483. Das heilige Blut.

[354] Ein Hirte in der Nähe von Doberan sah seine Heerde durch räuberische Wölfe beunruhigt und geschädigt. Das war zu der Zeit, als Herzog Heinrich der Löwe das Land Meklenburg verwüstete und das Volk mit Gewalt zum Christenthum bekehrte. Wie der Hirte einst sorgend bei sich seinen Verlust bedachte und seine Heerde heimtrieb, nahte ihm eine dunkle Männergestalt und rieth ihm, eine geweihte Hostie in seinen Hirtenstab einzuschließen, dann würde sie sicher weiden und sich mehren. Wohl bangte dem Hirten, diesem gottlosen Rathe zu folgen; da es aber immer ärger wurde, entschloß er sich dazu, ließ sich im Kloster Doberan das Abendmahl reichen,[354] trug das Brot, statt es zu essen, nach Hause und schloß es in den Hirtenstab ein. Von da an blieben die Schafe nicht nur vom Wolfe verschont, sondern mehrten sich auch von Jahr zu Jahr. Er ward bald ein reicher Mann. Einmal aber theilte er seinem Weibe sein Geheimniß mit. Diese, eine fromme Frau, erzählte es dem Abte des Klosters, und der Convent beschloß, in feierlicher Procession die Hostie ins Kloster zurückzubringen. Als man den Stab öffnete, floßen Blutstropfen heraus. Die Hostie ward von da an unter dem Namen des heiligen Blutes im Kloster aufbewahrt.


Lehrer Pechel bei Niederh. 1, 213 ff.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 354-355.
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