351. Der Heiligenberg bei Heidelberg.

[315] Zur Zeit als das obere Rheinthal bis Bingen noch ganz mit Wasser bedeckt war, stand auf dem Heiligenberg ein reiches Benediktinerkloster. Dieses ersahen sich die Seeräuber der Gegend zur Beute aus; aber die Mönche merkten deren Vorhaben und vergruben ihre Kostbarkeiten, worunter die zwölf lebensgroßen Apostel von Silber, in dem Berge. Bald darauf bemächtigten sich die Räuber des Gotteshauses, zerstörten es und tödteten alle seine Bewohner, deren keiner verrieth, wohin sie die Schätze verborgen. Diese blieben daher in ihrem Versteck und befinden sich noch heute darin, wie[315] ein armer Mann aus Handschuchsheim durch den Erdspiegel gesehen hat. Er war eines Sonntag-Vormittags zu den Trümmern des Klosters gegangen und dort einem Unbekannten in vornehmer Kleidung begegnet. Nachdem ihn derselbe in den Spiegel hatte schauen lassen, sagte er ihm, er solle morgen zur nämlichen Zeit wieder herkommen, dann könne er von dem Reichthum so viel erhalten, als er nur wünsche. Dem Mann schien die Sache bedenklich, und da ihm auch zu Hause abgerathen ward, unterließ er es, sich auf dem Berg einzufinden.

Ein anderes Mal kam dort zu einer Handschuchsheimer Frau auch ein vornehmer Fremder und sagte ihr, nachdem er erfahren, daß sie arm sei, sie solle gleich auf das Feld zu dem Schäfer ihres Dorfs hinuntergehen, ihn um die Schlüsselblume bitten, welche er auf dem Hute habe, und sie zu ihm heraufbringen, dann werde sie reich genug. Die Frau machte es so, und als sie, mit der Blume, wieder bei dem Fremden war, führte er sie in einen unterirdischen Gang und sagte, sie möge von den Schätzen, die sie sehen werde, nehmen so viel sie wolle, aber das Beste nicht vergessen. Noch ehe sie zu denselben kamen, befiel die Frau ein Grauen, sie erklärte ihrem Führer, sie gehe nicht mit ihm, und eilte, die Blume zurücklassend, von dannen. Als sie im Freien war, sah sie nicht mehr die Oeffnung des Ganges. Unter dem »Besten« hatte der Fremde die Blume verstanden, welche sich in einen Schlüssel verwandelt und alle Schlösser geöffnet hätte, unter denen die Schätze verwahrt liegen.

Als im Kriege österreichische Soldaten in Handschuchsheim lagen, die schon in ihrer Heimath von dem Heiligenberg und dem dort verborgenen Reichthum gehört[316] hatten, gingen nachts mehrere derselben mit einem Zauberbüchlein auf den Berg, um die Schätze zu heben. Am nächsten Morgen erzählten sie, es sei stets ein schwarzer Hase um sie gewesen, sie hätten aber nichts bekommen, wahrscheinlich weil derjenige, welcher sich des Büchleins bedient, seine Sache nicht recht gemacht habe.

Auch Bauersleute vom Münchhof bei Neuenheim gruben in einer Nacht auf dem Berge nach Geld. Einem unbekannten Mann, der um sie herging und fragte, was sie machten, gaben sie so wenig eine Antwort, als einem andern, der später auf einem Pferde schnell vorbeiritt und die gleiche Frage an sie richtete. Schon hatten sie eine volle Kiste aus dem Boden gegraben und auf ihren Wagen gehoben, als einer auf einem dreifüßigen Geißbock geritten kam und äußerte, er wolle den auf dem Pferde bald einholen. »Ja, bei dem wirst du gleich sein!« sagte spöttelnd einer der Bauern vor sich hin, und kaum hatte er dies gesprochen, so war die Kiste vom Wagen und in die Erde versunken. Voll Angst jagten die Leute mit ihrem Fuhrwerk dem Münchhof zu, und in der Eile des Hineinfahrens rissen sie einen Theil des Thorbogens weg, welcher nachher nicht mehr hergestellt werden konnte, weil das, was man am Tag aufmauerte, in der Nacht stets wieder einfiel.

Eines Mittags um zwölf brachen zehn Männern, die unterhalb des zerstörten Klosters Holz hieben, auf einen Schlag die Beile. Zugleich vernahmen sie oben Gesang und Tritte, ohne jemand wahrnehmen zu können.

Auch zu andern Zeiten hat schon Kirchengesang und Glockengeläute sich dort hören lassen.

In den Adventsnächten sitzt von zwölf bis eins der Geist des Klosterpriors, in seiner Ordenstracht, auf einer[317] Kirchenkiste bei den Trümmern und lies't in einem großen, dicken Buche. Wenn dann ein reiner Jüngling oder eine unbefleckte Jungfrau zu ihm käme, würde er ihnen den Platz zeigen, wo die silbernen Apostel verborgen sind.

Ein kohlschwarzer Mann und ein graues Männlein erscheinen ebenfalls auf dem Berge.

Von diesem, und zwar vom Heidenloch, geht ein unterirdischer Gang, unter dem Neckar hinweg, auf das Heidelberger Schloß. Eine Ente, welche dort hineingelassen worden, ist hier wieder herausgekommen.

Quelle:
Bernhard Baader: Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 1, Karlsruhe 1851, S. 315-318.
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