18. Zigeuner.

[13] Es mag hundert Jahre her seyn, daß im obern Wiesenthal eine Sippschaft von fünf Zigeunern sich umher trieb. Sie besuchten besonders die einsamen Höfe und ernährten sich mit Wahrsagen, Betteln und Stehlen. Dies Letzte erleichterten sie sich dadurch, daß die Einen mit einem Tonwerkzeug die Leute in die Stube lockten, und während sie ihren Marsch spielten, welcher lautete:


»Tummelt euch drin,

Tummelt euch draus!«


konnten die Andern in Küche und Keller ungestört einpacken.

Eines Nachmittags begehrte das Zigeunerweib von einer Bäuerin Milch, und als dieselbe antwortete, sie habe keine, sprach das Weib im Fortgehen: »So sollt ihr auch keine haben!«

Beim Melken am Abend erhielt die Bäuerin von ihren sämmtlichen Kühen keinen Tropfen Milch. Wegen all dieses Unfugs ließ endlich die Obrigkeit die Zigeuner in Zell einsetzen und verurtheilte sie zum Tode.

Unter starker Bedeckung wurden sie aus dem Gefängniß geführt, um zum Hochgericht zu gehen; allein kaum hatten sie die blose Erde betreten, so waren sie verschwunden. Durch eine weit verbreitete Streife fing man sie zwar wieder ein; aber als man sie hinrichten wollte, ging es gerade wie das vorige Mal. Hierdurch sicher gemacht, ließen die Zigeuner nach einiger Zeit sich wieder in der Gegend sehen, und da sie ihr früheres Unwesen fortsetzten,[13] wurden sie von Neuem festgenommen. Damit sie jedoch nicht auch diesmal der verdienten Strafe entgehen möchten, ließ man sie nicht mehr die blose Erde betreten, sondern brachte sie über eine Brücke aus dem Gefängniß auf den Sünderkarren, und ebenso von diesem auf das Blutgerüst. Weil unter ihnen eine Jungfrau von außerordentlicher Schönheit war, ließ die Obrigkeit ausrufen: Wenn Jemand das Mädchen heirathen wolle, so solle er vortreten und sie in Empfang nehmen; es würden ihr dann Leben und Freiheit geschenkt. Nicht ohne Hoffnung sah die Jungfrau sich nach einem Retter um; aber aus Furcht vor ihrer Heidenkunst meldete sich Keiner, und so ward sie, mit den vier andern Zigeunern, enthauptet. Die Wiese, auf welcher dies geschehen, wird davon noch heute die Heidenmatte genannt.

Quelle:
Bernhard Baader: Neugesammelte Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 2, Karlsruhe 1859, S. 13-14.
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