Ueber den weiblichen Unterricht

[101] »Die Töchter sind doch ebensowohl Menschen, als die Söhne!« – (Politischer Philosoph 18tes Jahrhundert.) – – – Sei es noch so wenig, was sie lernen, sei es Gedächtnißsache oder mechanische Kunstfertigkeit, komme nur Bestimmtheit, Genauigkeit, Sicherheit und Ordnung in jede Art des Wissens. Kein Unterricht darf Spiel sein, am wenigsten der Unterricht des ohnehin so leicht zerstreuten, beweglichen, flatterhaften, zum Spiel und Tändeln so geneigten Mädchens. Das aber ist die allgemeinste Sünde der Töchtererziehung und Mädchenschulen.

Niemeyer.


»Lernen denn unsre Töchter immer noch nicht genug?« wird vielleicht manche Mutter beim Lesen unsres Motto's ausrufen – »sie sitzen ja den ganzen Tag über den Büchern und auf den Schulkatalogen sind Unterrichtsgegenstände verzeichnet, deren Namen wir kaum verstehen, geschweige denn, daß wir selbst darüber belehrt worden wären!«

Dies ist wahr, die Mädchen werden heutigen Tages in vielen Dingen unterrichtet, von denen man früher nichts wußte; aber in der Hauptsache behält doch unser Motto, das wir dem trefflichen, alten Pädagogen entlehnen, heute leider noch immer so sehr Recht, als dies wohl zu seiner Zeit der Fall gewesen sein mag. Daß man jetzt im Allgemeinen mehr Werth auf tüchtige Frauenbildung legt, als früher, ist eine erfreuliche Thatsache und ebenso, daß die neuere Zeit auch dem weiblichen Auge Gebiete des Wissens erschlossen hat, welche sonst[101] fast nur den Fachgelehrten zugänglich waren, aber der Unterricht selbst – wird meist immer noch in der alten, fahrlässigen Weise betrieben. Unsere Mädchen werden fort und fort ungründlich, oberflächlich und ohne rechten Ernst unterrichtet.

Es ist nicht unsre Absicht hier die verschiedenen Methoden und Ansichten über die beste Art des weiblichen Unterrichts kritisiren zu wollen, wir halten uns nur einfach an die Resultate und fragen: auf welcher Wissensstufe stehen die Mädchen in der Regel, wenn die Zeit des Unterrichts, handle es sich hierbei nun um Institute, Fortbildungs- oder höhere Töchterschulen, als abgelaufen betrachtet wird. Daß wir hier weder Volks- noch Elementarschulen, sondern nur die höheren weiblichen Bildungsanstalten im Auge haben, versteht sich von selbst. Hat man ihnen dort nicht bloß eine gewisse Summe von Kenntnissen mühsam aufgepfropft, oder sind ihnen dieselben in einer Weise zu eigen gemacht, daß ein Ganzes daraus entstanden, welches den Keim und die Möglichkeit geistiger Fortentwickelung in sich trägt? Ist ihr Wissen nicht bloßer Gedächtnißkram, oder ist es Fleisch und Bein geworden?

Sind sie auch klar über die Dinge, welche man sie lehrte, oder hören wir nur schöne Phrasen wiederklingen, die mit mehr oder weniger Geschick zu Tage gefördert werden? – Diese Fragen sind inhaltsschwer genug und sie drängen sich jedem Vernünftigen von selbst auf. Wie lautet aber die Antwort? Sie liegt nicht weit; die jungen Damen bringen sie uns allerorten selbst bei näherer Bekanntschaft entgegen und sie klingt, leider, oft trostlos genug. Wer Gelegenheit hat junge Mädchen aus verschiednen Theilen Deutschlands kennen zu lernen und einen tieferen Blick in die Kenntnisse zu werfen, welche[102] sie sich während einer Schulzeit von 8, 9 oder 10 Jahren erworben haben, findet häufig eine seltene Uebereinstimmung mangelhafter Belehrung und daraus entspringender Unklarheit des Wissens, oder auch mitunter eine entschiedene Unwissenheit überhaupt. Wir wollen damit nicht sagen, daß sie nicht etwa in den verschiedenartigsten, ja vielleicht hie und da in sehr überflüssigen Dingen unterrichtet worden wären, daß sie nicht dicke Hefte voll gefühlvoller Aufsätze (Frühlingsempfindungen, Kirchhofsgedanken oder eine Abhandlung über die Gründe der Eitelkeit u.s.w. u.s.w.) ja, vielleicht auch ein selbstverfaßtes Gedicht in ihren Schulmappen aufbewahrten, daß sie nicht ein fix und fertiges Urtheil über Schiller im Munde führten und erklärten, sie könnten nur noch Göthe lesen und was dergleichen mehr ist.

Als ein Hauptfehler in der Organisation unserer meisten Töchterschulen ist es hervorzuheben, daß man darin zu viele Fächer auf einmal lehrt. Wie manchmal rühmen es alte, oder ältere Frauen, wie sie in ihrer Jugend allerdings weit weniger gelernt, als das jüngere Geschlecht, wie sie aber das Gelernte viel gründlicher in sich aufgenommen, ja, wie sie jetzt noch in Geographie, Geschichte u.s.w. manchmal besser Bescheid wüßten, als die Töchter und Enkelinnen. Dies erklärt sich vollständig als richtig und wahr, wenn man überlegt, wie jetzt eine Menge von Dingen gelehrt werden – denken wir nur an die Sprachen, die Naturwissenschaften u.s.w. – welche früher auf den Schulplänen fehlten; dies wäre nun gewiß kein Schade, wenn im Verhältniß damit auch, die Unterrichtszeit gewachsen wäre. Diese jedoch ist bis heute, namentlich in Süddeutschland dieselbe geblieben, wie vor achtzig und hundert Jahren, und nun sollen in nicht mehr Zeit doppelt so viele Fächer überwältigt[103] werden, als früher. Es ist platterdings unmöglich, daß dabei Ersprießliches heraus komme; weil zuviel in zu kurzer Zeit gelernt werden soll, wird nichts mehr gründlich gelernt und wir meinen unbedingt, man sollte, überall, wo man die Unterrichtszeit nicht verlängern kann oder will, den Lehrstoff wieder beschränken, denn besser wenig und gut, als viel und schlecht. Was nützt es z.B. wenn in einer Schule, die mit der üblichen Confirmationszeit aufhört, das Französische und Englische zugleich gelehrt wird? Es heißt dies nur Wasser in ein Sieb schöpfen, denn wenn die Schülerin die Schule verläßt, versteht sie von beiden Sprachen doch kaum mehr als das A. B. C. und hat anderes Wichtigeres darüber versäumt. –

O, es wird längerer Zeit bedürfen, bis die Bildungsfehler, welche solche einseitige Entwicklung der Mädchenschule schon seit einer Reihe von Jahren angebahnt und ausgeprägt hat, wieder beseitigt sind; bis wir die Oberflächlichkeit ausgemerzt haben werden, die dadurch vielfach bei der jetzt lebenden Frauenwelt erzeugt wurde. –

So wagen wir denn zu behaupten, daß meist nur der Schein der Bildung an den Ausgangspforten fast aller unsrer höheren weiblichen Institute und Schulen zu finden ist und noch dazu häufig mit einer unangenehmen Prätension verbunden. Selbst der Einwurf, daß es überall wirklich gebildete Frauen gäbe, kann hier nicht gelten. Die strebenden und denkenden Frauen sowohl unsrer als früherer Tage, verdanken ihre gründlichere Bildung nur in den seltensten Fällen der Belehrung, die sie in der Schule empfingen. Entweder ward ihnen dieselbe durch glückliche häusliche Verhältnisse vermittelt, oder sie haben sie sich erst später durch eigne Kraft und Anstrengung[104] erworben, mit manchem vorwurfsvollen Rückblick nach der schlecht genützten Schulzeit und manchem sauren Schweißtropfen des früher Versäumten nachzuholen. Diese Beispiele könnten den hinlänglichen Beweis liefern, daß der Fehler keineswegs in der weiblichen Natur überhaupt zu suchen ist, wohl aber darin, daß man dieser Natur nicht auf die richtige Weise entgegenkommt.

Es ist wahr, daß der weibliche Geist von sich selbst, leicht zu einer gewissen Oberflächlichkeit hinneigt, statt nun diese um so entschiedner durch Ernst und Gründlichkeit zu bekämpfen, geht man im Gegentheil bei dem Unterricht meist noch recht darauf ein und sucht den Mädchen so viel es möglich jedes eigene Nachdenken und jedes tiefere Ueberlegen zu sparen. Kann aber ein Kind je laufen lernen, wenn man es fortwährend am Gängelband führt? So wiegen auch bei der Frau das Gefühlsleben und die Regsamkeit der Phantasie in der Regel vor; anstatt nun diesen Anlagen durch eine sorgfältige und wohlgeordnete geistige Entwicklung ein heilsames Gegengewicht zu setzen, was dann den Ersteren grade ihren größten Reiz verleiht, steigert man sie im Gegentheil absichtlich und geflissentlich durch einen einseitigen und oberflächlichen Unterricht. Jedermann weiß, daß die Frauennatur das große Talent besitzt Fremdes rasch aufzufassen und in leichter, ansprechender Form zu reproduciren, sollte man also diese gefährliche Gabe nicht eher zu beschränken suchen, indem man grade bei den Mädchen unnachsichtlich auf Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit im Lernen dringt? Statt dessen bildet man nur vorzugsweise das Gedächtniß aus, belastet es mit einem Kram von nur halb oder gar nicht verstandnen Dingen und ruft so ganz natürlicherweise und besonders bei begabteren Naturen jene schöne Phraseologie hervor, hinter[105] welcher wenig genug steckt und die wir so häufig bei jüngeren und älteren Damen zu bewundern Gelegenheit haben. Dies nennt man denn schließlich »auf die weibliche Natur eingehen,« und die Mädchen weiblich erziehen. Freilich ist es ein Eingehen, aber in einer verkehrten Richtung, bei welcher man trotz mannigfach ausgesprochner besserer Einsicht, noch fast überall in Mädchenerziehungsanstalten fort beharrt. Folglich entbehrt die weibliche Bildung beinahe immer einer festen, gediegenen Grundlage und gleicht sie einem Blumenbeete, welches allerdings oft in bunten Farben prangt, aber die Blüthen, die es zieren, wurzeln nicht in dem Boden, sondern sie sind nur hineingesteckt und in kurzer Frist liegen sie entfärbt und verwelkt umher. Aber das Schlimmste ist, daß auf diese Weise die wahre Gemüthsentwicklung nicht einmal gefördert werden kann, daß nur Sentimentalität und Ueberspannung dabei zu ihrem Rechte kommen. Die Entwicklung von Kopf und Herz muß miteinander gehen – erst dann ist es uns erlaubt von wahrer Bildung zu reden. –

Ein Theil der Schuld liegt an den höchst kurzsichtigen Ansichten, welche viele Eltern noch hinsichtlich der geistigen Ausbildung ihrer Töchter festhalten, aber zu noch größerem Theil liegt sie an der häufigen Unfähigkeit der Lehrenden selbst, sowohl weiblichen als männlichen Geschlechts. – Wenn der Unterricht des Knaben wie es scheint, meist durch Fachgelehrte geleitet werden muß, so erheischt im Gegentheil der des Mädchens, Lehrer und Lehrerinnen, die selbst gründlich und gewissenhaft, aber zugleich auch vielseitig unterrichtet sind. In die Einzelnheiten der Wissenschaften brauchen und sollen ja unsre Mädchen nicht eingeweiht werden, aber das Elementare höherer Unterrichtsgegenstände[106] müssen sie eben so gründlich lernen, wie der Knabe, wenn diese Belehrung ihnen nützen soll, und folglich muß dies der Lehrer auch seinerseits gründlich zu unterrichten verstehen. Ein Fachgelehrter würde und kann sich selbstverständlich dafür allein nicht hergeben, darum sollte der Frauenlehrer wenigstens einen Theil der Fächer, in welchem das Mädchen unterrichtet werden soll, umfassen und untereinander auf eine zweckmäßige Weise verbinden können. Nur so kann gelehrte Pedanterie beim weiblichen Unterricht vermieden und doch gewissenhafte Gründlichkeit gepflegt werden. Wo finden sich aber nun solche Frauenlehrer? Wo sind die Persönlichkeiten, welche außer ihrem Specialfach noch so viel allgemeine Bildung besitzen, daß sie im Stande sind, mit Leichtigkeit, Ernst und Gewissenhaftigkeit, den weiblichen Unterricht, nicht blos mechanisch mit dem ersten, besten Buch in der Hand, sondern so zu leiten, daß auch wirklich ein Resultat dabei erzielt wird? Wir kommen später auf diese Frage zurück, und sagen für jetzt nur so viel, daß, wenn jeder Lehrer, also auch der Knabenlehrer, immer in des Wortes vollster Bedeutung ein gebildeter, d.h. ein vorurtheilsloser, geistig frei entwickelter Mensch sein sollte, ein wirklich tüchtiger Frauenlehrer, oder eine Lehrerin, gar nicht anders gedacht werden können, wenn sie ihren Schülerinnen ächte Bildung vermitteln sollen.

Einer der größten Nachtheile der männlichen Fachbildung ist es gewiß, daß sie nur zu häufig in einer völlig einseitigen Richtung verläuft; ja, daß sogar diese Richtung eine Zeitlang für jeden Einzelnen consequent eingehalten und jede Zersplitterung nach anderen Seiten hin ferngehalten werden muß, wenn der Mann auf der von ihm erwählten Bahn Tüchtiges leisten soll. Es ist[107] dagegen der schöne Vorzug der weiblichen Bildung, daß sie sich nach allen Seiten hin ausbreiten darf, daß sie das, was ihr an Tiefe der Gelehrsamkeit abgeht, durch harmonische Abrundung auf's wohlthuendste ersetzen kann. Aber es ist grundfalsch, daraus zu schließen, daß darum auch die Art des Unterrichts bei den Mädchen eine Andere sein müsse, als bei den Knaben. Es kann nie der Zweck der Belehrung sein, uns nur ein Stück Bildung fix und fertig auf den Lebensweg mitzugeben, wie man etwa einen Speise-Vorrath auf eine Reise mitnimmt. Aber grade so wird sehr häufig der weibliche Unterricht betrieben. Man gibt den Frauen bei deren Belehrung, die doch so unendlich wichtig für ihre spätere, geistige Entwicklung ist, gewöhnlich nur das Resultat einer Sache, aber nicht deren Anfangsgründe und Entwicklung. Wir lernen eine Menge von Dingen, die wir in kürzerster Frist wieder vergessen haben, weil sie vor unserem geistigen Auge gewissermaßen nur in der Luft schweben, da wir nie deren Ursache und inneren Zusammenhang erfahren. Mit Nebenwerk und Aeußerlichem wird unser Geist beschwert, aber den Kern, das Wesentliche eines Gegenstandes macht man ihm selten klar.

Viele Männer werden nun behaupten, die Frauen sollten dankbar dafür sein, daß man es ihnen so leicht mache, sie haben aber in der That wenig Grund dazu, denn für das blos mechanische Lernen werden die geistigen Kräfte eben so sehr angestrengt, ja fast noch mehr, als wenn man sie von früh auf daran gewöhnt, folgerecht und gewissenhaft zu denken und zu lernen. Es kann nichts Unzweckmäßigeres geben, als das Unterrichten höherer Gegenstände ohne eine genaue elementarische Basis. So baut sich ohne inneren Halt und Zusammenhang[108] die Wissensmauer unseres Geschlechtes auf, ohne tüchtige Grundlage, und darum ist sie so häufig schon von vornherein durchlöchert und unsicher. Einige Jahre der Zerstreuung, des Nichtlernens zerstören sie fast von Grund aus, und diejenige Frau, bei welcher in reiferen Jahren der Trieb nach geistiger Beschäftigung und Thätigkeit wieder erwacht, muß von Neuem anfangen aufzubauen, ohne mehr die Frische und Elasticität des jugendlichen Geistes zu besitzen.

Wir sprechen hier den Schmerz und das Leid einer Menge jüngerer und älterer Frauen aus, die sich bei ihren späteren Studien fortwährend bemühen müssen, Versäumtes nachzuholen, und die oft nach den Schulbüchern ihrer Knaben oder jüngeren Brüder greifen, nur um sich erst klar über die einfachsten Grundzüge des Gegenstandes zu machen, mit dem sie sich beschäftigen. Allein nicht alle Frauen sind wahrheitsliebend und gewissenhaft genug, um auf diesen ehrlichen Standpunkt zurückzukehren, und Vielen wird dies auch später durch andre Pflichten und Verhältnisse unmöglich gemacht.

Wenn wir den durchschnittlich tüchtigen Elementar-Unterricht der Volksschulen eines großen Theiles von Deutschland betrachten, so ist es uns unbegreiflich, weßhalb man sich diesen nicht bei dem Unterricht der Elemente höherer Unterrichtsgegenstände zum Muster nimmt. Für jene Schulen bildet man die Lehrer methodisch aus, bezüglich höherer Anstalten, die doch mindestens eine ebenso wichtige Aufgabe zu erfüllen haben, stellt man an die Lehrer und Lehrerinnen die Anforderungen sehr viel geringer. Wollten diese dann nur wenigstens ihrerseits einsehen, wie sie sich selbst und der Schülerin die Aufgabe erleichtern, wenn Letztere klar und deutlich begreift, was sie denn eigentlich lernen soll. Die meisten Kinder[109] lernen im Grunde gern, und wenn in einer Schule viel über Faulheit und Nachlässigkeit der Schüler geklagt wird, so ist in den meisten Fällen die Art des Unterrichts daran schuld. Je zusammenhängender, je gründlicher, je verständlicher ein Gegenstand gelehrt wird, um so mehr fesselt er die Aufmerksamkeit der Lernenden. Man sporne sie unter weiser Nachhülfe zum eignen Nachdenken und Ueberlegen an, und sie werden die schwierigste Arbeit liebgewinnen. Je leichter man es hingegen den Lernenden machen will, um so schwerer macht man es ihnen in der That. Jede mechanische Art, die Geisteskräfte zu bilden, jede Uebung, die nur den Zweck hat, die Phantasie und die Gewandheit im Ausdruck zu entwickeln, ist verwerflich. Weder Knabe, noch Mädchen sollten je etwas lernen, noch sollten sie Themata's schriftlich bearbeiten, welchen sie nach dem Grade ihrer geistigen Entwicklung noch nicht gewachsen sind. Es ist eine unsägliche Qual für das Gedächtniß, unverstandene Dinge, seien sie nun weltlichen oder religiösen Inhalts, sich einzuprägen und festzuhalten, und die mechanische Fertigkeit, welche von vielen Kindern schließlich darin erworben wird, ist für ihre spätere, geistige Entwicklung oft weit mehr ein Hinderniß, als eine Förderung. Nicht minder unzweckmäßig ist es, Kinder oder Heranwachsende schriftlich Betrachtungen und Vergleiche anstellen zu lassen, denen sie noch lange nicht gewachsen sind, oder sie Empfindungen aussprechen und schildern zu lassen, welche sie natürlicherweise noch gar nicht, oder nur sehr dunkel gehabt haben können. Oder bedarf es nicht etwa fast der Feder eines Philosophen oder Dichters, um »den Unterschied zwischen Seelenstärke und Charaktergröße« festzustellen, »die Ursachen der Sentimentalität« zu erforschen, oder auch »die Gefühle[110] am Grabe geliebter Eltern«, welche das glückliche Kind noch frisch und gesund bei sich sieht, zu schildern? Diese Beispiele sind aus dem Leben gegriffen, und wir könnten sie noch um Viele vermehren. Es ist wirklich ebenso komisch als traurig, wenn man einen Blick auf solche verkehrte Themata's zu Schulaufsätzen wirft, die leider fast überall an der Tagesordnung sind, und gegen welche häufig genug die gesunde Vernunft der Schüler und Schülerinnen mit Strömen von Thränen protestirt. Sie müssen, wenn sie ehrlich sein wollen, entweder schlechte Arbeiten liefern oder sich von Erwachsenen helfen lassen. Ob Beides dem Zweck, eine gesunde geistige Entwicklung anzubahnen, entsprechend ist, kann Jedermann selbst entscheiden.

Außerdem ist aber auch nichts so sehr geeignet in einer Mädchenerziehungsanstalt den Ehrgeiz und die Eitelkeit aufzustacheln, als die Bearbeitung von derartigen, unangemessenen Aufgaben. Eine sucht die Andere an schönen Phrasen zu überbieten und die Phantasie wird auf Kosten des Verstandes unmäßig gesteigert. Diejenigen Gegenstände, welche in einer tüchtigen Schule gelehrt werden sollen, so wie die Eindrücke und Anschauungen, welche das junge Mädchen durch ihr eignes Leben empfängt, bieten genugsamen Stoff zu schriftlichen Arbeiten dar, und eine solche Arbeit wird zugleich immer den sichersten Beweis liefern, ob sie ihren Gegenstand auch klar und deutlich erfaßt hat. Bei positiven Dingen schlüpft man mit schönen Redensarten nicht durch und die weibliche Jugend soll ja nicht zu Schriftstellerinnen sondern zu einfachen, wahrhaft gebildeten Menschen erzogen werden. Der Unterricht kann nie und nirgends Selbstzweck, er kann immer nur das Mittel zu einer höheren, geistigen Entwicklung sein. –[111]

Eine andre große Schattenseite unsrer meisten Erziehungsanstalten, ist außer der Ungründlichkeit und Zusammenhanglosigkeit auch noch die mangelnde Individualisirung des Unterrichts. Leider ist die Schülerzahl oft so groß, daß es dem Lehrer kaum möglich ist, den Leistungen der Einzelnen zu folgen und es ist häufig nicht seine Schuld, wenn er gegen die Vorschrift des alten Quintilian handeln muß, der da sagt: »Ein guter Lehrer wird sich nicht mit einem größeren Schwarm belasten, als er bewältigen kann!« Doch kann uns diese Rücksicht nicht hindern, den großen Mangel und den Schaden, welcher daraus erwächst hervorzuheben. Einestheils gibt es viele Fälle, wo diese Entschuldigung nicht ausreicht und anderntheils ist das Faktum selbst für den Lernenden zu traurig, als daß es übergangen werden dürfte. Bei allem Respekt, welchen man dem schwierigen Beruf des Lehrers schuldig ist, darf man doch nie übersehen, daß der Lehrer für die Schule da ist, und die Schule nicht wegen des Lehrers. Jeder seiner Schüler hat das gleiche Recht auf Belehrung. Hat nun aber ein wenig begabtes, oder wenig entwickeltes Kind in der ersten Stunde nicht recht begriffen, um was es sich handelt, so ist es natürlich in der folgenden unklar, in der dritten verwirrt und in der vierten völlig unaufmerksam, weil der Gegenstand von dem die Rede ist, für sein Fassungsvermögen gar nicht mehr existirt. Auf diese Weise entwickelt sich viel Faulheit und Unaufmerksamkeit, die nicht vorgekommen wäre, wenn der Lehrer, oder die Lehrerin in ihrem Unterricht nicht weiter gingen, ehe sie sich vollkommen überzeugt, ob auch jeder ihrer Schüler oder Schülerinnen, ihre Aufgabe richtig aufgefaßt und begriffen hat. Es ist ja selbstverständlich, daß die erste Lücke, immer eine zweite, größere nach sich ziehen muß. Selbst[112] bei Knabenanstalten ist diese eben ausgesprochene Klage nur zu häufig gerechtfertigt, wie viel mehr ist sie es den Mädchenschulen gegenüber, wo nur zu oft der Grundsatz gilt: »Für die Mädchen ist das gut genug, die brauchen es nicht so genau zu wissen!« –

Es ist gewiß nicht leicht, den Lehrerberuf in dieser Weise zu erfüllen, aber doch nur für den Anfang. Der Geist einer Schule wird einzig und allein durch den Lehrer hervorgerufen und festgestellt, ihm fügen sich die Schüler, oder Schülerinnen von selbst. Der berühmte Arago hielt als junger Mann eine naturwissenschaftliche Vorlesung vor jungen Leuten. Sein Auditorium war ihm ziemlich unbekannt, er wählte sich also diejenige Persönlichkeit aus, deren Physiognomie die geringste Intelligenz bekundete. An diese wendete er sich ganz besonders und schloß aus den Antworten und dem Mienenspiel des jungen Menschen, ob ihn dieser auch richtig verstehe. Als ihm dies gelungen, war er zufrieden, denn er konnte nun überzeugt sein, ganz gewiß für den intelligenteren Theil seiner Zuhörer, klar und verständlich genug gewesen zu sein. Dieser kleine Zug sollte Allen, welche lehren, zur Richtschnur dienen. Gewöhnlich macht man es umgekehrt und so finden sich fast in jeder Schule einige Schüler und Schülerinnen, die als Muster gelten, aus deren Leistungen sich aber durchaus kein Schluß auf diejenigen der Uebrigen ziehen läßt. Der Einwand, daß begabte Kinder durch die weniger Begabten dann allzu sehr zurückgehalten würden, kann nicht wohl gelten. Das Zusammenlernen mit Andern ist zu vortheilhaft, als daß es durch diesen kleinen Nachtheil sehr beeinträchtigt würde und außerdem ist ja der Lehrer nicht gezwungen, Solche, deren Leistungen zu weit auseinander liegen, gleichzeitig zu unterrichten. –[113]

Gehen wir nun auf unser Hauptargument zurück, daß nämlich die Grundlage des weiblichen Unterrichts durchaus eine Gediegenere werden muß, so springt uns vor allen Dingen die Vernachlässigung im Erlernen der Muttersprache in die Augen. Man legt fast in allen unsern weiblichen Erziehungsanstalten immer nur den Hauptnachdruck auf die Bildung des Styls, oder besser gesagt auf die Routine im Styl, denn selbstverständlich kann ein wirklich gebildeter Styl nur auf der Kenntniß von der Construction des Satzes beruhen. Damit sieht es aber gar betrübt aus.

Wir müssen es sehr bezweifeln, ob es in Deutschland viele jungen Damen gibt, die nach Vollendung ihrer Unterrichtszeit im Stande sind, ihr eignes, schönes Deutsch nach Principien zu unterrichten. Wie gerne blicken wir naserümpfend auf die französische Bildung herab, aber so viel muß man doch den französischen Gouvernanten lassen, daß, wenn sie auch gewöhnlich sonst nicht viel wissen, sie wenigstens in der Geschichte ihres Landes und der Grammatik ihrer Sprache ganz gründlich unterrichtet sind und dieselbe auch wieder zu unterrichten verstehen. Ebenso die Engländerinnen. Da die englische Grammatik kaum eine solche genannt werden kann, unterrichtet man in England in vielen höheren weiblichen Bildungsanstalten die Schülerinnen im Latein, um ihnen einen richtigen Begriff von dem logischen Bau und Zusammenhang einer Sprache zu geben. Wie oberflächlich nimmt man es hingegen damit in Deutschland. Nur wenige gebildete junge Damen sind im Stande die richtige Analyse eines Satzes zu machen und ist es hie und da einmal der Fall, dann – haben sie es meist in der französischen Stunde gelernt! –

Mit so mangelhaften Vorkenntnissen wird dann der[114] Unterricht in fremden Sprachen begonnen. Wie es oft dabei zugeht, darüber höre man die verzweiflungsvolle Stimme englischer und französischer Lehrer, welche sich häufig noch genöthigt sehen, ihren Schülerinnen, die einfachsten etymologischen Begriffe beizubringen, die ihnen erst erklären müssen, was der Modus eines Zeitwortes, und was eine einfache und zusammengesetzte Zeit ist. Daß mithin die syntaktische Ausbildung so gut wie nicht existirt, kann sich Jedermann selbst vorstellen. Man kann sich aber auch vorstellen, wie oberflächlich und ungründlich auf diese Weise die fremde Sprache erlernt wird.

Wir besitzen eine reiche und wohlgeordnete Sprache, die sich in ihrer Construction vielfach an die alten Sprachen anlehnt, könnte man also nicht mindestens verlangen, daß die deutschen Mädchen, Grammatik überhaupt, an der Grammatik ihrer Muttersprache erlernten? Es geschieht dafür in der letzten Zeit an manchen Orten allerdings mehr als früher, aber doch noch lange nicht genug. Was die Sprachgewandtheit übt, steht in unsren weiblichen Bildungsanstalten immer noch viel zu sehr im Vordergrund. Der natürliche Zusammenhang der Sprache bleibt den Schülerinnen meist ein Räthsel und grade die Entwicklung desselben, würde ihr Interesse wecken, ihre Aufmerksamkeit fesseln, während so, wie die »Deutsche Sprachstunde« jetzt gewöhnlich betrieben wird, sie fast in jeder Anstalt ein Gegenstand des Schreckens ist.

Mit dem Geschichtsunterricht ist es nun kaum besser bestellt. Auch davon lernen die Mädchen in der Regel kaum etwas mehr, als Anecdoten und einige unzusammenhängende Einzelheiten kennen. Dies kommt daher, weil man auch hier nur selten an einem geregelten, übersichtlichen Fortschreiten festhält. Heute nimmt der Lehrer, oder die Lehrerin ein Stück römische Geschichte[115] vor, in vier Wochen ein Stück deutsche und in einem halben Jahr befinden sie sich mit ihren Schülerinnen etwa in Griechenland, oder bei den Kreuzzügen. Kann dabei etwas gründliches gelernt und Freude an der Geschichte geweckt werden? Wird dieser Unterricht auch einmal hier oder dort gründlicher betrieben, so ist es doch fast allgemeine Manier, ganze Epochen völlig zu überspringen; fünfzig, ja hundert Jahre verschwinden in unsern Mädchenanstalten aus dem Bereich menschlicher Kenntniß und in reiferen Jahren erst, finden Schülerinnen, daß während dieser Zeit auch noch etwas geschehen ist. Die »Weltgeschichten für höhere Töchterschulen,« in welchen in dieser naiven Weise ganz nach Gutdünken tabula rasa gemacht wird, sind schon längst durch bessere und gediegenere Lehrbücher ersetzt. Die Methode jedoch, nach welcher z.B. früher die Besucherinnen höherer Anstalten, von England kaum mehr zu wissen brauchten, als daß dort einmal ein König Heinrich regierte, der sechs Frauen hatte, und eine Königin Elisabeth, die der schottischen Königin Maria den Kopf abschlagen ließ, – diese dauert leider in vielen solcher Anstalten noch fort. Daß dieser König Heinrich aber außerdem der erste katholische Fürst war, welcher sich entschieden von dem Papste lossagte und so der Gründer der jetzigen englischen Staatskirche wurde, davon hören viele dieser Schülerinnen nichts, obgleich es doch bedeutend wichtiger ist, als die Geschichte mit den sechs Frauen und gar manche junge Dame redet fertig englisch, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß diese Sprache sich durch die Vermischung des angelsächsischen mit dem normannischen Idiom gebildet, und welches geschichtliche Ereigniß diese Vermischung herbeigeführt hat.

Es ist gewiß ein sehr bedeutender und nicht genug hervorzuhebender Mangel, daß man in unsern Volksschulen[116] die deutsche Geschichte, nicht lehrt, während in der Schweiz fast jeder Bauernjunge, in den protestantischen Kantonen wenigstens, seine Schweizergeschichte an den Fingern herzuerzählen weiß.

Was muß man aber dazu sagen, das es junge Mädchen aus den gebildeten Ständen gibt, die, bis zu ihrer Confirmation, in der höheren Töchterschule nicht ein einzigesmal in der deutschen Geschichte unterrichtet wurden? Wenn wir nun auch hoffen, daß solche Fälle nur sehr vereinzelt dastehen, so ist doch Grund genug um zu fürchten, daß die Zahl der deutschen Jungfrauen gering ist, welche einmal die Geschichte ihres Vaterlandes ohne Unterbrechung, in ordentlichem Zusammenhang während der Zeit ihres Unterrichts gehört haben.

Der Geschichtsunterricht kann nur dann lebendiges Interesse erwecken und Nutzen bringen, wenn er keine Lücken läßt, nicht ganze Epochen und Länder überspringt und dabei Rücksicht auf die geistige Entwicklung des Volkes nimmt, von welchem grade die Rede ist. Dieser letzte Punkt wird nun gewöhnlich fast ganz übergangen. Die jungen Mädchen hören weit mehr von den fabelhaften Thaten des Theseus und Herkules u.s.w. erzählen, als daß man ihnen nur eine Ahnung beizubringen versuchte, von dem hohen Werth der griechischen Bildung, oder der staatlichen Größe Roms. Mit Geschichtsspielereien wird die Zeit herumgebracht, mit einigen Details und zerbröckelten Thatsachen, statt daß man ihnen jene allgemeine, übersichtliche Darstellung zu geben versucht, welche, besonders in der Geschichte, jedem detaillirten Eingehen vorausgehen muß. Man beschuldige uns hier ja nicht des Haschens nach Gelehrsamkeit. Wir sind davon weit entfernt, wir verlangen nur freie Bildung und Geistesentwicklung für unser Geschlecht, und diese[117] kann nur dann erworben und gefördert werden, wenn man von Anfang an den Lernenden die Dinge in ihrer vollständigen und natürlichen Gestalt vorführt.

Die Details, welche freilich für den Augenblick amüsanter und genießbarer sind, kann man getrost späterem Selbststudium überlassen, sobald die Freude an der Geschichte erweckt und das Verständniß dafür erschlossen ist. Aber nur durch Gründlichkeit, Zusammenhang und eine verständliche Erklärung der verschiedenen geschichtlichen Begriffe kann dieses geschehen. Ohne diese Vorausbildung ist jedes spätere Selbststudium fast unmöglich, denn die Leserin wird fortwährend auf eine Menge ihr fremder Voraussetzungen und Benennungen stoßen. Die meisten Frauen schrecken vor Ueberwindung dieser Hindernisse zurück und nehmen lieber einen Roman, als ein belehrendes Geschichtswerk zur Hand, deren uns doch die neuere Zeit so viele vortreffliche und allgemein verständliche gebracht hat. Ein großer Theil dieser Frauen würde gewiß das ernstere Buch vorziehen, wenn sie es zu lesen verständen, wenn ihnen nicht die meisten Voraussetzungen, die jeder Schriftsteller, welcher für Gebildete schreibt, nothwendiger Weise machen muß, fremd wären.

Darum fürchten sie sich oft vor jeder ernsteren Lecture und jedem ernsteren Gespräch, nicht, weil ihrer Natur der Ernst überhaupt fehlt. Darum werden moderne, nach der Elle verfaßte Geschichtsromane von recht klugen Frauen und Mädchen mit so großem Eifer gelesen, weil diese ihr geschichtliches Interesse wenigstens einigermaßen befriedigen, und sie sich nicht dabei anzustrengen brauchen.

Ebenso wie die Geschichte nur ersprießlich gelehrt werden kann in allgemeiner, zusammenhängender[118] Darstellung und in Verbindung mit der Culturgeschichte der Völker, ebenso erweckt der geographische Unterricht nur dann lebendiges Interesse, wenn er sich vorzugsweise an die physischen Verhältnisse der Länder hält, an die Besonderheit ihrer Lagen und Bodenbeschaffenheit und der daraus entspringenden Beschäftigung oder Entwicklung des sie bewohnenden Volkes. Die Eintheilung der Länder und ihre Grenzen, die Lage und Benennung der Meere, Flüsse und Gebirge ist bald gelernt, und gehört eigentlich in den Elementarunterricht. Auch werden diese Dinge durch den Gebrauch der Karten dem Gedächtniß fortwährend auf's Neue eingeprägt. Statt nun daran, wie eben erwähnt, vorzugsweise den Unterricht der physischen Geographie anzuknüpfen, legt man noch viel zu häufig den Hauptwerth auf detaillirte Beschreibungen der einzelnen Städte oder Gegenden eines Landes. Als ob es den Schülerinnen den gerinsten Nutzen gewährte, die Einwohnerzahl von einer Menge von Städten zu kennen, und welche Hauptstraßen, Kirchen, Plätze und Spaziergänge sie haben. Das sind Nebendinge, die im Geschichtsunterricht sich bei jeder bedeutenden Stadt von selbst ergeben, aber daß sie oft zur Hauptsache gemacht werden, beweist wieder nur, wie sehr unsern meisten weiblichen Bildungsanstalten das rege geistige Leben fehlt, und es steht doch geschrieben: Der Buchstabe tödtet, aber der Geist macht lebendig!

Der jugendliche weibliche Geist ist eben so wenig träge und schlaff, als der männliche, er sehnt sich naturgemäß nach Nahrung und Wachsthum gleich dem Körper, aber er bedarf auch, gleich diesem, dazu einer frischen und lebendigen Kost. Es gibt kein besseres Mittel, ihn abzustumpfen, als der bloß mechanische Unterricht, das bloße Auswendiglernen, das katechismusartige Eintrichtern von Dingen,[119] die ihm weder klar, noch ansprechend, oder nicht geeignet sind, seine Fähigkeiten zu entwickeln. – Derjenige Unterrichtszweig nun, welcher wohl am geeignetsten ist, den Geist der Frische in einer weiblichen Lehranstalt hervorzurufen und zu kräftigen, ist gewiß der naturwissenschaftliche. Auch hat man ihn bereits in vielen Instituten und Fortbildungsschulen eingeführt, nur muß hier abermals über die gewöhnliche Unzulänglichkeit dieses Unterrichts geklagt werden. Es werden die Naturwissenschaften dort häufiger noch als Modesache, als eine Concession an die Anforderungen der Zeit betrachtet, wie mit dem nöthigen Ernst betrieben. Natürlich genügt es, auch hierin die Frau nur in die Hauptzüge der Wissenschaft, nicht in deren Details einzuführen. Doch zum Verständniß dieser Hauptzüge gehört die nämliche elementare Basis, deren auch der Knabe bedarf, und die ihm natürlich ohne Einwendung vermittelt wird. Nicht so bei den Mädchen. Mehr als in irgend einem andern Zweig des Unterrichts wird daran fast nur gespielt und getändelt, und wenig wirklich gelernt. Auf das Vorzeigen einer Elektrisirmaschine, eines Haarröhrchens, einiger Steine, einiger getrockneter Pflanzen und einer Aufzählung der Linné'schen Klassificationen beschränkt sich in der Regel, was wir in den Katalogen oft pomphaft genug als Physik, Mineralogie und Botanik angekündigt sehen. Wohl nur selten wird mehr geleistet. Doch scheint es uns, als ob gerade für die geistige Entwicklung der Frau eine gründlich eingehende Belehrung über die Gesetze der Natur von größter Bedeutung wäre. Auf diesem Gebiete sind folgerichtiges Denken, gewissenhafte Gründlichkeit und klare Auffassung ganz unerläßlich. Außer der Grammatik, die jedoch immer eine etwas trockene Wissenschaft bleibt, ist bei dem Unterricht des weiblichen Geschlechts[120] gewiß nichts so sehr geeignet, den Verstand und das Fassungsvermögen stetig zu entwickeln, als das Vertrautwerden mit den Gesetzen der uns umgebenden Welt und der Einblick in deren harmonische Verbindung. Aber noch außerdem wird der Frau ihre kleine Welt, in der sie so sehr berufen ist, auch praktisch zu wirken, dadurch werther und interessanter.

Alles, was sie in häuslichen Dingen zu schaffen und zu verarbeiten hat, ist chemischen und physikalischen Gesetzen unterworfen, und bei jeder Speise, welche sie zubereitet, bedarf sie die verschiedenen Erzeugnisse der Pflanzen- oder Thierwelt. Doch sonderbarer Weise sind wir Frauen über nichts schlechter orientirt, als über die Dinge, mit denen wir täglich umgehen, und es liegt darin der beste Beweis, wie sehr noch die Art unseres Unterrichts und die Lehrgegenstände abstracter Natur sind. Nun werden wir gewiß nicht behaupten wollen, daß man allein durch das Studium der Chemie könne kochen lernen, und durch das der Physik, wie man seine Wohnung rein hält u.s.w. aber die Frauen würden sich gewiß in vielen Dingen sparsamer und vernünftiger einrichten, wenn sie einige richtige Begriffe von diesen Wissenschaften hätten. Auch würde die mechanische Beschäftigung der Frau bedeutend an Reiz und Interesse gewinnen, wenn sie an ihr vergleichen kann, was sie von den natürlichen Gesetzen und Erscheinungen gelernt hat, und wenn sie sieht, wie sich diese im Kleinsten und Unscheinbarsten ebenso, wie im Größten offenbaren. Wir Frauen müssen uns oft recht schämen, wenn wir die gewöhnlichsten Erscheinungen, die uns jeden Tag vor Augen stehen, weder uns selbst noch Andern zu erklären vermögen, und dieser Mangel findet seinen Grund eben so wohl in der Unwissenheit, in welcher uns häufig der Unterricht über[121] die allernatürlichsten Dinge erhält, wie in der Unfähigkeit und Unlust, einer Sache auf den Grund zu gehen und sie sich selber zu machen, weil unsere Denkkraft nicht gehörig entwickelt ist. Gerade für diese Ausbildung im Kleinen, für die richtige Ueberlegung praktischer Dinge und dann im weiteren Sinn für die Gesundheitspflege, für eine vernünftige Zubereitung und Zusammenstellung der Speisen, eine rationelle Kinderpflege und Erziehung kann die Frau durch nichts so sehr befähigt werden, als durch einen gediegenen naturwissenschaftlichen Unterricht. Man erkennt dies auch täglich mehr an, und schon wimmelt es von Büchern, welche sich bemühen, den Frauen die ganze Summe praktischer, wissenschaftlicher Erkenntnisse mundgerecht zu machen, und Vielen schwindelt der Kopf von Stoffwechsel, Liebig'scher Fleischbrühe und chemischen Waschrecepten. Aber dies ist doch noch lange das Rechte nicht. Es ist wiederum nur ein zum Auswendiglernen fertig Gemachtes, welches viel häufiger verwirrt als aufklärt. Man höre und überzeuge sich, wie diese Dinge oft aufgefaßt, angewendet und wiedergegeben werden, und man wird uns beistimmen. Alle populär naturwissenschaftlichen Bücher, wie klar und faßlich sie auch geschrieben sein mögen, können der Frauenwelt nur dann wahrhaft nützen, können sie nur dann wirklich belehren und aufklären, wenn sie die zu ihrem Verständniß nothwendige Vorbildung besitzt. Ohne die ersten Begriffe der Mathematik, Geometrie und Mechanik, ohne die Kenntniß der allgemeinen Naturgesetze können wir uns keine richtige Vorstellung von der Bewegung unseres Planeten-Systems bilden, können wir kein physikalisches oder chemisches Buch mit Nutzen und Verständniß lesen, sei es auch noch so klar und bestimmt abgefaßt. Wer das Gegentheil glaubt oder behauptet, betrügt sich selbst. Nicht[122] weniger nothwendig ist uns die Kenntniß von den allgemeinen und wichtigsten physiologischen Vorgängen des Pflanzen-, wie des Thierkörpers. Es hat nur sehr geringen Werth, ob ein Mädchen die Pflanzen mit ihren lateinischen Namen zu benennen und nach der Zahl der Staubfäden einzutheilen weiß. Aber es ist sehr wichtig für sie, daß sie wisse, wie sich dieselbe entwickelt, ernährt, fortpflanzt, wie sie innerlich organisirt ist und wie sie benutzt wird. Das Nämliche gilt von den thierischen Körpern. Dann erst, wenn die Frauen mit solchen Vorkenntnissen versehen sind, können wir sagen, daß die populäre naturwissenschaftliche Literatur auch ihnen zugänglich gemacht ist, daß sie Genuß, Belehrung und eine Erweiterung ihres Gesichtskreises aus ihr schöpfen. Diese Vorbildung muß ihnen aber natürlich, gleich dem Knaben, durch den Schulunterricht vermittelt werden.

In dieser Weise wird gewiß am Schönsten die freie und vorurtheilslose Entwicklung des weiblichen Geistes gefördert, so dem Kleinigkeitssinn und der Engherzigkeit, welchen das Geschlecht bei mangelhafter Bildung so leicht verfällt, entgegengewirkt. Zugleich stellt der Frau die rastlose und harmonische Thätigkeit der Natur das schönste und erhebendste Vorbild für das eigene Schaffen und Walten vor Augen. Einer unangenehmen Gelehrsamkeit wird sie dadurch ganz gewiß nicht verfallen; es wird im Gegentheil ein wirklich gebildetes Mädchen auch die beste Hausfrau und Mutter werden, vorausgesetzt, daß sie die häuslichen Geschäfte gleichfalls gründlich erlernt hat. Ein entwickelter Verstand, entwickeltes Nachdenken und Ueberlegen gleichen der Sonne, die Alles, das Größte wie das Kleinste, gleichmäßig mit ihrer Wärme erfreut. Die geistige Entwicklungsstufe des Menschen ist immer das Maß für die Art und Weise seiner praktischen Thätigkeit.[123] So wie eine Frau denkt, spricht und schreibt, so wird sie Musik oder jede andere Kunst betreiben; so kocht, strickt und näht sie, so führt sie ihren Haushalt und erzieht sie ihre Kinder. Je besser und gründlicher unsere Mädchen lernen müssen, je gewissenhaftere und tüchtigere Hausfrauen und Mütter werden sie sein. Möchten dies doch besonders die Männer recht einsehen und ihre fortwährende Besorgniß vor zu großer Gelehrsamkeit der Frau dadurch zerstreut werden.

Nachdem wir nun die Hauptgegenstände angedeutet haben, welche wir bei dem höheren weiblichen Unterricht vornehmlich berücksichtigt sehen möchten, müssen wir gestehen, daß noch zwei Zweige fehlen, welchen man gewöhnlich in den weiblichen Bildungsanstalten einen sehr hohen Werth beilegt und einen großen Theil der Zeit widmet. Wir meinen den Unterricht in den modernen Sprachen und der schönen Literatur. Bezüglich der fremden Sprachen haben wir uns bereits an einer andern Stelle ausgesprochen, und sowohl deren Nutzen, als auch deren nothwendige Beschränkung, wo sie Wichtigeres in den Schatten stellen, dargethan. Wir wollen nur noch hinzufügen, daß die Mädchen die fremden Sprachen weit schneller und mit viel nachhaltigerem Nutzen lernen würden, wenn man sie zugleich in ihrer Muttersprache gründlich unterrichtete. Nichts vergißt sich so schnell ohne tägliche Uebung, als eine fremde Sprache, wenn sie nur mechanisch erlernt ist.

Was nun den, in keiner Mädchenschule mehr fehlenden Literaturunterricht betrifft, so ist es im Ganzen mehr zu beklagen, als erfreulich, daß damit viele schöne Zeit nutzlos verloren geht. Die ästhetische und literarische Bildung beginnt für die jungen Mädchen viel zu frühe, und ist weit mehr dazu geeignet, die Freude an einem[124] ernsten Studium zu unterdrücken, als ihre geistigen Fähigkeiten zu entwickeln. Man sollte es doch einmal recht überlegen, wie man die Jugend um ihre schönsten und reinsten Freuden bringt, indem man sie mit den Erzeugnissen unserer klassischen Literatur schon zu einer Zeit vertraut macht, wo sie naturgemäß noch kein Verständniß dafür haben können, und komisch ist es sogar, diese vor kleinen 13–14 oder 15 jährigen Mädchen kritisch beleuchten zu wollen. Zum richtigen Verständniß dessen, was unsre Dichter mit ihrer besten und reifsten Kraft geschaffen, gehört doch unsrerseits auch eine gewisse Reife des Geistes und der Bildung. Die Erfahrung und das Vertrautsein mit den Vorgängen der Welt und des Lebens können sie häufig auch weniger Gebildeten zugänglich machen – aber für halbe Kinder hat gewiß keiner dieser Großen gedichtet, und von Kindern wollten sie auch nicht verstanden sein. Ehe wir aber Schiller z.B. nur entfernt zu begreifen vermögen, werden uns die besten Werke bereits in der Schule zur Leierkastenmelodie und es müssen Jahre darüber hingehen, ehe wir wieder zum reinen, unbefangenen Genuß seiner Dichtungen zurückkehren können, ehe wir das fix und fertige Urtheil des Lehrers über ihn vergessen und zu einer selbständigen Beurtheilung fähig werden.

In dieser Weise wird wieder nur die Phantasie und die Prätension, aber keineswegs der Geschmack und das richtige Gefühl entwickelt, und was noch schlimmer ist, sehr oft jene verderbliche Lesesucht hervorgerufen, die keineswegs nach guten Büchern, sondern nur nach Romanen und Aehnlichem greift. Damit erklärt sich auch die Schwärmerei so vieler jungen Damen für schwächliche Erzeugnisse der modernen Lyrik, denn nur ihr Ohr ist durch den Fall melodischer Verse verwöhnt, der rechte[125] Sinn für das Wahre und Schöne aber keineswegs in ihnen gebildet. – Doch sind wir gewiß nicht so engherzig, die Pflege der Poesie ganz und gar aus dem weiblichen Schulzimmer verbannt sehen zu wollen. Man bereite nur auch hierin eine naturgemäße Entwicklung vor. Wie die Völker in ihrer Kindheit zuerst dem Epos freudig lauschten, so sind es vornehmlich epische Dichtungen, Romanzen und Balladen, welche die Jugend zu erfreuen bestimmt und ihr angemessen sind. Alles Abstracte liegt ihr ja fern, nur am Concreten kann sie sich lebensfrisch entwickeln und erquicken. Welch ein reicher Schatz der Literatur entfaltet sich aber gerade auf diesem Felde zur Auswahl für den vernünftigen Lehrer! Warum sollte Homer den jungen Mädchen nicht ebenso zugänglich und verständlich sein, wie dem Knaben? Wie Manche lesen ihn aus eignem Antrieb zu Hause mit den Brüdern und erfreuen sich wahrhaft daran. Wie schön und reich ist aber erst die Fülle epischer Dichtungen, die wir auf dem mittelalterlichen Boden des Heimathlandes finden. Wie Viele unter uns haben denn die Nibelungen, Gudrun, den Parzival u.s.w. während der Unterrichtszeit oder auch für sich gelesen? Warum bleiben diese Schätze meist unberührt? und stehen dem Lehrer der Literatur nicht noch außerdem der Cid, Herrmann und Dorothea und die Balladen und Romanzen Göthe's, Schiller's und Uhland's zu Gebot? Wir nennen hier nur das Vorzüglichste und Nächstliegendste, denn darin allein ist schon Stoff genug vorhanden, das poetische Interesse und den Geschmack des jungen Mädchens bis zum 15–16. Jahre und noch weiter hinaus zu erwecken und zu nähren, und zwar ohne die gefährlichen kritischen Commentare und Auslegungen, ohne die philosophischen Phrasen junger Aesthetiker. Dann erst kommt die Zeit, wo die weibliche[126] Jugend sich mit Nutzen und wahrem Vergnügen an Lyrik und Drama erfreuen kann und wird, und wo sie nach solcher Vorbildung nicht etwa die kritische Prätension, wohl aber den gesunden Sinn und richtigen Geschmack besitzt, der sie von selbst vor dem Sentimentalen und Schwächlichen behütet.

Die ästhetische Bildung kann natürlicherweise nur dann beginnen, wenn der Verstand sich bis zu einem gewissen Grade entwickelt hat, ja, sie ist gewissermaßen erst die höchste Blüthe des Geistes, es ist also durchaus verkehrt in unsern weiblichen Unterrichtsanstalten, dieselbe nicht allein zu früh anzufangen, sondern sie darin auch zu einem gewissen Abschluß bringen zu wollen. Wir müssen abermals wiederholen, was wir schon öfter gesagt: anbahnen soll der Unterricht, das Erdreich zubereiten, den rechten Samen einstreuen, aber um Gotteswillen nichts abschließen, nichts fertig machen wollen und am Wenigsten auf dem Gebiete des Geschmacks und der Schönheit. Eine zweckmäßige, einfache Darstellung der deutschen Literaturgeschichte, eine Uebersicht ihrer Erzeugnisse ist außer demjenigen, was wir bereits oben angedeutet haben, Alles, was unsere Mädchenschulen brauchen, das Uebrige bleibe getrost einem reiferen Alter überlassen.

Wer unsern Worten bis dahin gefolgt, wird uns nun gewiß beistimmen, wenn wir wiederholen, was wir bereits weiter oben gesagt, daß ein besserer weiblicher Unterricht durchaus keiner Fachgelehrten, keiner Philologen, noch Philosophen, sondern nur vielseitig und gründlich gebildeter Menschen bedarf, seien es nun Männer oder Frauen. Was die Letzteren betrifft, so sind leider die weiblichen Lehrerinnen in vielen Fällen, in Folge der von uns gerügten Mängel, selbst noch zu ungründlich gebildet und an die Ertheilung eines ungenauen, oberflächlichen[127] Unterrichts gewöhnt. Hier kann eine durchgreifende Reform erst dann stattfinden, wenn der weibliche Unterricht überhaupt von vorn herein anders angegriffen wird.

Aber die Männer? Nun diese betrachten das Unterrichten an weiblichen Erziehungsanstalten in der Regel nur als ein Unterkommen für einige Jahre, bis sie eine ihrem Fachstudium angemessne anderweitige Stellung gefunden haben. Sie mögen sehr vorzügliche Prediger oder Philologen sein, aber daraus folgt noch lange nicht, daß sie auch tüchtige Mädchenlehrer sind. Dabei können wir die Bemerkung nicht unterdrücken, daß gerade die Bestunterrichteten unter ihnen, gewöhnlich das Unterrichtgeben an Knabenanstalten vorziehen, weil die Gegenstände, die dort gelehrt werden, ihnen selbst geläufiger sind. Diejenigen, welche sich dem weiblichen Unterricht zuwenden, sind häufig junge Männer, welche selbst noch in den Jahren ihrer geistigen Entwicklung stehen und denen die vorzüglichsten Unterrichtsgegenstände, welche wir genannt, meist selbst so fern liegen, daß sie dieselben nicht wohl anders als in oberflächlichster Weise lehren können. Daß man sich also ihrerseits mit Eifer auf die Literatur wirft, als den geläufigsten und Lehrer wie Schülerinnen am meisten ansprechenden Gegenstand, und nebenbei einen Theil der Zeit mit Ausarbeitung philosophisch-ästhetischer Aufsätze hinbringt, ist ganz natürlich. Einen andern Theil der Zeit füllt die französische Gouvernante aus und nur ein kleiner Rest derselben wird auf jene Dinge verwendet, welche die Ersten sein sollten. So ist schnell der romantische Zauberkreis geschlossen, zu welchem sich gewöhnlich noch eine gelinde Schwärmerei der Schülerin für den Lehrer gesellt, wo aber von einem ernstlichen Lernen, einer naturgemäßen Entwicklung der Geisteskräfte[128] kaum mehr die Rede ist. Dies ist leider die Geschichte vieler Anstalten, in welchen jährlich hunderte von Mädchen sogenannterweise herangebildet werden, mögen sie sich nun Institute, Fortbildungsschulen oder höhere Töchterschulen nennen. Doch muß den Letzteren zugestanden werden, daß sie in vielen Städten Deutschlands noch am besten organisirt sind und viele Eltern sie mit Recht den Instituten vorziehen, wenn es das Glück will, daß ein gewissenhafter und seinen hohen Beruf schätzender Lehrer ihnen vorsteht.

Wir greifen mit dem Obengesagten keine Personen an, nur eine unzweckmäßige Einrichtung und sind überzeugt, daß gerade jene Lehrer und Lehrerinnen, die sich mit Ernst und Gewissenhaftigkeit der weiblichen Bildung annehmen, uns am meisten beistimmen. Sie werden es gewiß zum Theil schon an sich selbst erfahren haben, wie schwer es ist, den Unterricht von Schülerinnen fortzusetzen, die für ein ernstes Lernen und Streben bereits durch untüchtige Vorgänger verdorben sind.

Ein großer Theil der Schuld liegt gewiß auch an der Zersplitterung und dem Mangel des inneren Zusammenhangs, der sich bei unsern weiblichen Unterrichtsanstalten geltend macht, weil es noch überall an dem einheitlichen Gesichtspunkt fehlt, hinsichtlich dessen, was dem weiblichen Geschlechte bei seiner Erziehung Noth thut. Viele wollen für es kaum mehr als die nothwendigste Belehrung, Andere möchten es vielmöglichst dem Manne gleichstellen; man spricht von weiblichen Akademien und Universitäten und vergißt, daß uns vor allen Dingen tüchtige Schulen nothwendig sind.

Man kann es dann später keiner Frau vorschreiben, für wie viele, oder wie wenige Dinge sie sich interessiren soll; aber was sie lernt, muß sie gründlich lernen und[129] ihre Schulzeit hat unbedingt den Zweck, ihren Verstand zu entwickeln und ihr eine Grundlage von Kenntnissen und Begriffen zu vermitteln, auf deren Fundament sie weiter bauen kann, so viel sie mag und kann. Es wird damit keine Gelehrsamkeit, nur die Möglichkeit freier Entwicklung für unser Geschlecht gefordert, und es ist uns und Tausenden deutscher Frauen ein bitterer Schmerz, zu sehen und an uns selbst zu empfinden, wie wir fast überall auf ungenügende Kräfte, ungenügende Einrichtungen und ein falsches Princip angewiesen sind.

Möge es darum bald besser in unsern weiblichen Unterrichtsanstalten, möge alles Unklare, Unzweckmäßige und Mechanische daraus verbannt werden, damit man auf keine mehr das Wort des Dichters anwenden kann:


»Jahre lang schöpfen wir schon in das Sieb und brüten den Stein aus;

Aber der Stein wird nicht warm, aber das Sieb wird nicht voll!«[130]


Quelle:
Luise Büchner: Die Frauen und ihr Beruf. Leipzig 41872, S. CI101-CXXXI131.
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