehr und mehr gleich Schuppen von den Augen fällt, daß man eine unendlich lange Zeit hindurch, tüchtige und edle Kräfte nutzlos verkommen und verderben ließ, die so erfolgreich im Interesse der ganzen Gesellschaft verwendet werden könnten. So kam, was kommen mußte; wie aus der rechtlichen, so auch aus der geistigen und praktischen Unmündigkeit werden die Frauen unserer Tage erlöst durch Bestrebungen, die ganz besonders dahin gerichtet sind, der Frau, die im ehelosen Stande lebt, und die in Folge dessen, in gewissem Sinne, sofern sie nicht den arbeitenden Klassen angehörte, nur zu oft für eine halb Ausgestoßne, oder für ein sehr überflüssiges Wesen galt, würdige und lohnende Gebiete der Thätigkeit zu erringen.

Zahlen und Thatsachen haben es bis zur Genüge erwiesen, daß ein hoher Procentsatz von Frauen, in manchen Ländern mehr, in Andern weniger, unverheirathet bleiben muß, ganz besonders aber wird dies in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten der Fall sein, in Folge der mörderischen Kriege, welche wir durchgemacht haben. So schwindet unter dem Zwange der Nothwendigkeit von Tag zu Tag mehr das Vorurtheil, der Kasten-[223] und Standesgeist, der es mit dem Wesen und der Stellung eines gebildeten Mädchens aus den besseren Ständen, für ganz unvereinbar hielt, daß sie sich durch eigne Arbeit und Anstrengung eine selbstständige Stellung und Subsistenz gründete.

Ohne daß damit die Würde der Ehe im Geringsten angetastet wäre, schwindet in weiterer Folge dessen, mehr und mehr die krankhafte und hastige Sehnsucht, dieselbe unter jeder Bedingung abzuschließen, und indem das Herz sich schon frühe an die Vorstellung gewöhnt, daß ihm möglicherweise die Befriedigung durch die Liebe versagt bleiben kann – ein Gemüthszustand, der durch ernste und von sich selbst abziehende Arbeit, bedeutend unterstützt ist, wird sein unruhiges Pochen nicht mehr so viele Frauenleben nutzlos vergiften, so manche blühende Gesundheit untergraben.

Je schärfer diese Richtung sich entwickelt, je mehr Frauen durch sich selbst unabhängig werden können, je mehr ist allerdings zu erwarten, daß sie manches sogenannte Poetische abstreifen, und an dessen Stelle ruhige Sicherheit und Klarheit treten werden. Es mag dem Manne dann wirklich schwerer werden, solche Frauen zu umwerben, und zu freien – um so besser aber auch für ihn! An dieser Stelle mag aber auch zugleich daran erinnert werden, wie keineswegs und zu allen Zeiten der ganze Schwerpunkt des weiblichen Lebens innerhalb der Ehe gesucht wurde, wie ganz besonders erst in den letzten Jahrhunderten sich diese Ansicht entwickelt hat. Man darf sich nur die Zustände des Mittelalters zurückrufen, wo eine Menge von reichen oder vornehmen Frauen sich freiwillig in die Klöster zurückzogen, um hinter deren schützenden Mauern, sich nicht der Trägheit oder dem Ascetismus hinzugeben, sondern Kunst und Wissenschaft[224] zu pflegen, sich dem Lehramte, der Krankenpflege, der Fürsorge für die Armen zu widmen. – Abgesehen von dem, was die Schwärmerei des Zeitalters dazu beitragen mochte, war also doch ein Zustand anerkannt, der neben der Ehe für vollständig berechtigt und ihr ebenbürtig galt und Niemand hat dies schöner ausgedrückt, als Göthe, wenn er von seiner Schwester Cornelia sagt, daß sie ihm immerdar weniger geeignet erschienen, einen Hausstand zu gründen, sondern als die Aebtissin einer schönen, für allgemeine Zwecke thätigen Gemeinschaft zu wirken.

Es war unserer Zeit aufbehalten solche Gemeinschaften neu in's Leben zu rufen, Thätigkeiten und Beschäftigungen für die Frau zurückzufordern, denen sie einst im Kloster obgelegen und deren sie vielfach mit dem Kloster verlustig gegangen ist. Aber nicht mehr hinter dumpfen Mauern soll diese Thätigkeit sich bergen, nicht mehr durch äußere, einengende Formen, durch bindende Gelübde soll sie ihre Trägerinnen von dem großen Ganzen abschließen, sondern in freier Entfaltung ihrer Kraft sollen sie sich rühren und regen dürfen. – Im frischen Getriebe des Lebens, ohne sich durch Formeln zu binden, durch Vorurtheile beschränken zu lassen, soll dergestalt der unverheiratheten Frau ein Dasein zubereitet werden, das ihr einestheils unabhängigen Lebensunterhalt, anderntheils Selbstbefriedigung, und durch diese Glück und Ruhe verleiht. –

Die Krankenpflege, der Beruf der Lehrerin und Erzieherin im weitesten Sinne, des Arztes für Kinder und Frauen, die Pflege der Künste, wissenschaftliche Studien, die Beschäftigung mit gewerblichen Arbeiten und kaufmännischen Obliegenheiten – dieses ganze weite Feld der Arbeit, und vielleicht noch mehr ist Heute den Frauen aufgethan, oder wird es in[225] kurzer Frist für sie sein, neben solchen Gebieten und Erwerbszweigen, die sie schon besessen haben, die sich in natürlichster Weise aus ihrem nächsten häuslichen Berufe ergeben, und die noch weit mehr, als es bis jetzt geschieht, von ihnen könnten ausgenützt werden. – Wahrlich, es ist ein Glück Heute jung und im Vollgefühl seiner Kraft dazustehen, hineinzugreifen in das neu Gebotne und sich tüchtig zu machen für den Kampf um das Dasein.

Eine Welt von Sorge, Elend und Kummer sehen wir vor unsern Blicken hinwegschwinden, wenn wir in die Zukunft des weiblichen Geschlechtes schauen, das endlich den Hafen zu erreichen scheint, wo auch ihm die Gewähr vollen, menschenwürdigen Daseins geboten wird, geboten nicht durch Phantasterei, hohle Ansprüche und kindische Träume, sondern durch Arbeit, Fleiß und Tüchtigkeit! Zwar fehlt es auch Heute noch nicht an einer genügenden Zahl von Widersachern, welche lieber das eben Gesagte als Phantasterei deuten, als dessen Wahrheit anerkennen möchten, aber sie werden mehr und mehr widerlegt durch das Drängen der Nothwendigkeit. Man darf es freilich nicht übersehen, wie dieser Widerstand häufig aus der Furcht entspringt, das Familienleben könne unter solchen Bestrebungen leiden, es könne sich der jungen Frauenwelt eine Sucht nach Gewinn, ein sich Loslösen von den Pflichten des Hauses bemächtigen, welches wiederum auf Irrwege führen, welches die weibliche Natur entarten machen könnte. – Wir dürfen es nicht verschweigen, daß wir früher selbst ähnliche Befürchtungen gehegt, und wir haben damals in diesen Blättern denselben Ausdruck gegeben, indem wir das junge Mädchen dringend warnten, sich nicht ohne Noth den Anforderungen der Familie zu entziehen. – Aber wir leben in einer Zeit, wo die nackte Wirklichkeit unerbittlich[226] und schonungslos auf ihre Anerkennung dringt, und auch wir konnten uns derselben nicht länger entziehen. Man muß es eingestehen, daß das Familienleben unendlich viel Schönes aber auch unendlich viel Jammervolles in sich birgt, und seine traurigsten Erscheinungen sehen wir verkörpert in jenen überflüssigen, oder halb abgestorbnen, weiblichen Sprossen, die nicht mehr in dessen Rahmen passen, oder sich darin in Folge mangelnder Beschäftigungen zum Sterben unglücklich fühlen. Dazu gesellen sich denn noch in unzähligen Fällen Entbehrung, Nahrungssorge und die lächerlichen Bemühungen, seine wahren Verhältnisse den Augen der Oeffentlichkeit zu verbergen. O, man muß mit allen diesen Factoren rechnen, um es gradezu als eine Erlösung der unverheiratheten Frauenwelt zu begrüßen, daß man diese Zustände offen beleuchtet und daß man ihnen die Möglichkeit gibt, sich denselben für die Zukunft zu entziehen. – Darum mögen wir doch unsere frühere Warnung noch einmal wiederholen und dem jungen Mädchen an's Herz legen, daß es seine heimathliche Stätte möglichst lange behaupte, wo nicht die Nothwendigkeit es hinausdrängt, oder die Ausbildung eines besondren Talentes seine ganze Kraft in Anspruch nimmt.

Ueberdem erlaubt es die Elasticität der Frauennatur sehr wohl, daß sie mit mäßigen häuslichen Pflichten in glücklicher Weise Studien und ernstere Beschäftigungen verbindet; ja wir behaupten, daß Mädchen, denen durch eine Reihe von Jahren hindurch, ein solcher Bildungsgang gestattet ist, die Edelsteine ihres Geschlechtes repräsentiren. Auf sie paßt nach wie vor des Dichters Wort:


»Wenn die Rose selbst sich schmückt,

Schmückt sie auch den Garten!«[227]


Schmückt ihn durch Geist und Grazie nicht einen kurzen Frühling nur, sondern ein ganzes Leben lang. –

Es ist gar nicht zu läugnen, daß die Hauptschwierigkeit der Frauenfrage, in der Entscheidung gipfelt, ob man die Tochter ganz ebenso, wie den Sohn, in frühen Jahren, für eine selbstständige Lebensstellung heranziehen und fertig machen, oder ob man sie vorerst für das Haus und die Ehe erziehen soll. Ja, wenn eine gütige Fee uns im Voraus sagte, ob das Mädchen heirathen wird, oder nicht, oder wann dies geschehen soll, und ob sie dann auch als Frau und eventuell als Wittwe ganz sicher ist, bis an ihr Lebensende versorgt zu sein. – So einfach diese Fragen lauten, so komplicirt ist ihre Lösung. Wir haben so weit unser Einsehen reicht, schon an andern Stellen die theilweise Antwort darauf gegeben, indem wir es mit der größten Bestimmtheit betont, daß jedes Mädchen, vornehm oder gering vorerst zu seinen häuslichen und weiblichen Pflichten angehalten werden müsse, aber in nachdrücklicherer Weise, als dies seither geschehen. Wer wirklich für die schwierigen Aufgaben des ehelichen Lebens genügend vorbereitet ist, der ist es auch zugleich für eine Menge anderer Erwerbszweige im Allgemeinen, und hat mit 18, 20 Jahren, oder auch später noch lange Zeit sich Einem derselben insbesondre zu widmen und ihn sich anzueignen. – Hat aber ein Mädchen das obenerwähnte Lebensalter erreicht, so muß gewiß nicht ihr ferneres Geschick dem blinden Spiel des Zufalls überlassen, sondern ernstlich mit ihr darüber zu Rathe gegangen werden, wie sie ihr Leben sich gestalten will.

Besondere Neigungen, Fähigkeiten, namentlich aber die äußeren Verhältnisse werden dann das entscheidende Wort sprechen. Sind Letztere nicht sehr günstig, so ist[228] es doch eitel Thorheit die Hände in den Schoß zu legen, das Mädchen, neben dem vielleicht noch drei bis vier heranwachsende Schwestern stehen, von denen Eine genügt, die häuslichen Pflichten neben der rüstigen Mutter auszufüllen, auf einen Mann warten und die beste Jugendzeit ungenützt für sie vorübergehen zu lassen. Sie lasse sich dann nicht beirren, durch Spötter und Schönredner, sondern wähle sich denjenigen Beruf, der ihr am meisten zusagt und dem sie sich gewachsen fühlt. Sollte sie diesen dann später doch noch mit der Ehe vertauschen, nun wir sind dann fest überzeugt, daß ein Mädchen, das an regelmäßige Arbeit und Pflichterfüllung gewöhnt ist, immer noch eine zehnmal tüchtigere Frau gibt als diejenige, die »in süßer Weiblichkeit«, bei Putz und Tand nutzlos daheim geblieben. – Liegen die Verhältnisse aber günstig, fühlt die Tochter nicht ganz besondre Neigungen und Talente in sich, denen sie sich widmen möchte, o, dann bleibe sie ruhig an der Stätte ihrer Geburt, dann lebe und arbeite sie für die Familie, bis ein Gatte sie heimführt, oder der Kreis sich auflöst, dem sie angehörte. Sie, die bis dahin eine gute Schwester und Tochter gewesen, sie wird dann auch im höheren Lebensalter und in ausgedehnteren Gränzen, genügende Arbeit, eine ihr zusagende Beschäftigung finden.

Diesen reiferen Frauen aber, die nach außen hin in gesicherten Verhältnissen leben, ihnen fällt vorerst die Sorge für ihre Mitschwestern zu und ihnen muß es eine heilige Pflicht sein, mitzuarbeiten an dem Werke, das Jenen gleichfalls die Garantie eines würdigen, vor Noth und Entbehrung geschützten Daseins bieten soll. Fern vor allem sei Euch darum jener Egoismus, der Heute noch so viele Frauen kennzeichnet, welche »die Mühsal des Erwerbens, den Schmerz des Entbehrens«,[229] nicht kennend, sich auf ihre unangetastete »Weiblichkeit« steifen, und hochmüthig über die Emancipationssüchtigen lächeln, welche der Wirklichkeit in's Auge sehen, und Mittel und Wege aufsuchen, denen zu helfen, die unter Zuständen leiden, die sie nicht verschuldet haben. – Noch aber haben wir der sehr großen Zahl von jüngeren und älteren Mädchen zu gedenken, die zu Hause nothwendig, ja ganz unentbehrlich sind, die dem Wohle der Familie ihre volle Arbeitskraft widmen, und dabei doch der unsichersten Zukunft entgegengehen. Sollten sie nun des bloßen Erwerbs willen, einer höheren Pflicht entsagen, sollten darum alternde Eltern und Verwandte, verwaiste Geschwister, ihrer nächsten Stützen, ihres Trostes und ihrer Pflege beraubt werden? aber hat man auch wiederum ein Recht darauf von ihnen zu verlangen, daß sie fort und fort, wie dies schon millionenfach geschehen, die Opfer des Hauses, der Familie werden sollen?

Es ist dies eine sehr ernste Frage des weiblichen Lebens, ein Conflict, der sich mehr und mehr mit der gesteigerten Erwerbsthätigkeit der Frau herausstellen muß, aber auch ihm glauben wir begegnen zu können, indem man vorzugsweise solchen Frauen alle jene Beschäftigungen zuwendet, die sich mit dem Leben im Hause vereinbaren lassen. Privatunterricht, das stundenweise Arbeiten auf Büreau's, namentlich aber das ganze Gebiet der feineren Handarbeiten – muß ihnen Gelegenheit geben, sich auch zu Hause nützlich und einträglich zu beschäftigen.

Darum ist es namentlich von hoher Wichtigkeit, daß dieses letztere Arbeitsgebiet geregelt, daß es möglichst der Speculation des Kaufmanns und Arbeitgebers entzogen werde, aber auch ebenso nothwendig, daß bei der Ausführung solcher Arbeiten jede falsche Scham bei Seite gelegt werde, daß man sich offen zu seiner Arbeit bekenne,[230] sich kameradschaftlich im Sinne der Association untereinander verbinde, und so die geheime Concurrenz verhindere, welche diese Arbeiten so furchtbar im Lohne herabgedrückt hat. Man muß namentlich Denen, die mit offnem Visir und nur im Interesse der Frauen arbeiten, auch offenen Sinnes und mit Vertrauen entgegenkommen. Man kann nach den gemachten Versuchen hoffen, daß die Verkaufsstellen für weibliche Handarbeit, wenn deren eine größere Anzahl begründet wird, darin einige Ordnung schaffen, daß sie die Uebergangsstadien zu weiblichen Genossenschaften bilden werden, welche den im Hause arbeitenden Frauen in hohem Grade zu Gute kommen können, durch geregelte, und der Arbeitszeit entsprechende Löhne. – Haben wir es aber soeben als eine höhere Pflicht der Unverheiratheten bezeichnet, sich dem Hause nicht zu entziehen und dem äußeren Erwerb nachzugehen, insofern sie dort nicht entbehrt werden kann, so erscheint es uns gleichfalls als eine heilige Pflicht der Eltern, daß sie – die Töchter, welche im Hause mit verdienen, mit erringen helfen, durch redliche Einsetzung ihrer Arbeitskraft, welche den Wohlstand desselben durch ihren Fleiß mit hervorriefen – daß sie diesen Kindern bei der Erbvertheilung den schuldigen Lohn nicht vorenthalten, daß sie, bevorzugt und entsprechend dafür entschädigt werden und nicht, wie dies so oft geschieht, das alternde Mädchen, nach dem Tode der Eltern, wo sie nichts mehr lernen, nichts mehr anfangen kann, auf die Unterstützung von Brüdern, die das Erbe mit ihr theilen und schmälern, oder von Verwandten angewiesen ist. Ach, von wie vielen Seiten wir auch nun schon das Frauenloos beleuchtet, wie rücksichtslos wir ihnen selbst die eigne Trägheit und Frivolität oft vorgeworfen haben – es bleiben immer noch dunkle, unverschuldete[231] Stellen genug darin, die nur durch unablässiges Arbeiten an sich selbst und für die Andern, können aufgehellt werden. – Wir sollten vielleicht, ehe wir dieses Kapitel schließen, noch näher auf die Berufsarten eingehen, welche sich namentlich für Frauen der höheren Stände eignen, aber einestheils ist darüber in diesen Blättern schon Manches gesagt, anderntheils würden die Einzelheiten hier viel zu weit führen. Wir verweisen darum Diejenigen, welche sich näheren Rath wünschen, auf ein kleines, von uns soeben erschienenes Werkchen, welches diese Frage näher behandelt, und dessen Titel unten angegeben ist.3

Ehe wir jedoch von diesem Thema scheiden, erinnern wir noch einmal die vom Schicksal bevorzugten und durch einen besonderen Beruf nicht gebundenen Frauen, an die Sorge für unsere ärmeren Mitschwestern, die häufig eben so schwer als wir, unter dem Fluche einer schlechten oder gar keiner Erziehung leiden, eine Aufgabe, deren Wichtigkeit wir in einem früheren Kapitel schon ausführlicher besprochen haben. Das Loos dieser Frauen können wir ihren gebildeten und vermögenden Mitschwestern nicht dringend genug an's Herzlegen!

Wir konnten auch hier nur andeuten, nur anregen, aber das Gesagte muß hinlänglich zeigen, wie unendlich viel es für die weibliche Hand zu thun gibt, welche nicht in träger Ruhe erschlafft und welche Quellen der Befriedigung jenen Herzen strömen, die nicht in selbstsüchtiger Einseitigkeit und Kälte sich den Bedürfnissen der Menschheit verschließen.

Noch einmal rufen wir's mit aller Macht dem alternden Mädchen zu, was Göthe's Iphigenia mit schmerzlichster Wehmuth ausspricht:


Ein unnütz Leben ist ein früher Tod![232]

3

Mentor. Was sollen wir werden? Ueber weibliche Berufsarten, von Luise Büchner. Darmstadt, Karl Köhler.

Quelle:
Luise Büchner: Die Frauen und ihr Beruf. Leipzig 41872, S. CCXX220-CCXXXIII233.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden

Warum Gott Mensch geworden

Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.

86 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon