II.

[34] Aber endlich mußte er, es half nichts, endlich doch aus den Federn. Längst elfe durch. Und zudringlich, ob er sich auch wehrte, und vorwitzigen Übermutes kitzelte ihn die Sonne mit ihren langen goldenen Flaumen, wohin er sich auch in die Kissen vergrub.

Er schlief gern, den Tag lieber als die Nacht. Und das besonders war seine Leidenschaft, schon erwacht wieder einzuschlafen, oft drei-, viermal hintereinander, um nur von jenem hastigen und gedrängten Schlafe zu kosten, der einen Augenblick währt und eine Ewigkeit dünkt, sich seiner selbst bewußt und seines Genusses, in welchem Traum und Wachen mit verwischten Grenzen in einander schwimmen und nicht mehr zu sondern sind. Dafür hatte er sich, feinschmeckerisch, einen umständlichen Dienst eigens eingerichtet, indem zuerst, in aller Frühe, nur an die Thüre gepocht ward, daß er schreckhaft emportaumelte, aber, ohne sich recht zu besinnen, gleich wieder versank, und später der Kaffee, den er eilig schlürfte, und endlich, noch eine Stunde später, die Zeitung gebracht[35] wurde, zu welcher nun erst sich behaglich das erste Pfeifchen schmauchte; nachher, da schmeckte der letzte Traum dann noch einmal so gut.

Er dehnte sich lange faul hin und her. Und er betrachtete das Barometer, wie er es hieß. Er forschte mit umständlicher Prüfung, in welcher Stimmung er sich befinde.

Schönes Wetter, wolkenlos, wie draußen. Sein Bild? Mochte es stauben in seinem Verstecke. Später einmal, ja, er kannte das, würde es ihn schon wieder überfallen, eine neue Idee, es zu verwandeln und was Erträgliches draus zu gestalten. Das war immer so. Er hatte immer so in Stößen gearbeitet – Ebbe und Flut. Bis dahin – ich habe die Ehre! Und er machte eine ehrfürchtige Geberde, mit lustigem Ingrimm.

Einstweilen wollte er das Porträt wieder vornehmen. Es war lange genug verbummelt. Es sollte einen Abgeordneten darstellen: Baumwollindustrieller, Radikaler und hauptsächlich Schafskopf, ungeheuer einflußreich natürlich.

Eigentlich freilich hatte er im Tierstück geringe Erfahrung, aber, mein Gott, es war ja im Dienste der heiligen Galette! Und dann, dieses gerade, geistlos, sehr langweilig, drauf los, ohne daß man zu denken braucht, vom Frühling träumen, der seine nackten Blüten an die Scheiben hob, während der Pinsel auf eigene Faust herumwirtschaften mochte – dieses gerade that ihm ja not, nach diesen Stürmen. Das konnte ihn einlullen und sänftigen.[36]

Beschlossen und verkündigt. Und er holte den kahlen Schädel des würdigen Ehrenlegionärs aus der Ecke, pustete die Spinnweben herunter und überlegte. In drei Tagen konnte er's machen: ein wenig herausputzen, die Töne verbinden, ein bißchen aufhellen hie und da, daß er nicht gar wie Limburger Käse gerötet war – peinture aimable halt.

Gewiß, es würde ihm gut thun. Er wollte gleich anfangen, gleich morgen. Für heute war dieser Entschluß allein schon Tagewerk genug – und außerdem, Montag, das bringt Unglück, der Lenz lockte zu süß. Das zwitscherte und jauchzte und es war durch die Fenster von den rosigen Kastanien herein ein köstliches Duften. Es schwoll in ihm und ward ihm ein völlig faustisch österlich Gefühl.

Allein freilich mopste man sich nur draußen. Schade, daß er die Kleine von gestern nicht haben konnte. Unbeweibt ist die Landschaft immer minder.

Es kitzelte angenehm sein Gefühl, indem er, im Lehnstuhl schaukelnd, die Nägel reinigte, sich die Kleine vorzustellen – sie hatte ihm nicht einmal den Namen gesagt – daß sie mit ihm unter den blühenden Äpfeln sich haschte, während ein lauer Wind atmete, oder am Abend, wenn sie heimwärts über das Wasser glitten im engen Boote, den bebenden Leib an seine Brust schmiegte. »Tant pis pour elle,« sagte er, indem er aufstand und die kleine Schere im Bogen nach dem Tische warf. »Nachlaufen werde ich ihr nicht. Es giebt ihrer genug.«

Im Grunde war's ein Glück. Gutmütig und[37] wie er keiner Stimmung widerstehen konnte – es wäre höchstens noch eine verwickelte Dummheit daraus geworden. Denn dieses war doch ausgemacht, daß sie ganz sicher nicht sein Stil war.

Nein, sie war nicht seine ideale Frau und nicht einmal eine weitläufige Verwandte hundertsten Grades. Wie er jetzt, den Schlafrock abgeworfen, die Beine in der Krätsche über das Kissen gespreizt, sich vor dem Spiegel niederließ, an das Meisterwerk seiner Toilette, die Locken behutsam in träumerische Ringel biegend und die stolze Lanze seines geschmeidigen Spitzbartes ausziehend, lange, sehr lange, mit vielem Brillantin, und sich aufmerksam mit Liebe und Wohlgefallen musternd, da wieder einmal, da stand sie wieder einmal so handgreiflich vor ihm, so kaiserlich und junonisch – und diese scheue, ahnungslose Schwalbe daneben, die reine Psychè des Gérard, ja, wirklich, selbst – er erinnerte sich – die nämlichen »Schneckerln« hatte sie im Haar, vorne, in die Stirne herein. Nein, es war kein Vergleich; sie mochte ja ganz lieb sein für bescheidene Ansprüche, aber er, leider, war schon vergeben, bedaure sehr.

Er verweilte lange in diesen gefälligen Bildern, weil er lange vor dem Spiegel verweilte, nach schlimmer Gewohnheit, bis seine Mähne endlich gebändigt und die umständliche, in bunte Zipfel flatternde Masche kunstgerecht geknotet war. Er mußte lachen, wie er nach der Uhr sah, daß er zwei Stunden wieder einmal vergeudet hatte, sich schön zu machen – wie eine Cocotte, sagten seine Freunde, aber der bringt's Zinsen. Und sie wußten sich nicht genug über seine Eitelkeit.[38]

O nein, er war nicht von der gemeinen Eitelkeit, die sie dachten. Ja, er liebte das Kostüm, und wenn er sich anders tragen konnte, wider den Brauch, auffällig und wunderlich, das freute ihn. Ja, er hatte ein kostbares Spitzenhemd mit breitem, weichem, umgeschlagenem Kragen, wonnesam gestickt, daß der alte d'Aurevilly neidisch geworden wäre. Ja, er hatte einen perlgrauen Sombrero mit ungeheurer Krempe, wie nur je der stolzeste andalusische Picador, daß ihn mancher für einen Lastträger hielt, aus den Hallen. Aber es war nicht um den Beifall der Menge und er rechnete nicht, die Blicke der Weiber zu gewinnen. Sondern nur die Begierde quälte ihn, im Äußeren gleich sich von den anderen zu unterscheiden, von denen er sein Inneres so unvergleichlich unterschieden wußte. Er war einmal anders als die anderen, warum sollte er es nicht auch scheinen? Und er brauchte die Versicherung und Bestätigung, alle Tage, wider aufdringliche Zweifel, daß er wirklich einer für sich und nicht vom Dutzend war. Wie anders, wie konnte er sonst seine Kunst jemals vollbringen?

Nein, allein ging er nicht aufs Land, sondern Marius mußte mit. Er kriegte ihn schon dazu – früher wich er ihm einfach nicht von der Bude. Und alle Fragen der Kunst, die großen und die kleinen, wie verzwickt sie sein mochten, sollten wieder einmal gelöst und die ganze Zukunft der Kultur deutlich vorausbestimmt werden auf zweitausend Jahre.

Marius natürlich würde sich wieder gehörig verdrießen, der das nicht leiden konnte. Ein bißchen[39] Philister, der gute dicke Marius; Verdauung und Ordnung – das war seine Losung; Regel und Maß betete er an und meißelte nach dem Glockenschlag, Sommer und Winter, Schön und Regen, wie man Semmeln bäckt. »Und nur nicht Kunst reden, nur nicht Kunst denken – Kunst machen, wenn's möglich ist.« Aber man mußte nur erst mit stacheligen Paradoxen seinen Ärger aufzuzwicken verstehen – dann, gegen allen Vorsatz, verhaspelte er sich doch jedesmal wieder in Fehde. Und merkwürdig, was er so unwillig verschmähte, wenige konnte es schlagfertiger und treffgewisser.

»Ich wollte gerade zu Ihnen,« sagte der Bildhauer Marius. »Der Frühling rumort mir in allen Eingeweiden – man muß es sich herauslaufen. Wollen Sie nicht mit aufs Land?«

Aber der Maler, ohne was zu erwidern, geradewegs auf die Büste los, öffnete behutsam die nassen Fetzen, in welche sie geschlagen war, und indem er bald sich näherte, bald sich entfernte und dann wieder langsam herumkreiste, begann er lange Erklärung mit Vorschlägen, Einwürfen und Räten. Wohl eine Stunde schwand, indem der Bildhauer Rechenschaft gab, wie er es sich gedacht hatte, und manchmal die Achsel zuckte, als bedauerte er, es nicht ändern zu können. Nämlich, es war seine Gewohnheit, alle Urteile anzuhören und auf keines zu hören; nicht aus Hochmut, daß er sich geckisch unfehlbar geglaubt hätte, und verächtlich der anderen, sondern aus Furcht, daß nicht in ihm selber das Kritische erwache, von welchem doch nur Qual und keine Hilfe kam.[40]

Doch auch als nichts mehr über die Büste zu sagen und alles erledigt war, manches zweimal sogar, sehr umständlich, stöberte er nur in den Büchern und Skizzen am Boden herum und schnellte von Frage zu Erzählung, immer wieder ein neues an das Gespräch anzustückeln, damit er nur jenem Vorschlage, den er eigentlich selbst hatte thun wollen, nicht zu antworten brauche, als hätte er ihn nicht gehört. Aber Marius, ungeduldig, der wanderfertig war, wiederholte ihn. Da entschuldigte er sich mit Geschäften ohne Aufschub, daß er leider keine Zeit hätte. Und dann auf einmal, als Marius ihn auslachte, mit einem plötzlichen Satze in leidenschaftliche Wallung, brauste er in stürmischen Güssen seine Klagen heraus, sein Leid mit dem Bilde, diesen ganzen verhaltenen Schmerz, der ihn fast um den Verstand brachte, alles Entsetzliche, wie es ihn seit acht Tagen verzweifelte. Und bevor er es nicht überwände und sein Bild nicht gerettet hätte, seine Hoffnung, seinen Stolz, seinen Ruhm, nein, bis dahin sollte man ihn lassen, an die Staffel geschmiedet, auf der sich sein Schicksal entschied.

Marius, auf einem Schemel vor der Büste, hörte ihn geduldig an, ohne es viel zu achten. Dann, in einer Pause, als die erste Wut des Malers sich erschöpft hatte, meinte er nur: »Ja, ja.. so geht's, wenn man sich erst ins Suchen einläßt. In zehn Jahren werden Sie sich's auch abgewöhnt haben. Aber wir können davon in Bougival ebenso gut sprechen und besser.«

Nun ärgerte sich der Maler erst recht. Er litt[41] die lehrhafte Überlegenheit nicht und mochte die ewige Mahnung nicht, daß der Bildhauer zehn Jahre mehr hatte. »Wenn die zehn Jahre um sind,« – und er spitzte jedes einzelne Wort – »die einen so weise machen, können Sie mich ja abholen; vorderhand bin ich noch nicht so weit.«

Marius sah ihn nur gründlich an mit einem wehmütigen Ta-twam-asi-Blick, als blickte er in seine eigene Jugend! Wie traut und altbefreundet ihm jede dieser Launen war, aus vielen Leiden, und wie heimisch er sich fühlte in ihrem Weh! Aber um es nicht noch zu verschlimmern, sagte er kühl: »Wie Sie wollen – mir kann's gleich sein.«

Aber er war einmal im Zuge: »Ich lasse mich überhaupt nicht hofmeistern und gängeln, tyrannisch und tantenhaft, was ärger ist. Ich will meine Suppe ganz allein verspeisen, verstehen Sie? Ganz allein, wie ich mir sie ganz allein einbrocken will, nach meinem eigenen Rezepte. Ich glaube, ich bin alt genug, daß ich nach niemandem zu fragen habe, und jedenfalls schadet's mir allein, was mein souveränes Menschenrecht ist und niemanden was kümmert, gar niemanden auf der ganzen Welt, wenn es mir Spaß macht.«

Und durch die hartnäckige, unverbrüchliche Ruhe des Marius erbost, daß sein kriegerischer Sturm nicht einmal der Abwehr gewürdigt wurde:

»Sie möchten mein ganzes Leben nach Ihren Grundsätzen einrichten, das wäre Ihnen recht! Sie mischen sich in alles. Wenn Sie arbeitsmüde sind, soll ich aufs Land, und nächstens werde ich essen[42] müssen, wenn Sie hungert. Und Ihren Schrullen zu Liebe soll ich kein Weib nehmen und einsam bleiben, weil Sie recht gut wissen, wahrscheinlich, daß allein kein Künstler was schafft, sondern nur unnütz verfault, ohne die Liebe. Aber darin wenigstens sollen Sie sich gründlich getäuscht haben. Die neidische Hoffnung war etwas verfrüht, Verehrtester!«

»Aha,« sagte der Bildhauer jetzt. »Kann man sie sehen? Haben Sie sie schon drüben?«

Dem Maler schmeichelte diese Vermutung. Eine angenehme Vorstellung, sich den Neid und die eifersüchtige Mißgunst der sämtlichen Nachbarn zu denken, wenn er eines Tages mit diesem frischen und fröhlichen Kinde anrücken würde, vor dem sie ihre geschminkten und verfärbten Mätressen verstecken konnten, alle mitsammen. Weil er sich aber besann, vorläufig noch allein zu sein, und gegen diesen Gleichmut nicht aufzukommen war, erwiderte er lieber gar nichts, sondern wandte sich fort.

»Wenn Sie die crémaillère aufhängen, bin ich doch hoffentlich geladen?« rief ihm Marius lustig nach. Aber es kam eine Antwort. Der hatte die Thüre schon zugeworfen.

Lange blieb Marius noch in der Werkstatt, und er kraute die roten Zacken seines stacheligen Schnurrbarts und dachte dem Freunde nach und maß Vergangenes ab und hatte Mitleid mit allen Menschen. Es war so traurig, daß jeder erst wieder von vorne anfing, den nämlichen Kreuzweg, unerbittlich eine Station für die andere, und keine Erfahrung der[43] früheren jemals ein Leid den späteren ersparte, auch nicht ein einziges Leid. Wenn es wenigstens den anderen zum Guten gewesen wäre, das Böse, das man selber erduldet! Aber jeder neue rang und stöhnte aufs neue, in dieser Qual, nicht zu wissen, was er denn wolle, und keiner wollte es glauben, bevor er es selber in Thränen erlebt, daß überhaupt nichts zu wollen ist.

Aber er entriß sich dem unnützen und hilflosen Schmerze und nach zärtlichem Abschiede von seinem Werke, in dem das Vergessen war, wanderte er. Er wanderte durch den Frühling, der blühte und zwitscherte, und sonnig schimmerte es in allen Augen. Er wurde sehr froh, weil er es gelernt hatte, längst nichts zu begehren, aber was unvermutet geschenkt ward, irgend woher, dankbar zu genießen als unverdiente Huld.

Quelle:
Hermann Bahr: Die gute Schule. Berlin 21898., S. 34-44.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die gute Schule
Die gute Schule
Die Gute Schule

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon