45. Der Schatz zu Kloster Walkenried.

[194] In weiland Kloster Walkenried ist über dem Kreuzgange der sogenannte Zaubersaal, welcher deswegen also genannt wird, weil zu der Zeit, als daselbst noch eine berühmte Schule gewesen, sich darauf nachfolgende wunderbare Begebenheit mit einem Schüler zugetragen hat.

Es ist einst, an gedachtem Orte, von den Knaben zur Lust ein Zeichen gelegt worden, um zu versuchen, wer unter ihnen darüber und am weitesten springen könne. Indem nun solches geschieht, trägt es sich zu, daß ein Knabe, so dem Berichte nach von Ellrich soll bürtig gewesen sein und mit[194] Namen Damius geheißen haben, darüber auf einen gewissen Platz springt und nicht wieder davon kann, es mögen denselben auch die mitspielenden Knaben reißen und zerren, wie sie wollen. Dieses zeigen sie darauf dem Rektor an, welcher dann kommt und den Knaben noch unbeweglich antrift; kann ihm aber so wenig als die Schüler helfen. Es fällt ihm aber bei, daß solches von einer zauberischen Beschwörung herrühren müsse und fragt den Knaben: ob er etwa eine Schrift oder ein Zeichen erblickte? Der Knabe sieht sich um und wird einen Zirkel über sich gewahr, erblickt an der steinernen Wand gegen Morgen eine griechische Schrift, gegen Mittag aber einige Charaktere, welche er theils herlesen, theils beschreiben muß, woraus der Rektor versteht, daß in der Mauer ein Schatz verborgen sei und derjenige, welcher zu der Zeit, da solches geschehen, mit seinen Füßen den auf die Erde gemachten Punkt berühren würde, solle die Schrift sehen und das Verborgene offenbaren.

Sobald der Rektor dies verstand, ward der Knabe wieder los und ging aus dem beschworenen Zirkel heraus, wohin er wollte. Hierauf zeiget der Rektor solches an, da denn, nach dessen Anweisung, gesucht und ein steinernes Geschirr mit Gelde gefunden ward. Solches Geld soll sehr dünnen[195] Schlages, auch so groß als ein Ortsthaler gewesen sein, und man hat selbiges hernach, mit dem Geschirre, an den Herzog Christian Ludwig nach Zelle gesendet. Der Ort, wo solcher Schatz gestanden, ward den Neugierigen gezeigt und nicht ohne Grauen betrachtet.


Quelle:
Johann Gustav Büsching: Volks-Sagen, Märchen und Legenden. Leipzig 1812, S. 194-196.
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