III

Zur Beherzigung an die Philosophunkulos

[1657] Ihr weisen ästhetischen Fliegen, die ihr auf Shakespeares göttliche Stirn euch setzet, euren Rüssel putzet und nie wieder wegflieget, ohne ein kleines Denkmal eurer Unart hinterlassen zu haben, meint, ihr hättet ihr großes Recht widerfahren lassen, wenn ihr ihn wegen seiner abenteuerlichen Zauber- und Gespensterszenen mit der Barbarei seines Zeitalters höchstens entschuldiget habet. In einem Zeitalter, sagt ihr, da Gelehrte und Ungelehrte, Vornehme und Niedere an Hexen, Gespenster und ihre Alfanzereien wie an ein Evangelium glaubten, waren diese Vorstellungen ernsthaft und erhaben und erschütterten, wie Religion, das Herz; aber in unserem erleuchteten philosophischen Jahrhunderte sind sie abgeschmackt und dienen mehr zum Lachen als zum Schrecken. Sonderbar! Da doch ihr nämlichen Herrn den Zeus, die Juno, den Merkur, die Venus, den Amor, den Apoll, die Musen, die Minerva mit allen ihren Schulfüchsereien in anderen Gedichten herumspuken lasset, ohne nur ein Wort dagegen einzuwenden.

Mein freundlich geliebter Herr Vetter Daniel Säuberlich2 nimmt das Ding gar von einer sehr ernsthaften und religiösen Seite, und meinet, daß die poetische Bearbeitung der Hexen- und Gespenstergeschichte den leidigen Aber- und Köhlerglauben wieder auf den Thron helfen würde. Sollte dies eine natürliche Folge davon sein, so wundert's mich sehr, daß in Berlin das Heidentum noch nicht wieder in Schwang gekommen ist.[1657]

Aber, liebe Herren, ist es denn wirklich wahr, daß euer Verstand wie Cherub mit flammendem Schwerte so aufmerksam vor eurem Herzen Wache hält, daß kein Eindruck von jenen Dingen eindringen kann? Ich bilde mir doch auch ein, einen solchen nicht ganz und gar finsteren schlafenden Wächter zu haben; dennoch gehet mein Herz in Sturm und Aufruhr über, wann Bankos Geist Macbeths Stuhl bei Tische eingenommen hat, oder das Gespenst Hamlets das schrecklichste Geheimnis um Mitternacht entdecket, oder Macbeths Hexen im unterirdischen Gewölbe um den Kessel von Greuel den Höllentanz tanzen und schauderhafte Geistergestalten aus dem Abgrunde heraufrufen. Um des Himmels willen! wie geht das zu?

Ihr, die ihr den Wust der leidigen Natur durch Polychrest-Pillen der Philosophei wegpurgiert habt, werdet bei mir dies Phänomenon den Dünsten eines verschleimten Magens vermutlich zuschreiben. Und in der Tat habt ihr nicht unrecht. Da habe ich unglücklicherweise einmal ein Shakespearisches Sprüchlein:


There are more things of in heaven and earth –

Than are dreamt of in your philosophy,


verschluckt, welches noch diese Stunde unverdauet, wie Blei, mir im Magen liegt und die Wirkung aller eurer philosophischen Wunderelixiere zuschanden macht.

Wie, wenn nun unten im Abgrund des Meeres Völkerschaften und Philosophen es gäbe, welche leugneten, daß auf der trockenen Oberfläche der Erde Menschen wohnten und mitleidig auf diejenigen herabsähen, welchen etwa einmal ein Taucher und Perlenfischer unten erschienen? Diese Instanz rühret euch freilich nicht. Denn ihr seid gleich mit der Antwort: Da unten gibt's keine Gelehrten, keine Philosophen, denn sie haben ja weder Bibliotheken, noch Tinte, Feder und Papier, und wie die Werkzeuge der Gelahrtheit weiter heißen. Oh, daß ihr aber doch nie aufhöret, fremde Dinge in eurem bekannten Maß und Scheffel zu messen! Kennet ihr denn nur die sichtbare Körperwelt ganz? Ich geschweige der unsichtbaren Körperwelt. Müßt ihr denn bei Hexerei und Gespenstern gerade an Geister gedenken? Wie könnet ihr mit Zuversicht verneinen, daß es unter der Erde oder über der Erde und ihrer Atmosphäre körperliche Geschöpfe noch gebe, die dort so gut ihr Element, als wir auf Erden und in der gröberen Luft, oder die Bewohner des Wasserreichs haben? Und[1658] ist es denn unmöglich, daß nimmermehr ein solches Wesen aus Zufall oder aus Endzweck dessen, dem kein Ding unmöglich ist, sich ebenso in die niedere Sphäre herablasse, wie der Taucher hinunter in den Ozean? Ihr räsoniert gemeiniglich, als ob ihr glaubet, daß außer dieser sichtbaren Körperwelt, außer Gott und seinen heiligen Engeln und abgeschiedenen Seelen schlechterdings kein anderes lebendes und vernünftiges Wesen existierte, und höret nicht auf, alles κατ' ανϑρωπος beständig zu modeln. Muß denn gerade alles, was körperlich ist, mit den derbesten Püffen eure Sinne berühren? Ihr wisset, daß Glas und Wasser Körper sind; doch könnt ihr mitten durch hinschauen und werdet sie kaum gewahr. Ihr wisset, daß die Luft und der feinste Äther Körper sind; dennoch fühlet ihr oft an keinem einzigen eurer Sinne die Berührung. Wiederum meinet ihr, alles, was Körper ist, müsse euch die Fäuste füllen. Daher lachet ihr, wenn die Einfalt euch erzählet, sie habe in ihrer Kammer bei fest verrammelten Türen und Fensterladen eine Gestalt erscheinen und wieder verschwinden sehen, und krähet: eine so große Gestalt müsse denn also durch das Schlüsselloch hereingekommen sein! Lieber, schaut doch einmal in den Spiegel! Ihr seht euer zweites Ich! Ist das nichts, oder ist es etwas! Nichts kann eure Sinne nicht berühren. Ihr wisset, daß es ein Etwas von zurückprallenden Lichtstrahlen, daß es Körper ist; könnet es aber mit keinem einzigen Sinne, als eurem Gesichte fühlen.

Ist es etwa Weisheit, alles zu leugnen, was über die Kräfte und Wirkungen der euch bekannten Natur hinausgeht? Ihr hacket ja sonst so unbarmherzig auf einen Freigeist los, der die Dreieinigkeit Gottes oder die Transsubstantiation und andere Mysterien eurer Religion unbegreiflich oder widernatürlich findet, und krähet: Ja, übernatürlich ist nicht widernatürlich! Wieviel soll man nun von eurem Glauben an Religionsgeheimnisse halten, wenn ihr die anderen, weil ihr sie nicht versteht, für Undinge ausgebet? Warum sollen euch die Gestalten abgeschiedener Menschen oder überirdischer Wesen nicht erscheinen können, da ihr an die Fortdauer der Seelen der ersten und Wiederauferweckung ihrer Leiber glaubet? Warum soll es keine Wirkungen aus Ursachen geben, deren Zusammenhang nicht in einer dicken schweren Hemmkette oder einem Ankerseile euren groben Sinnen betastbar ist? Ihr habt die Gestalt des Magnetenausflusses nie mit euren Sinnen wahrgenommen; dennoch sehet ihr, daß er das Eisen an einem sinnlichen Nichts in die Luft emporzieht.[1659]

Bis hierher habe ich euch gezeigt, daß es selbst aus Gründen gesunder Vernunft nicht abgeschmackt sei, an ein auf dem Theater erscheinendes Gespenst oder eine Bezauberung zu glauben. Aber ich will einmal annehmen, ihr hättet euch durch Gegengründe trotz allem von der Nichtigkeit solcher Erscheinungen überzeugt, sollten alsdann Shakespeares Zauber- und Gespensterszenen abgeschmackt und lächerlich sein? Ich sage nein! Selbst den wenigsten unter euch, so sehr auch euer Eigensinn oder eure Vernunft von der Nichtigkeit überzeugt sein mag.

Gottlob! Des Menschen Herz ist stärker als seine Vernunft. Trotz allen Philosophemen eures Kopfes bangt es euch die Herzgrube, durchschauert es alle eure Gebeine, wann ihr um Mitternacht auf einem Gottesacker wandelt. – – –

Fußnoten

1 S. Gatterers Hist. Journ. T.1. S.266.


2 S. die Vorrede zu Nicolais Feynem kleynen Almanach. Berlin 1777.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon