Wie der Seneschall sich mit seines Weibes Jungfernschaft herumschlug.

[34] Während der ersten Tage ihrer Ehe erdachte der Seneschall solchermaßen die hahnebüchensten Märchen, um sein Ehegesponst hinters Licht zu führen und bei ihrer beneidenswerten Unschuld fanden seine Lügen ein gläubiges Ohr. Und allgemach sagte sich Blanche, daß sie mit ihrem Gefrage dem biederen Greise lästig würde, indem er doch ob seines Alters genugsam Erfahrung haben müsse und daher sicherlich recht habe. Somit gab sie die Sache auf und dachte nur noch im Stillen an das Kindelein, nach dem ihr ganzes Trachten stand –[34] das heißt, dieser Gedanke ließ ihr im Grunde keine Minute Ruhe, wie denn eben eine Frau, die sich etwas in den Kopf gesetzt hat, nicht eher zufrieden ist, bis sie das auch erreicht hat. Und Bruyn ging um die Kinderfrage herum wie die Katze um den heißen Brei. Eines Abends aber brachte er selbst die Rede darauf, als er von einem Bengel sprach, den er am Morgen wegen übler Streiche hatte verurteilen müssen. Und daran knüpfte er die Betrachtung: sicherlich stamme dieser Bengel von Eltern, die sich mit Todsünden beladen hätten.

»Ach,« meinte Blanche, »wolltet Ihr mir doch eines bescheren, auch ehe Ihr von Sünden frei seid, ich würde es so wohl anleiten, daß Ihr mit ihm zufrieden wäret.«

Da ward der Graf inne, daß dieser glühende Wunsch sich bei seinem Weibe festgefressen hatte und es höchste Zeit war, wider ihre Jungfernschaft zu Felde zu ziehen, um sie zu meistern, zu vernichten oder einzuschläfern und so auszulöschen.

»Wie willst du denn Mutter werden, Liebste,« hub er an, »solange du die Würden deines Standes noch nicht kennst, noch sie zu üben gewohnt bist, wie sichs geziemt?!«

»Ach so!« entgegnete sie. »Um wahrhaft Gräfin zu werden und ein Gräflein zur Welt zu bringen, muß ich die vornehme Dame spielen? Das will ich gern tun, und gehörig!«[35]

Und fortan hetzte Blanche Hirsch und Hindin, setzte über Gräben, jagte auf ihrem Zelter über Berg und Tal, durch Wald und Wiesen, und ergötzte sich an den Freuden der Falkenjagd. Das hatte der Seneschall just gewünscht, aber für Blanche hatte es die Folge, daß ihr Sehnen nur wuchs, gleich wie bei einer Nonne hinter Klostermauern. Und derweile sie derart herumtollte, gewahrte sie zudem das Liebesspiel der Vöglein und Tiere und lernte so in dem geheimnisvollen Buche der Natur zu lesen, und ihr Blut, das sich immer mehr erhitzte, tat das seine, um ihr die Lösung dieses alchymistischen Rätsels zu erleichtern. So ward dem alten Knacker mählig klar, daß er sich verrechnet hatte und nun erst recht auf glühende Kohlen gebettet war. Bald wußte er nicht mehr aus und ein und begriff, daß er in diesem Kampfe unterliegen müsse. Nur hoffte er mit Gottes Hilfe dieser argen Wunde wenigstens bei Lebzeiten zu entgehen und beschloß, alles seinen Gang gehen zu lassen und besagte Jungfrauenschaft fortan in Frieden zu lassen, indem er einiges auf die fromme Schamhaftigkeit und Ehrbarkeit seiner Eheliebsten baute. Immerhin schlief er doch nur mehr mit einem Auge, maßen er recht gut einsah, daß Gott die Jungfernschaft eigentlich geschaffen habe, damit man ihr einmal den Garaus mache wie etwa einem Rebhuhn.

Als es nun eines Morgens derart goß, daß nur die Schnecken sich aus ihrem Hause wagten, und somit just das rechte Wetter war, um trüben Gedanken und stillen[36] Träumen nachzugehen, saß Blanche nachdenklich daheim auf weichem Pfühle. Und da es keinen Feuertrunk noch Reizetrank gibt, der eindringlicher wirkt als jene zarte Wärme, die aus einem Polster in den Leib eines Jungfräuleins sacht hineinstrahlt, so begann die Gräfin unvermerkt von ihrer Jungfernschaft gezwickt zu werden, also daß ihr der Kopf heiß ward und alles kribbelte. Der wackere Greis gewahrte voll Unmutes ihr sehnsüchtiges Grübeln, und um in ehelichem Übereifer ihre trüben Gedanken fortzuscheuchen hub er an: »Was quält dich, Liebchen?«

»Ach – die Schande!«

»Wer denn wagt es, dich zu beschimpfen?«

»Ist es etwa keine Schande, daß ich kinderlos bleibe und Euch mit keinem Leibeserben beschenke? Bin ich denn so ohne Kind überhaupt ein Eheweib? Nein, nein ... Seht nur: alle Nachbarinnen haben welche, und ich – habe ich nicht dafür geheiratet, und hättet Ihr mir nicht längst eines schenken können?! Ach, hätte ich doch nur wenigstens ein Stücklein von einem Kinde wie würde ich es herzen und küssen, hegen und pflegen, und tagaus tagein hüpfen und spielen lassen gleich den andern allen.«

»Aber würden die Frauen nicht so leicht im Kindbett sterben und wärest du nicht noch viel zu zart und jugendschlank, dann würdest du längst Mutter sein!« rief der Seneschall, dem ihr Wortschwall an die Nieren ging. »Vielleicht wollen wir lieber ein fertiges kaufen?[37]

Das würde dich nicht so viel Qual und Schmerzen kosten.«

»Oh, die will ich ja gern erdulden, denn sonst würde es doch nicht unser rechtes Kind werden. Ich weiß sehr wohl, daß es aus mir heraus erstehen muß, maßen doch in der Kirche gesagt wird, Jesus sei die Frucht von Mariens Leibe.«

»Nun, dann wollen wir zu Gott beten, daß es also geschehe,« ächzte der Seneschall, »und zudem wollen wir zu der heiligen Jungfrau in Esgrignolles wallfahren. Schon manche Dame sah ihren Wunsch erfüllt, nachdem sie dorten ihre neuntägige Andacht gehalten hatte. Das wird auch bei uns zum Ziele führen.«

So machte sich denn Blanche bereits am gleichen Tage zu Unserer Lieben Frau nach Esgrignolles auf. Gleich einer Königin saß sie in einem grünen, goldbestickten Samtgewande, dessen Ausschnitt ihre Brust erschimmern ließ, auf ihrem Zelter. Prunkendes Geschmeide zierte ihren Hut und den güldenen Gürtel ob ihren schlanken Hüften und den ganzen Schmuck wollte sie der Jungfrau darbringen an dem Tage, da sie vom Wochenbette wieder erstünde. – Vor ihr trabte der Herre von Montsoreau, blinkäugig wie ein Bussard, und sorgte dafür, daß nichts der Reiterschar in die Quere kam oder sie behelligte. Der Seneschall, der nahebei ritt, war ob der Hitze selbigen Augusttages eingedröselt und schwankte daher auf dem Sattel wie ein Diadem auf dem Kopfe einer Kuh. Wie nun eine Bäuerin, die am[38] Wege auf einem Baumstumpfe hockte, solch altes Gerippe neben einer so lebensfrischen, anmutsvollen Maid erblickte, da fragte sie ein altes Lumpenweib, das ächzend ein paar Halme auflas: ob jene Prinzessin da im Begriffe sei, den Gevatter Tod ins Jenseits zu geleiten. »I wo,« gnauzte die Alte, »das ist ja die Schloßfrau von Roche-Corbon, die für ein Kindlein eine Wallfahrt macht.«

»Hahaha,« lachte die Bauerndirne mit pfiffigem Gesicht. Und dann wies sie auf den Rittersmann, der vorneweg trabte und rief: »Wenn sie sich an den da hielte, könnte sie sich Kerze und Gelübde sparen.«

»Ach, du loses Dingelchen,« meinte die Bettlerin, »ich wundere mich vielmehr, daß sie nach Esgrignolles wallfahrt, wo doch alle Pfaffen so gar häßlich sind. Würde sie lieber in der schattigen Kühle des Klosters zu Marmoustiers rasten, dann wäre sie bald gesegneten Leibes, denn dort versteht man das Handwerk.«

»Laßt doch das Pfaffengesindel,« rief eine andere dazwischen, »dort der Herre von Montsoreau ist genügend feurig und schmuck, um den natürlichen Weg zum Herzen der Dame zu finden.«

Und alle lachten hell heraus. Der Herre von Montsoreau wollte sie stracks für ihre losen Worte an der nächstbesten Linde aufknüpfen lassen, aber Blanche rief eifrig dazwischen: »Nicht doch! Sie haben noch nicht alles gesagt, und wenn wir zurückkommen, werden wir den Rest hören!«[39]

Dann wurde sie knallrot und der Herre von Montsoreau durchglühte sie mit einem Blicke, als wollte er sie auf einen Hieb mit allen Liebesenthüllungen spicken. Aber die Reden der Bauernweiber hatten schon das ihre getan und es fiel wie Schuppen von ihren Augen. Nun war ihre Jungfernschaft gleich einem Stücklein Zunder und ein einzig Wort mußte genügen, um sie hellaufflammen zu lassen. So ward Blanche jach des Unterschiedes inne, der zwischen ihrem Ehekrüppel und besagtem Edelmanne, dem jungen Gauttier, bestand, welchselben seine dreiundzwanzig Jahre recht wenig bedrückten, also daß er strick und stramm im Sattel saß und so frisch ausschaute wie der junge Morgen.

Alles das bedachte die Frau Seneschallin so wohl, daß sie bei der Ankunft in Tours bereits in den Herrn Gauttier bis über die Ohren verliebt war, wie es eben nur ein armes Jüngferlein sein konnte. Ja, es war eine wahrhaftige Jungfernliebe, die sie derart blendete, daß sie ihr altes Ehegesponst gar nicht mehr sah, sondern nur noch den jungen Rittersmann, der so gesundheitstrotzend prangte wie ein Pfaffenkinn. – Der Alte erwachte erst bei dem Hallo der gaffenden Menge, derweile man pomphaften Einzug hielt. Blanche begab sich zu der Kapelle, allwo man um Kinder zu beten pflegte, und betrat sie der Sitte gemäß allein, während der Seneschall nebst Gefolge und mit ihnen die Gaffer vor dem Gatter warteten. Als nun der Priester herzutrat, fragte sie ihn, ob es viele kinderlose Frauen gäbe. Jener meinte,[40] er könne nicht klagen und die Kirche hätte davon ihre schöne runde Einnahme. So fragte sie weiter: »Kommen oft so junge Frauen zu Euch, die so alte Männer haben, wie der Seneschall einer ist?«

»Recht selten,« entgegnete er.

»Aber diese Frauen wurden doch guter Hoffnung?«

»Stets,« grinste der Pfaffe verschmitzt.

»Und wenn die Männer jünger sind?«

»Auch dann meistens ...«

»Wie denn? Bei Alten ist mehr Aussicht?«

»Aber freilich,« sprach er gewichtig, »denn bei den jüngeren hilft Gott allein, bei den Alten aber zumeist ein andrer Mann.« (Woraus man leichtlich ersehen kann, daß dermalen die Pfaffen die Weisheit mit Löffeln gegessen hatten).

Blanche also tat ihr Gelübde, das recht ansehnlich war maßen der Schmuck gut und gerne seine zweitausend Gülden wert war. Als dann der Seneschall auf dem Heimritte sah, wie sie ihren Zelter traben und tänzeln ließ, da meinte er: »Du scheinst strahlend froh zu sein!« »Natürlich!« rief sie, »jetzt bin ich ja sicher, ein Kind zu bekommen, und da, wie mir der Priester sagte, ein anderer mithelfen muß, so werde ich Gauttier nehmen ...«

Den Seneschall traf schier der Schlag. Wäre der Spaß nicht zu teuer geworden, dann hätte er den Pfaffen am liebsten erwürgt; so entschloß er sich aber, ihn lieber mit Hilfe des Erzbischofes hintenherum seine Rache kosten zu lassen. Und bevor sie noch heimgekommen waren,[41] bedeutete er dem Herren von Montsoreau, lieber daheim Schätze zu graben, was der junge Gauttier sich auch nicht zweimal sagen ließ, maßen er seines Herrn kurze Prozesse kannte. An seiner Statt ernannte der Seneschall den Sohn eines Lehnsmannes, einen Herrn von Jallanges. Das war ein junger Bursch von noch nicht vierzehn Jahren; er hieß René und wurde Page, bis er das Alter zum Schildknappen erreicht haben würde. Den Befehl über die Mannschaft aber vertraute Bruyn einem greifen Haudegen an, mit dem er einst Palästina unsicher gemacht hatte. Solchermaßen vermeinte der Biedere, seine entlaubte Stirn vor einem Geweih zu bewahren und auch fürder die widerspenstige Jungfrauenschaft seines Weibes zu bändigen, sosehr selbiges auch wider den Stachel löckte.

Quelle:
Honoré de Balzac: Die drolligen Geschichten welchselbige der wohledle Herr von Balzac als Festtagsschmaus für alle Pantagruelskindlein in den Abteien der Touraine sammelte und ans Licht zog. Berlin [o.J.], S. 34-42.
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