Vorrede

Ich verstehe mich nicht darauf, aus nichts etwas, oder aus etwas viel zu machen. Ich verstehe mich nicht darauf, mit einem Goldkörnchen Roß und Reiter zu übergulden, und daher glänzen zu lassen, als wäre alles eitel gediegenes Gold. Dennoch möcht ich das Körnchen, so bisweilen, durch Ungefähr, oder Suchen, mir in die Hand fiele, nicht gern wieder wegwerfen.

Dies ist verdolmetscht in Prose: ich verstehe nicht die Kunst derjenigen dreitausend deutschen Büchermacher, welche in drei Jahren viertausendsiebenhundertundneun Bücher verfertigen konnten1; nicht die Macherkunst, aus nichts ein dickes Etwas von vielen Alphabeten, oder von einer kurz an den Mann zu bringenden Wahrheit lange, schimmernde Abhandlungen herauszuspinnen. Und doch ist mir, als wüßt ich manches Ding, das nicht jedermann weiß; ist mir, als fühlt ich Elastizität des Geistes, Mut und Kraft genug, ein Ding zu packen, zu halten, zu schleudern und in die Luft emporzureißen; ist mir, als umgäbe mich ein Licht, das die Dinge, nah und fern, mehr als andere mir aufhellt; ist mir, als ob ich wohl fähig sei, manches, indem in meinen Lebensgang so dahinschlendere, zu erfahren, zu denken, und zu empfinden, das nicht unwert der Mühe wäre, auch von andern erfahren, nachgedacht und nachempfunden zu werden.

Wirf nichts mehr weg, sprach ich einst zu mir selbst, wie du vorhin getan hast. Nichts ist so schlecht; es ist wozu gut. Heben doch wohl viele der dreitausend Büchermacher Papierschnitzel sorgfältig auf. – Ich ging hin, und ließ mir ein Buch von weißem Papier zusammenheften, und schrieb auf, was ich erfuhr, dachte und empfand. Dies mein Aufgeschriebenes kann ich um so füglicher mein Buch nennen, als ich nie sonst ein Buch geschrieben habe, noch eins schreiben werde. Den Titel gebar also nicht der Originalkitzel, sondern die Notdurft. Mir selbst dünkt nichts abgeschmackter, als mit unerhörten Titeln frappieren zu wollen,[1649] wiewohl dies oft der armselige Behelf mittelmäßiger Büchermacher ist.

Ich schrieb ohne alle andere Bücher, aus eigenem Kopf und Herzen. Dennoch gebe ich mich ebensowenig für einen absoluten Selbstdenker, als meine Gedanken für neu und eigen aus. Manches mag ich vorhin gelesen, manches mag ich von gescheiten Leuten gehört, manches auch selbst geschaffen haben. Aber auch nicht alles, was man selbst erschafft, ist eigen und neu. Hundert Köpfe können, ohne alle fremde Zutat, oft einerlei Ding ersinnen.

Sehr unbesonnen wird oft der Mangel an Neuheit und Originalität gerügt. Gerade als ob alles, was geschrieben wird, neu und unerhört sein müßte. Was ist ganz neu unter der Sonne? – Nicht alle lesen alle Bücher. Wenn daher jener dem ersten Tausend von Lesern geschrieben hat; warum sollte dieser nicht das nämliche dem zweiten Tausend schreiben dürfen? – –

Wahrheit! Unerforschliche, ewige Gottheit! nach dir gehn meine Blicke aus. Noch nie hat dich ein sterbliches Auge ganz erblickt; nimmer werden dich aller Sterblichen Augen zusammen in deiner vollen schönen Gestalt schauen. Der scharfsichtigste Weise entdeckt an dir nur kleine einzelne Teile. Tun sie sich zusammen und sagt einer dem andern: »Das sah ich! – Und ich das!« so ist vielleicht am Ende der Welt möglicher, als jetzt, das erhabenste schwerste Abbild der Ähnlichkeit einigermaßen näher zu bringen.

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1649-1650.
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