Zehnte Szene.

[335] Cäcilie. Baron Ringelstern.


BARON. Mein Fräulein, ein Nachbar nimmt sich die Freiheit, Sie zu besuchen.

CÄCILIE. Herr Baron, es ist mir ein Vergnügen –[335]

BARON beiseite. O weh! Sie macht ein saures Gesicht! Ein wenig Schmeichelei kann nicht schaden. Zu Cäcilien. Das Land schlägt Ihnen vortrefflich an. Sie sehen aus wie die Göttin Hygieia selbst.

CÄCILIE. Ich bitte –

BARON. Auch der Papa nahm sichtbar an Embonpoint zu.

CÄCILIE. Herr Baron –

BARON. Auch die Mama. Ich sah sie noch gestern auf der Promenade. Die Frau verjüngt sich jedes Jahr.

CÄCILIE. Ich verkenne ihre Absicht nicht, mir das Unangenehme, das Sie mir zu verkünden haben, nach und nach, und auf eine milde Art mitzuteilen. Aber ohne weitere Einleitung! Ich weiß, was Sie hieher führt.

BARON. Sie wissen –? Das ist unmöglich.

CÄCILIE. Ich weiß alles. Ihr Freund sendet Sie –

BARON. Welcher Freund?

CÄCILIE. Sittig –

BARON. Keineswegs. Ich komme aus eigenem Antrieb.

CÄCILIE. Sind Sie nicht von ihm beauftragt?

BARON. Auf Ehre, nein.

CÄCILIE. Aber er sagte Ihnen doch –?

BARON. Und was, mein Fräulein?

CÄCILIE. Daß – – soll ich es wiederholen?

BARON. Aha! Ich ahne. Ein kleiner dépit amoureux, nicht wahr? Seien Sie ohne Sorge, mein Fräulein. Sittig ist mein bester Freund, aber in solchen Dingen bleibt er verschlossen wie eine Mauer.

CÄCILIE. Er klagte nicht über mich?

BARON. Im Gegenteil, er sprach erst gestern morgens mit aller Wärme, aller Begeisterung von Ihnen.

CÄCILIE. Gestern morgens? Aber seitdem –

BARON. Fiel der Zwist vor? Für sich. Bravo! Meine Lehren haben schnell gefruchtet. Zu Cäcilie. Seitdem hab' ich ihn nicht gesprochen.

CÄCILIE. Nicht? Sie hatten ja einen Spaziergang mit ihm beschlossen?

BARON. So? Das wissen Sie auch? – Er ließ mich umsonst warten; er zog eine gewisse Spazierfahrt vor.

CÄCILIE. Ich habe davon gehört.

BARON. Haben Sie? – Liebes Fräulein, ich komme da zufällig hinter ein Geheimnis, und kann es nicht unterlassen, die Gunst des Zufalls zu benützen. Sie hielten mich bisher für einen Störefried, für den bösen Geist Asmodi, der die Ruhe der künftigen Ehe in vorhinein bedroht; – das bin ich alles nicht. Aber ich bin meinem[336] Freunde August aus ganzem Herzen zugetan, ich bin älter und reifer wie er, sehe klarer über manche Verhältnisse. August hat eine tiefe Neigung für Sie gefaßt. Er steht sein Glück nur in einer dauernden Verbindung mit Ihnen. Der Schritt, den er vor hat, ist der wichtigste in unserm bürgerlichen Leben. Der einzelne Mensch kann gut, kann zufrieden sein, niemand hindert ihn daran. Wenn er es nicht ist, ist es seine Schuld. Aber in der Ehe gibt es kein einzelnen Menschen. Beide Teile glücklich oder unglücklich. Es gibt kein drittes. Die Ehe tötet entweder den Egoismus oder sie tötet sich selbst. Darum ist sie eben das schönste menschliche Verhältnis, weil sie den einzelnen zwingt, sich selbst zu vergessen, und sein Glück in dem Glücke des andern zu suchen. – Sie lächeln freundlich? Darf ich weiter sprechen?

CÄCILIE. Ich habe das nicht erwartet; aber man hört Ihnen gerne zu.

BARON. Wenn's im Busche rauscht, fürchtet man oft eine Schlange, und ein unschuldiger Vogel fliegt heraus. – Meine Grundsätze auf Ihr Verhältnis angewendet, behaupte ich, daß ihr beide vortrefflich füreinander paßt, aber keines darf die Natur des andern verkennen. Daß Freund August Ihr Wesen vollkommen würdigt, davon bin ich überzeugt; aber Sie, liebes Fräulein – vergeben Sie meine Offenheit – Sie haben unsern Freund noch nicht nach seinem ganzen Innern aufgefaßt.

CÄCILIE. Hab' ich gefehlt, so war es gewiß nur die Liebe –

BARON. Die Liebe! So heißt es gewöhnlich. Man quält, man ärgert, man martert einen, man macht sich unglücklich, man wird am Ende gleichgültig – aus lauter Liebe. – Die Liebe macht heiter, offen, zuversichtlich; eine lauernde, verdrießliche, argwöhnische Liebe ist gewiß nicht die rechte. Sittig ist ein edler Mensch, durchweg sittlich, ohne Falsch, denen, die er liebt, ergeben bis zum Fehlerhaften. Er hat nur einen Hauptfehler: Mangel an Tatkraft; besonders, wenn man ihm Mißtrauen zeigt. Dann wird er unschlüssig, irre an sich selbst, und ist imstande, in Schwäche zu versinken, obschon er von Natur Kraft genug besitzt. Wie ich ihn kenne, kann er durch eine Frau zum vollkommenen Manne werden, oder er wird eben dadurch zu einem jener Dutzendmenschen herabsinken, denen kein warmes Gefühl, kein lebendiger Gedanke das ewige Einerlei ihrer Tage erhellt. August braucht eine klare, kluge, heitere Frau, eine Frau, die ihn ein bißchen gewähren läßt, die ihm geistige Erholung vergönnt, und in ihrem Mitgenuß Vergnügen findet. Launischem Schmollen und mißtrauischen Zweifeln wüßte er nichts entgegenzusetzen; das würde seine kindliche Seele nur beunruhigen. Doch ein etwas gehaltenes Benehmen mag seiner Frau immer anstehen; sie darf ihn auch ein klein wenig leiten und regieren, aber insgeheim,[337] ganz verstohlen, ohne daß er's merkt; kann ihn ein bißchen anspornen – das wird nicht schaden – kann auf ihn acht geben, daß er diese und jene wichtige Visite mache, daß er sich einen Moderock anschaffe, daß er nicht in die Hitze trinke – denn auch darin ist er wie ein Kind – kurz, sie soll und kann und wird – ganz so ein liebevolles, zärtliches, freundliches und etwas rechthaberisches Frauchen sein, wie ich es von unserer Freundin erwarte.

CÄCILIE nach einer Pause. Baron, Sie haben tief in mein Herz gegriffen –

BARON. Verzeihen Sie, wenn ich vorlaut war; aber ich bin Sittigs Freund, und möchte der Ihrige werden.

CÄCILIE. Das sind Sie, von diesem Augenblick. Sie sollen nicht vergebens gesprochen haben. Ja, ich sehe meine Fehler ein –

BARON. St! Wer wird denn gleich bekennen? Und glauben Sie denn, daß er ohne Fehler ist? Nur Geduld! Die Reihe wird auch an ihn kommen. – Nach diesem Gespräch bin ich nun erst recht froh, daß ich Ihnen versichern kann: ich habe Sittig meinem Onkel empfohlen und er hat die Empfehlung gut aufgenommen. Ich glaube, er fühlt ihm eben jetzt auf den Zahn.

CÄCILIE. Soll ich Ihnen denn in allem verpflichtet sein! – Wenn nur August hier wäre!

BARON. Er wird nicht lange weg bleiben. Aber nun zuletzt, weshalb ich eigentlich kam. Ich habe ein Bitte an Sie –

CÄCILIE. O, sprechen Sie –

BARON. Können Sie nicht eine Kostgängerin brauchen? Ein Mädchen aus guter Familie, wohlhabend, von allerlei Qualitäten, eine Art Mündel des Präsidenten, gegenwärtig allein und schutzlos in der Welt.

CÄCILIE. Die Eltern werden sich schwer herbeilassen –

BARON. Der Papa kennt meinen Schützling bereits, er gefällt ihm.

CÄCILIE. Wer ist das Mädchen?

BARON. Ein Fräulein von Rosen.

CÄCILIE. Doch nicht –?

BARON. Dieselbe, die mit Sittig spazieren fuhr? Ja.

CÄCILIE. Scherzen Sie?

BARON. Keineswegs. Seien Sie ganz ruhig. Die Spazierfahrt war eigentlich auf mich gemünzt. Mein Ehrenwort, das Mädchen ist unbescholten. Im Vertrauen, sie ist mir nicht ganz gleichgültig.

CÄCILIE. Wirklich? – Ich werde die Eltern zu bereden suchen.

BARON. Danke, beste Freundin, aber – es ist ein Geheimnis.

CÄCILIE. Ich bin doch neugierig, wie ein Mädchen aussieht, welches Ihnen gefährlich werden kann.

BARON. Warum? Bin ich so schwer zu rühren?[338]

CÄCILIE. Oder so leicht!

BARON. Ja so!

CÄCILIE. Doch man irrt vielleicht. Man hält Sie für medisant. Sie können doch warm fühlen.

BARON. Liebe Freundin, das Gefühl ist mein Galarock; den zieh' ich nur selten an, in wichtigen Lagen, für bedeutende Personen; der Witz ist mein Surtout für die Welt.


Quelle:
Eduard von Bauernfeld: Ausgewählte Werke in vier Bänden. Band 1, Leipzig [o.J.], S. 335-339.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Unsühnbar

Unsühnbar

Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

140 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon