196. Jäger Jenn.

[156] Zur Zeit, als es in Sabel noch adelige Bauern gab, passirte es einem derselben, daß sein Vieh nicht gedeihen wollte, sondern immer plötzlich krank wurde und dann auch bald darnach starb. Mochte der Bauer noch so vorsichtig und achtsam sein, mochte er noch so viel aufpassen und auf seiner Hut sein, es half ihm Alles nicht; sobald er sich ein neues Pferd, eine neue Kuh, Schwein oder Schaf wieder angeschafft und in seinen Stall gebracht hatte, ließ das Thier den Kopf hängen, wollte nicht fressen und lag gewöhnlich schon am nächsten Morgen todt auf dem Rücken da.

Daß das Vieh des Bauern behext war, behext sein mußte, stand baumfest, darüber waren alle alten und verständigen Leute im Dorfe einig. Wer aber die böse Hexe sei und wo sie wohne, war nicht zu ermitteln, blieb Allen ein Räthsel. Da begab es sich, daß unser so arg heimgesuchter Bauer einmal nach dem nur eine Viertelmeile von ihm entfernten Stargard gegangen war, wo er, mehr als ihm gut und dienlich, in einem Kaufmannsladen getrunken hatte. Es war schon spät Abends, als der Alte aus dem Thore der Stadt heraustaumelte, um endlich wieder heimzukehren. Als er also eine kleine Strecke zurückgelegt hatte und sich just einem Kreuzwege näherte, stürzte ihm plötzlich ein altes scheußliches Weib, mit rothen Augen und fliegenden Haaren, keuchend und zitternd entgegen und bat ihn flehentlich, ihr über den Kreuzweg zu helfen. Gutmüthig packte der Bauer die Hexe – denn dafür hatte er sie doch gleich erkannt – hinten bei ihren lang herunterhängenden ›Zwissen‹ und warf sie mit einem Schwunge über den Kreuzweg, worauf das Weib in wildester[156] Hast kopfüber fortstürzte und seinen Augen bald entschwunden war. Als der Bauer noch so da stand und gedankenlos in die Dunkelheit hineinstarrte, schlug plötzlich Hundegebell und das Wiehern eines Rosses an sein Ohr. Der Jenner oder Jenn, der wilde Jäger, wars, der gleich darauf über Felder und Wälder, durch die Lüfte mit seiner wilden Jagd dahergesaust kam und auf seinem schnaubenden schwarzen Hengste gerade vor dem Bauern anhielt. Freundlich fragte er diesen, ob soeben ein altes Weib vorbeigekommen und ob er demselben vielleicht über den Kreuzweg geholfen? Da der ehrliche Alte das bejahte, bat ihn der Jenn, nun auch seinen Hunden und dann ihm selbst über den Kreuzweg zu helfen. Dies wollte der Bauer anfänglich nicht, denn er fürchtete sich vor den grimmig heulenden Hunden und meinte, sie würden ihn gewiß beißen. Auf des Jenners Zureden ließ er sich endlich doch bewegen, einen der Hunde zuerst ganz leise zu berühren. Als der Hund ihm darauf aber nicht nur nicht das Geringste that, sondern sich im Gegentheil sogar ganz fromm und zutraulich gegen ihn bewies, da faßte er sich schnell ein Herz, ergriff einen Hund nach dem andern und schleuderte sie sämmtlich über den Kreuzweg. Nun aber den Reiter selbst, sammt seinem mächtigen Hengst, über den Weg zu bringen, war unserm Bauer außer allem Spaß; unmöglich erschien es ihm, eine solche Last zu heben, weshalb er sich dessen denn auch standhaft weigerte. Der Jenn aber ließ nicht nach mit Zureden und Bitten und versicherte dem Bauer wiederholt, daß er mit seinem Pferde gar nicht so schwer sei, wie es allerdings wohl scheinen möge; er solle es nur einmal versuchen, es solle sein Schade dann auch nicht sein. Als aber das gütliche Zureden und Bitten des wilden Jägers nichts fruchten wollte, fing er zuletzt an, dem Bauer zu drohen und befahl ihm endlich mit barscher Stimme, ihm, wenn ihm sein Leben lieb sei, jetzt sogleich über den Kreuzweg zu helfen. Da nahm denn der Bauer in größter Herzensangst alle seine Kräfte zusammen, packte den schwarzen Hengst an allen Vieren, der, o Wunder, leicht wie eine Feder war, schwang ihn über seinen Kopf hoch in die Luft und warf ihn dann mitsammt seinem Reiter weit über den Kreuzweg. Dieser drehte sich hier noch einmal um, rief dem Bauern zu, seiner einen Augenblick zu warten, er werde gleich zurückkehren und jagte dann mit seinen laut klaffenden Hunden in Sturmessausen[157] dahin. Der Bauer mochte kaum eine Viertelstunde gewartet haben, als der Jenner auch schon wieder zurückgesprengt kam. Vor sich, quer über dem Pferde liegend, hatte jetzt der Wilde das alte Weib, welches der Bauer zuerst über den Kreuzweg geworfen; sie war jetzt todt und von den Hunden so arg zugerichtet und zerrissen, daß das schwarze Blut aus den vielen hundert Wunden der gräßlich entstellten Leiche herunterströmte. ›Sieh hier,‹ rief der Jenn dem vor Schreck erstarrten und jetzt schon ganz nüchtern gewordenen Bauer zu, ›eine bitterböse Hexe, deren Stunde endlich geschlagen hatte! Sieh in ihr das böse Weib, die dir so lange dein Vieh behext, daß es immer sterben mußte; die dir so vielen Schaden zugefügt hat. Jetzt wirst du Ruhe vor ihr haben, Glück und Segen wird wieder bei dir einkehren; dein Vieh wird nicht mehr sterben, es wird von dieser Stunde an wieder wachsen und gedeihen und sich mehren, daß du deine Freude daran haben sollst!‹ Dann riß er der Hexe die beiden langen Flechten aus dem Nacken und reichte sie dem Bauer, damit er sie mitnehme nach Haus und sie zum Andenken aufbewahre für sich und seine Kinder. ›Bleib immer brav und rechtschaffen, laß aber nach diesem jagen, was da jaget, sonst wird es dir schlecht ergehen!‹ rief der Jenner zuletzt dem noch immer vor Schreck, Staunen und Freude sprachlos Dastehenden zu und jagte dann mit seiner blutigen Beute in entgegengesetzter Richtung wieder davon. Der Bauer befolgte gewissenhaft den guten Rath des wilden Jägers. Kein Stück Vieh starb ihm wieder nach dieser Zeit; sondern es wuchs und gedieh und vermehrte sich auf's schönste und beste; Glück und Segen war wieder bei ihm eingekehrt, und so ist es auch bis an sein seliges Ende geblieben.

Noch viele Geschichten werden vom wilden Jäger Jenn oder Jenner im Lande Stargard erzählt, wo sein Hauptjagdrevier sein soll. Mein alter prächtiger Gewährsmann, ein hochbetagter, biederer stargardischer Holländer, fügte noch zum Schlusse hinzu, daß auch früher einmal ein Verwandter von ihm, der Schäfer zu Klein-Nemerow – bei Stargard – gewesen sei, die wilde Jagd gesehen habe. Es wäre Nacht gewesen, sein Verwandter hätte in der Schäferhütte auf freiem Felde bei den Schafen gelegen, da sei plötzlich der Jenn mit seiner wilden Jagd unter großem Getöse vorübergezogen.[158] Weil derselbe aber zu tief in der Luft gejagt, so habe er den Hürden berührt, den er dann in Folge dessen ganz entzwei gerissen und damit gleichzeitig alle Schafe weit auseinander gesprengt, so daß der Schäfer erst am andern Tage nach vielem Suchen all sein Vieh wieder zusammengefunden.


Niederh. 3, 91ff.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 156-159.
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