Achtzehnte Szene.

[319] Katharine. Baron.


BARON. Bevor ich amtlich auftrete, müssen Sie mir erlauben, mich über einen Irrtum erklären und entschuldigen zu dürfen. Ich weiß nicht, wodurch der Lohnlakai des Hauses veranlaßt wurde, Sie für eine Tänzerin zu halten, und Sie mir in dieser Eigenschaft zu bezeichnen. Daher mein um so freieres Benehmen, je mehr Sie darauf bestanden, als eine Dame behandelt zu werden. Diese Erklärung war auch beiläufig der Inhalt meines Briefes, den Sie zurückwiesen.

KATHARINE. Mein Herr, wenn ich wußte, daß – wenn Sie wußten – vergeben Sie![319]

BARON. Beschämen Sie mich nicht, meine Gnädige! Ich bin zufrieden, wenn Sie mir verzeihen. Doch genug davon. – Jetzt zu den Amtsgeschäften. Setzt Stühle. Setzen sich. Sie erlauben mir einiges zu notieren. Zieht ein Portefeuille heraus. Ihr Name ist Frau von Rosen?

KATHARINE etwas kleinlaut. Katharine von Rosen.

BARON als ob er schreiben wollte. Frau Katharine von Rosen.

KATHARINE. Ich bitte – Fräulein von Rosen.

BARON. Fräulein?

KATHARINE beschämt. Ja.

BARON. Es hieß doch –

KATHARINE. Ein Zufall veranlaßte diesen Irrtum. Der Inhaber des Badehauses nannte mich gnädige Frau, und schrieb meinen Namen, ohne mein Wissen, mit dieser Bezeichnung in das Fremdenbuch. Die Badegäste machten mich gleich zur Witwe. Ich widersprach nicht geradezu –

BARON. Vergeben Sie, allein das ist unerlaubt.

KATHARINE. Was dachte ich daran! Was wußte ich von der Welt, von ihren Einrichtungen! – Meine Erziehung, mein Charakter bestärkten mich in mancher Sonderbarkeit. Sie müßten meine Lebensgeschichte wissen, wenn Sie mich ganz begreifen wollten.

BARON. Lassen Sie mich immer einiges davon erfahren. Ich muß sogar von Amtswegen um die Mitteilung Ihrer Verhältnisse ersuchen.

KATHARINE. Nun denn! – Mein Vater war General von Rosen –

BARON. In unsern Diensten? Derselbe, der sich zuletzt in Hamburg niederließ?

KATHARINE. Derselbe. Die Mutter verlor ich früh. Mein Vater galt für einen Sonderling. Er gab mir die Erziehung eines Knaben. Ich lernte reiten, schwimmen, klettern. Als der Vater vor vier Jahren starb – ich zählte kaum fünfzehn –

BARON für sich. Fünfzehn und vier macht neunzehn –

KATHARINE. War ich mir selbst überlassen, denn es gehörte auch zu den Eigenschaften des sonst vorzüglichen Mannes, daß er mit niemanden vertrauteren Umgang pflog. Ein alter Diener brachte mich und das Mädchen, welches Sie sahen, in die Residenz dieses Landes zu einer alten Anverwandten, bei der wir jungen Kinder wie die Gefangenen lebten. Bücher waren unser einziger Trost. Zudem entwickelte sich bei mir ein geringes Talent für die Kunst, der ich mich mit Leidenschaft hingab. Ich zeichnete, ich malte, und vergaß die Welt um mich her. Mein Mädchen folgte ganz der Richtung meines Geistes. So bildete sich denn in unserm jungen[320] Gehirne eine romantische, ideale Welt, an deren wirkliche Existenz vor den Eisengittern unserer dunklen Fenster wir töricht glaubten. – Nun find' ich die Welt ganz anders! – Die Tante starb. Andere, böse Verwandte wollten mir mein Vermögen entreißen, allein mein Advokat und das Recht siegten. Der wackere Präsident von Stein, ein alter Freund meines Vaters, nahm sich meiner mit aller Wärme an –

BARON beiseite. Bravo, Herr Onkel!

KATHARINE. Ich gewann den Prozeß. Zugleich erklärte mich das Gericht für großjährig. Nun waren wir wieder uns selbst überlassen. Zu jenen Verwandten wollte ich nicht ziehen, so sehr sie sich darum bemühen; eine Heirat, die man mir vorschlug, verabscheute ich. Teils um allen diesen Verhältnissen zu entkommen, teils um die Welt zu sehen, die mir in Glanz und Schimmer vor der Seele schwebte, beschloß ich eine Jugendfreundin aufzusuchen, die sich mit ihrem Gatten an diesem Badeort befand. Ich wollte sie überraschen, allein sie war bereits abgereist. Im jugendlichen Übermut blieb ich mit meinem Mädchen hier allein, wo meine phantastischen Träume vor der kalten Wirklichkeit verfliegen und verflattern sollten. Sie steht auf.

BARON gleichfalls. Ihr Betragen zeigte allerdings von Mangel an Weltkenntnis, mein Fräulein, allein Ihre Erzählung hat Sie in meinen Augen vollkommen gerechtfertigt. Ich erlaube Ihnen daher von Amtswegen, frei und ungehindert zu bleiben, oder zu reisen, wie es Ihnen gefällt.

KATHARINE. Ich danke Ihnen, mein Herr.

BARON. Beantworten Sie mir noch eine Frage: weshalb wollten Sie so plötzlich abreisen?

KATHARINE. Soll ich aufrichtig reden?

BARON. Ich bitte darum.

KATHARINE. Nun denn: es war Ihretwegen.

BARON. Meinetwegen?

KATHARINA. Ja. Ich fühlte mich durch Ihr Betragen gekränkt. Niemals hatte sich mir ein Mann auf diese Art genähert. Ich war aufs tiefste gedemütigt, hilflos, verlassen. Meine lustige Laune war weg, meine Possen verstummten. Die Wut, mich zu rächen, und die Ohnmacht, es nicht zu können, kämpften in meiner Brust. Ich konnte nicht länger bleiben. Ich wollte fort, ich mußte fort.

BARON. Mein Fräulein, diese Erklärung beschämt und entzückt mich zugleich.

KATHARINE. Die Beschämung laß ich gelten, die Entzückung seh ich nicht ein.[321]

BARON. Sie wollten vor mir fliehen. Was man flieht, das ist uns nicht gleichgültig. Ihre Flucht ist also eine versteckte Schmeichelei für mich.

KATHARINE. Eine sehr günstige Auslegung!

BARON. Es läßt sich noch mehr hineinlegen. Zum Beispiel die Ähnlichkeit unserer Charaktere. Ich finde bei Ihnen dieselbe Neigung zum Sonderbaren, einen gewissen romantischen Anklang –

KATHARINE. Sind Sie auch romantisch?

BARON. Aufzuwarten.

KATHARINE. Das hätt' ich nicht vermutet.

BARON. Warum? Weil ich ein Mann bin?

KATHARINE. Weil Sie – kein Jüngling mehr sind.

BARON. Das war boshaft! – Mein Fräulein, Sie vergessen, daß ich Ihr Richter bin.

KATHARINE. Sie, mein Richter? Wer sind Sie denn eigentlich?

BARON. Ich? Ein Stück Badekommissär – eine Art Paßdirektor.

KATHARINE. Wirklich? – Sind Ihre Geschäfte beendigt?

BARON. Beiläufig – ja.

KATHARINE. Nun denn, so danke ich für Ihre Gefälligkeiten, Herr Direktor.

BARON. Was? Sie wollen die Kommission wegschaffen, die eigentlich bestimmt ist, andere Leute wegzuschaffen?

KATHARINE. Bleiben Sie, so lange es Ihnen gefällig ist. Ich will nur auf mein Zimmer gehen.

BARON. Halt, mein schönes, romantisches Fräulein! Nur noch zwei Worte! Ich kenne nun Ihre Lage, Sie brauchen eine Stütze, einen Schützer, nehmen Sie mich dazu an.

KATHARINE. Was soll das wieder?

BARON. Sie haben sich in mir getäuscht, ich mich in Ihnen. Sie hielten mich für einen Abenteurer, ich Sie für eine Tänzerin. Ich weiß jetzt, wer Sie sind, mögen Sie mich gleichfalls kennen lernen. Ich bin Baron Ringelstern, besitze ein Landgut und verschiedene Tanten, deren eine jede Sie mit Vergnügen in ihr Haus aufnehmen, und mir das Vergnügen verschaffen wird, Sie näher kennen zu lernen.

KATHARINE. Baron? Gutsbesitzer? Erst waren Sie ja Paßdirektor.

BARON. Das war Scherz. Ich bin gar kein Direktor; im Gegenteil, ich bin froh, wenn Sie mich dirigieren wollen.

KATHARINE. Sie hatten also kein Recht, mich auszuforschen?

BARON. Eigentlich nicht.

KATHARINE. Und ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen alles zu erzählen![322]

BARON. Es war eine Kriegslist.

KATHARINE. Kriegslist? – Es ist abscheulich!

BARON. Nicht doch! Es ist romantisch.

KATHARINE. Was romantisch? Es ist die höchste Beleidigung. Verlassen Sie mich sogleich.

BARON. Mein Fräulein –

KATHARINE. Ich sage, verlassen Sie mich!

BARON. Hören Sie doch meine Entschuldigung –

KATHARINE. Es gibt keine. Mich zutraulich zu machen, Ihr Spiel mit mir zu treiben! Ich muß Genugtuung haben.

BARON. Ich bin bereit. Degen oder Pistolen? – Aber hören Sie mich jetzt ruhig an. Mein voriger Antrag war ernsthaft gemeint. Sie sind ohne Schutz, ohne Stütze, die eine der besagten Tanten wird nächstens hier erscheinen –

KATHARINE. Was kümmern mich Ihre Tanten! Wer sagt Ihnen, daß ich schutzlos bin? Auch ich erwarte mit nächstem –

BARON. Eine Tante?

KATHARINE. Nein!

BARON. Einen Onkel?

KATHARINE. Auch nicht. Ich erwarte einen Beschützer.

BARON. Einen Beschützer? Einen Beschützer? Doch nicht –?

KATHARINE. Und was, mein Herr?

BARON. Einen Bräutigam?

KATHARINE. Ja, ich erwarte einen Bräutigam.

BARON. Wie? Sie haben einen Bräutigam?

KATHARINE. Warum soll ich keinen haben?

BARON. Einen wirklichen, einen veritablen Bräutigam? Das ist ein anderes. Warum sagten Sie das nicht gleich? Ich sehe schon, mein Antrag war vorschnell, meine Kriegslist ist unnütz; die Entzückung schwindet, und nur die Beschämung bleibt zurück.

KATHARINE. Sehen Sie nun?

BARON. Ich bekenne mich für besiegt, ja, für vernichtet, ich ziehe mich mit dem Verlust aller meiner Truppen zurück. Der Bräutigam hat meine ganze Armee in die Pfanne gehauen. Wie ein Cäsar, ein Alexander, wirkte dieser Bräutigam, dieser Bräutigam ohne Namen, dieser Bräutigam X. – Leben Sie wohl, mein Fräulein. Vergeben und vergessen Sie, was zwischen uns vorfiel. – Sollte aber dieser Bräutigam vielleicht nur das Spiel einer lebhaften Einbildungskraft sein, so, was man einen Popanz, eine Vogelscheuche nennt, fehlte ihm die Realität, wär' er nur eine Idee, »der Bräutigam, wie er sein soll«, etwa der Mann im Monde, – dann sind wir quitt: Maske für Maske, Kriegslist für Kriegslist – die Visiere sind gefallen, und ein neuer, offener Kampf beginnt auf Tod und Leben! Ab.


Quelle:
Eduard von Bauernfeld: Ausgewählte Werke in vier Bänden. Band 1, Leipzig [o.J.], S. 319-323.
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